rade durch dieses konstruierte Geschichtsbild
als Epiganen des fortschrittsgläubigen T9. Jahr-
hunderts erweisen, das sie doch so sehr zu be-
kämpfen meinten.
„Mit wachsender Distanz gibt es eine immer
stärkere Bereitschaft, all das, was früher ge-
schätzt war, als hohe Kunst anzuerkennen", ortet
Renate Wagner-Rieger, Ordinarius für Kunstge-
schichte an der Wiener Universität, Spezialistin
für die Kunst des 19. Jahrhunderts und feder-
führend beim monumentalen Ringstraßenproiekt
der deutschen Thyssen-Stiftung, die schon seit
einigen Jahren Spezialforschungen in dem so
geschmähten Zeitalter finanziert und dem wich-
tigsten städtebaulichen Denkmal der Zeit, eben
der Wiener Ringstraße, ein ebenbürtiges, viel-
bändiges Buchdenkmal zuteil werden läßt, neues,
möglichst wertungsfreies Obiektivitötsdenken sei-
tens der Kunstwissenschaft. „Je weiter wir uns
zeitlich entfernen, desto klarer wird auch das
ten und verteufelten Jahrhunderts. Beim Deut-
schen Kunsthistorikertag in Hamburg gerieten
einander die orthodoxen Entwicklungsideologen
und die Proponenten wertfreier Aufarbeitung in
die Haare. Und erst kürzlich kreuzten zwei pra-
minente Kunsthistoriker vor breiter Öffentlich-
keit, nämlich in der „Frankfurter Allgemeinen
Zeitung", die Klingen.
Werner Hofmann, Direktor der Hamburger
Kunsthalle und Organisator des hochbedeuten-
den Zyklus „Kunst um 1800" - um dessen Prota-
gonisten angesichts überragender künstlerischer
Qualität sich keine Wertdiskussion ergeben hatte,
sondern nur Anerkennung dafür zu registrieren
war, doß hier tatsächlich zu Unrecht vergessene,
weil eben nicht ins bisher hochgeholtene Ent-
wicklungsschema passende Meister wiederent-
deckt oder zumindest neu ins Gespräch gebracht
worden waren -, feierte da den „Abschied von
falschen Alternativen", von der traditionellen
R Frlmmrri Monet-
Olvmnin" 1863 Paris. Musäe
Eigene der Zeit." Die allseits auch zu registrie-
renden Auswüchse weiß sie freilich ins rechte Lot
zu rücken: „Es ist ein durchaus richtiger Vor-
gang, sich all die Sachen wieder anzuschauen
und zu prüfen, ab sie wirklich in den Abfalleimer
der Geschichte gehören oder nicht. Vieles, was
ietzt hochgepriesen wird, wird zweifellos nicht
dauern."
Weil vieles an der Aufarbeitung des 19. Jahr-
hunderts derzeit tatsächlich erstaunlich wertungs-
frei geschieht, hat sich freilich unter engagier-
ten Kunstschriftstellern und Kritikern wieder [e-
ner hitzige Meinungsstreit entzündet, der schon
für die Entstehungszeit jener Kunstwerke oft ge-
nug charakteristisch war und der sehr stark an
die Schlachten für die „moderne" Kunst am An-
fang unseres Jahrhunderts erinnert.
ln Deutschland etwa tobt schon ein heftiger Ge-
Gegenüberstellung von „Avantgarde kontra Sa-
lon". Hofmann: „Das Terrain, auf dem künstleri-
sche Ereignisse sich zutragen, ist keine Einbahn-
straße. Auch in der Kunst ist die Zeit der ideolo-
gischen Alleinvertretungsansprüche vorbei." Für
das Zeitalter seien eben nicht nur die lmpressio-
nisten typisch, sondern - und dies vor allem im
Hinblick auf ihre zeitgenössische Position viel
eher - die Salonmalerei, die großen heroischen
Gemälde, die historischen Allegorien, die sym-
bolschwere, literarisch orientierte Erzöhl- und
Aussagekunst. Nur wenig darauf replizierte der
Kunsthistariker Laszlo Glozer in der „Süddeut-
schen Zeitung". „Wer hat Angst vor dem Wert-
urteil?" fragte Glozer und wetterte erbittert:
„Der Gegensatz von Salon und Avantgarde lößt
sich nicht aufheben."
Weil Glozer mit der Wiederentdeckung des "I9.