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Volltext: Alte und Moderne Kunst XX (1975 / Heft 141)

um 1800" (Ossian, Friedrich, Füssli, Blake, Sergel, 
Runge], das wohl bedeutendste Großunterneh- 
men auf dem Ausstellungssektor in unseren Ta- 
gen, oder die Sammelschau„Von David bis Dela- 
croix" (Paris, Grand Palais, 1975), mit der die 
Veranstalter nicht nur die französische Kunst- 
geschichte radikal umzubewerten begannen, san- 
dern auch Gegenwartskunstpolitik betrieben - 
zeichnen das offizielle Bild einer Epoche, das 
von den Nachfahren im Aufbruch zu neuen Ufern 
der Kunst total verdrängt worden war. b 
Kritische Bestandsaufnahme, Zeitvergleiche, Wir- 
kungsgeschichte: die kulturelle Exhumierungs- 
welle überrumpelt iene, die allenfalls noch so 
etwas wie schlechtes Gewissen entwickeln gegen- 
über cier in die Defensive gedröngten modernen 
Kunst, mit gewaltig auftrumpfendem wissen- 
schaftlich-kulturkritischem Apparat. Und auch die 
Auswüchse sind bereits vielfach zu bemerken, 
schwappt doch die fröhliche Ausgräberei schon 
und Kunstgeschichtler tatsächlich die längst fäl- 
lige Aufarbeitung eines Jahrhunderts ist, das „so 
lange schlecht gemacht wurde, weil man es nicht 
erkannt hat und weil man ietzt daraufkommt, daß 
in dieser Zeit der industriellen Revolution die 
Quellen unserer Gegenwart liegen" - so Wil- 
helm Mrazek, Direktor des Museums für ange- 
wandte Kunst in Wien und Fachmann für das 
19. Jahrhundert. 
Ein klassischer Fall von Verdrängung: weil die 
Kunst des 19. Jahrhunderts am Beginn unseres 
Jahrhunderts von einer ganzen Reihe von Kunst- 
historikern - vor allem durch Julius Meier-Grae- 
fes bahnbrechende, wenn auch (zugunsten der 
lmpressionisten) reichlich einbahnige „Entwick- 
lungsgeschichte der modernen Kunst", die 1904 
zum erstenmal erschienen ist - in Acht und Bann 
getan wurde als Zeitalter von Plüsch und Kitsch 
und künstlerischer Verlogenheit, drängt sie nun 
um so stärker zurück ins Bewußtsein. 
7 
auf die kunsthistorischen Dunkelzonen der iüng- 
sten Vergangenheit über, die unter demselben 
Prätext aufgearbeitet und überdacht werden. ln 
Deutschland organisierte _man erstmals eine - im 
Endeffekt reichlich unbewöltigte - Ausstellung 
mit Kunst der nationalsozialistischen Ära. In 
Frankreich macht eine „Mode Retro" aus dem 
Fundus der Okkupationsiahre bereits Furore, 
und die entrüstete Kritikerin der „lnternational 
Herald Tribune" zitiert den Anfang eines Bei- 
trags im „Paris Match", wo von den vierziger 
Jahren „mit der Mode der gelben Sterne für 
Juden, graugrüner Tuniken und genagelter Stie- 
fel die Rede ist". 
Solch Überschwappen in kritiklose Hymnik liegt 
auch bei der Aufarbeitung des 19. Jahrhunderts 
gefährlich nahe. Das Pendel schwingt zurück ins 
extreme Gegenteil. Und manche möchten am 
liebsten ieden Schnörkel der pompösen Ver- 
gangenheit unter Denkmalschutz stellen. 
Darüber darf freilich nicht vergessen werden, 
daß, was für das breite Publikum schlicht Flucht 
ins schöne Gestern ist, für den Fachhistoriker 
30 
wer-im," 
Meier-Graefe und seine Kollegen hatten aus dem 
ganzen Jahrhundert nur einige Realisten und 
vor allem die lmpressionisten gelten lassen als 
Vorstufen für Cezanne und damit für die Ent- 
wicklung iener künstlerischen Strömungen des 
20. Jahrhunderts, die dann ieweils als Avant- 
garde hochgepriesen wurden. 
„Die recht gewalttätige Vereinfachung, die da 
eine ganze künstlerische Epoche erfährt - die 
wohl reichste, aber auch divergierendste der 
gesamten abendländischen Kunstgeschichte -, 
führte nicht nur zu einer schiefen geschichtlichen 
Perspektive, sondern auch zur Vernachlässigung 
einiger recht eigenwilliger künstlerischer Talente, 
die, wohl gerade, weil sie zwar Außenseiter, 
nicht aber (oder nur in sehr beschränktem Maße) 
formale Neuerer waren, nicht in diesen Gänse- 
marsch historischer Stile paßten", rückt nun der 
Schweizer Kunsthistoriker und Gleyre-Wieder- 
entdeeker Rudolf Koella aus Winterthur das po- 
sitivistische, fartschrittsfixierte Geschichtsbild gan- 
zer Generationen von Kunsthistorikern und Kri- 
tikern des 20. Jahrhunderts zurecht, die sich ge- 
7 Alexandre Cabanel: „Die Geburt der Ve 
1863, Paris, Musee du Louvre
	        
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