Hermann Bahr, dem facettenhaften und
gierenden Literaturpropheten mit den Eigen-
ften einesChomäleons, stammt derSpruch:
ie Welt zeigte der Künstler, die niemals war,
(emals sein wird." Dieses für die Jahrhun-
vende typische Motto ziert das Darmstädter
erhaus. Joseph Maria Olbrich hatte sich für
an Ausspruch eingesetzt, der deutlich macht,
nah benachbart der Enthusiasmus zur Resi-
ian ist. Eben wegen der grenzenlos über-
ten idealistischen Vorstellungen, die ia in
selbst absolut irreal gewesen sind, gelangte
- ganz abgesehen von der historischen und
llschaftspolitischen Entwicklung - schon bald
ackgassen und sehr seichte Gewässer. Die
strie bemächtigte sich der gängigen Orna-
e und Farmen und korrumpierte die ur-
IQIIClISH Ideen. Das Leben hatte sich der
en Ästhetisierung entzogen.
1901 veranstaltete erste Ausstellung der
nstödter Künstlerkolonie auf der MathiIden-
- hieß „Ein Dokument Deutscher Kunst". Un-
lem gleichen Titel und Thema von damals
Ien 75 Jahre später vier Ausstellungen an-
iten. Darmstadt ist nicht mehr die Hauptstadt
Sroßherzogtums Hessen-Darmstadt, aber es
noch immer in bezug auf Jugendstil mit
i und München, Berlin und Paris, London
Brüssel in einem Atemzug erwähnt. Und
1976177 in Darmstadt gezeigt wird, ent-
ht nicht so recht eigentlich den Maximen
ämmlicher Kunstausstellungen. Es wird viel-
' eine Idee dargestellt und belegt, die vom
gen Betrachter kritisch hinterfragt und über-
werden kann und soll. Zur Zeit der Jahr-
ertwende ist die Kunst nicht mehr aus-
aßlich als luxuriöses und vornehmes Gut
' privilegierten Elite verstanden worden. Sie
2 vielmehr notwendigerweise in den Alltag
irken. Deshalb forderte auch der Maler und
ihiker, Innenarchitekt und Kunsthandwerker,
tler und Theoretiker Henry von de Velde
Vereinigung von Kunst und Leben". Zurück-
end auf 1901 meinte Theodor Heuss: „Für
die wir iung waren, begann das zwanzigste
tundert, als Versprechen wie als Aufgabe,
eigentlich in Darmstadt."
Lieblingsenkel der Queen, Erbgroßherzog
Ludwig von Hessen und bei Rhein, wollte
inem Land das Neue exemplarisch verwirk-
sehen. Er folgt damit einem zu dieser Zeit
national rapid um sich greifenden Trend.
n Hessenland blühe und in ihm die Kunst."
ern art, Yachting style, Art nouveau, Sezes-
stil - wie auch immer, in Darmstadt hatte
sich in Anlehnung an Hirths Münchner „Ju-
" auf Jugendstil geeinigt. Auch in Weimar
"y Graf Kessler) gab es ähnliche Bemühun-
allerdings war der dortige regierende Fürst
ichen Zukunftsgöubigkeit erheblich weniger
isiastisch als sein hessischer Vetter. Und in
l kam es sogar zu aggressiven Reaktionen,
ireilich der Secession den Wind nicht aus
Segeln nehmen konnten. So drohte bei-
sweise Erzherzog Ferdinand, man solle doch
I
griäzwErler, „Salome". „Jugend", Nr. 47, 1900,
Ötto Eckmann, Vignette zu „Illusion äaerdue" von
C. Eysell. „.lugend", Nr. 6, 1897, S. 9
F. Waitz, Vignette zu „Mein blinder Freund"
xslogslöudwig Jacobowski. „Jugend", Nr. 22, 1897,
dem Maler O. Kokoschka die Knochen im Leibe
zerschlagen. (Eine opulente Äußerung, deftig und
wenig delikat, so ganz dem Duktus entsprechend
des Wiener Ringstraßen-Un-Stils [Brach] und des
selbstgefüIIig-brulalen Hendl-Barock.)
Vor 76 Jahren schrieb Peter Behrens in seinem
Beitrag zur Einweihung der Künstlerkolonie:
„Alles, was zum Leben gehört, soll Schönheit
empfangen, so wird uns die Schönheit wieder
zum Inbegriff der höchsten Macht, zu ihrem
Dienst entsteht ein neuer Kult."
August Endell (Atelier Elvira, München) begei-
sterte sich in seiner Schrift „Um die Schönheit":
„Es ist wie ein Rausch, wie ein Wahnsinn, der
uns da überkommt, die Freude droht uns zu ver-
nichten, die Überfülle an Schönheit uns zu er-
sticken; wer das nicht durchgemacht hat, wird
niemals bildende Kunst begreifen." In Maurice
Maeterlincks „Schatz der Armen" steht: „Die
Schönheit, die einzige Nahrung unserer Seele"
(also ein „Schatz der Schönheit", verborgen in
jedem, auch dem Ärmsten und Unglücklichsten).
Der Malerei, so proklamierte die Zeitschrift „The
Studio", falle die Verpflichtung zu; „To teach
beouty and nothing eIse." Die Schönheit als Leit-
motiv für das Gesamtkunstwerk um 1900; Deko-
ration des gesamten Daseins, Unschuld und Ju-
gend, das „neue Geschlecht, ganz ohne Schmin-
ke und Sünden" (Heine), theatralische, patheti-
sche, laute Parolen, denen es dank ihres außer-
ordentlichen Schwungs für kurze Zeit gelang,
nahezu alles mitzureißen. Der „angeborene Zu-
stand von Gnade, in dem man nicht sündigen,
das heißt, nicht hößlich werden kann". Die
Schönheit als Ziel aller Künste (Endell), als Ga-
rant für die Befreiung von Zwang und Zweck.
Demzufolge mußten alle Künste gleichgeordnet,
zusammengefaßt werden. Die Utopie von Ko-
operation, Kunst und Dekoration, reine und on-
gewandte Kunst, Baukunst und Handwerk...
„Deutsche Kunst und Dekoration" nannte der
Darmstädter Verleger Alexander Koch seine1897
gegründete Zeitschrift. Es galt, „die Kunst aus
der Gefangenschaft des Ateliers zu erlösen, sie
in den Dienst des Menschen zu stellen". Behrens
und Olbrich, Eckmann und van de Velde, Hof-
mann, Wagner und Mackintosh entsprachen
durchaus den Forderungen, die an den „Univer-
salkünstIer" gestellt wurden. Sie handelten und
wurden nicht gehandelt. Aber das Spektrum
künstlerischer Aussagen in dieser Zeit war zu
breit und breiig (von Makart und Lenbach bis
hin zu Wagner als Anreger einerseits und Klin-
ger, George und Wilde als markante Außen-
seiter andererseits), so daß sich nur selten und
dann sehr kurzfristig die Intentionen der Ge-
samtkunstverfechter bündeln ließen.
Der gesunde und glückliche Mensch ist das Ziel
der Bestrebungen noch Vereinigung und Erneue-
rung von Kunst und Leben gewesen. Der ge-
schmäcklerische Eklektizismus, der nicht nur die
Wohnzimmer der Bürger mit den Elaboraten ver-
schiedenster Stilrichtungen heillos vollgestopft
hatte, mußte aufgegeben werden. Der neue Stil
stellte von Anfang an programmatisch seine
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