Wolfgang Prohaskal Karl Schütz
Zur Rubens-Ausstellung im
Kunsthistorischen Museum
Wien
Wenn man Wien eine Rubens-Stadt nennt, so
konnte dies bis zum zweiten Weltkrieg noch
berechtigter gelten, da damals hier neben einer
Reihe inzwischen zum Teil zerstreuter Privat-
sammlungen die ungefähr 30 Rubens-Bilder des
Fürsten von Liechtenstein zu bewundern waren,
die sich nun in Vaduz befinden. Heute hat den
Hauptanteil derIWiener Bestände die Rubens-
Sammlung des Kunsthistorischen Museums mit
ca. 41 Gemälden, während die Akademie der
bildenden Künste ungefähr 16 Bilder des Mei-
sters besitzt; hinzu kommen die rund 60 als eini-
germaßen gesichert geltenden Handzeichnungen
der Graphischen Sammlung Albertina.
Der Reichtum an Werken des großen flämischen
Meisters sollte im Rubens-Jubiläumsiahr 1977
durch zwei große Ausstellungen in der Alber-
tina und im Kunsthistorischen Museum dem
österreichischen und internationalen Publikum
ins Gedächtnis gerufen werden, Ausstellungen,
die mit ihren Exponaten nicht nur fast alle Pha-
sen von Rubens' Entwicklung, so gut wie alle
von Rubens gebrauchten. Bildtypen und die Ar-
beitsgänge im Detail dokumentierten, die Rubens
bei der Vorbereitung seiner Bilder durchlief -
dies hatten sie z. B. auch, in allerdings quanti-
tativ geringerem Maß, mit der Rubens-Ausstel-
lung in Antwerpen gemein -, sondern auch
eine spezifische historische Dimension dazu deut-
lich machten: das Gewachsensein dieser Samm-
lungen, den engen geschichtlichen Konnex, den
die österreichischen Sammlei, ob das Erzhaus
oder der Adel, mit Rubens und den Nieder-
landen verband'.
Was z. B. das Erzhaus betrifft, so war Rubens
Hofmaler der spanisch-habsburgischen Statt-
halter in den Niederlanden, somit direkter Emp-
fänger von Aufträgen, auf der anderen Seite
übernahmen spätere Mitglieder des Hauses
Sammlungen von Rubens' Zeitgenossen, die un-
mittelbar auf den Mei ter zurüdrgingen, oder
Bilderbestände aus religiösen Institutionen, für
die Rubens gearbeitet hatte.
„Sir Peter Rubens ist vor drei Tagen verstarben -
es werden viele Seltenheiten an Gemälden,
Achaten und anderen Wertgegenständen in sei-
ner Nachlaßversteigerung vorkommen; wenn
Seine Majestät etwas erwerben will, so muß
Sie es rechtzeitig zu erkennen geben, und Kredit-
briefe müssen gesandt werden, denn man wird
mit barem Geld handeln müssen." So teilte
der englische Gesrhäftsträger in Brüssel, Baltha-
sar Gerbier, den Tod des Künstlers nach England
mit. Die Botschaft galt Karl 1., dem malereibeses-
senen englischen König, den sie aus zwei Grün-
den besonders interessieren mußte: aus persönli-
cher Anteilnahme, denn der kunstliebende Herr-
scher hatte den Maler1629 GI1lÖßl1d1 der von die-
sem in spanischem Auftrag geführten Vorver-
handlungen für einen Friedensvertrag zwischen
den beiden Mächten kennen- und schätzenge-
lernt. Erhatte ihn durch den repräsentativsten Auf-
trag, den er zu vergeben hatte, die Ausstattung
des Festsaales von Banqueting House in White-
hall mit Plafondbildern - die einzige, heute noch
in situ befindliche Raumausstattung von Rubens
- geehrt und den Maler nach erfolgreicher Been-
digung der diplomatischen Mission zum Ritter
geschlagen. Der zweite Grund war die Sammel-
leidenschaft des Königs: unter anderem hatte
er einige Jahre zuvor die Kunstsammlung der
Herzoge von Mantua gekauft, die Rubens ken-
2
nengelernt hatte, als er am Anfang seiner Karrie-
re Vincenzo l. Gonzaga als Hofmoler diente.
An Kunstliebe sind dem König die Großen
seiner Umgebung vergleichbar: Thomas Howard,
Earl of Arundel, wurde von Rubens als „uno
delli quatro evangelisti e soportator del nostro
arte" bezeichneP. Der prätentiöse George Vil-
liers, Duke of Buckingham, der unter der Regie-
rung Jakobs l. zu den höchsten Ehren aufge-
stiegen war, leitete als Günstling Karls l. die
englische Politik. Seine für den späteren König
betriebene Heiratspolitik, sein Lavieren zwi-
schen Frankreich und Spanien, führte zum Krieg
mit beiden Mächten; 1628 schließlich wurde er
ermordet. Schon 1625 hatte Rubens den Herzog
in Paris anläßlich der Vermählung per procu-
rationem von Karl l. mit Henriette Maria
von Frankreich kennengelerntt; Buckingham be-
suchte den Künstler im Spätherbst des gleichen
Jahres in Antwerpen und erwarb 1626 von Ru-
bens eine große Sammlung von Kunstgegen-
ständen. Diese durch das Kunstinteresse des
Herzogs begründete enge Bekanntschaft gab
den Anlaß, Rubens später in die diplomatischen
Verhandlungen einzuschalten.
Von England aus berichtete Rubens 1629 an
seinen gelehrten Humanistenfreund Peiresc,
daß er nie zuvor eine solche Menge Bilder der
besten Maler gesehen habe wie in der könig-
lichen Galerie oder in der Sammlung des Her-
zogs von Buckingham5. Über die Bestände der
Sammlung des Herzogs sind wir gut informiert:
durch ein Inventar von 1635 sowie die Liste
vom Verkauf seiner Sammlung, die 1648 in
Antwerpen stattfandf. Die Bildersammlung des
1649 hingerichteten englischen Königs wurde
im „Commonweolth-Sale" aufgelöst. Zu dieser
Zeit, als die zwei größten englischen Kunst-
sammlungen zerstreut wurden, residierte - von
1647-1656 - Erzherzog Leopold Wilhelm als
Statthalter in Brüssel, eine der großen Sammler:
persönlichkeiten des Hauses Österreich, der bei
beiden Auktionen als einer der Hauptkäufer
auftrat. Nach der Rüd(kehr des Erzherzogs nach
Wien in der Stallburg aufgestellt, bildet seine
Bildersammlung einen Grundstock der Gemälde-
galerie des Kunsthistorischen Museums. Was an
Rubens-Bildern der Galerie aus seiner Sammlung
stammt - immerhin sind acht eindeutig nach-
weisbar - läßt sich zum Teil bis in den Be-
sitz Buckinghams zurückverfolgen. Das histori-
sierende Doppelbildnis von „Ansegisus und der
hl. Bega" (KaL-Nr. 10), das uns an niederländi-
sche Tafeln in der Art des Massys denken läßt,
hatte bis zu der von Stechow' mit Hilfe eines Sti-
ches gegebenen richtigen Bezeichnung der-aus
der merowingischen Vorzeit stammenden Darge-
stellten als „Pippin und Bega" gegolten. Die Ein-
tragung in die Buckingham-lnventare gibt uns
eine Bekräftigung der neuautgefundenen richti-
gen Bestimmung". Andere aus der Sammlung
Buckingham stammende Bilder scheinen im In-
ventar der Sammlung des Erzherzogs nicht auf,
sondern sind erst wieder in den Prager Inven-
taren des 18. Jahrhunderts nachzuweisen. Offen-
bar handelt es sich dabei um solche Kunstwerke,
die vom Erzherzog für seinen kaiserlichen Bru-
der, Ferdinand lll., erworben wurden. Leider
sind die Bilderbewegungen zwischen den Nieder-
landen, Wien und Prag für das 17. Jahrhundert
nicht mehr in ausreichendem Maße nachweisbar.
Die „Medusa" (Kat.-Nr. 23), im Buckingham-In-
ventar von 1635 als „Rubens and Subter (viel-
leicht irrtümlich für Snyders?) - Medusa's head
with snakes" erwähnt, gehört dazu, ebenso die
große Komposition „Cimon und Efigenia" (Kot.-
Nr. 22) nach Boccaccio, die eindeutig als „Chi-
mon with lphigenia and naked Ladyes Sleeping"
beschrieben wird.
2 P. P. Rubens, Die Himmelfahrt Mariens, l
holz, 458x297 crn, Kunsthistorisches M1
Gemäldegalerie, lnv.-Nr. 518
Anmerkungen 1-8
'Zum folgenden vgl. allgemein den AussL-Kat.
Paul Rubens 1577-1640, Ausstellung zur 400. Wie:
seines Geburtstages, 15. April bis 19. Juni 1977",
als AussL-Kat. KHM. Auf diesen Katalog beziehe
die in den Text eingefügten Angaben „Kat.-Nr,". ß
Ausstellung waren 41 Bilder des Kunsthistorische
seums, 14 Bilder der Akademie der bildenden l
4 Gemälde aus den Sammlungen des Fürsten von
tenstein und ein Bild aus der Sammlung des Erb;
von Sdiwarzenberg zu sehen.
1M. Raoses u. C. Ruelens, Correspondance de Ruk
299 (Nr. CMXlll, Balthasar Gerbier an William M
zit. nach H. G. Evers, Peter Faul Rubens, Müncher
476; ähnlich lautende Briefe schrieb Gerbier an
Jones und Graf Arundel.
"O. Millar, The Age of Charles 1„ Painting in E1
1620-1649, The Tate Gallery, London 1972, 11.
'Bei dieser Gelegenheit wohl wurde die in Kreid
Rötel ausgeführte Bildniszeidmung des Herzogs, h:
der Albertina (Die Rubens-Zeichnungen der All:
zum 400. Geburtstag, 259. Ausstellung, 30. Mä
12. Juni 1977, Nr. 39) angefertigt. l
f Correspondance de Rubens 5, 157.
l R. Davies in: T112 Burlington Magazine 10, 190617,
e. Fairfax, Catalague of "18 curiaus collection of (
Villrers, uuk. of Buckingham, London 175a.
Iw. Stechow, SDIYIB thoughts an Rubens as a ca
Drtrdlts, mcnszo, in: Rubens hefore 1620, e .
artm, Princetnn N. J. 1972, 23.
'ln der Verkaufsliste von 1648: „By Rubens, Nr.
dutchess of Brabant with her lover", Fairfax ap. c