MAK

Volltext: Alte und Moderne Kunst XXI (1976 / Heft 144)

Aktuelle Forschung 
 
Franz Wagner 
Neue Frühmittelalterforschungen 
im Salzburgischen 
 
 
l Eine Kaiserpfalz in der Stadt Salzburg 
lm Flur des Hauses Waagplatz 4, beim Eingang zum 
„Romanischen Keller" der Salzburger Landeshypo- 
thekenanstalt, ist zu lesen, daß man hier „auf älte- 
stem Siedlungsbaden der Stadt" stehe. ln einer um- 
fangreichen wissenschaftlichen Abhandlungl hat nun 
Hofrat Pagitz, der Direktor des Salzburger Landes- 
archivs, die Existenz dieses in seiner heutigen Ge- 
stalt gewiß mehrere Bauepochen aufweisenden 
„Kellers" einbezogen in einen den Bereich um die 
benachbarte Michaelskirche umfassenden und in 
seiner Konsequenz bestechenden Rekonstruktiansver- 
such: Pagitz erkannte - dies sei vorweggenommen - 
in der Michaelskirche die Pfalzkapelle und auf dem 
Grund der heutigen „HypothekenanstalW den Ort 
des Palas einer ehemaligen Pfalz der Kaiser des 
Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation in- 
mitten des Salzburger Stadtgebietes. Auf Grund 
der urkundlich bezeugten Aufenthalte mehrerer Kai- 
ser in der Stadt ist anzunehmen, daß etwa Karl der 
Große hier ebenso seine Hofhaltung hatte wie 
Friedrich Barbarossa. 
Die Michaelskirche am Residenzplatz war in den 
Jahren 1767 bis 1773 grundlegend erneuert worden. 
Wurde noch in der „Österreichischen Kunsttopagra- 
phie" von einem vollständigen Neubau in dieser Zeit 
gesprochen, so konnte Landeskonservatar Hoppe 
anlüßlich einer 1956 durchgeführten Gesamtrestau- 
rierung nachweisen, daß nach der Katastrophe von 
1167 - über die noch zu sprechen sein wird - ein 
hochromanischer Neubau oder Wiederaufbau der 
schon um 800 urkundlich gesicherten Kirche erfolgt 
sein rnußte. 
Pagitz konnte nun durch ausführliche und überzeu- 
gende Urkundeninterpretationen nicht nur nachwei- 
sen, daß die Michaelskirche in hachmittelalterlicher 
Zeit sicher eine Emparenkirche, sehr wahrscheinlich 
eine zweigeschossige Doppelkapelle, gewesen sein 
muß: in der oberen Kirche stand der dem hl. Michael 
geweihte Hauptaltar, der Patron des Altars im Erd- 
gesdioß war der hl. Nikolaus. Pagitz machte auch 
auf Grund einer erst vor wenigen Jahren durch 
Bernhard Bischaff aufgefundenen St. Pauter Hand- 
schrift wahrscheinlich, daß die durch Hermann von 
Niederaltaich überlieferte Grabinschrift für Herzog 
Theodo und dessen Gemahlin Gleisnot in einer 
salzburgischen Michaelskirche auf diese hier am 
heutigen Residenzplatz und nicht auf St. Michael 
im Lungau zu beziehen ist. Ferner konnte Pagitz die 
schon 1885 durch Franz Valentin Zillner fixierte 
mündliche Überlieferung beweisen, daß sich in direk- 
ter Nachbarschaft nördlich der Michaelskirche - 
eine kleine Autogarage umgibt heute diesen Raum - 
die hochmittelalterliche „Gerichtslaube" des Salz- 
burger Stadtgerichtes befunden hatte, die erst 1383 
eine bauliche (und mit der Verlegung des Stadt- 
gerichtes an einen anderen Ort auch funktionelle) 
Umwandlung erfuhr. Schließlich muß nach auf ein 
sonst kaum beachtetes Bauwerk aufmerksam ge- 
macht werden, auf ienen Durchgang unter einem 
Bogen unter der „HypothekenanstalW neben der 
Michaelskirche, der den westlichen Waagplatz mit 
dem Residenzplatz verbindet - es ist nichts anderes 
als das bereits 930 urkundlich erwähnte Haupttor 
der Stadtburg, die in den Urkunden immer wieder 
erwähnte „Pforten" - „ad portam" war noch im 
12. Jahrhundert die geläufige Bezeichnung für diese 
Gegend. 
Zum Verständnis des wichtigsten Argumentes in der 
Beweisführung von Pagitz kurz folgendes: Knapp 
nach 700 hatte Herzog Theodo von Bayern dem 
Bischof „Hrodbert" neben Gebiet in der Stadt Salz- 
burg auch die in den Urkunden immer wieder ge- 
nannte „obere Burg" geschenkt (die keinesfalls mit 
der erst 1077, mitten im lnvestiturstreit, begonnenen 
Festung Hohensalzburg „in monte" verwechselt wer- 
den darf). Unter Herzog Theobert, dem Sohne des 
Theodo, erbaute dann Rupert in der „oberen Burg" 
eine Marienkirche, der sich (mit Ruperts Nichte Erin- 
trud als erster Äbtissin) ein Frauenkloster anschloß. 
Herbert Klein, der Amtsvorgönger von Pagitz, hatte 
bereits darauf aufmerksam gemacht, daß einer 
„oberen" Burg doch eine „untere" entsprechen 
müsse; der Annahme Kleins, daß dieses „costrum 
inferius" im Bereich des Klosters St. Peter zu suchen 
sei, kann iedoch nicht gefolgt werden. Denn die 
Bayernherzöge - das absolute Reichsfürstentum des 
Primos Germaniae war noch ferne Zukunft - und 
mit ihnen Tassilo lll., mag er nun den Dambou Vir- 
gils gefördert haben oder nicht, mußten auch in 
Salzburg über einen iener Herrschaftssitze verfügen, 
von denen aus ihr Land verwaltet wurde; und der 
konnte erstens nicht innerhalb eines Klosters liegen, 
und zweitens mußte er stark befestigt sein. 
Man kann sich kaum vorstellen, daß nach dem 
Sturz der Agilolfinger die Karolinger auf diesen 
Rechtsanspruch einer Pfalz in Salzburg verzichtet 
hätten. Wo sonst aber als in der „unteren Burg" 
wird Karl der Große, als er im Jahre B03 mit dem 
Patriarchen von Jerusalem in Salzburg weilte und 
die Zuweisung des eroberten Awarenlandes an die 
Salzburger Kirche bestätigte, solche Rechtshandlun- 
gen vollzogen haben? Und kein Geringerer als 
Alkuin teilt uns in seinen „Carmina" mit, daß Erz- 
bischaf Arno die Michaelskirche erneuert (l), ge- 
weiht und dieses Vorhaben mit Billigung Karls (!] 
durchgeführt hat. Für das Zeitalter der Luitpoldin- 
ger und Ottonen wissen wir, daß Herzog Arnulf in 
Salzburg Münzen schlagen ließ; ein erhaltener 
Pfennig trägt die Inschrift lVVAVO ClVlTAS. Da im 
lateinischen Sprachgebrauch des Frühmittelalters (das 
ia den Begriff des Bürgers, des „citoyen", nidit 
kannte) „civitas" enger zu fassen ist als etwa 
„oppidum" oder „urbs", bedeutet dieses Wort hier, 
so meint Pagitz, nichts anderes als die Pfalz, das 
„palotium" des Herrschers. 
Kaiser Friedrich I. griff von allen Herrschern des 
Hochmittelalters am stärksten und unmittelbar in die 
Geschicke der Stadt ein. Erzbischof Konrad ll. hatte 
die Anerkennung des (kaiserlichen) Gegenpapstes 
Paschalis verweigert und auch vom [rechtmäßigen] 
Papst Alexander lll. das Pallium erhalten. Im Vollzug 
der daraufhin vom Kaiser und im Edikt von Würz- 
burg verhängten Reidisacht zerstörten in der Nacht 
vom 4. zum 5. April 1167 die Grafen von Ptain die 
Stadt; auch der Dom und alle Kirchen und Klöster 
brannten ab. Als aber am 16. Februar 1172 Barba- 
rossa in Salzburg einen glänzenden Hoftag abhielt, 
war nicht nur die Michaelskirche wieder erstanden 
(die neuen Altarmensen waren bereits am 22. Juni 
1168 geweiht worden], auch der Palas der Stadtburg, 
die Salzburger Kaiserpfalz war neu aufgebaut war- 
den - Reste davon sind, wie Pagitz meint, im „Roma- 
nischen Keller" der Landeshypothekenanstalt erhal- 
fen. 
Durch die Stärkung der erzbischöflichen Macht aber 
und durch den fortschreitenden Ausbau der Festung 
Hohensalzburg „in monte" wurde die Stadtburg bei 
der Michaelskirche nicht nur entbehrlich. Als in der 
Sedivakanz nach dem Tode Rudolfs von Hohenegg 
1290 die Bürger der Stadt die „untere Burg" besetzt 
hielten, erkannte Rudolfs Nachfolger, Erzbischof 
Konrad lV., die Gefahr und die für den Landesherrn 
auf der Festung gegenteilige Wirkung der Stadtburg, 
sie wurde „gebrachen" und zerstört. 
Grabungen zur Erhörtung der Hypothese von Pagitz 
sind im Kellergeschoß des Gebäudes der Salzburger 
Landeshypothekenanstalf durch die bisher erfolgten 
Umbauten kaum mehr von Bedeutung; wohl aber 
um so mehr vor diesem Gebäude am Residenzplatz 
und am Waagplatz und in der Michaelskirche selbst. 
Vielleicht könnten einmal die dazu nötigen finan- 
ziellen Mittel bereitgestellt werden, um dieses wich- 
tige Kapitel der Salzburger Stadtgeschichte endgül- 
tig der Vergangenheit zu entreißen. 
1 Romanisches Kapitell. Gefunden bei Umbouar- 
beiten im Haus Waagplatz 4 in Salzburg 
2 Planausschnitt der Stadt Salzburg mit Waag- 
platz und St. Michael 
Anmerkung l 
'Fran1 Pagitz, „Der Pfalzbezirk um St. Michael in Soll- 
burg", in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger 
Landeskunde, 115. Jahrgang, 1975, S. 175-242,
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.