Karl Reißberger
ln der letzten Zeit sind einige Maler auf die Technik
der Monotypie verfallen, um ihre Bildvorstellungen
zu realisieren. Bei dieser Technik, die gelegentlich
auch von den deutschen Expressionisten verwendet
wurde, wird eine beliebige Platte, zumeist Glas,
bemalt und im Anschluß daran auf angefeuchtetem
Papier ein einziger Abzug davon genommen. In
Wien war es vor allem der verstorbene Fred
Nowak, der mit dieser Technik expressive
Wirkungen erzielte.
Vergleicht man dessen Arbeiten, die wohl vielen
noch von seiner letzten Ausstellung im Üsterreichi-
schert Museum für angewandte Kunst her in
Erinnerung sein werden, mit jenen von Karl
Reißberger, so wird deutlich, zu welcher unter-
schiedlichen Gestaltung und Aussage die Monotypie
fähig ist. Sie erweist sich als ein Medium, das
gleich den traditionellen Techniken alle Gestaltungs-
möglichkeiten zuläßt. Dies gilt besonders für die
Arbeiten von Karl Reißberger, die man vom Duktus
her als spontan und von der Farbe als impressio-
nistisch bezeichnen kann. Vom Thema her sind
nahezu alle Blätter der Natur und ihren
Stimmungen gewidmet. Diese Blätter sind jedoch
nicht vor der Natur entstanden, sondern im Atelier,
das heißt aus den technischen und künstlerischen
Voraussetzungen des Entstehungsprozesses. Indem
der Künstler den farbigen Untergrund akzentuierte
und strukturierte, entstanden die visuell identifizier-
baren Bildvorstellungen wie „Ein Morgen",
„Sterbende Natur", „Winterwald", „Dunkle Stadt"
und andere. Reißberger folgte damit einer
Anweisung, auf die Leonardo da Vinci schon die
Maler als einen möglichen Gestaltungsvorgang
verwiesen hat. Da dieser Prozeß bei Reißberger
mit Intensität, großter Behutsamkeit und ohne
vehementen Zugriff erfolgt, verbleiben auch noch
die zartesten Valeurs und graphischen Strukturen
für den Gesamteindruck mitbestimmend. Dieser läßt
sich als ein ungemein sensibles Chaos beschreiben,
das gleich dem mythischen Begriff alle Möglichkei-
ten der Gestaltwerdung in sich trägt und hier sich
zumeist als eine Art dämmerhafter „Traumzustand"
darstellt. Es ist daher nur zu verständlich, daß
nicht die polaren Zustände von hellem Tag und
dunkler Nacht Reißbergers Interesse finden, sondern
iene, die sich eher durch braundunkle oder neblig-
trübe Dämmerfarben auszeichnen. ln diesen
Bereichen herrscht dann ein nur vage konturierendes
Bildgestalten, das der Phantasie vollen Spielraum
läßt und nicht die scharfe und trennende Begrifflich-
keit des Tagbewußtseins kennt.
ln allen Blättern Reißbergers schwingen wegen
dieser „Verhaltenheit" oder „AnfänglichkeiW auch
nach „hörbare" Elemente mit. Die Trennung
zwischen „hören" und „sehen" ist noch nicht radikal
vollzogen, die Blätter können nach „musikalisch"
empfunden werden. Ihre Musikalität umfaßt die
Skala der leisen und dunklen Töne, welche die
Stimmungen der Schwermut, der Vergänglichkeit,
den Herbst und Winter evozieren.
Durch diese Gestaltungsweise und Aussagekraft
haben Reißbergers Blätter vieles gemeinsam mit
der Tuschmalerei der Chinesen. Wie bei diesen
kommt man auch den Arbeiten Reißbergers nur
dann nahe, wenn man nicht intellektuell an sie
herantritt, sondern seelisch offen und gelöst wie
bei einer musikalischen Darbietung. Erst dann
erschließen sie sich und vermögen die vom Künstler
angestrebte stille, aber intensive Wirkung zu errei-
chen. Wilhelm Mrazek
'l „Sterbende Natur", T974. Monatvpie, 36 x 65 cm
2 „SommeW, 1975. Monotvpie, 44 x 65 cm
3 Dunkle „Smdw (großer Ausschnitt], 1974. Monotvpie,
orvg. 45 x es cm
4 „Ein Morgen", 1973. Monatvpia, 34 x 49 cm
s Karl Reißbergcr
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