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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXII (1977 / Heft 153)

bis dahin unbekannte Spannweite der motivi- 
schen und rhythmischen Variationsmöglichkeiten. 
ln Kremsmünster wird diese Variabilität und 
ihre perspektivisch-malerische Struktur bei den 
Durchblicken aus dem Mittelschiff in die Ge- 
wölbezone der Seitenschiffe ersichtlich. Völlig 
der Architektur zugeordnet erscheint die Gir- 
lande unterhalb des Gesimses im Mittelschiff, 
in aufgelockerter Form an den Bogenunterzü- 
gen der Mittelschiffsarkaden und frei rhythmi- 
siert an den Außenwänden der Seitenschiffe. 
Die rhythmisch geschwungene Girlandenform 
wiederholt sich verkleinert in den verräumlich- 
ten Kartuschen auf den Bogenscheiteln des Mit- 
telschiffs, womit eine rhythmische Korrespon- 
denz zu den Ausbuchtungen der Balustrade über 
dem Gesims verbunden ist (Abb. 14). Diese 
räumlich übergreifende rhythmische Korrespon- 
denz des Girlanden- und Balustradenmotivs bil- 
det die grundlegende Verwandtschaft mit der 
Kuppelstukkatur Barbarinos in der Servitenkir- 
che Wien. Dort wiederholen sie den längsava- 
len Raumgrundriß und sind zugleich als über- 
greifende Rahmenform bzw. als Bildsackel den 
Deckengemälden zugeordnet (Abb. 15). Die Ge- 
samtröumlichkeit der Girlande kommt in Krems- 
münster vor allem dadurch zustande, daß sie 
van den Bogenunterzügen der Mittelschiffsarka- 
den und zwischen den Gewölbeiochen der 
Seitenschiffe auf die Kapitellzone übergreift und 
von dort an den Außenwänden in die Ge- 
wölbedekorationen hinüberführt (Abb. 16). Da- 
durch wird in den andersartigen Gegeben- 
heiten eines mittelalterlichen Raumes dassel- 
be erreicht wie im Ovalraum der Wiener Ser- 
vitenkirche, nämlich eine ornamental instrumen- 
tierte nicht abreißende Bewegung, die alle Raum- 
teile miteinander verbindet. In diesen verschie- 
denen Raumbereichen wird die Girlande einer 
ständigen motivischen Variation und einer sol- 
chen in der plastischen Stärke unterworfen, wo- 
bei das optische Prinzip der Untersicht im Hin- 
blick auf die Deckengemälde konsequent einge- 
halten wird. Die Gewölbestukkaturen der Seiten- 
schiffe verwirklichen dieses Prinzip der raumpla- 
stischen Differenzierung und des ständigen Mo- 
tivwechsels aufgrund ihrer Nahsichtigkeit am 
konsequentesten (Abb. 17). Auf engstem Raum 
erscheinen hier zwischen den Bogenunterzügen 
und Deckengemälden die verschiedensten 
pflanzlichen Motive in wechselnder plastischer 
 
Stärke, so daß ein kontinuierlicher optischer 
Ablauf zum Bildraum der Deckengemälde ent- 
steht. Das Prinzip des ständigen Motivwechsels 
finden wir bei der Kuppelstukkatur der Wiener 
Servitenkirche an den Übergängen von den 
Stichkapppen und Zwirkeln zum Kuppelscheitel 
besonders prägnant ausgebildet (Abb. 18). Das 
rhythmische Zusammenspiel der verschiedenen 
Girlandenmotive mit den Draperien und figür- 
lichen Elementen zeigt in Kremsmünster bei den 
Eckdekoratianen am Westende der Seitenschiffe 
die engste Verwandtschaft mit der Servitenkir- 
che. Die eckverschleifende Gewanddrapierung 
der Stuckplastik, das Verhältnis ihres Hauptes 
zu den vom Gewölbegrat herabhängenden 
Blattstäben und die von dort ausgehenden Rah- 
men- und Gratornamente in jeweils andersarti- 
gen naturalistischen Formen veranschaulichen 
den Motivwechsel und die raumplastische Dif- 
ferenzierung in Reinkultur (Abb. 19). Besonders 
charakteristisch für Barbarinas Ornamentstruk- 
tur an diesen räumlichen Übergängen und Ge- 
lenkpunkten sind die Kartuschen, die sich über 
den Jochtrennungsbögen der Seitenschiffe aus 
den Gemälderahmen lösen und von denen bei- 
nahe freiräumliche Kelchblattgirlanden herab- 
höngen (Abb. 20). Funktionell und motivisch 
entsprechen sie völlig den Kartuschen zwischen 
den Fensterscheiteln und Stichkappen in der 
Kuppel der Servitenkirche. An dieser Stelle er- 
kennt man die räumliche Aufgliederung und 
Lösung des Rahmenornaments zu einer vor der 
Architektur und den Deckengemälden beinahe 
schwebenden Schicht mit rhythmisch-räumlicher 
Eigengesetzlichkeit als die beherrschende Struk- 
tur der Stuckdekoration in der Stiftskirche Krems- 
münster. Aufgrund der damit gegebenen s 
turellen Identität mit der Kuppelstukkatur i: 
Servitenkirche Wien ist der Gesamtentwur 
Kremsmünsterer Stuckdekoration Giovanni 
tista Barbarino zuzuschreiben. 
Die oben beschriebene Aufgliederung des 
menornaments finden wir strukturell und 
visch eng verwandt über den Eingangsk 
zum Altarraum im Mausoleum von Ehrenhi 
(Entwurf: Joh. Bernhard Fischer v. Erlach. 
führung: Alexander Serenio, um 1689190. 
21W. Die Übereinstimmung mit den Stuck 
ratianen Barbarinas ist verblüffend. Doch 
aus einen direkten Einfluß Barbarinos a: 
scher v. Erlach abzuleiten, wäre voreilig 
für beide Meister eine gemeinsame strukt 
Vorstufe in Rom nachgewiesen werden 
Die Abschlußkapelle des linken Seitens: 
in S. Larenzo in Damaso besitzt eine von 
da Cortona entworfene Gewölbestukkatur 
1635)", welche die verräumlichende Aufg 
rung des Rahmens mittels Festons unter l 
ziehung vallplastischer Engel zeigt (Abb 
Die Rahmen- und Girlandenstukkatur ir 
Attikazone der Seitenapsiden von Kremsm 
stimmen mit Cortonas Dekoration struktui 
einem Maße überein, daß sein bestimm 
Einfluß hier offenkundig ist (Abb. 23). Die 
terentwicklung dieser Ornamentstruktur be 
tona erfolgt in den Stuckdekorationen dr 
lazzo Pitti zu Florenz (1643-1647)". Be 
tet man die stilgeschichtliche Situation der 
dekorotion in Rom um 1640, so stößt ma 
die Tendenz zur Lockerung der strenger 
dung an die Architektur auch bei Borr 
Das abgebildete Stuckdetail mit der lebl 
Ornamentierung des wulstförmigen Flachki 
rahmens im Palazzo Falconieri veranschx 
die beginnende räumliche Lösung und de 
mit verbundenen Motivwechsel (Abb. 24). l 
selbe Richtung weisen die zwischen Archi 
figürlicher Dekoration und Gemölderahme 
gespannten und mit diesen großen Formel 
trastierenden Voluten und Blattranken, I 
den Gewälbezwickeln der Seitenschiffe i 
Stiftskirche Kremsmünster erscheinen (Abi 
Die strukturelle Übereinstimmung in der 
mischen Gelöstheit des kleindimensioniertr 
naments an einer Stelle starker raumplas 
Spannungen mit dem abgebildeten Stucl- 
aus Borraminis S. Maria dei Sette Dali 

	        
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