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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXII (1977 / Heft 152)

ger Erzbischöfe im 12. Jahrhundert. Konrad III. 
(1177-1183) ist der erste, der mit der „modernen" 
Form der Mitra, d. h. mit den Schilden vorne 
und hinten, dargestellt wird". Das gleiche Er- 
gebnis zeitigt eine Befragung der SalzburgerMi- 
niaturen. Erst im vierten Viertel des 12. Jahrhun- 
derts, im Orationale aus Sankt Erentrud, wird 
die Mitra in der Gestalt der Rupertus-Mitra 
dargestellt und zwar so genau, daß man meinen 
könnte, sie sei vorbildlich gewesen. 
Damit ist eine gesicherte Dotierung der Ruper- 
tus-Mitra gewonnen. Ihre palermitanischen Fa- 
nones gehören zu einem Schatz von orientali- 
schen und islamischen Stoffen und Elfenbein- 
arbeiten, viele sind noch heute in Salzburg er- 
halten, wie ihn damals wohl manche bedeu- 
tenden süddeutschen und österreichischen Kir- 
chen und Klöster besaßen. Wie das Ornament 
des Salzburger Henkelkelches zeigt, scheint die- 
ser Einfluß hier besonderen Anklang gefunden zu 
haben. 
Die Goldborte mit der Inschrift jedoch wurde, 
wie wir sahen, von einem gelehrten Auftragge- 
ber für die Mitra bestellt. Sie unterscheidet sich 
von der palermitanischen Kunstindustrie. Ich neh- 
me an, daß sie, wenn nicht in Salzburg selbst, 
dann in einem süddeutschen Zentrum, jedenfalls 
nördlich der Alpen angefertigt wurde. Für Salz- 
burg spricht die Einbettung in eine Gruppe von 
Paramenten, die für uns mehr oder weniger 
deutlich mit dem Dorn und Sankt Peter ver- 
bunden sind". 
Deutung und Bedeutung. 
Entstehung und Wandel der Formen mittelalter- 
licher Kunstwerke zu begründen ist außerordent- 
lich schwierig. Die Deutung durch die nachträg- 
lichen Exegeten ist meist so vielfältig und ver- 
wirrend, daß sie für die Klärung der Genese 
nichts nützt. Es ist daher dringend geboten, 
diese sekundären Quellen von den primären 
Zeugnissen zu trennen. Auskunft über die Ent- 
stehung und Bedeutung gibt die Form selbst, In- 
schritten und die Liturgie. 
Warum hat die Mitra des Bischofs cornua, Hör- 
ner? Die Hauben der spätantiken Kaiserinnen 
mit den seitlichen Ausbuchtungen können bei 
der Ausbildung dieser Form keine große Rolle 
gespielt haben. Schramm versucht die Mitra cum 
cornibus auf eine Verwechslung mit der Mitra 
cum coronulis (Exodus 39, 26) zurückzuführen. 
(Coronuli 2 Wülste.) Schramm I (Anm. 3), S. 61, 
Anm. 5. 
Das ist unhaltbar. Den richtigen Schlüssel bietet 
die Weihe der Mitra, die vom 11. Jahrhundert 
bis hin zur Gegenwart auf Moses bezogen wird. 
In einer Reichenauer Handschrift des 11. Jahr- 
hunderts heißt es „ad mitram benedictio" „hoc 
typicum priscorum potrum insignie per cornua 
Moyses famuli tui utrumque testamentum figurare 
declarans"? Ähnlich, nur etwas wortreicher, 
heißt es noch heute bei der Weihe der Mitra 
am Ende der Bischofsweihe im Pontificale vom 
Anum. Ich zitiere nach P. Braun (1898, S. 6 
(Anm. 3]). Nach der Bitte um den Segen der 
Mitra und Besprengung derselben mit Weihwas- 
ser wird dieselbe mit folgendem Gebet dem 
neuen Bischof auf das Haupt gesetzt: „Wir 
setzen, o Herr, auf das Haupt dieses Deines 
Bischofs und Kämpen den Helm des Schirmes und 
des Heiles, auf daß er den Feinden der Wahr- 
heit durch des Angesichtes Schmuck und die 
Rüstung des Hauptes, die Hörner beider Testa- 
mente, schrecklich erscheine und unter Deinem 
Gnadenbeistande machtvoll gegen sie streite, 
der Du Deines Dieners Moses Angesichts da- 
durch, doß Du zu ihm geredet, mit Zier über- 
gegossen und durch die lichtstrahlenden Hörner 
Deiner Klarheit und Wahrheit ausgezeichnet 
14 
sowie auch das Haupt Aarons, Deines Pontifex, 
mit der Tiara auszustatten geboten hast." Aus 
beiden Stellen geht klar hervor, worauf die Ge- 
stalt der Mitra mit den carnua auf die Hörner 
des Moses zurückgeht, welche ihrerseits die 
beiden Teile des Gotteswortes, die beiden Testa- 
mente, symbolisieren. 
Die Beziehungen der Mitra zu den Geschehnis- 
sen und Vorschriften im Buche Exodus ist damit 
deutlich erwiesen. Moses selber wird zunächst 
auch nicht „gehörnt" dargestellt, sondern, so- 
weit wir wissen, erst seit dem 12. Jahrhundert. 
Ein frühes Beispiel dieser merkwürdigen Dar- 
stellungsweise, die bis zu Michelangelo frucht- 
bar blieb, ist die Admonter Riesenbibel, um 
1150, Fol. 71, die uns wieder in unseren Raum 
zurückführt. Eigentlich geht das Bild des ge- 
härnten Moses auf einen Übersetzungsfehler der 
Vulgata zurück. Exodus 34,2 berichtet, wie Mo- 
ses vom Berge Sinai herabstieg mit den beiden 
Tafeln, nachdem er mit Gott geredet hatte... 
„et ignorabat quod cornuta esset facies sua 
ex consortio sermonis Domini. Videntes autem 
Aaran et filii Israel cornutam Moysi faciem, 
timuerunt prope accedere". Deswegen mußte 
Moses sein Angesicht verhüllen. Der wirkliche 
Sinn dieser Stelle ist klar. Das Gesicht Mosis 
strahlte von dem unerträglichen Lichte Gottes. 
Der Übersetzungsfehler der Vulgata führte nicht 
nur zu den Darstellungen des gehärnten Moses, 
sondern zur mittelalterlichen Form der bischöf- 
lichen Mitra. 
Hierauf nehmen die Inschriften der Salzburger 
Mitra direkt Bezug. Beide Texte in titulo handeln 
von der heilbringenden Kraft der Hörner: Die 
Hörner der Gerechten sollen erhöht werden, und 
Gott ist das Horn meines Heiles. Alle drei 
Sprüche sind dem Psalter entnommen. Auch 
Psalm 56,2, wo vom Schatten der Fügel Gottes 
die Rede ist, ist auf Moses und die beiden 
Testamente zu deuten. Hinter diesem Bilde mag 
bereits im Psalter die Vorstellung eines geflügel- 
ten Schutzhelmes stehen, wie er uns auf antiken 
und orientalischen Darstellungen begegnet. (Vgl. 
auch Eph. 6,17 „Galea salutis"). Es bleibt unge- 
wiß, ob auch die beiden Tierkreiszeichen in die 
so wohldurchdachte Symbolik einbezogen sind. 
Bei dem Capricornus wäre dies wohl möglich". 
Während in der Frühzeit der Mitra die Symbolik 
der Form mit den beiden seitlichen cornua noch 
ganz deutlich war, ist sie bei der späteren Ge- 
stalt, zu der auch die Salzburger Mitra gehört, 
nicht mehr so klar und verliert sidn bei den 
steilen und oben zusammengeschlossenen Spät- 
formen der Gatik immer mehr. Daß aber am 
Beginn dieser Entwiddung die Vorstellung von 
den Hörnern noch ganz lebendig war, beweisen 
unsere Inschriften. Der spätere Schmuck der Mi- 
tren wird mit anderen heiligen Gegenständen 
austauschbar, und die Anrufungen der Sprüche 
können sich an die Gottesmutter wenden. 
Die Rupertus-Mitra des Salzburger Domschatzes 
ist das einzige uns erhalten gebliebene Zeugnis, 
das durch die Inschrift die Bezüge der Lichthör- 
ner des Moses zur Form der Mitra ganz deut- 
lich macht. Das sagen diese lnschriften vielleicht 
gerade an dem Wendepunkt aus, wo die Form 
selber durch die Umdrehung und die Verwand- 
lung der Hörner in krönende Schilde den ur- 
sprünglichen Sinn nicht mehr so deutlich zum 
Ausdruck bringt. 
1' ' Anschrift des Autors: 
Univ.-Daz. Dr. Wiltrud Topic-Mersmann 
Kunsthistorisches Institut der 
Universität Salzburg 
Zillnerstraße 6 
5020 Salzburg 
Anmerkung 19 ff-30 (Anm. 19-26 s. S. 12, 13) 
Stickerin war Alpheidis, Schwester Karls des KaI 
Farbige Abb. bei W. F. Volbach, II tessuta nelll 
antica, Mailand 1966, Nr. 6B. - Aus dem Beginn 
10. Jahrhunderts die Gewänder aus dem Grabe des 
Cuthbert, Abb. 11-13 bei Schütte-MÜller-Christe 
(Anm. 3). 
n Das Zitat noch Müller-Christensen, Fa st rab, S. 7B. 
allgemein über Borten und Bänder  6 ff. Abb. 
56 sowie 102 und 103. Zeichnung der Borte vom M: 
der Kunigunde dies., Gewänder 5. 20. 
"Abb. RDK I, Sp. 95-93, Abb. 13 und 14. RDK II, Sp. 
Abb. 3. - Borten des 12. Jahrhunderts, meist mit 
Schriften: Bernulphus-Alba und Mani el, Utrecht. ß 
Falke l, 194-6 (s. Anm. 3). - Sog. tola des Johai 
Ev. in Andechs, Müller-Christensen, Gewänder, Nr. 3 
Ferner Bock ll (s. Anm. 3) T. V und T. XVlll (Text z 
13,3, S. B0). 
"Aufzählungen von palermitanischen Stoffen und BC 
bei Deer (s. Anm. 3) s. 62 mit Anm. - u. Monnere 
Villard, La tessitura palermitana sotto i normanni 
suoi rapparti con l'arte bizantina, Miscellanea G. Me 
ti, Roma 1946 (separat in Studi e testi No. 123). Aud 
Lipinsky, Das Münster 10, 1957, 73 f. und 153 f. Sizili 
sChe Goldschmiedekunst im Zeitalter der Normannen 
Staufer, bes. S. 76 f. und chronologische Tabelle S. IBÄ 
7' Zur Wiener Schatzkammer und den Herrschergewänd 
Hermann Fillitz, Die lnsignien und Kleinodien des H 
gen Römischen Reiches, Wien 1954. P. E. Sdiramm 
Flarentine Mülheridt, Denkmale der deutschen Könige 
Kaiser 763-1250, München 1962. Vgl. auch Lipinsky 
Anm. 22). Die Inschrift des Gurtes zum Reichssdiwert 
das gleiche umgedrehte s wie unsere Mitra. Dadi ISf 
selbe auch bei den Umschriften der Halberstädter I 
teppiche zu beobaditen (S. Anm. 21). 
" Rupertus-Kasel aus St. Peter in Boston: UKT Xll, T. 
Ferner: G. Townsend, A 12th century chasuble, Bull. ol 
Museum of fine Arts, Boston, Mass. XXXIII, 1935, 5. 
Rupertus-Kasel auch Müller-Christensen, Papstgrabr 
61 mit Anm. 2B, 29. Dotierung der Inschrift durch 
Bisdioff. 
75 Grundlegend; Franz Fuhrmann, Das romanische Mar 
tympanon im Salzburger Museum, Jahresschrift 1959, s 
burger Museum Carolina Augusteum, 49 f. 
7' Hier sind besonders die Arbeiten von H. Fillitz n 
legend. Ferner: Vinzenz Oberhammer, Bild und cl 
auf dem Kommuniankeldi aus der Erzabtei St. Pete 
Salzburg, Festsdirift Theodor Müller, München 1965, 
Katalog des Kunsthistorischen Museums in Wien, Plc 
und Kunstgewerbe I, Mittelalter, bes. Kot. 70 und 
Katalog Krems 1964, s. Anm. 1. 
77 Vgl. Fuhrmann (s. Anm. 25) Tafel 14. 
Georg Swarzenski, Die Salzburger Malerei, Slutti 
19692, T. 22, 3. 36, 292, 5B, 293. 94, 319. 103, 343. 
356, 111, 379. 126, 427. 130 436. 131, 440. I 
1' Hier müßte eine genaue technische Analyse einset 
wie sie 5. Müller-Christensen in ihren Arbeiten beis; 
haft angebahnt hat. Aufgrund des zu rekonstruieren 
Herstellungsvorgonges und der Qualität des Goldfac 
rnußie es möglich sein, unsere Borte von den pc 
mltanlschen zu unterscheiden. Der Vergleich mit den 
deren Salzburger Paramenten wird leider dadurch 
schwert, daß sie sich nun in Amerika befinden. 
1' Gerbert, man. m. alemannicae 11, zitiert nach Eichmr 
1942 (s. Anm. 3), S. 145, Anm. 145. 
"Vgl. Lexikon der christlichen lkono raphie, „Moses" 
Zodiakus. Abb. des gehörnten oses der Admo 
Bibel (zweites Viertel 12. Jahrhundert) bei Swarzen 
(s. Anm. 27) T. 3D, 103.
	        
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