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Volltext: Alte und Moderne Kunst III (1958 / Heft 7 und 8)

den getönte und verschleierte Lichtzonen gliedern, eine echte 
Durchgcistigung des Malens deutlich, wodurch eben dieses erst 
in den Bereich der Kunst erhoben wird. 
Mochtcn daher vielleicht zu früheren Zeiten die Llntcrscheidun- 
gen „Abstrakt" und „Gegenständliclf bedeutungsvoll gewesen 
sein, heute hat - und auch das ist eine durch die Bicnnale gründ- 
lich belegt-e Lchrc - nur noch die Unterscheidung zwischen bild- 
nerischcr Gestaltung und Durchgeisiigung der Mittel, Methoden 
und Materialien cincrs ts und ihrer totalen Emaniziptttion 
andrerscits einen Sinn. Die bloße Naturkopie ist ohnedies längst 
aus den Kunstmaßstiiben ausgeschieden und gehört nur nnch zu 
den Weide-platzen der Hilflosigkeit, in welcher Eigenschaft sie 
auch von der „Sowjctkunsf in Bereitschaft gehalten werden. 
Vor dem Maßstab der sensiblen und durchgeistigten Gestaltung 
aber ist zwischen Wols, Tobcy und Rothko, dem im deutschen 
Pavillon gezeigten frühen Kandinsky, (1909-1914), dem 
„B-SW-SB" genannten Bilde von Thiclcr und denen von Sonder- 
borg im gleichen Pavillon auf der einen und der schönen, leider 
nur zu kleinen und lichtmäßig benachteiligten Retrospektive 
für Gustav Klimt im österreichischen Pavillon auf der anderen 
Seite kein Prinzipieller Unterschied. Da reihen sich ferner die 
Retrospektiven für den vom Kubismus herkommenden Brasilia- 
ner Lasar Segall, den expressiv-dekorativen Belgier Brusselmans, 
die Italiener Rosai, Giarizzo und Vagnctti, die Kollektiven für 
den archaisch-naiven Massimo Campigli, den Nachimpressioni- 
sten Raymond Legueult bei den Italienern und Franzosen oder 
gar die große, bedauerlicherweise nicht völlig überzeugend aus- 
gewählte Kollektive Georges Braqucs im italienischen Haupt- 
pavillon gebührend, wenn sicher auch mit Grad- und Rzmgun- 
terschieden. ein. Auch die kraftvollen Bilder eines Gerrit Bonner 
bei den Holländern, die kleinen frühen abstrakt-konstruktiven 
Arbeiten des erstaunlicherweise zum Hauptpreistriiger für Ma- 
lerei crwähltcn Oswaldo Licini, der sonst ein wenig epigonisch 
wirkt, ferner einige überraschend persönlich wirkende Einzel- 
bilder aus der internationalen Gruppe der jungen wie die des 
Franzosen Paul Rcbcyrollc, der Italiener Borsalo, Caraceni und 
Tabusso, oder die bei allem Primitivismus bemerkenswerten 
„Stillebcn" von William Scott im englischen Pavillon gehören 
zweifellos dem Bereich der malerischen Gestaltung zu. 
In der Graphik rufen der Engländer S. W. Hayter mit seinen 
durch verschiedene Bildcbenen in den Raum hinausgreifcnden 
Gravürcn und der koboldhaft bewegte, herzhafte Däne Palle 
Nielsen den stärksten Eindruck wach. Aber auch im österrei- 
chischen Pavillon weiß L. H. jungnickel mit scincn manchmal 
geradezu ostasiatisch wirkenden Tiicrdarstcllungen zu fesseln, 
während Hans lironius durch die wahrscheinlich den Bildnis- 
köpfen des Plastikers Georg Ehrlich angepaßte Beschränkung 
auf seine imaginären und realen Porträts verliert. Der Belgier 
j. Lismonde und der Italiener Luigi Spacal weisen ebenfalls eine 
saubere, am Architektonische-n orientierte Graphik vor. 
Bei den Plastikern wird der Rang Ehrlichs, der immerhin mit 
Lehmbruck und Barlach zusammen ausgestellt hat, am besten 
an einigen seiner Porträtköpfc und an dem liegenden Knaben 
sichtbar. Unter den expressiven Plastikern stehen an erster Stelle 
der Belgier Roel dTIaesc mit seinen phantasiereichcn, an Hiero- 
nymus Boseh gcmahnenden dämonischen Gestalten in Bronze 
und der Amerikaner Seymour Lipton mit seinen seltsam pflan- 
zenhaftcn Gebilden, ferner der ein wenig maniricrt-primitivc 
Engländer Armitage und der eine Art Rippenzeichnung, auf fla- 
chem Bronzcgrund betreibende Italiener Umbcrto Mihtni. l)cn 
großen Plastikprcis erhielt jedoch der an futuristische Bewe- 
gungsdarst-ellung erinnernde Umberto Mastroianni, dessen Ar- 
beiten breitstacheligen Kakteen iihneln. 
Über die „Ex0tcn" läßt sich zur Zeit noch wenig sagen, denn sie 
haben noch kein eigenes Gesicht. Von den Ländern hinter dem 
eisernen Vorhang aber fügen sich nur Polen in gemessener 
Form und Jugoslawien mit erstaunlicher Vehemenz in die west- 
liche „Kunstgebarung" ein, wobei der Maler Edo Murtic, der in 
Rcnalo Barium. geb. 1927, Italien, „Luna-Park", Aquarell 1957.58. -- 
Borsato, der auch schon einmal in dcr Ausstellung „50 Jahre Malerei in 
Venedig" im französischen Saal des Künstlerhauscs zu sehen war, geht 
voncinei- reichen Farbigkeit aus. Aufdicscm ziemlich großen Bilde domi- 
nieren schwarz, nachthlau, gelb, wcill und orange, und eben in den far- 
bigen Klang hat sich dann gleichsam die Figur des "Riesenrades" 
hineingezuichnct. 
Wicn schon einmal bci Würthle ausgestellt war, farbig und for- 
mal bcachtlichc abstrakte Landschaftsimpressionen zeigt. - 
Unwillkürlich nun stellt sich abschließend die Frage, welche 
Chancen der Kunst der freien Länder bleiben. Dic Antwort 
hiingt von den inneren Reserven abJBewahrt sich mit dem Wil- 
len das Vermögen, und mit dem Vermögen auch der Wille, alle, 
selbst die radikalsten Erschütterungen und Umpflügungen des 
bildnerischcn 'l'errains lrühcr oder später wieder abzufangen, sie 
in der Gestalt zu meistern, bewahrt sich also letztlich die stets 
aufs neue zu erobcrndc Aufgchobcnheit des Bildens in der Htt- 
manität als seinem selbstverständlieh-wertlosen Maß, dann kann 
nichts pa. "cn. Wird hingegen eine solche Aufgehobcnheit 
preisgege n, ja geradezu als „rcttktionäres Vorurteil" verspot- 
tet und negiert, dann wird es unter Umständen gar nicht einmal 
mehr so lange dauern, bis der Sowjctpavillon die Marschroute 
diktiert. Und es ist noch nicht entschieden, wer sich diesem Dik- 
tat am schnellsten beugt, die notorischen Avantgardisten oder 
die gcstaltvcrantwortlichen Künstler. Die nächsten Biennalen je- 
denfalls werden schon etwas weiter blicken lassen. 
  
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