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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXII (1977 / Heft 151)

herzog Ferdinand von Tirol (1520-1595) im 
Schloß Ambras bei Innsbruck angelegten Samm- 
lungen erläutert; Sammlungen, die den Grund- 
kern der diversen Wiener Museen bieten solltent. 
Gerade in den Ambraser Sammlungen begegnet 
man den interessantesten Beispielen von kunst- 
voll und geistreich gestalteten Prunkgeräten, de- 
ren Hauptbestandteil Muscheln aus dem Mittel- 
meer und dem Indischen Ozean sind. Merk- 
würdigerweise sind aber gerade diese im Mit- 
telpunkt vorliegender Betrachtungen stehenden 
Kunstgegenstände in den alten Katalogen nur 
ganz beiläufig erwähnt, in einem unverkennba- 
ren Stil subalterner Dienstboten gehalten, wie 
von Schlosser ihn humorvoll kommentierts. 
Das „Ambraser Aquamanile" ist hierfür ein ge- 
radezu klassisches Vorbild: vier Meerweibchen 
halten mit ihren Armflossen vier „Tridacna"- 
Schalen, während ie eine „Pecten"-Schale zwi- 
schen den Bein-Fischschwänzen eingeklemmt ist. 
In die runde Fassung des Schüsselbodens paßt 
die „Triton"-Kanne I, wobei ein Triton mit wasser- 
triefendem Haar das fein gemaserte Gehäuse 
balanciert. Fassung der Schüssel und Kannen- 
träger sind in vergoldetem Silber ausgeführt, 
in den Werkstätten des Elias und Cornelius Groß 
in Augsburg in der zweiten Hälfte des 16. Jahr- 
hunderts. 
Zu einer heute verlorenen Schüssel sollte wohl 
die „Triton"-Konne II passen. Hier ist die Basis 
ein Metailabguß nach einem „Pecten iacoba- 
eus", aus dem ein architektonisches Element in 
Doppelvolute autsteigt, fast als eine Trage für 
den finster dreinschauenden Triton, auf dem die 
Schale lastet. Wie eine auffallende ähnliche 
Tragse mit schreitendem Satyr und fein bemaltem 
„Nautilus"-Becher in den Staatlichen Kunstsamm- 
lungen zu Kassel mit einem unidentifizierten 
Meisterzeichen sowie dem Beschauzeichen Ant- 
werpen etwa 1560-1570 zeigt, kann diese Kanne 
ebenfalls als ein holländisches Kunstwerk be- 
trachtet werdenf. 
Geistreich gegliedert ist der „Triton"-Leuchter: 
den runden Fuß zieren fünf „Pecten", dann, am 
Stamm, fünf kleine „Cordium Venus". Die wohl 
abgeschnittene Spitze steckt in einer Hülse, so 
daß die Öffnung nach oben weist, während 
ein geflügelter Triton mit Wurmleib heraus- 
kriecht, mit den Händen Halt suchend, während 
er auf dem Kopf die Hülse für die Kerze balan- 
ciert; an dieser fünf kleine „Cardium'". 
Viele Nürnberger und Augsburger Goldschmiede 
verarbeiteten die wohl in größeren Mengen auf 
den Markt kommenden Schalen des „Nautilus 
pompilius". Aber auch in London und Paris 
erwachte das Verständnis für die neuen und un- 
erwarteten künstlerischen Möglichkeiten, die von 
weltlichen und kirchlichen Mäzenen großzügig 
gefördert wurden, so daß heute viele europäi- 
sche Museen mit solchen Prunkgeräten aufwar- 
ten können. Eine systematische Bestandsaufnah- 
me dieser Sondergattung von Goldschmiedewer- 
ken würde manche neue Einsicht in die kulturellen 
Verhältnisse Europas im 16. und 17. Jahrhundert 
ergeben, mit besonderem Bezug auf den Manie- 
rismus, in den sie sich mühelos einordnen lassen. 
Das Manuskript dieses Aufsatzes war bereits 
im Mai 1976 abgeschlossen, als zu Beginn dieses 
Jahres der in ieder Hinsicht überraschende 
Prachtband von J. F. Hayward zur Auslieferung 
gelangte: „Virtuoso Goldsmiths and the triumph 
of Manierism, 1540-1620". Weitgehend be- 
rücksichtigt dieser Kenner die immer kostbaren, 
oft recht geistreichen Fassungen exotischer Meer- 
muscheln und ordnet sie den anderen Meister- 
werken der europäischen Goldschmiedekunst zu. 
Die Fülle des Gebotenen erlaubt eine prinzipiel- 
le Feststellung: Neben vielen wirklich hervorra- 
genden Leistungen dieser Epoche - inbegriffen 
4 
die Halbedelsteingefäße aus Mailänder und 
Florentiner Werkstätten in ihren kostbaren Fas- 
sungen - hat das Virtuosentum als Endzweck 
Werke hinterlassen, die in ihrer Überladung, bei 
aller Anerkennung ihres technologischen Raffine- 
ments, vom ästhetischen Gesichtspunkt zumeist 
unbefriedigt lassen: eben weil die maßlose, un- 
gezügelte Vielfalt des Beiwerks die Grundformen 
bis zur Unkenntlichkeit überwuchert. 
Wenzel Jamnitzers „MerkeIscher Tafeloufsatz", 
der „Nautilus"-Pokal von Nikolaus Schmidt, der 
Poradeschild des Pierre Redon sind solche Grenz- 
fälle, denen gegenüber das Salzfaß des Ben- 
venuto Cellini fast klassizistisch wirkt. Er beweist 
den Zwiespalt seiner Zeit: Im lateinischen Geiste 
immer noch ein Prinzip der Selbstbeherrschung 
gegenüber der überkommenen klassischen Form 
- im nordischen Geiste dagegen ein hemmungs- 
Ioses Drängen bis zum unbegrenzten Fabulieren 
und damit verbunden ein unbezwinglicher Drang 
zum „Zeigen, was man kann". 
Aber, wie immer man sich zum Manierismus in 
der Goldschmiedekunst stellen mag, auch in sei- 
nen ins letzte Extrem getriebenen Möglichkeiten 
muß man seinen Meistern eine Fülle von phanta- 
sievollen Einfällen zugestehen, wie man sie in 
neuerer und iüngster Zeit nirgendwo mehr an- 
trifft. Ein letztes Nachleuchten waren in dieser 
Hinsicht „Liberty", „Art nouveau" oder „Floreal". 
Die beiden katastrophalen Weltkriege in der 
ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und ihre 
verheerenden Folgen auch in der Geistessphäre 
haben die „Lust zum FabuIieren" radikal ausge- 
Iäscht. 
Bei der Reichhaltigkeit der europäischen Samm- 
lungen - wie etwa im „Grünen Gewölbe" zu 
Dresden und im Germanischen Museum zu Nürn- 
berg - mußte leider die Auswahl innerhalb enger 
Grenzen erfolgen: richtungweisend die Wiener 
Sammlungen, dann Beispiele aus Nürnberg und 
Salzburg, von hier teilweise nach Florenz in das 
heutige „Museo degli Argenti" gelangt. 
Erzherzog Ferdinand von Tirol besaß nicht nur 
Prachtexemplare von „Triton" und „Tridacna", 
sondern auch eine Reihe schöner „Nautilus", die 
von genialen Meistern zu auch heute noch an- 
ziehenden Kunstwerken gestaltet wurden, auf 
die noch zurückzukommen sein wird. Sein naher 
Verwandter Wilhelm V. Herzog von Bayern er- 
warb um 1570 eine Prunkkanne, welche Wenzel 
Jamnitzer kurz vorher aus zwei großen „Trochus"- 
Schalen gestaltet hatte, nachdem diese bis aufs 
Perlmutter abgeschliffen waren'. In ieder Hin- 
sicht eine Meisterleistung des Manierismus, über- 
rascht diese Kanne durch die Vielfalt geist- 
reicher Einfälle und schnurriger Absurdität: Ein 
Adler Iäßt sich auf eine nach der Natur ge- 
gossene „Murex trunculus" aus dem Mittelmeer 
nieder, deren Leib eine gewöhnliche Weinberg- 
schnecke ist, die über sich ringelnde Schlangen 
hinwegkriecht. Als Bekrönung das Meerweib- 
chen der Fischersagen, wie sie noch Mitte des 
vorigen Jahrhunderts der Dichter und Maler 
August Kopisch an der Meerenge von Messina 
und in Sorrento bei Neapel hatte sammeln 
kännen'. 
Dieser Prunkkanne aus zwei abgeschliffenen 
„Tochus"-Gehäusen lassen sich noch einige an- 
dere Werke mit derselben Meerschnecke an- 
reihen. 
So der in Nürnberg um 1660 entstandene Pokal 
in der Schatzkammer der Residenz in München; 
in den Einzelheiten ungemein sorgfältig, iedoch 
ungelenk in der Gesamtkomposition: auf nach- 
mittelalterlichem Achtpaßsockel ein Jäger mit 
Spieß und Horn und seiner Meute. Vom Roll- 
werk auf seinem Kopf steigen die vier Halte- 
bänder auf bis zum angesetzten Rand; auf dem 
Deckel baden Diana mit ihren Nymphen in 
TROCHUS 
5 „Trochus"-Kanne. Werk des Wenzel Jamn 
Silber, vergoldet und emailliert. Mün 
Schatzkammer der Residenz. 
6 „Trochus"-Becher mit Diana und Aktäan in 
Szenen. München, Schatzkammer der Resi 
NAUTILUS, (NATURZUSTAND) 
7 „Nautilus"-Becher auf Schildkröte und Schr 
Schale im Naturzustand. Madrid, Cole 
Jose Lazaro Galdiano. 
Anmerkungen 4-11 
'Julius von Schlosser, Kunst- und Wunderkammei 
Spatrenalssonce - Ein Beitrag zur Geschichte des 
melwesens, „Monographien des Kunstgewerbes", I 
Leipzig 1908. S. 30, Abb. 28. Zum „Kircherianam". 
Abb. 88. 
5 Alois Primisser, Die Kaiserlich-Königliche Ambraser 
Iung mit neuen Registern von Manfred Kramer. L 
Stanclartverzeichnis und Register der beschriebenen 
schritten vermehrter Nachdruck der 1809 in Wi 
schienenen Ausgabe, Graz 1972. Dagegen unbede 
A. F. Richter, Neueste Darstellung der K. K. Arr 
Sammlung im Belvedere in Wien, Wien 1887 und 18' 
Beispiel der nüchternen Beschreibung der kunstvc 
faßten Naturalien (Richter was, s. 96197): „In 
Schrank erhaltene Gefäße und Becher sind merk 
sowohl wegen der Verschiedenheit des Stoffes ol 
der Form. Pokale und Hausgerätschaften aus vergo 
Silber, aus Kakosnüssen, Stroußeneiern, Rhinazerr 
großen Muscheln, Perlmuttermltsdieln und Schildki 
Gestalt der Vögel, Drachen, eines Pelikans, eines I 
eines Fahnenträgers, Schiffes, einer Erdkugel un 
schiedener anderer Dinge, sämtlich zum Trinken 
richtet, ergätzen das Auge auf eine überraschenc 
Die varzüglichsten sind unter den Nummern 1, 2, E 
6, 7, B, 9, 10, 11, 12, 13 und 38 enthalten. Unt 
letzten Nummer bewundert man eine Schüssel aus 
kröte wegen ihrer seltenen Größe merkwürdig [I 
VI, Schrank 1)." 
i Hayward, op. cit., S. 397, Abb. 609. 
lSchlosser, op. cit. S. 50, Abb. 28. 
' Hans Tttoma - Herbert Brunner, Schatzkamme 
Residenz München, Katalog, München 1964, S. 233 
Nr. 567, Abb. 37, mit irreführender Bezeichnung „Pi 
lersdlnecke". _ 
'August Kopisch, Gedichte. ausgewählt und elttg 
van Franz Brümmer, Leipzig o. J., Philipp Raclar 
Die Feen zu Meta, S. 141, Die Meerfee, S. 143. 
'" Hayward, op. cit., Farbtafel Xlll nach S. 140, Text 
und 334, mit der exakten Angabe „Trochusrshell"_. 
1' Hayward, op. cit. S. 383, Abb. 476 und 477. Diesi 
dienstvolle Autor bietet nach einige andere Be 
künstlerischer Auswertung von „Trochus"-Gehäusel 
Hans Petzolcl in Nürnber , ini lmparrnuvszeti Muzr 
Budapest; iugendlicher eergatt reitet auf einem 
bläst ein „Triton"-Horn und balanciert die Musd 
dieser eingesetzt ein hodtragender Becher, dessen 
eine Halbfigur bekränt: eine Nymphe mit Hands 
S. 333, Abb. 479. Van einem unbekannten Meister 
werpen, um 1560, die denkbar einfachste Gestaltu 
dein auf einen massiven Fuß direkt die Schale i_r 
gesetztem Metallbecher gesetzt ist - geistig lreii 
strengung; jetzt in den Musees Rayaux d'Art et d'l' 
zu Brüssel. „TrochuW-Gehäuse wurden, nach Absdtl 
Politur, mit Schablonenn gleichförmig zerschnitte 
wie Kameen oder Edelsteine gefaßt zu werdemueirle 
des Elias Geyer in Leipzig rnii etfektyoller Losung 
im „Grünen Gewölbe" zu Dresden. Ein sllberverg 
Salzfaß, ohne iegliches Kennzeichen, _wohl Engla 
1600, mit Plattierungr gegenwärtig im Raval ( 
MIJSeUm zu Toronto. Endlich ein eleganter Flakor 
land oder Holland, erste Hälfte des 17. Jahrhundi 
einer Privatsammlun zu London. Haywatifs i 
„mother of pearl" stimmt nicht, da klar und deutl 
schräge Verlaul der Kante mehrerer verarbeitet: 
hause erkennbar ist. Übrigens ist dieser ganz t 
erscheinende Flakon inmitten des „Sdtatzes der__' 
Paston" Gemälde von englischer oder hallan 
Hand dargestellt, ietzt im Castle Museum zu N 
Zu diesen zerschnittenen „Trochus": Hayward, o 
S. 392 und Abb, 561; S. 403 und Abb. 674; S. 4 
Abb. 690. Das Gemälde beschrieben S. 405 und AbI
	        
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