darstellt, reißt Manets Gemälde die Spannung
zwischen der Schrecklichkeit des Geschehens und
dern ästhetischen Medium des Bildes auf, das
dadurch darstellt und zugleich als Darstellung
denunziert wird. An die Stelle mexikanischer
Soldaten in der ersten Bildfassung hat Manet
schon in der zweiten von mehreren Fassungen
französische Soldaten gestellt, die ihm ein be-
freundeter Oberst als Modelle auslieh - während
in Wirklichkeit Franzosen auf der Seite Maxi-
milians kämpften. Nichts als Treue des Sehens
(statt historischer Treue] ist intendiert, aber ge-
rade dadurch entsteht der Gegensatz zwischen
Suiet und malerischer Behandlung. Ist das neu-
gierig versunkene Zuschauen des Kindes in der
Mitte vielleicht das Grausamste des Bildinhalts,
so ist das Grausamste des Bildes die Harmonie
und Schönheit im Vorzeigen des Gräßlichen und
Dissananten, die Verwandlung des schrecklichen
in Kunst, die im Bild untergründig thematisch
erscheint. Es zeigt Zuschauer aus einer freund-
lichen Welt, dem Sensationellen in gespannter
Hingabezugeneigt,und es ist selbst emotionsiose
Hingabe ans Schauen. Aber indem es seinen
Widerspruch vorweist, widerspricht es auch dem
Gezeigten und sich selbst in stiller, nachdrückli-
cher Intensität.
Wieder ein Spanier, Pablo Picasso, setzt in
seinem „Massaker in Korea" von 195i die Linie
Goya - Manet fort, indem er beide Massaker-
gemälde aufeinander bezieht. Die Gruppe der
Schießenden ist bei ihm zu einem Block der
Bedrohung zusammengeballt wie bei Goya.
Während Manets Soldaten eher lässig entspannt
zielen und schießen, nehmen Picassos Schützen
mit weit gespreiztem Schritt die gleiche brutal
konzentrierte Stellung ein wie die Goyas. Aber
zugesellt ist ihnen eine Figur, die, halb von
den anderen abgewandt, an Manets Sergeanten
erinnert, nur daß bei Picasso dieser Abgewandte
sich im Oberkörper schraubenförmig mit drohend
spitzem Schwert zu den Opfern zurückdreht.
Statt der Männer bei Goya und Manet werden
bei Picasso Frauen erschossen, und die zu-
schauenden Kinder Manets sind bei ihm wie die
Frauen nackte Opfer geworden - eines von
ihnen unbewußt mit Bällen auf dem Boden spie-
lend, dessen Kopf in der Draufsicht von oben
selbst nur ein Ball zu sein scheint. Offensichtlich
variieren nun Picassos Frauen die Haltung der
Hingerichteten auf Manets Gemälde. Die fast
frontal zum Betrachter stehende Frauengestalt
steht gelassen wie der Kaiser, und sie reicht wie
er dem rechten Nachbarn die Hand. Die linke
der vier Frauen entspricht in der starren Haltung
mit dem aufgeworfenen Kopf der linken Figur
in Manets Bild. Wie bei Goya korrespondiert
das Spiel der großen Hände der zu Erschießen-
den der Drohung der Waffen bei den Exeku-
tanten. Besonders auffällig ist die Beziehung
zwischen dem waagrechten Schwert und dem
waagrechten Arm der links stehenden Frau, die
sich verzweifelt in die Haare greift. Verschwin-
det bei Goya der menschliche Umriß unter der
martialischen Montur, so treibt Picasso diese
Tendenz auf die Spitze, indem er dick-metallene,
exotisch verzerrte Ritterhelme und Rüstungsteile
mit den nackten menschlichen Körpern der Hen-
ker roboterhaft zusammenwachsen läßt. In der
Bewaffnung - Schwert, primitiv geformte, dabei
zum Teil mehrläufige Gewehre und die gedrehte
Keule des Schwertträgers, die seine Körper-
drehung aufnimmt - verschmelzen archaische,
mittelalterliche und moderne Kriegstechnik zu
einer Zeitlosigkeit und Ubiquität der Mordge-
räte, die der ebenso zeitlos ubiquitären Nackt-
heit der Opfer gleicht. Aus der Landschaft sind
Menschen und Bäume ebenso verschwunden
wie - bis auf spärliche Trümmer eines Hauses
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im Hintergrund - alle Spuren menschlichen
Bauens, menschlicher Behausung. Sie ist in der
gleichmäßigen Bläue des Himmels, die an die
Stelleder Totenschwärze bei Goya getreten ist,
das Teilnahmsloseste und Unmenschlichste, was
es gibt: Natur.
Primitivismus, Brutalität dringen bei Picasso auch
ins Bildprinzip ein, lassen die bei Manet und
Goya gleiche Perspektive verschwinden, die
kunstvolle Zueinanderordnung der Gruppen so-
wie den Hintergrund verflachen. ln der plaka-
tiven Reduzierung des Bildaufbaus durchdringen
einander die Dynamik Goyas und die Statik
Manets. Die nächtliche Mordszene Goyas, die
mild besonnte ExekuHonsszene Manets ist bei
Picasso völlig atmosphäre- und stimmungslos
geworden: nackte Landschaft, nackte Menschen,
nackter Vorgang. Picassos in seine kubistische
Periode zurückreichende Technik der Umrißde-
formation und kleinräumigen Flächenbrechung
wird zum Ausdruck der Deformation des Men-
schen in einem Korea, das ohne spezifische
Charakteristika immer und überall ist. Geht
Goyas Bild in der Darstellung des Unmensch-
lichen auf, tritt in Manets Bild ungerufen das
Unmenschliche des schauend Darstellens in den
Blick angesichts einer Wirklichkeit, vor der die
Augen zu schließen ebenso unangemessen ist
wie sie anzusehen, so macht Picasso Destruktion
zum konstruktiven Moment der Darstellung von
Destruktion. Die bei Manet beginnende Thema-
tisierung des Darstellens verschärft sich. Die
Kunst ist brutal, wie das, was sie vorzeigt, und
darin Mimesis der Täter; sie zerstört sich durch
Reduktionismus und Verzerrung, weil und indem
sie Zerstörung ansieht, und nimmt darin die
Partei der Opfer,
So weit ist der Weg zu den beiden Massaker-
bildern der Equipo Cronica, beides gemalte
Montagen aus dem Jahr 1974, von denen sich
die eine direkt auf Manet, die andere auf
Picasso bezieht. Die Manet-Version heißt „Der
Augenzeuge", ein offenkundig ironischer Titel,
denn an die Stelle der Zuschauer der Exekution
bei Manet ist eine aufgefaltete Titelseite der
Zeitung „Le Monde" getreten, der links im Vor-
dergrund eine kegelförmige, von ferne an den
menschlichen Körper erinnernde Figur mit Fal-
tenumhang korrespondiert. lhr schematisiertes
Auge starrt blidrlos aus dem Bild heraus, er-
faßt also die Hinrichtungsszene nicht. Der Rest
an menschlicher Teilnahme, und bestünde er in
noch so unverbindlicher Zuschauerschaft, ist da-
mit aus der Szene verschwunden. Der aus dem
Bild blickende, es gleichgültig überschneidende
Kegel signalisiert das optische Medium des Fern-
sehens, das in der telegenen Drapierung und
Aufbereitung seiner Bildmitteilungen, sogar op-
tischer Schocks, mehr publikums- als gegen-
standsbezogen ist. Die weltweite, ia Welt heißen-
de Zeitung macht das Ereignis zur Nachricht -
durch die Medien sind alle „Augenzeugen", aber
das heißt nichts anderes, als daß keiner Augen-
zeuge ist. Die Nachricht verliert in der Übermitt-
lung ihren Wirklichkeitsgehalt, und die Wirklich-
keit ist zur abstrakten Nachricht verfladit: Das
Medium ist die Botschaft. Entsprechen bei Manet
die wirklichen Augenzeugen auf dem Bild der
emationslosen Treue des Sehens, die den grau-
samen Vorgang in schöne gemalte Gegenständ-
lichkeit höchster Präsenz verwandelt, so treibt
die zitierende Malweise der Equipo-Cronica-Ma-
ler ihren Vorbildern die Kostbarkeit der Peinture
durch eine flache, unmodulierte Malweise aus.
Sie betont statt der Gegenständlichkeit den
Mediencharakter auch des gemalten Bildes.
Dabei nimmt die Manet-Reproduktion nicht
nur den Bildinhalt, sondern auch die Spannung
zwischen Bildinhalt und Darbietungsform auf.