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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXI (1976 / Heft 144)

zurückgenommen wird. Der Versprung, der am 
Gebäude wie eine Art Schultern erscheint, ist 
mit Blech abgedeckt. 
Der räumliche Charakter dieser Terrasse im Ge- 
gensatz zur freien Fläche der mittleren Terrasse 
läßt sich als halbotfener, geöffnet-umschlossener 
Raum bezeichnen. 
Das „letzte Haus" (Posledni düm), Projekt 1933 
Projektgeschichte, Quellen und Dokumente: 
Bei diesem Projekt" handelt es sich mit Sicher- 
heit um einen Auftrag von Dr. F. Müller an 
A. Loos, der schwerkrank zuletzt in Begleitung 
einer Pflegeperson in den letzten Jahren seines 
Lebens zwischen 1931 und 1933 mehrmals nach 
Prag reiste, hauptsächlich wegen der Planung 
und Ausführung der Villa Winternitz (1931l32) 
mit K. Lhota, aber auch wegen des Entwurfs 
für das Haus Jordan 1931 und des Baus der 
Siedlungshäuser in Babi u Nachod (1931). Daß 
das Haus für Dr. Müllers Tochter in Auftrag ge- 
geben worden ist, erscheint möglich. 
Neben dem Manuskript Dr. F. Müllers („Posledni 
düm", dotiert vorn 6. 2. 1934) haben wir in der 
Bibliothek des Hauses Müller mehrere Blätter" 
mit Entwürfen für ein Kleinwohnhaus - je ein 
Blatt mit vier Grundrissen und zwei Seiten in 
Korrektur- und Reinfossung; ein Blatt mit vier 
Ansichten dazu; ein großes Blatt als Variante 
mit verlegtem Eingang mit drei Grundrissen, 
zwei Schnitten, drei Ansichten - eingesehen. Das 
Korrektur- und das Ansichtenblatt sind signiert 
„Dr. M." und datiert „1. VI. 33". In das Kor- 
rekturblatt sind zahlreiche Änderungen, Möblie- 
rungsvorschläge und Streichungen einskizziert 
(möglicherweise von Loos). Der Obergeschoß- 
grundriß der Variante ist an den vier Außen- 
wänden mit den Himmelsrichtungen bezeichnet: 
J (Süd), Z (West), S (Nord), V (Ost). Bemerkens- 
wert ist, daß die Baubeschreibung des Klein- 
hauses in Dr. Müllers Typoskript in allen Details 
exakt auf diesen Entwurf zutrifft, nicht jedoch 
auf den Entwurf, den Frau J. Klingenberg-Helfert 
in dieser Zeitschrift veröffentlicht hat. 
Bau- und Raumanalyse der beiden Prajektvarian- 
ten zum „Ietzten Haus": 
Der Baukörper dieses Hauses, auf den Plänen 
als „kleines Einfamilienhaus" (Domek pro jednu 
radinu) bezeichnet, ist als annähernd würfel- 
förmiger stehender Quader von ca. 8x9 Meter 
Grundfläche und ca. 9 Meter Höhe zu bezeich- 
nen; die Variante ist in den äußeren Abmes- 
sungen gleich. Diesem stehenden Quader ist im 
Erdgeschoß an einer Schmalseite eine flache 
Gartenterrasse von ca. 1,0 Meter Höhe vorge- 
legt, ohne Angabe einer Treppe, auch in der 
Variante. Das Gelände ist, wie man den An- 
sichten entnehmen kann, als zum Garten hin stei- 
gend angegeben - dieser Sachverhalt wird von 
Loos für seine Eingangs- und innere Erschlie- 
ßungslösung wirkungsvoll genutzt, wie wir sehen 
werden. 
Im Obergeschoß springt fast in der gesamten 
Fassadenbreite ein Balkon vor, auch in der 
Variante. Der Entwurf und die Variante zeigen 
Dachaufbauten, die den Austritt auf das begeh- 
bare Flachdach ermöglichen. Der Entwurf weist 
einen Dachaustritt parallel zur Gartenseite, die 
Variante senkrecht dazu auf. Der Entwurf zeigt 
einen außenliegenden Kamin, der in der Va- 
riante fehlt. Die außenliegende Anordnung ist 
mit Rücksicht auf die Konstruktion des Hauses 
gewählt worden; Holzfachwerk mit beidseitiger 
Verbretterung auf einem Mauerwerkssockel. 
Die Außenhaut des Baukörpers - waagrechte 
Schalung - ist nur durch stehende, liegende und 
quadratische Fensterfarmate sowie Türen durch- 
brochen. Der erste Entwurf zeigt quadratische 
senkrechte Schiebeflügelfenster - einfach und 
gekoppelt - in den Seitenfassaden, zur Straße 
hin vierflügelige Drehflügelfenster, vielleicht als 
Faltflügel zu öffnen, zum Garten hin im Erd- 
geschoß zur Terrasse eine dreiflügelige Fenster- 
tür, im Obergeschoß auf dem auskragenden 
Balkon einflügelige Fenstertüren. 
Die Variante zeigt ähnliche, nur geringfügig ab- 
weichende Fenster- und Türformen: Die Schiebe- 
fenster sind hier hochrechteckig, die gartensei- 
tige Öffnung ist hier ein breites dreiflügeliges 
Fenster mit mittlerem Durchgang. Während beim 
ersten Entwurf keine eigentliche Treppenhaus- 
befensterung vorgesehen ist, so zeigt sie sich 
in der Variante über der Eingangstür als senk- 
rechte Reihe schmaler einflügeliger Fenster. 
Die Gliederung durch Öffnungen im Entwurf und 
in der Variante zeigt die für Loos typische Mi- 
schung von Gliederungsprinzipien: (Teil-)Axiali- 
tät, (Teil-)Symmetrie, freie Anordnung (harmoni- 
sche Flächenkomposition ohne Symmetrie und 
Achsen, aber unter Aufnahme von Fluchten). 
Der annähernd quadratische Grundriß mit seiner 
sehr entwickelten Raumdisposition stellt sich als 
Zweizonenkonzeption dar, deren tragende Mit- 
telwand es Loos erlaubt, Deckenversprünge so 
zu handhaben, daß eine ZS-Geschosse-Lösung 
realisiert wird, d. h. die gartenseitige Zone 
nimmt zwei hohe Geschosse auf, die straßen- 
seitige Grundrißzone dagegen drei niedrige Ge- 
schosse. Diese Grundriß und Aufriß integrie- 
rende Raumdisposition gibt Loos die Möglich- 
keit, räumliche Differenzierung und Ökonomie 
unter einen Hut zu bringen. Straßenseitig liegen 
drei Geschosse mit Eingangsbereich und Küche 
im Erdgeschoß, Eßbereich und Bibliothek sind 
Zwischengeschoß, Schlafzimmer und Bad im 
Obergeschoß übereinander bei zwei Geschossen 
zur Gartenseite; Wohnhalle und Schlafgeschoß. 
Bei näherem Zusehen ist erkennbar, daß der 
gesamte Grundriß noch einmal quer halbiert, 
also geviertelt ist: die drei straßenseitigen Ge- 
schosse sind jeweils nicht auf durchgehenden 
Geschaßdecken angeordnet, sondern - wie der 
Querschnitt zeigt - unterschiedlich gegenüber 
dem gartenseitigen Geschoßaufbau versetzt. So 
liegt die Bibliothek - auch aus Gründen der in- 
neren Erschließung - höher als der Eßbereich, 
so daß unter der Bibliothek Küche und Entree 
zu ebener Erde - unter Ausnutzung des von 
der Straße (Eingang) her zum Garten (Wohn- 
halle) um ca. 1,5 Meter steigenden Geländes - 
Platz finden können. (Der Eßbereich, gegenüber 
der Wohnhalle um drei Stufen erhöht, war in 
der Vorstudie mit einer sehr tiefen Fensternische 
mit Einbaubuffet ausgestattet, um darunter den 
WC-Vorraum-Bereich unterzuschieben.) Die hoch- 
gelegte Bibliothek zwingt wiederum dazu, dem 
Bad im Obergeschoß ein erhöhtes Dach zu ge- 
ben, das etwa 0,5 Meter über dem Flachdach 
liegt, allerdings verborgen hinter einem brü- 
stungshohen Attikaabschluß. Strenggenommen, 
wird die 2:3-Geschosse-Lösung nur auf einem Vier- 
tel der Grundfläche realisiert. 
Diese Lösung wird auch bei der Variante glei- 
chermaßen angewandt; Entwurf und Entwurfs- 
Variante unterscheiden sich nämlich in der un- 
terschiedlichen Lage des Zugangs zum Haus und 
des Eingangs- und Küchenbereichs. Vermutlich 
ist eine andere Zugangsseite gewählt worden, 
weil im Entwurf durch den mittleren straßenseiti- 
gen Eingang Küche und Eßbereich - nicht nur 
in der Höhe - räumlich getrennt sind, so daß 
weite Wege zu Speise und Geschirr anfallen. 
Durch den seitlidien Eingang in der Variante 
kann die Küche an die Wand des Eßbereiches 
herangerückt werden; die Höhendifferenz (1 ,2 rn) 
sollte wohl durch einen Speiseoufzug überwun- 
den werden. 
Wie erschließt, besser gesagt, wie integriert Loos 
die einzelnen Raumbereichein seiner Disposition? 
Vorn tiefgelegenen Eingangsbereich mit Garde- 
robe und WC links vom Eingang ist die 33 Qua- 
dratmeter große Wohnhalle über eine einarmige 
gewendelte Treppe mit sechs Stufen (in der 
Variante vier Stufen) zu erreichen. Der offene 
Durchgang in die Wohnhalle ist genau in der 
Querachse der Wohnhalle angeordnet, in der 
Variante ebenfalls. Die Löngsachse der Wohn- 
halle wird einmal durch die Anordnung eines 
Kamins an einer Querwand (ähnlich wie in den 
Häusern Müller und Winternitz) und durch eine 
Sitzbank an der gegenüberliegenden Querwand 
betont. Die Sitzbank erhält ihre „symmetrische" 
Rahmung durch den Aufgang und einen „ent- 
sprechenden" Sockel oder Schrank, einskizziert 
in die Korrekturfassung des Entwurfs, die auch 
Längs- und Querachsen-Skizzenstriche (von 
Laos?) zeigt. 
Der Aufgang mit neun Stufen zum Zwischenge- 
schoß mit der Bibliothek als einarmige, am 
Austritt viertelgewendete Treppe ist im Entwurf 
frei in die Wohnhalle angeordnet, das heißt vor 
der Mittelwand, in der Variante dagegen hin- 
ter die Flucht der Mittelwand verlegt. (Der Auf- 
gang zur Bibliothek ermöglicht für die Keller- 
treppe eine ausreichende Kapfhöhe.) Das Podest 
vor der Bibliothek liegt in der Variante, da die 
Treppe 13 Stufen hat, um einige Stufen höher, 
bedingt durch den seitlichen Erdgeschoßeingang 
der Variante, der das Eingongsniveau höher 
legt als beim Entwurf. Vom Bibliotheksniveau 
erreicht man die Schlafzimmer im Obergeschoß 
über eine am Austritt viertelgewendete Treppe 
mit neun Stufen, in der Variante ist es eine 
gerade Treppe mit acht Stufen. Eine ausreichende 
Kopfhöhe für den Aufgang zur Bibliothek in 
der Viertelwendung ergibt sich durch die kurze 
Treppe mit sechs Stufen im Obergeschoß (in der 
Variante mit acht Stufen) von der Ebene der 
Schlafzimmer zur Ebene des Bades hinauf auch 
für die Variante. 
Von der Bad-Ebene aus ist über eine einschieb- 
bare (?), gerade Bodentreppe die Dachterrasse 
über zwölf Stufen durch einen Dachaufbou, der 
einen Austritt ermöglicht, erreichbar. Der Dach- 
aufbau erhebt sich bündig zur Mittelwand. In 
der Variante dagegen ist im Schnitt neben dem 
verkleinerten Bad eine bündig zur Seitenwand 
des Hauses geführte Treppe zu erkennen. Der 
Dachaustritt in der Gebäudeecke ist allerdings 
geometrisch nicht konfliktfrei, da noch der em- 
porgeschobene Bad-Kubus „überschritten" wer- 
den müßte - das Problem löste sich bei Um- 
kehrung der Laufrichtung der Treppe. 
Die gesamte Raumdisposition zeigt eine deut- 
liche Nähe zu der eines anderen Anfang 1973 
entdeckten Projekts eines Kleineinfamilienhauses, 
des sogenannten „Würfelhausesmf: Insbeson- 
dere die Lösung des Hauptgeschosses mit Wohn- 
halle, Eßbereich, Bibliothek, Aufgang zum Schlaf- 
geschoß ist eine fast gleiche, spiegelverkehrte 
Wiederholung, nur die Eingangssituation im 
Doppelgeschoß des „Würfelhauses" ist räumlich 
großzügiger entwickelt, da dem „letzten Haus" 
das durchgehende Sockelgeschoß fehlt. 
Zusammenfassung: Loos' Integration von 
funktionellen Forderungen in einem 
Raumkonzept 
In diesem Aufsatz sind zwei Bauten und zwei 
Projekte von Adolf Loos dokumentiert und in 
ihrer baulich-räumlichen Struktur analysiert wor- 
den, um einen detaillierten Einblick in die Loos- 
sche Entwurfskonzeption von bisher nicht aus- 
reichend bekannten Wohnbauten zu geben, die 
als Abschluß eines jahrzehntelangen Entwick- 
Iungsprozesses von Loos erarbeitet worden ist. 
Dieser Entwicklungsprozeß ist vermutlich nicht 
methodisch-systematisch angelegt und durchge- 
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