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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXII (1977 / Heft 151)

Es bleibt übrig, auf den Aufbau der Ornamente 
einzugehen. 
Die Mitte des Innenfeldes nimmt ein Achteckstern 
ein, der normalerweise dadurch entsteht, daß 
zwei Quadrate mit gleichem Mittelpunkt einan- 
der in einem Winkel von 45 Grad schneiden. Hier 
sind die Gegebenheiten geringfügig verändert. 
Das grundierende, parallel zur Bordüre verlau- 
fende Viereck ist gelängt, die Seiten stehen 
in einem Verhältnis von 109:107,5:110,5:107. Das 
schneidende Viereok ist ebenso ungleichseitig 
(109,5:107:107:108). Die Winkel oben und unten 
sind spitz, seitlich stumpf. 
Die Ränder des Sternes sind ausgezackt. Damit 
hat der Meister des Entwurfes das vertraute und 
beliebte Motiv der Ziernischchen (Mukarnas), mit 
denen häufig die Giebelfelder der Gebetsnischen 
geschmückt sind, andeuten wollen. Die Form des 
Sternmedaillons kannte der ldee kein Hindernis 
bedeuten. Der Giebel, symmetrisch geklappt, 
hat sich hier zum Medaillon entwickelt. Auf 
einem Teppich des Fürsten Liechtenstein tritt 
das Motiv in spitzgiebeligen Konturen auf, wie 
sie sich in der Architektur häufig finden". 
Es ist gut möglich, daß insonderheit die spitz- 
giebelige Variante auf eine islamisierte Abart 
der „chinesischen Wolke" zurückgeht. Wir wissen 
besser darüber Bescheid, seit die Forschung sich 
der Teppiche aus Ostturkestan angenommen 
hat". Die chinesische Wolke war ein Motiv, das 
von Islam - wie so vieles andere - willig aufge- 
nommen, umgewandelt, mit eigenem, vertrau- 
tem Gedankengut erfüllt zu etwas „typisch Is- 
lamischem" verformt, dargeboten und weiterge- 
geben wurde. Das Verwandte, Vertraute waren 
in diesem Fall der Anklang und die Erinnerung 
an den Giebel eines Mihrab (Gebetsnische). Sie 
genügte, die fromme Gesinnung anzuregen und 
die Hände im Schutze der Religion sich regen zu 
lassen. 
Daneben gemahnen die Konturen an die erhabe- 
nen Umrisse von Kuppelbauten sowie deren 
Ecklösungen mit Hilfe von Ziernischchen. Die 
Streben in den Zentralsternen des Teppichs T 
8382 geben einen Hinweis darauf, wie der Haupt- 
stern betrachtet werden möchte: das Auge sollte 
von unten her in das Innere einer Kuppel schau- 
en, mit den Rippen im Oktogon des Gewölbes, 
wie es z. B. in der Freitagsmoschee in Abarquh 
möglich ist". Darüber hinaus darf der Blick wei- 
ter vordringen in die Tiefe eines Sterngewölbes, 
das durch konzentrisch aufgebaute und z. T. in- 
einandergeschlungene Sternfiguren symbolisch 
dargestellt wird. Wer gedachte da nicht der Ti- 
tulatur persischer Herrscher: „strahlend wie die 
Sonne"? Dem Deutschen aber geht der Sinn der 
Worte Goethes aus dem „Westöstlichen Diwan" 
auf: „Dein Lied ist drehend wie ein Sterngewöl- 
be, Anfang und Ende gleich und immerdar das- 
selbe." Was die Verse dem Ohr, offenbaren die 
Ornamente dem Auge. 
Der Saum des Zackensternes ist blau gefärbt 
(Wasser?) F. Sarre hat einmal in der Konzeption 
das Schema eines Gartenteppichs erblickt". Man 
darf der Ansicht zustimmen, wenn man die oben- 
erwähnte Umwandlungsfähigkeit und Übertra- 
gung aus einem Bereich in einen anderen in Be- 
tracht zieht. Hier läge dann die interessante 
Übertragung eines gärtnerisch-orchitektonischen 
Motivs in die Sphäre des Geametrischen (Ster- 
nendarstellung) vor. 
Man hat früh erkannt, daß der geometrische 
Entwurf zu unserem Teppich auf der Zahl vier 
aufgebaut ist". Das ist vollkommen richtig. Hin- 
zu kommt die Verherrlichung der Zahl acht. Sie 
bildet in Form von Achtecksternen, Oktagrammen 
und Oktogonen sowie den geometrischen Formen 
der Rosette, des „Gül", ein weiteres tragendes 
Gerüst. Daneben erscheinen füllende Ornamente 
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auch nach Systemen anderer Zahlen geordnet. 
Zu erkennen sind Drei-, Fünf-, Sechs-, Zehn- und 
Zwölfzahlen. Die Vier ergibt sich aus der Zeich- 
nung von Quadraten und den Seiten der Kam- 
partimente im lnnenfeld. 
Ob die Zahlen in einem bestimmten, glück- 
bringenden Verhältnis zueinander stehen, wird 
man an unserem Teppich vielleicht nie mit Sicher- 
heit entscheiden können. Der Orient ergeht sich 
gerne in Zahlenrätseln, er kennt Glückszahlen. 
Astrologische Konstellationen, die Glück bringen 
sollen, werden gerne in Ziffern hineingeheimnist, 
man findet sie auf Talismanen oder „magischen" 
Schalen eingraviert. Direkte Hinweise auf solche 
Bräuche lassen sich auf unserem Teppich nicht 
feststellen. Weil aber immer wieder aus dem 
Publikum diesbezüglich Fragen gestellt werden, 
sei hier nur ganz nebenbei auf allgemein be- 
kannte Bewertungen hingewiesen, wie sie sich in 
Dichtung, Mythus, Mystik und Sprache von selbst 
ergeben und auch in islamischen Kreisen so ver- 
standen werden. 
1 - aus der Eins leiten sich alle anderen Zahlen 
ab, sie steht daher als Symbol für Allah, den 
Schöpfer des Alls"; ferner als Sinnbild für die 
Unmittelbarkeit, das „ich," die erste Person, sowie 
die Einzahl. 
2 - die „beiden Welten", die nähere Distanz, 
das „du", das Paarweise-Sein, der Dual. 
3 - nach den Pythagoreern die Trias Vater, Mut- 
ter und Sohn; die weitere Distanz, das „es", die 
kleinste Einheit für den Begriff „Mehrzahl". 
4 - die Seiten des Quadrats; dieses steht wieder 
als Symbol für die Unveränderlichkeit und Kraft 
der göttlichen Natur sowie für die Erde. 
5 - die fünf Sinne; fünf Finger; Anzahl, welche 
das Auge mit einem Blick noch zu überschauen 
imstande ist (sechs muß schon gezählt werden); 
die Zahl für das Pentagramm", das sich an 
unserem Teppich in dem so häufigen Schirmblatt- 
motiv als gedachte Linie zugrunde legen läßt. 
6 - die Himmelsrichtungen (Norden, Süden, We- 
sten, Osten, oben, unten); Anzahl, die gezählt 
werden muß; in der Vervielfachung die Zahl für 
die Zeit, die Winkelmessung (Sexagesimalsystem). 
7 - die Offnungen des Kopfes; die sieben Him- 
mel, sieben Tage der Woche, die Zahl der Plane- 
ten; danach symbalhoft immer wieder verwendet: 
die sieben Pforten zu Leben, Erkenntnis, Kraft, 
Wille, Barmherzigkeit, Weisheit und Tat (nach 
Albuni"); nach Ferid ed-Din Attar (1 1230) gibt 
es die sieben Taler Suchen, Liebe, Erkenntnis, 
Selbstgenügsamkeit, reine Einheit, Bestürzung, 
Auflösung und Vernichtung (im Buch der Vögel). 
8 - die Zahl für den Preis, die Bewertung (ver- 
gleiche „achten"); im Oktagramm das Zeichen 
für die achämenidische Weltherrschaft". 
10 - die Finger der Hände; danach die Zahl 
für das „Rechnen" (Dezimalsystem). 
12 - die Sphären der Alten: Erde, Mond, Merkur, 
Venus, Sonne, Mars, Jupiter, Saturn, Sphäre der 
Fixsterne, 1. und 2. Kristollhimmel, Primum mo- 
bile; Tierkreiszeichen; Monate. 
Verlängert man die Seiten des blau gesäumten 
Hauptsternes, so gelangt man zur Linienführung 
eines Oktogromms, das durch Karres bezeichnet 
wird (Fig. 4). 
In die stumpfen Winkel des Blausternes hinein 
zielen auffällig gelbe, spitze Winkel. Sie sind 
aus einer besonderen Einstellung des Orientalen 
zu den Ornamenten zu verstehen. Wenn ein Mo- 
tiv wohlbekannt und beliebt ist, dann wird oft 
nur ein Teil oder ein Teilchen angedeutet, den 
Rest dazuzudenken bleibt dem Betrachter über- 
lassen. Es ist eine Art Ratespiel, das Vergnügen 
bereiten soll. In unserem Falle ergeben die Ver- 
löngerungen der Spitzwinkel wieder ein Okta- 
gramm mit der möglichen Hinwendung zur geo- 
metrisierten Rosette, wie sie gerne z. B. bei 
Der seidene Sternenteppich gehört zu den schönsten 
die es ibt. Kette, Eintra und Knüpfung sind aus 
Seide, er Knoten persisc , auf einen dmf kommen 
3100 Knoten. Er hat zwölf Farben. Geknüpft wurde 
er in Ägypten, wahrscheinlich am Beginn des 
16. Jahrhunderts. 
Länge I 540 crn, Breite 1 290 cm. Wien, Oster- 
reichisches Museum für angewandte Kunst, Inv.-Nr. 
T 8332. 
Lit.: Sarre-Trenkwald, Altorientalische Teppiche I, 
Wien 1926, Taf. 44 f. 
P 
Anmerkungen 14-22 
"Alois Riegl, Orientalische Teppiche, Bd. l, Wien 1892, 
of. IV. 
"Vergleiche Hans Bidder, Teppiche aus 
Tübingen 1964, S. 65 ff. t 
"Vergleiche A. U. Pope, Ardlitectural Ornament, in: A 
Survey of Persian Art ll, London - New York 1939, S. 1286. 
" Friedrich Sarre, Die orientalischen Teppiche aus dem 
ghelblpligen Wiener Hafbesitz, Der Kunstwanderer 1919-20, 
"Vergleiche Sarre-Trenkwald, Altorientalische Teppiche l, 
Wien 1926, Tat. u. 
lt Vergleiche manche Vierzeiler bei Dschami (1 1493), 
1" Zum Pentagromm als astrologisches Symbol vergleiche F. 
Endres, Zahl in Mystik urld Glaube der Kulturvölker, 
zum 195a, s. so (Verlllikürliurlkllßnen). 
7' Bei M. Reinaud, Monumens arubes, persans et turcs du 
cabinet de M. le Duc de Blacas ll, Paris 1828, S. 240. 
" Ernst Diel, Die Slegestürme von Ghclzna als Weltbilder, 
Kunst des Orients l, 1950, S. 39 ff. 
Ostturkestan,
	        
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