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Inhaltsverzeichnis: Hohe Warte - Illustrierte Halbmonatsschrift für Architektur, angewandte Kunst und alle modernen Kulturaufgaben, 4. Jahrgang 1908

Da er auch das Staatsreifeftipendium erhalten hatte und im 
Herbft fleh zur Reife rüften mußte, waren ihm die drei bis vier 
Monate Betätigung in meinem Atelier mehr als erwünfeht. Mit 
einer Unterbrechung (Romreife) find aus diefer Zeit allerdings 
fünf Jahre geworden. □ 
Diefer Umftand ermöglicht mir, Olbrichs künftlerifche Lauf 
bahn genau zu kennen, fle richtig zu beurteilen, und veranlaßt 
mich heute, ihn zu würdigen. Unter den Talenten, über die 
Olbrich verfügte und die fleh fchon damals ziemlich eruptiv Luft 
machten, feien befonders erwähnt feine rege Phantafie, eine 
ftarke poetifche Ader, ein feuriges, mufikalifebes Empfinden, zu 
dem fleh ein ziemliches mufikalifches Können gefeilte, ein außer 
gewöhnlicher Gefchmack und eine feltene zeichnerifche Hand 
fertigkeit. In konftruktiver Beziehung und Erfahrung war er 
damals ein Neuling. Wenige Jahre genügten, diefe Eigenfchaften 
zu vervollkommnen, alle anderen aber zu einer Höhe zu er 
heben, wie ich fle fonft nie bei jemandem beobachten konnte 
und auch kaum künftig zu beobachten Gelegenheit haben werde. 
Was bauptfäcblicb feine Mache, Art der Darftellung anlangt, 
fo kann ich ihm nur einen, aber kaum als gleichwertig, an 
die Seite ftellen, nämlich einen meiner Lehrer, den Profeffor 
van der Nüll. □ 
Zu all feinen Eigenfchaften gefeilte fleh ein bedeutender Ehr 
geiz, der ihn, unterftütjt von feinem Können, unbarmherzig auf 
die engeren Kollegen herabblicken ließ. Eine Eigenfdbaft, die 
ich, wenn auch in größerer Stärke, wieder nur bei Gottfried 
Semper beobachtete, deffen Verkehr mit der Kunftwelt, leider 
mit ziemlichem Rechte, darin kulminierte, daß er mit niemandem 
mehr fprechen wollte, »weil ihm die Menge zu dumm fei«. □ 
Einer kleinen Anzahl von Künftlern fchloß fich Olbrich damals 
an. Sie gründeten den »Siebenerklub«. Hoffmann, Mofer, Kurz 
weil, Kainradel, Kempf gehörten ihm an. □ 
Die Gründung der Sezeffion und die damit verbundene Aus- 
ftellung im Gebäude der Gartenbaugefellfchaft, der Bau des 
Sezeffionsgebäudes und einige folgende Ausftellungen gaben 
Olbrich die erften Gelegenheiten, fleh erfolgreich zu betätigen. 
In diefer Zeit bemühte ich mich, leider vergebens, Olbrich eine 
Profeffur an der Kunftgewerbefcbule zu verfebaflfen. Die ge 
wöhnliche, fagen wir »Kurzfichtigkeit« der maßgebenden Faktoren 
ließ es nicht dazu kommen, und man ließ Olbrich, der unter- 
deffen die fcbmeichelbafteften Anträge erhalten, zum großen 
Nachteil der Kunft und zu Öfterreichs bedeutendem wirtfehaft- 
licben Nachteil ziehen, wie man es fpäter leider mit Czefchka 
und Lukfch u. a. wieder getan hat. Der enormen Schaffenskraft 
des Künftlers gelang es, in Darmftadt, wohin er berufen wurde, 
unterftütjt durch den wirklich kunftfinnigen Großherzog von 
Heffen, unter Mithilfe anderer Künftler innerhalb zweier Jahre 
ein epochales Werk, die Künftlerkolonie, zu fchaflfen. Eine Studien 
reife, die id-> mit vierzehn von meinen Schülern nach Darm 
ftadt, Berlin ufw. in diefer Zeit unternahm, veranlaßte mich 
damals, Olbrich in Anerkennung feiner Leiftung durch meine 
Schüler einen Lorbeerkranz zu überreichen, welche Ehrung ihm 
große Freude bereitete. □ 
Seine Tätigkeit fand durch die Vollendung der Künftlerkolonie 
in Darmftadt eine Art Abfchluß. Ein »Dokument deutfeher 
Kunft« nannte er felbft, und mit Recht, diefe Tat. Seine Energie, 
fein Selbftbewußtfein halfen ihm fpielend hinweg über das 
blöde Mitleidslächeln der einen, während der Beifall der andern 
ihn zu neuen Taten anfpornte. Aber das brutal Erobernde 
feines Schaffens und Könnens läßt neue Freude und neue er 
bitterte Feinde entfteben. Viele werden, in fein Lager gelockt, 
herübergezerrt, fie fpüren feine Riefenkraft, weil fle nach ihrem 
natürlichen Empfinden das Gefchaffene heiter, lieblich, fchön oder 
entzückend finden, und nur jene ziehen neue Pfeile aus ihrem 
Köcher, um den Künftler zu verwunden, für die das Gefchaute 
in keine Stilkategorie einzufchalten ift. Einen Neues fchaffenden 
Künftler kennen diefe Nörgler trofj aller Gelehrfamkeit nicht, 
weil fie Jahrzehnte gelernt haben, daß es nur eine alte Kunft 
gibt und nur das als Kunftwerk gilt, was im Bädeker ein oder 
zwei Sterne bat. □ 
Nach diefer Zeit, 1903, tritt Olbrich, ich möchte fagen, in feine 
zweite Periode. Er vermählt fleh im April diefes Jahres. Sturm 
und Drang find allerdings nicht vorüber, aber der Ernft tritt 
dem heiteren Spiel fchon ziemlich entgegen. Seine Findigkeit 
veranlaßt ihn, auf Zweck, Konftruktion und Wahl des Aus- 
fübrungsmaterials mehr Wert zu legen, die Erfahrung fängt an, 
eine Rolle zu fpielen. In diefe Zeit fällt eine Anzahl Bauten 
und Projekte, von denen die Babnbofsanlage in Bafel befonders 
hervorgehoben zu werden verdient. Ein ziemlich reger Brief- 
wechfel, ftets von gleichem künftlerifcben Enthufiasmus und 
gleicher Heimatsliebe durchdrungen, verbindet Olbrich mit feinen 
engeren Wiener Kollegen. So kommt das Jahr 1904 heran und 
durch den Tod Prof. Luntj’ auch die Wiederbelebung von deffen 
Lebrftelle. Da die Akademie refpektive das Kollegium fchon 
feit früherer Zeit dem Grundfa^e huldigt, daß es bei Neube- 
fet}ungen keine Spezialfächer in der Kunft, fondern nur künftle 
rifche Qualitäten gibt, wird kein fogenannter Gotiker für die 
Belebung in Ausficht genommen refpektive vorgefchlagen. Ich 
trat deshalb für die Berufung Olbrichs auf das wärmfte ein. 
Auch diefe meine Bemühungen blieben erfolglos. Daß er mit 
Freuden wieder nach Wien gekommen wäre, beweift mir ein 
Brief vom 20. Auguft 1904, in dem er fich unter anderem über 
die Angelegenheit in feiner draftifchen Art vernehmen läßt: »In 
Wien ift man noch nicht fo weit, zwei Treiber auf dem Felde 
der Kunft zu vertragen.« □ 
Die Ausftellungen in Köln und in Mannheim, endlich das 
Warenhaus Tieb in Düffeldorf und vieles andere füllten feine 
lebten Lebensjahre ganz aus. □ 
Das Ende diefes ftolzen und lebensfrohen Künftlers wirkt um 
fo tragifcher, als fein lebter verhältnismäßig kurzer Aufenthalt 
in Düffeldorf ihm all das brachte, was er zeitlebens erfehnte: 
den ftürmifchen Enthufiasmus und die Begeifterung felbft recht 
kühl denkender Männer für feine Werke und feine Perfon. 
Man batte Gelegenheit, das Modell des Bauwerkes »Tieb’ Waren 
haus« anläßlich der Baukunftausftellung in Wien zu feben, und 
Olbrich veröcherte uns, beftimmt zum Kongreß am 18. Mai 1908 
zu erfcheinen. War es nun fein unbezähmbarer Arbeitseifer, 
oder feine künftlerifche und ökonomifebe Gewiffenbaftigkeit, oder 
die befürchtete febwere Entbindung feiner Frau, oder gar eine 
leife Mahnung feines beginnenden Leidens, Olbrich ift zum 
Kongreß nicht erfchienen. Maler Clarenbacb, fo fchreibt mir 
mein ehemaliger Schüler Roßmann, traf Olbrich Montag morgens 
den 3. Auguft als gealterten Mann, der eben dabei war, fich mit 
Aufbietung aller Kräfte mühfelig anzukleiden, und auf alle 
Fragen nur leife Antworten lifpelte, eins aber noch durchaus 
wollte: arbeiten. □ 
Jebb wo der Tod diefe Riefenkraft gebrochen, kann die Welt 
erfahren, daß fein Ehrgeiz und fein Arbeitseifer maßlos waren 
und daß er kurz vor feiner Erkrankung zu einer bekannten 
Dame fagte, daß all feine Arbeit bis jebt nur ein winziger 
Bruchteil von dem fei, was er leiften werde, leiften müffe. □ 
Der Künftler ftarb Sonnabend, den 8. Auguft 1908, nach 
mittags 1 U2 Uhr. Die vietfeitigen Anfinnen, die an mich geftellt 
wurden, über Olbrich zu febreiben, laffen mich vermuten, daß 
es die Allgemeinheit intereffieren dürfte, mein refpektive unfer 
Urteil übet den Künftler zu vernehmen. n 
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