Da er auch das Staatsreifeftipendium erhalten hatte und im
Herbft fleh zur Reife rüften mußte, waren ihm die drei bis vier
Monate Betätigung in meinem Atelier mehr als erwünfeht. Mit
einer Unterbrechung (Romreife) find aus diefer Zeit allerdings
fünf Jahre geworden. □
Diefer Umftand ermöglicht mir, Olbrichs künftlerifche Lauf
bahn genau zu kennen, fle richtig zu beurteilen, und veranlaßt
mich heute, ihn zu würdigen. Unter den Talenten, über die
Olbrich verfügte und die fleh fchon damals ziemlich eruptiv Luft
machten, feien befonders erwähnt feine rege Phantafie, eine
ftarke poetifche Ader, ein feuriges, mufikalifebes Empfinden, zu
dem fleh ein ziemliches mufikalifches Können gefeilte, ein außer
gewöhnlicher Gefchmack und eine feltene zeichnerifche Hand
fertigkeit. In konftruktiver Beziehung und Erfahrung war er
damals ein Neuling. Wenige Jahre genügten, diefe Eigenfchaften
zu vervollkommnen, alle anderen aber zu einer Höhe zu er
heben, wie ich fle fonft nie bei jemandem beobachten konnte
und auch kaum künftig zu beobachten Gelegenheit haben werde.
Was bauptfäcblicb feine Mache, Art der Darftellung anlangt,
fo kann ich ihm nur einen, aber kaum als gleichwertig, an
die Seite ftellen, nämlich einen meiner Lehrer, den Profeffor
van der Nüll. □
Zu all feinen Eigenfchaften gefeilte fleh ein bedeutender Ehr
geiz, der ihn, unterftütjt von feinem Können, unbarmherzig auf
die engeren Kollegen herabblicken ließ. Eine Eigenfdbaft, die
ich, wenn auch in größerer Stärke, wieder nur bei Gottfried
Semper beobachtete, deffen Verkehr mit der Kunftwelt, leider
mit ziemlichem Rechte, darin kulminierte, daß er mit niemandem
mehr fprechen wollte, »weil ihm die Menge zu dumm fei«. □
Einer kleinen Anzahl von Künftlern fchloß fich Olbrich damals
an. Sie gründeten den »Siebenerklub«. Hoffmann, Mofer, Kurz
weil, Kainradel, Kempf gehörten ihm an. □
Die Gründung der Sezeffion und die damit verbundene Aus-
ftellung im Gebäude der Gartenbaugefellfchaft, der Bau des
Sezeffionsgebäudes und einige folgende Ausftellungen gaben
Olbrich die erften Gelegenheiten, fleh erfolgreich zu betätigen.
In diefer Zeit bemühte ich mich, leider vergebens, Olbrich eine
Profeffur an der Kunftgewerbefcbule zu verfebaflfen. Die ge
wöhnliche, fagen wir »Kurzfichtigkeit« der maßgebenden Faktoren
ließ es nicht dazu kommen, und man ließ Olbrich, der unter-
deffen die fcbmeichelbafteften Anträge erhalten, zum großen
Nachteil der Kunft und zu Öfterreichs bedeutendem wirtfehaft-
licben Nachteil ziehen, wie man es fpäter leider mit Czefchka
und Lukfch u. a. wieder getan hat. Der enormen Schaffenskraft
des Künftlers gelang es, in Darmftadt, wohin er berufen wurde,
unterftütjt durch den wirklich kunftfinnigen Großherzog von
Heffen, unter Mithilfe anderer Künftler innerhalb zweier Jahre
ein epochales Werk, die Künftlerkolonie, zu fchaflfen. Eine Studien
reife, die id-> mit vierzehn von meinen Schülern nach Darm
ftadt, Berlin ufw. in diefer Zeit unternahm, veranlaßte mich
damals, Olbrich in Anerkennung feiner Leiftung durch meine
Schüler einen Lorbeerkranz zu überreichen, welche Ehrung ihm
große Freude bereitete. □
Seine Tätigkeit fand durch die Vollendung der Künftlerkolonie
in Darmftadt eine Art Abfchluß. Ein »Dokument deutfeher
Kunft« nannte er felbft, und mit Recht, diefe Tat. Seine Energie,
fein Selbftbewußtfein halfen ihm fpielend hinweg über das
blöde Mitleidslächeln der einen, während der Beifall der andern
ihn zu neuen Taten anfpornte. Aber das brutal Erobernde
feines Schaffens und Könnens läßt neue Freude und neue er
bitterte Feinde entfteben. Viele werden, in fein Lager gelockt,
herübergezerrt, fie fpüren feine Riefenkraft, weil fle nach ihrem
natürlichen Empfinden das Gefchaffene heiter, lieblich, fchön oder
entzückend finden, und nur jene ziehen neue Pfeile aus ihrem
Köcher, um den Künftler zu verwunden, für die das Gefchaute
in keine Stilkategorie einzufchalten ift. Einen Neues fchaffenden
Künftler kennen diefe Nörgler trofj aller Gelehrfamkeit nicht,
weil fie Jahrzehnte gelernt haben, daß es nur eine alte Kunft
gibt und nur das als Kunftwerk gilt, was im Bädeker ein oder
zwei Sterne bat. □
Nach diefer Zeit, 1903, tritt Olbrich, ich möchte fagen, in feine
zweite Periode. Er vermählt fleh im April diefes Jahres. Sturm
und Drang find allerdings nicht vorüber, aber der Ernft tritt
dem heiteren Spiel fchon ziemlich entgegen. Seine Findigkeit
veranlaßt ihn, auf Zweck, Konftruktion und Wahl des Aus-
fübrungsmaterials mehr Wert zu legen, die Erfahrung fängt an,
eine Rolle zu fpielen. In diefe Zeit fällt eine Anzahl Bauten
und Projekte, von denen die Babnbofsanlage in Bafel befonders
hervorgehoben zu werden verdient. Ein ziemlich reger Brief-
wechfel, ftets von gleichem künftlerifcben Enthufiasmus und
gleicher Heimatsliebe durchdrungen, verbindet Olbrich mit feinen
engeren Wiener Kollegen. So kommt das Jahr 1904 heran und
durch den Tod Prof. Luntj’ auch die Wiederbelebung von deffen
Lebrftelle. Da die Akademie refpektive das Kollegium fchon
feit früherer Zeit dem Grundfa^e huldigt, daß es bei Neube-
fet}ungen keine Spezialfächer in der Kunft, fondern nur künftle
rifche Qualitäten gibt, wird kein fogenannter Gotiker für die
Belebung in Ausficht genommen refpektive vorgefchlagen. Ich
trat deshalb für die Berufung Olbrichs auf das wärmfte ein.
Auch diefe meine Bemühungen blieben erfolglos. Daß er mit
Freuden wieder nach Wien gekommen wäre, beweift mir ein
Brief vom 20. Auguft 1904, in dem er fich unter anderem über
die Angelegenheit in feiner draftifchen Art vernehmen läßt: »In
Wien ift man noch nicht fo weit, zwei Treiber auf dem Felde
der Kunft zu vertragen.« □
Die Ausftellungen in Köln und in Mannheim, endlich das
Warenhaus Tieb in Düffeldorf und vieles andere füllten feine
lebten Lebensjahre ganz aus. □
Das Ende diefes ftolzen und lebensfrohen Künftlers wirkt um
fo tragifcher, als fein lebter verhältnismäßig kurzer Aufenthalt
in Düffeldorf ihm all das brachte, was er zeitlebens erfehnte:
den ftürmifchen Enthufiasmus und die Begeifterung felbft recht
kühl denkender Männer für feine Werke und feine Perfon.
Man batte Gelegenheit, das Modell des Bauwerkes »Tieb’ Waren
haus« anläßlich der Baukunftausftellung in Wien zu feben, und
Olbrich veröcherte uns, beftimmt zum Kongreß am 18. Mai 1908
zu erfcheinen. War es nun fein unbezähmbarer Arbeitseifer,
oder feine künftlerifche und ökonomifebe Gewiffenbaftigkeit, oder
die befürchtete febwere Entbindung feiner Frau, oder gar eine
leife Mahnung feines beginnenden Leidens, Olbrich ift zum
Kongreß nicht erfchienen. Maler Clarenbacb, fo fchreibt mir
mein ehemaliger Schüler Roßmann, traf Olbrich Montag morgens
den 3. Auguft als gealterten Mann, der eben dabei war, fich mit
Aufbietung aller Kräfte mühfelig anzukleiden, und auf alle
Fragen nur leife Antworten lifpelte, eins aber noch durchaus
wollte: arbeiten. □
Jebb wo der Tod diefe Riefenkraft gebrochen, kann die Welt
erfahren, daß fein Ehrgeiz und fein Arbeitseifer maßlos waren
und daß er kurz vor feiner Erkrankung zu einer bekannten
Dame fagte, daß all feine Arbeit bis jebt nur ein winziger
Bruchteil von dem fei, was er leiften werde, leiften müffe. □
Der Künftler ftarb Sonnabend, den 8. Auguft 1908, nach
mittags 1 U2 Uhr. Die vietfeitigen Anfinnen, die an mich geftellt
wurden, über Olbrich zu febreiben, laffen mich vermuten, daß
es die Allgemeinheit intereffieren dürfte, mein refpektive unfer
Urteil übet den Künftler zu vernehmen. n
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