Aktuelle Forschung
Franz Wagner
Neue Frühmittelalterforschungen
im Salzburgischen
l Eine Kaiserpfalz in der Stadt Salzburg
lm Flur des Hauses Waagplatz 4, beim Eingang zum
„Romanischen Keller" der Salzburger Landeshypo-
thekenanstalt, ist zu lesen, daß man hier „auf älte-
stem Siedlungsbaden der Stadt" stehe. ln einer um-
fangreichen wissenschaftlichen Abhandlungl hat nun
Hofrat Pagitz, der Direktor des Salzburger Landes-
archivs, die Existenz dieses in seiner heutigen Ge-
stalt gewiß mehrere Bauepochen aufweisenden
„Kellers" einbezogen in einen den Bereich um die
benachbarte Michaelskirche umfassenden und in
seiner Konsequenz bestechenden Rekonstruktiansver-
such: Pagitz erkannte - dies sei vorweggenommen -
in der Michaelskirche die Pfalzkapelle und auf dem
Grund der heutigen „HypothekenanstalW den Ort
des Palas einer ehemaligen Pfalz der Kaiser des
Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation in-
mitten des Salzburger Stadtgebietes. Auf Grund
der urkundlich bezeugten Aufenthalte mehrerer Kai-
ser in der Stadt ist anzunehmen, daß etwa Karl der
Große hier ebenso seine Hofhaltung hatte wie
Friedrich Barbarossa.
Die Michaelskirche am Residenzplatz war in den
Jahren 1767 bis 1773 grundlegend erneuert worden.
Wurde noch in der „Österreichischen Kunsttopagra-
phie" von einem vollständigen Neubau in dieser Zeit
gesprochen, so konnte Landeskonservatar Hoppe
anlüßlich einer 1956 durchgeführten Gesamtrestau-
rierung nachweisen, daß nach der Katastrophe von
1167 - über die noch zu sprechen sein wird - ein
hochromanischer Neubau oder Wiederaufbau der
schon um 800 urkundlich gesicherten Kirche erfolgt
sein rnußte.
Pagitz konnte nun durch ausführliche und überzeu-
gende Urkundeninterpretationen nicht nur nachwei-
sen, daß die Michaelskirche in hachmittelalterlicher
Zeit sicher eine Emparenkirche, sehr wahrscheinlich
eine zweigeschossige Doppelkapelle, gewesen sein
muß: in der oberen Kirche stand der dem hl. Michael
geweihte Hauptaltar, der Patron des Altars im Erd-
gesdioß war der hl. Nikolaus. Pagitz machte auch
auf Grund einer erst vor wenigen Jahren durch
Bernhard Bischaff aufgefundenen St. Pauter Hand-
schrift wahrscheinlich, daß die durch Hermann von
Niederaltaich überlieferte Grabinschrift für Herzog
Theodo und dessen Gemahlin Gleisnot in einer
salzburgischen Michaelskirche auf diese hier am
heutigen Residenzplatz und nicht auf St. Michael
im Lungau zu beziehen ist. Ferner konnte Pagitz die
schon 1885 durch Franz Valentin Zillner fixierte
mündliche Überlieferung beweisen, daß sich in direk-
ter Nachbarschaft nördlich der Michaelskirche -
eine kleine Autogarage umgibt heute diesen Raum -
die hochmittelalterliche „Gerichtslaube" des Salz-
burger Stadtgerichtes befunden hatte, die erst 1383
eine bauliche (und mit der Verlegung des Stadt-
gerichtes an einen anderen Ort auch funktionelle)
Umwandlung erfuhr. Schließlich muß nach auf ein
sonst kaum beachtetes Bauwerk aufmerksam ge-
macht werden, auf ienen Durchgang unter einem
Bogen unter der „HypothekenanstalW neben der
Michaelskirche, der den westlichen Waagplatz mit
dem Residenzplatz verbindet - es ist nichts anderes
als das bereits 930 urkundlich erwähnte Haupttor
der Stadtburg, die in den Urkunden immer wieder
erwähnte „Pforten" - „ad portam" war noch im
12. Jahrhundert die geläufige Bezeichnung für diese
Gegend.
Zum Verständnis des wichtigsten Argumentes in der
Beweisführung von Pagitz kurz folgendes: Knapp
nach 700 hatte Herzog Theodo von Bayern dem
Bischof „Hrodbert" neben Gebiet in der Stadt Salz-
burg auch die in den Urkunden immer wieder ge-
nannte „obere Burg" geschenkt (die keinesfalls mit
der erst 1077, mitten im lnvestiturstreit, begonnenen
Festung Hohensalzburg „in monte" verwechselt wer-
den darf). Unter Herzog Theobert, dem Sohne des
Theodo, erbaute dann Rupert in der „oberen Burg"
eine Marienkirche, der sich (mit Ruperts Nichte Erin-
trud als erster Äbtissin) ein Frauenkloster anschloß.
Herbert Klein, der Amtsvorgönger von Pagitz, hatte
bereits darauf aufmerksam gemacht, daß einer
„oberen" Burg doch eine „untere" entsprechen
müsse; der Annahme Kleins, daß dieses „costrum
inferius" im Bereich des Klosters St. Peter zu suchen
sei, kann iedoch nicht gefolgt werden. Denn die
Bayernherzöge - das absolute Reichsfürstentum des
Primos Germaniae war noch ferne Zukunft - und
mit ihnen Tassilo lll., mag er nun den Dambou Vir-
gils gefördert haben oder nicht, mußten auch in
Salzburg über einen iener Herrschaftssitze verfügen,
von denen aus ihr Land verwaltet wurde; und der
konnte erstens nicht innerhalb eines Klosters liegen,
und zweitens mußte er stark befestigt sein.
Man kann sich kaum vorstellen, daß nach dem
Sturz der Agilolfinger die Karolinger auf diesen
Rechtsanspruch einer Pfalz in Salzburg verzichtet
hätten. Wo sonst aber als in der „unteren Burg"
wird Karl der Große, als er im Jahre B03 mit dem
Patriarchen von Jerusalem in Salzburg weilte und
die Zuweisung des eroberten Awarenlandes an die
Salzburger Kirche bestätigte, solche Rechtshandlun-
gen vollzogen haben? Und kein Geringerer als
Alkuin teilt uns in seinen „Carmina" mit, daß Erz-
bischaf Arno die Michaelskirche erneuert (l), ge-
weiht und dieses Vorhaben mit Billigung Karls (!]
durchgeführt hat. Für das Zeitalter der Luitpoldin-
ger und Ottonen wissen wir, daß Herzog Arnulf in
Salzburg Münzen schlagen ließ; ein erhaltener
Pfennig trägt die Inschrift lVVAVO ClVlTAS. Da im
lateinischen Sprachgebrauch des Frühmittelalters (das
ia den Begriff des Bürgers, des „citoyen", nidit
kannte) „civitas" enger zu fassen ist als etwa
„oppidum" oder „urbs", bedeutet dieses Wort hier,
so meint Pagitz, nichts anderes als die Pfalz, das
„palotium" des Herrschers.
Kaiser Friedrich I. griff von allen Herrschern des
Hochmittelalters am stärksten und unmittelbar in die
Geschicke der Stadt ein. Erzbischof Konrad ll. hatte
die Anerkennung des (kaiserlichen) Gegenpapstes
Paschalis verweigert und auch vom [rechtmäßigen]
Papst Alexander lll. das Pallium erhalten. Im Vollzug
der daraufhin vom Kaiser und im Edikt von Würz-
burg verhängten Reidisacht zerstörten in der Nacht
vom 4. zum 5. April 1167 die Grafen von Ptain die
Stadt; auch der Dom und alle Kirchen und Klöster
brannten ab. Als aber am 16. Februar 1172 Barba-
rossa in Salzburg einen glänzenden Hoftag abhielt,
war nicht nur die Michaelskirche wieder erstanden
(die neuen Altarmensen waren bereits am 22. Juni
1168 geweiht worden], auch der Palas der Stadtburg,
die Salzburger Kaiserpfalz war neu aufgebaut war-
den - Reste davon sind, wie Pagitz meint, im „Roma-
nischen Keller" der Landeshypothekenanstalt erhal-
fen.
Durch die Stärkung der erzbischöflichen Macht aber
und durch den fortschreitenden Ausbau der Festung
Hohensalzburg „in monte" wurde die Stadtburg bei
der Michaelskirche nicht nur entbehrlich. Als in der
Sedivakanz nach dem Tode Rudolfs von Hohenegg
1290 die Bürger der Stadt die „untere Burg" besetzt
hielten, erkannte Rudolfs Nachfolger, Erzbischof
Konrad lV., die Gefahr und die für den Landesherrn
auf der Festung gegenteilige Wirkung der Stadtburg,
sie wurde „gebrachen" und zerstört.
Grabungen zur Erhörtung der Hypothese von Pagitz
sind im Kellergeschoß des Gebäudes der Salzburger
Landeshypothekenanstalf durch die bisher erfolgten
Umbauten kaum mehr von Bedeutung; wohl aber
um so mehr vor diesem Gebäude am Residenzplatz
und am Waagplatz und in der Michaelskirche selbst.
Vielleicht könnten einmal die dazu nötigen finan-
ziellen Mittel bereitgestellt werden, um dieses wich-
tige Kapitel der Salzburger Stadtgeschichte endgül-
tig der Vergangenheit zu entreißen.
1 Romanisches Kapitell. Gefunden bei Umbouar-
beiten im Haus Waagplatz 4 in Salzburg
2 Planausschnitt der Stadt Salzburg mit Waag-
platz und St. Michael
Anmerkung l
'Fran1 Pagitz, „Der Pfalzbezirk um St. Michael in Soll-
burg", in: Mitteilungen der Gesellschaft für Salzburger
Landeskunde, 115. Jahrgang, 1975, S. 175-242,