7 Equipo Cronica, „Die Ungeheuer", 1974
setzt bekommen und trägt das gestaltlose Ent-
setzen dieses Bildes ins Bild. Das links daneben-
stehende halbwüchsige Mädchen zeigt die fürch-
terliche Fratze aus Salvadore Dalis „Vorahnung
des Bürgerkrieges", und zwar genau spiegelver-
kehrt zum hochgeworfenen Kopf der Figur ne-
ben dem Kaiser am linken Rand von Monets
Bild. Die dem Kaiser bei Manet entsprechende
Frau Picassos hat ein zur tragischen Maske
erstarrtes Frauengesicht von einem Theaterpla-
kat Kokoschkas aufgesetzt bekommen. Ein
schwarzes Haarbüschel am Hals scheint zur kreb-
sigen Geschwulst zu werden. Die nächste Ge-
stalt trägt einen Frauenkopf von Julio Gonzalez
- das schmerzzerissene Gesicht einer Bäuerin mit
Kopftuch. Auch die letzten beiden Figuren unter
den Opfern haben, kopflos, fremde Köpfe: das
an die Mutter geklammerte Kind den von Pi-
cassos weinender Frau aus dem Jahr T937,
Frontalansicht und Profil in vielfacher Facettie-
rung und Zersplitterung zur schmerzlichen Gri-
masse ineinandergeschoben, die Mutter selbst
statt des Menschenkopfes ein zugleich kopf-,
mund- und herzförmiges Gebilde Jaan Mirös,
das dem Erschießungspeloton ausdruckslos ent-
gegenbleckt.
Die Maler der Equipo Cronica montieren also
malend Picassos Gemälde miteinem Dokumentar-
foto und zitieren in der Montage Munch, Manet
durch Dali hindurch, Kokoschka, Gonzalez, Mirö
und nochmals Picasso, der seinerseits in seinem
Koreabild Goya und Manet zitiert, der sich
wiederum zitathaft auf Goya zurückbezieht. Aber
schon Goya dürfte auf eine ikonographische
Tradition anspielen. Die Hauptfigur unter den
Erschossenen, der Mann mit dem weißen Hemd
und den gespreizten Armen, erinnert an den
gekreuzigten Christus, und auch in anderen von
der Equipo Cronica zitierten Bildschichten sind
religiöse Reminiszenzen zu ahnen. Picassos Kom-
bination mordender Soldateska mit wehrlosen
Frauen und Kindern ergibt eine Metamorphose
des alten christlichen Motivs vom bethlehemiti-
schen Kindermord, Kokoschkas Plakat ist eine
Pieta-Parodie. Manets Hinrichtungsgemälde mit
dem HeiligenscheinstrohhutunddenVerklärungs-
pulverwölkchen enthält in den auf die Mauer-
brüstung wie auf einen Bilderrahmen gelehnten
und gestützten Kindern möglicherweise eine Pa-
rodie auf die Putten der Sixtinischen Madonna.
lst dieses Zitatgewebe Spielerei? Rebus? Bilder-
rätsel? Indem die Equipo Cronica in einer Poten-
zierung von Zitaten das imaginäre Museum der
europäischen Kunstgeschichte bis ins Mittelalter
beschwört, ballt sie Ausdrucksformen des Lei-
dens, des Opfers, der Verzweiflung, der Ver-
lassenheit zu einer fürchterlichen Dokumentation
der Unmenschlichkeit menschlichen Lebens, der
Zerfallenheit des Menschen mit sich selbst, die
Räume, Zeiten, Stile und - politisch-ideelle Fron-
ten übergreift. Wie in der Kreuzigungsikono-
graphie Christus dargestellt ist, so stellt Goya
den spanischen Kleinbürger im Todesaugenblick
dar. Wo bei Goya der Mann niederen Standes
als Opfer steht, steht bei Manet der Kaiser mit
seinem Gefolge, stehen bei Picasso nackte Frauen
und Kinder, denen von den Equipo-Künstlern
Kunstwerke als Köpfe aufgesetzt sind, die damit
auch quasi erschossen werden. Wie im mittel-
alterlich-christlichen Motiv des Totentanzes der
Tod reihum die Repräsentanten aller menschli-
chen Stände, Geschlechter und Altersgruppen
erfaßt, so entsteht hier ein neuartiger Totentanz
durch die Schichtung van Bildzitaten, nur daß an
die Stelle des Todes als einer metaphysischen
Sinnbild- und Sinnfigur der Mensch selbst tritt,
der den Menschen sinnlos anfällt, so wie an die
Stelle des erlösenden Opfers Christus der sich
selbst und seinesgleichen überlassene, erlösungs-
und hoffnungslose Mensch geraten ist.
Desgleichen ist die Kunst, seit dem Ende des
18. Jahrhunderts ein Erlösungssurrogat ersten
Ranges, bis zum Grund destruiert. Der Toten-
tanz erfaßt das Werk, das ihn vorführt. Die
Thematisierung des Kunstcharakters der Werke
ist bis zur letzten Konsequenz ihrer Selbstauf-
hebung getrieben, indem die bei Goya, Manet
und Picasso noch unterschwellig bleibende Zitat-
technik hier auf sich selbst durchsichtig gemacht
wird und in der Montage von Fotografie und
Gemälde auf der Ebene des Malens Realität,
Foto und Kunst einander vernichtend durch-
dringen. Nähert die Grisaille-Technik, mit der
die von Picasso übernommenen Personengrup-
pen schon bei diesem behandelt werden, das
Gemälde der Fotografie an, so verwenden die
Equipo-Cronica-Maler für den Schwarzweißfoto-
hintergrund ihres Bildes differenziert gestufte
Flächenfarben, die eine Annäherung der Foto-
grafie an das Gemälde bedeuten. Wenn im
Bildaufbau die Vertauschung des Schwarzweiß
der Fotografie mit der Farbigkeit des Gemäldes
in raffinierter Weise integrierend wirkt, ist es
doch eine lntegration, die mit dem gleichen
Raffinement die Disparatheit der Elemente be-
tont. Schon die Herauspräparierung des Me-
diencharakters der Bilder, die Betonung der
in ihnen stattfindenden Reduktion von Wirklich-
keit aufs abstrakte Zeichen einerabstrakten Kom-
munikation, tätet das Prinzip „Kunst", sofern es
auf der Einzigartigkeit und eigenständigen, ge-
gen iede kommunikative Mediatisierung sperri-
gen Wirklichkeitdes Bildes bestehLVor allem fällt
in der vielschichtigen Montageder Picasso-Adap-
tion das früher in sich geschlossene „aurati-
sche" Werk in Elemente verschiedener Reali-
tätsschidwten und Realitätsbezüge auseinander.
Indem aber die Kunst zur Konsequenz ihrer
Selbstaufhebung geführt wird, kommt auch ihre
bei Manet spürbare, bei Picasso sich verdeut-
lichende Doppeltendenz ans Ende: Die in den
Bildzitaten „erschossene" Kunst „tötet" auch ihre
Gegenstände und sich als" Form, indem sie in
den Bildzitaten Köpfe köpft und geköpften Kör-
pern aufsetzt. Sie zerstört das imaginäre Mu-
seum der Kunstgeschichte, das sie beschwört,
denn die Zitattechnik mit ihren Bildschnitten ver-
nichtet auch die Bilder, die sie heraufruft und
manipuliert. Die Verwendbarkeit der Bilder
äußert sich auch darin, daß sie in durchaus
verschiedenartige Bildzusammenhänge mit wech-
selnder Bedeutung eingebaut werden können.
Zum Beispiel tauchen das Mirö-Gemälde und
die Gewehrläufe Picassos noch in einem ande-
ren Gemälde der Equipo Cronica mit dem Titel
„Die Front" auf, zusammen mit einem Stück
Himmel van Goghs. Das Thema der Gewalt
und Vernichtung tritt so vollends über in die
Ebene der Form. Die Bilder des Massakers lau-
fen zusammen in der Massakrierung von Bildern.
Insofern auch dieses Massaker noch vorweisbar
und als Wand„schmuck" ausstellbar ist, zeigt
sich aber, daß das Dilemma des Verhältnisses
von Kunst und Wirklichkeit unhintergehbar ist,
denn der Zeigegestus im zerstörten Bild der
Zerstörung ist zwar Appell zum Beendigen aller
Zerstörung, doch zugleich auch Überführung des
Appells in die trotz allem noch dekorative Ge-
ste, die ästhetische Sensationen sogar in der
Selbstzerstärung des Ästhetischen freigibt. Noch
wo sich die Bilder selbst massakrieren, wird die-
ses Massaker - zum Bild.
[l Ansdiritt des Autors:
Unim-Prof. Dr. Gerhard Kaiser
Kapellenweg 39a
7800 Freiburgll. Br.
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