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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXII (1977 / Heft 154 und 155)

7 Equipo Cronica, „Die Ungeheuer", 1974 
 
setzt bekommen und trägt das gestaltlose Ent- 
setzen dieses Bildes ins Bild. Das links daneben- 
stehende halbwüchsige Mädchen zeigt die fürch- 
terliche Fratze aus Salvadore Dalis „Vorahnung 
des Bürgerkrieges", und zwar genau spiegelver- 
kehrt zum hochgeworfenen Kopf der Figur ne- 
ben dem Kaiser am linken Rand von Monets 
Bild. Die dem Kaiser bei Manet entsprechende 
Frau Picassos hat ein zur tragischen Maske 
erstarrtes Frauengesicht von einem Theaterpla- 
kat Kokoschkas aufgesetzt bekommen. Ein 
schwarzes Haarbüschel am Hals scheint zur kreb- 
sigen Geschwulst zu werden. Die nächste Ge- 
stalt trägt einen Frauenkopf von Julio Gonzalez 
- das schmerzzerissene Gesicht einer Bäuerin mit 
Kopftuch. Auch die letzten beiden Figuren unter 
den Opfern haben, kopflos, fremde Köpfe: das 
an die Mutter geklammerte Kind den von Pi- 
cassos weinender Frau aus dem Jahr T937, 
Frontalansicht und Profil in vielfacher Facettie- 
rung und Zersplitterung zur schmerzlichen Gri- 
masse ineinandergeschoben, die Mutter selbst 
statt des Menschenkopfes ein zugleich kopf-, 
mund- und herzförmiges Gebilde Jaan Mirös, 
das dem Erschießungspeloton ausdruckslos ent- 
gegenbleckt. 
Die Maler der Equipo Cronica montieren also 
malend Picassos Gemälde miteinem Dokumentar- 
foto und zitieren in der Montage Munch, Manet 
durch Dali hindurch, Kokoschka, Gonzalez, Mirö 
und nochmals Picasso, der seinerseits in seinem 
Koreabild Goya und Manet zitiert, der sich 
wiederum zitathaft auf Goya zurückbezieht. Aber 
schon Goya dürfte auf eine ikonographische 
Tradition anspielen. Die Hauptfigur unter den 
Erschossenen, der Mann mit dem weißen Hemd 
und den gespreizten Armen, erinnert an den 
gekreuzigten Christus, und auch in anderen von 
der Equipo Cronica zitierten Bildschichten sind 
religiöse Reminiszenzen zu ahnen. Picassos Kom- 
bination mordender Soldateska mit wehrlosen 
Frauen und Kindern ergibt eine Metamorphose 
des alten christlichen Motivs vom bethlehemiti- 
schen Kindermord, Kokoschkas Plakat ist eine 
Pieta-Parodie. Manets Hinrichtungsgemälde mit 
dem HeiligenscheinstrohhutunddenVerklärungs- 
pulverwölkchen enthält in den auf die Mauer- 
brüstung wie auf einen Bilderrahmen gelehnten 
und gestützten Kindern möglicherweise eine Pa- 
rodie auf die Putten der Sixtinischen Madonna. 
lst dieses Zitatgewebe Spielerei? Rebus? Bilder- 
rätsel? Indem die Equipo Cronica in einer Poten- 
zierung von Zitaten das imaginäre Museum der 
europäischen Kunstgeschichte bis ins Mittelalter 
beschwört, ballt sie Ausdrucksformen des Lei- 
dens, des Opfers, der Verzweiflung, der Ver- 
lassenheit zu einer fürchterlichen Dokumentation 
der Unmenschlichkeit menschlichen Lebens, der 
Zerfallenheit des Menschen mit sich selbst, die 
Räume, Zeiten, Stile und - politisch-ideelle Fron- 
ten übergreift. Wie in der Kreuzigungsikono- 
graphie Christus dargestellt ist, so stellt Goya 
den spanischen Kleinbürger im Todesaugenblick 
dar. Wo bei Goya der Mann niederen Standes 
als Opfer steht, steht bei Manet der Kaiser mit 
seinem Gefolge, stehen bei Picasso nackte Frauen 
und Kinder, denen von den Equipo-Künstlern 
Kunstwerke als Köpfe aufgesetzt sind, die damit 
auch quasi erschossen werden. Wie im mittel- 
alterlich-christlichen Motiv des Totentanzes der 
Tod reihum die Repräsentanten aller menschli- 
chen Stände, Geschlechter und Altersgruppen 
erfaßt, so entsteht hier ein neuartiger Totentanz 
durch die Schichtung van Bildzitaten, nur daß an 
die Stelle des Todes als einer metaphysischen 
Sinnbild- und Sinnfigur der Mensch selbst tritt, 
der den Menschen sinnlos anfällt, so wie an die 
Stelle des erlösenden Opfers Christus der sich 
selbst und seinesgleichen überlassene, erlösungs- 
und hoffnungslose Mensch geraten ist. 
Desgleichen ist die Kunst, seit dem Ende des 
18. Jahrhunderts ein Erlösungssurrogat ersten 
Ranges, bis zum Grund destruiert. Der Toten- 
tanz erfaßt das Werk, das ihn vorführt. Die 
Thematisierung des Kunstcharakters der Werke 
ist bis zur letzten Konsequenz ihrer Selbstauf- 
hebung getrieben, indem die bei Goya, Manet 
und Picasso noch unterschwellig bleibende Zitat- 
technik hier auf sich selbst durchsichtig gemacht 
wird und in der Montage von Fotografie und 
Gemälde auf der Ebene des Malens Realität, 
Foto und Kunst einander vernichtend durch- 
dringen. Nähert die Grisaille-Technik, mit der 
die von Picasso übernommenen Personengrup- 
pen schon bei diesem behandelt werden, das 
Gemälde der Fotografie an, so verwenden die 
Equipo-Cronica-Maler für den Schwarzweißfoto- 
hintergrund ihres Bildes differenziert gestufte 
Flächenfarben, die eine Annäherung der Foto- 
grafie an das Gemälde bedeuten. Wenn im 
Bildaufbau die Vertauschung des Schwarzweiß 
der Fotografie mit der Farbigkeit des Gemäldes 
in raffinierter Weise integrierend wirkt, ist es 
doch eine lntegration, die mit dem gleichen 
Raffinement die Disparatheit der Elemente be- 
tont. Schon die Herauspräparierung des Me- 
diencharakters der Bilder, die Betonung der 
in ihnen stattfindenden Reduktion von Wirklich- 
keit aufs abstrakte Zeichen einerabstrakten Kom- 
munikation, tätet das Prinzip „Kunst", sofern es 
auf der Einzigartigkeit und eigenständigen, ge- 
gen iede kommunikative Mediatisierung sperri- 
gen Wirklichkeitdes Bildes bestehLVor allem fällt 
in der vielschichtigen Montageder Picasso-Adap- 
tion das früher in sich geschlossene „aurati- 
sche" Werk in Elemente verschiedener Reali- 
tätsschidwten und Realitätsbezüge auseinander. 
Indem aber die Kunst zur Konsequenz ihrer 
Selbstaufhebung geführt wird, kommt auch ihre 
bei Manet spürbare, bei Picasso sich verdeut- 
lichende Doppeltendenz ans Ende: Die in den 
Bildzitaten „erschossene" Kunst „tötet" auch ihre 
Gegenstände und sich als" Form, indem sie in 
den Bildzitaten Köpfe köpft und geköpften Kör- 
pern aufsetzt. Sie zerstört das imaginäre Mu- 
seum der Kunstgeschichte, das sie beschwört, 
denn die Zitattechnik mit ihren Bildschnitten ver- 
nichtet auch die Bilder, die sie heraufruft und 
manipuliert. Die Verwendbarkeit der Bilder 
äußert sich auch darin, daß sie in durchaus 
verschiedenartige Bildzusammenhänge mit wech- 
selnder Bedeutung eingebaut werden können. 
Zum Beispiel tauchen das Mirö-Gemälde und 
die Gewehrläufe Picassos noch in einem ande- 
ren Gemälde der Equipo Cronica mit dem Titel 
„Die Front" auf, zusammen mit einem Stück 
Himmel van Goghs. Das Thema der Gewalt 
und Vernichtung tritt so vollends über in die 
Ebene der Form. Die Bilder des Massakers lau- 
fen zusammen in der Massakrierung von Bildern. 
Insofern auch dieses Massaker noch vorweisbar 
und als Wand„schmuck" ausstellbar ist, zeigt 
sich aber, daß das Dilemma des Verhältnisses 
von Kunst und Wirklichkeit unhintergehbar ist, 
denn der Zeigegestus im zerstörten Bild der 
Zerstörung ist zwar Appell zum Beendigen aller 
Zerstörung, doch zugleich auch Überführung des 
Appells in die trotz allem noch dekorative Ge- 
ste, die ästhetische Sensationen sogar in der 
Selbstzerstärung des Ästhetischen freigibt. Noch 
wo sich die Bilder selbst massakrieren, wird die- 
ses Massaker - zum Bild. 
[l Ansdiritt des Autors: 
Unim-Prof. Dr. Gerhard Kaiser 
Kapellenweg 39a 
7800 Freiburgll. Br. 
47
	        
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