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Volltext: Alte und Moderne Kunst XX (1975 / Heft 142 und 143)

zen Kastens, Trapaneser Arbeiten' des II. Jahr- 
hunderts sind, die erst anläßlich der Aufstellung 
1882 aus der Sammlung für Plastik und Kunstge- 
werbe des Kunsthistorischen Museums entlehnt 
wurden. Der Komplex der frühen Stücke (Abb. 
12, 13), Rarissima in ihrer Art, läßt annehmen, 
doß ihre Attraktion für den Sammler eher in 
den naturwissenschaftlichen Bereich fällt. Dies 
wird durch eine ganze Anzahl noch erhaltener 
„Corallener Zinggen", die zusammen mit 
Schwämmen und „Mörstainen" zu stillebenarti- 
gen Gruppen komponiert sind, in der das sel- 
tene Naturprodukt als solches dargeboten wer- 
den sollte, deutlich gezeigt. Die nächste Phase 
in Richtung auf eine Bearbeitung der Koralle 
repräsentieren die Darstellungen von drei Päs- 
sen (Abb. 12 unten). Das sind ca. 40 Zentimeter 
hohe Nachbildungen bekannter Alpenübergänge, 
die zwar getreue Kopien der Wirklichkeit sind, 
durch die Bekrönung mit Korallen aber zu über- 
aus artifiziellen Gebilden einer die verschiede- 
nen Erscheinungsformen der Wirklichkeit austau- 
schenden Phantasie geworden sind. Auch die 
Figurenszenen, wie Kreuzigungen (Abb. 13) oder 
ein Kampf des Herkules mit der Hydra, lassen 
den Wunsch erkennen, die Naturforrn der Ko- 
ralle zu bewahren und gleichsam nur dort, wo 
sie nach Art einer Alraune der menschlichen Ge- 
stalt nahekommt, für die gewünschte Darstel- 
lung auszunützen. 
Eine Besonderheit in diesem Zusammenhang 
stellen die ursprünglich im Kasten, heute, zum 
Zweck einer besseren Sichtbarmachung, auf den 
alten Ferdinandeischen Sockeln postierten Ka- 
binette dar. Hier sind in einem hausartigen, 
nach vorne verglasten kleinen Raum Muscheln, 
Schneckenhäuser, Korallen und Spiegelgläser zu 
wunderlichen Höhlen zusammengefaßt, die in 
kleinem Format und kostbarer Ausführung die 
monumentalen Grotten des italienischen Manie- 
rismus zu einem Gegenstand des fürstlichen 
Spieltriebes werden ließen. Über den Entste- 
hungsort dieser frühen Korallenarbeiten ist so 
gut wie nichts bekannt, die Erwähnung einer 
Zahlung im Jahre 1581 läßt an Genua denken, 
doch kann der „Genuesische Handelsmann" auch 
nur ein Vermittler gewesen sein". 
Die wohl merkwürdigsten Gegenstände der Am- 
braser Kunstkammer, Unikate ohne Parallelen in 
einer anderen Sammlung, sind Aufbauten aus 
Holz oder Elfenbein, die, teils frei stehend (Abb. 
3, I), den Lnarakrer uoeraus rragller Arcni- 
tekturen haben, teils aber in Verbindung mit 
einer dunkelblau bemalten Holzrücklage als 
Wandbehang iagdlichen Charakters erscheinen 
(Abb. 2, 6). Diese Arbeiten sind Kunstkammer- 
stücke par excellence, da sie einzig und allein 
dem persönlichen Geschmack des Erzherzogs, 
der auch eine eigene eingerichtete Drechsler- 
werkstatt besaß, ihre Entstehung verdanken. Ty- 
pisch für den Zeitgeschmack ist es wohl, daß die 
an die Grenzen des Möglichen reichende Zart- 
heit der handwerklichen Ausführung durch einen 
praktischen Verwendungszweck ad absurdum ge- 
führt wird. Einer der kleinen Zentralbauten war 
bei abnehmbarem Deckel eine Schreibgarnitur 
(Abb. 7), der andere ein Nöhzeug, das große 
rechteckige Haus mit seinem spitzgiebeligen Dach 
ein Heiliges Grab (Abb. 3.). Über einen ausfüh- 
renden Künstler ist nichts bekannt, und es er- 
scheint bis zu einer möglichen Auffindung neuer 
Quellen nicht sehr zielführend, Zuschreibungen 
an bekannte Namen vorzunehmen. Sicher aus 
derselben Werkstatt stammen die Aufbauten 
und Wandbehänge aus Elfenbeinspänen (Abb. 
2, 6), denen aber in bezug auf ihre Bedeutung 
ein etwas anderer Akzent verliehen ist. Das 
größte Stück ist nach Art einer Festung mit 
einer Unzahl von Kanonen und Figürchen be- 
setzt (Abb. 6), ein kleines Haus dient als Heiliges 
Grab, ein fast rokokoartig anmutender Kiosk ist 
das Gehäuse für eine Auferstehung Christi. 
Mindestens ebenso rätselhaft, was ihre Entste- 
hung angeht, ist eine Serie von Bildern (Abb. 5), 
teils alttestamentarischen, teils mythologischen 
lnhalts, die aus Glas, Perlen, Email, Gold und 
Silberplättchen zusammengefügt sind und in der 
Zeit ihrer Entstehung - auch sie sind durch das 
Nachlaßinventar von 1596 beglaubigt - ohne 
irgendeine Entsprechung in anderen Sammlun- 
gen sind. Eine Lokalisierung noch Nevers, für 
das in der Technik ähnliche, aber doch spätere 
Arbeiten sprechen könnten, ist wohl abzulehnen, 
so daß außer der traditionellen Glasstadt Vene- 
dig nur mehr die Tiroler Glashütten von Inns- 
bruck oder Hall bleiben. Für Venedig sprechen 
zahlreiche Ornamentdetails, die sich in ähnlicher 
Form auch an weitgehend gesicherten Obiekten 
finden", wobei aber die Tatsache der absoluten 
Rarität der Stücke an sich gegen eine breitere 
Produktion und eher für die Ausführung in der 
engsten Umgebung des Erzherzogs, nach sei- 
nerri persunncnun vvuusui ullu wväulllluux, 
lich wie im Fall der Holzaufbauten, spreche 
Besonders gut erhalten ist iener Bestand l 
schiedlichster Herkunft, der sich seiner l 
nach der Ordnung nach dem Gesichtspunk 
Materialgleichheit entzog und deshalb in 
genannten Variokasten aufbewahrt wurd 
sind dies einige „Möhrische Pünden", seh 
tene Kleidungsstücke, z. T. außereuropäi 
Provenienz, Schuhwerk und Stiefel des 15 
16. Jahrhunderts, aber auch „ein Kirbis, 
weit und oben eng", verschiedene Bernst 
guren, darunter „ain altfrenckisch gelb agst 
Marienbild, so das Kindl Jesu auf der S 
helt", wohl eines der wenigen erhaltenen l 
plare des 15. Jahrhunderts. 
Weit über die räumlichen Grenzen des Sar 
wesens seiner Zeit trat Erzherzog Ferd 
durch die prononcierte Vorliebe für ostz 
sche Erzeugnisse. In Ambras wird heute nor 
Großteil ienes Bestandes verwahrt, der GI 
Anfang von dem zu setzen ist, was späte 
europäischen Chinamode wurde. Neben 111 
ragend erhaltenen Malereien von Landsc 
bildern und figürlichen Szenen sind es 11 
Hauptsache Gefäße aus Porzellan, aber 
aus Holz und geschnittenem Horn, die zi 
men mit späteren Arbeiten des 17. bis 18. 
hunderts zwei große Kästen füllen. Der 
über den der Erzherzog diese Vorliebe l: 
digte, läßt sich heute nicht mehr nachvollz 
möglicherweise war ihm sein Vetter, König 
lipp ll., dabei vermittelnd behilflich. 
Durch diese über die lokalen Grenzen h 
reichende Universalität des Sammelns, eint 
System und Akribie auf die Dokumentatio 
Ganzen gerichteten Willensäußerung, erhel 
Ambras über die meisten anderen Unternel 
gen seiner Art. lm Unterschied zur Prager l 
kammer Kaiser Rudolfs ll., in der nebe 
Goldschmiedekunst vor allem die Glypti 
minierte, lassen sich bei Erzherzog Ferd 
bestimmte Akzentsetzungen nicht feststellt 
Ambras waren gleichwertig Objekte der 
sten künstlerischen Qualität mit Gegensti 
vereinigt, die noch vor kurzem als Kurios 
abgetan wurden. Ihnen den Rang zukomn- 
lassen, den sie zur Zeit ihrer Entstehung zv 
los hatten, war die wichtigste Aufgabe der 
aufstellung der Ambraser Kunstkammer. 
14 Schloß Ambros aus Mericns Welhopogruphie 
 
Anmerkungen 9-11 
7 Anlonio Duneu: „L'Arte Trapanese del Corulln", 
1964, 5. 95 ff. 
"Jahrbuch des A, H, Kciserhuuses XlW1B93, Nr. 1091 
" MiNeilung von Mr. R. J. Chorleslon vom 15. Q1001: 
Ü Unsere Auiorin: 
Dr. Elisabeth Scheicher 
Kusfos der Sammlungen des 
Kunsfhiskzrischen Museums Wien 
im Schloß Ambras 
6020 lnnsbruck-Ambrcs
	        
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