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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXIII (1978 / Heft 156)

selbst auf jene Gestalten hingewiesen, in de 
l ein Manierismus, auf den die eben angeführ- 
Merkmale lückenlos passen, überwunden ist: 
in Michelangelo übernahm Greco den Anatura- 
1us der Form, von Tintoretto die anaturalisti- 
e Farbe und Komposition." Die Frage nach 
n eigentlichen Stil Grecos, für den es hier nicht 
sehr einen neuen Begriff zu finden gilt, wird 
1 eher lösen, wenn eine weit zentralere als die 
h dem geistesgeschichtlichen Umkreis beant- 
tet werden kann. Nämlich: wo werden die Ge 
le von Grecos Malerei, so wie sie immer und zu 
vht gesehen wurden, konkret anschaulich? Wie 
l in welcher Form tritt sein Mystisches, sein Ek- 
lisches, die Spiritualisierung und Weltabge 
idtheit, religiöse Verinnerlichung und Exalta- 
i zutage? Wo ist das Analoge, wo das vteritium 
iparationisii, das diesen Gehalt mit den an- 
aulichen Tatsachen, z.B. den überlängten 
perproportlonen, der besonderen Farbigkeit 
r mit der Auflösung des nachmittelalteriichen 
imberiffes, dem die Fienaissance verpflichtet 
, zwingend verbindet? Wenn die gerne auch 
Dvofak als Quelle zitierte hl. Theresa von Avila 
t; "Was ich sehe, ist ein Weiß und ein Rot, wie 
1 es nirgends in der Natur findet, welches hel- 
leuchtet und strahlt als alles, was man beob 
ten kann, und Bilder, wie sie noch kein Maler 
ialt hat, deren Vorbilder nirgends zu finden 
i und die doch die Natur selbst sind und das 
en selbst und die herrlichste Schönheit, die 
1 sich denken kannii, so ist es schwer, darin 
h für einen Maler wie Greco eine Ermutigung 
r gar Anweisung zum Malen zu finden. Denn 
Maler bleibt angewiesen auf diese in Natur 
Kunst bereitgestellten Bilder und Symbole. 
h das "Noch-nie-Gesehenei- kann nur gemalt 
den mit Hilfe dessen, was "wiedererkanntu 
den kann. 
ifig findet man dieses Tertium comparationis 
iiger leicht in den komplexen Bildsystemen als 
en einzelnen Elementen und kleinsten Baustei- 
, aus denen sie sich zusammensetzen. Die Fra- 
nüßte lauten: Weiches ist der kleinste gemein- 
ie Nenner, sozusagen die morphologische 
inadeu der Bilder Grecos? Ihre Lösung scheint 
I am ehesten dort anzubieten, wo die Greco- 
e Eigenart am reinsten hervortritt, sie liegt im 
olem des Alterswerkes. Nur bei wenigen ande- 
Malern wird das Bild ihres Gesamtwerkes so 
r von den späten Schöpfungen mitbestimmt 
bei Greco. Michelangelo, Tizian, Rembrandt 
Goya bedeuten mit ihren Alterswerken zu- 
ch Eckpfeiler und Wendemarken der europa- 
ien Malerei und müssen als ihre Höhepunkte 
Greco zusammen genannt werden. Der Ver- 
ch mit dem späten Michelangelo war schon 
Fak wichtig gewesen, in anderer Hinsicht und 
icht darf er hier aufgegriffen werden. Man 
n nebeneinanderstellen: eine späte, vielleicht 
letzte Zeichnung Michelangelos, eine Madon- 
nit Kind (Abb. 9), und den hl. Sebastian Grecos 
Prado (Abb. 10). Was ist das Gemeinsame in 
zhen Alterswerken, die doch über genau fünf- 
Jahre voneinander getrennt sind? Die Aus- 
zksregister des vollkommen durchgebildeten 
ischlichen Leibes waren das Lebensthema Mi- 
langelos und in ganz anderer Weise auch Gre 
. Das Plastische schlechthin ist bei Michelan- 
) eine Ordnungsmacht, die von Anfang an den 
) mit einer Willenskraft ohnegleichen in Fes- 
I halt und seine Kräfte in ständiger gegenseiti- 
Steigerung händigt. Bei Greco findet das Um- 
ehrte statt: die Durchformung der Gestalt 
bt nach der Darstellung einer gewiß ebenso 
rmenschllchen Anstrengung des Leibes, die 
ingtheit einer solchen unmittelbaren Bindung 
die plastische Form zu überschreiten. So er- 
gt das Plastische bei Michelangelo und Greco 
jeweils geistig diametral entgegengesetzte Werte. 
Die späte Zeichnung Michelangelos zeigt jedoch 
etwas unfaßbar Willenloses; hier ist gleichsam al- 
les Absichtliche, jederümaginäre) Wettbewerb mit 
Kunst, ja, jeder Gedanke an Kunsthaftigkeit über- 
haupt aufgegeben. Es gibt kein ästhetisches Wol- 
len mehr, die Bestimmtheit der einzelnen Linie ist 
gleichgültig geworden. Weder dem Bilde Grecos 
noch einer späten Kreuzigungsdarstellung Miche 
langelos (Abb. 11), die man zurVerdeutlichung des 
Vergleichbaren danebenhalten darf, kann man als 
Betrachter in gewohnter Weise gegenübertreten 
und sie als Bilder urteilend genießen. Sie wollen 
und können nicht mehr "Kunsti- sein im Sinne ei- 
ner prozeßhaften Auseinandersetzung mit einer 
teilhabenden Umwelt. Sie sind nicht einmal mehr 
Auseinandersetzung und Erprobung des eigenen 
Vermögens - dieser doch bei Michelangelo und 
Greco ehedem gleichstarken Triebkraft. Dafür 
setzt hier ein Prozeß anderer Art ein, nicht das Vor- 
antreiben auf einen Zustand gültiger und vollkom- 
mener Bildhaftigkeit und Bildwirkung setzt ihn in 
Gang, sondern die Suche nach vollkommener Ein- 
fühlung, nach dem Aufgehen des ich im Gegen- 
stand. Es gibt in diesen späten Bildern eine Art der 
Ergebung, geradezu eine Demutshaltung, die 
selbst die Bildmittel ergreift: es herrschen nicht 
mehr der entschiedene, energische Strich und die 
sichere, selbstgewisse Linie, vielmehr auch bei 
Greco ein Tasten und Zögern, als würde die Hand 
nicht mehr vom Wollen und Wissen geführt, so als 
überließe sie sich ganz einer Vorstellung, die 
kaum artikulierbar und nachvollziehbar ist, für die 
sie sich immer wieder von neuem bereit zu halten 
und neu anzusetzen hat. Deshalb sind die mehrfa- 
chen Konturen der Zeichnungen und die zittern- 
den Umrisse des Gemäldes auch keine Pentimenti 
im herkömmlichen Sinne mehr, es sind keine "Ver- 
besserungen" nach korrigierenden Formvorstel- 
lungen, sondern Spuren einer immer intensiver 
werdenden "Versenkung-i in das Thema. Der Ver- 
zicht auf Deutlichkeit, Entschiedenheit und Klar- 
heit ist ein fundamentaler. Nicht in der Suche 
nach besseren Lösungen oder aus einem Überla- 
gern von Teillösungen entsteht das scheinbar Dif- 
fuse im Gesamteindruck, sondern aus dem Aufge 
ben allen willensmäßigen Gestaltens. Das Thema 
ist nicht mehr objektivierter, vielmehr absolut ver- 
innerlichter Gegenstand, es setzt keine dialekti- 
schen Prozesse mehr in Gang, weil es nicht mehr 
in Auseinandersetzungen durchdacht wird. Zwi- 
schen ihm und dern Künstler scheinen keine Rei- 
bungspunkte mehr zu liegen und damit auch 
nichts, was die Gestaltung in bestimmter Rich- 
tung "vorantreibt-i. 
Hier ist ein wahrhafter Endpunkt, der eigent- 
lich schon einer "künstlerischen" Selbstaufgabe 
gleichkommt. Mit dem Gegenständlichen des The 
mas hört auch sein "Widerständlichesu auf; die 
Form dieser Passionsbiider ist selbst eine zutiefst 
passive, das zeigt sich nicht allein im Aufgeben 
der aktiven und bestimmten Linie, sondern mehr 
noch in ihrer Ablösung durch ein Hell-Dunkel von 
besonderer Lichthaftigkeit. Man muß hier von ei- 
ner Auflösung der Form im positiven Sinne spre 
chen. W. Pinder hat für den Manierismus das Wort 
von der "auferlegten Forma geprägt"), also von 
Kunst, die über dem Model einer fremden Diktion 
geformt ist. in viel weiterem Sinne haben Michel- 
angelo und Greco in ihrer spätesten Zeit die Aufla- 
ge der "Forma überhaupt abgestreift. In dieser 
letzten Phase, die alles Beiwerkhafte verliert und 
so gesehen eine Lossagung von den Normen der 
Kunstsprache und der Verbindlichkeit des Zeitsti- 
les ist, entsteht eine Reduktion alles Erzanleri- 
schen und Berichtenden auf eine reine Zeichen- 
haftigkeit hin. Die Gebärdenformel kommentiert 
nicht Ereignis und Bildinhalt, sie wird identisch 
mit ihnen. Damit hängt zusammen, daß es den Ge- 
gensatz von innen und außen nicht mehr in den Fi- 
guren gibt, sie sind in gewissem Sinne "durchsich- 
tig". Das heißt: in Spätwerken treten Tendenzen, 
oder besser, Grundkonstanten der Gestaltungs- 
weise hervor, die im ganzen Werk schon von An- 
fang an wirksam, in den frühen Phasen der Ent- 
wicklung nur durch andere, genetisch gesehen se 
kundäre Gestaltungselemente überlagert waren. 
Wenn die Schwere bei Michelangelo stets, in wel- 
cher dialektischen Umwandlung auch immer, wirk- 
sam war, so ist das kontrapostlose und in sich be 
wegungslose Herabsacken des Körpers Christi 
letztlich das reinste und adäquateste Thema für 
diese Grundvoraussetzung seiner Kunst - eine 
Schwere, die sich in dem zusammengekauerten 
Stehen und dem Zusammenklumpen der Formen 
in der Zeichnung mit der Muttergottes genauso 
ausdrückt (Abb. 9). Bei Greco gibt es das anschau- 
lich genau entgegengesetzte, als Vorgang und 
Tendenz aber ganz ähnliche Freiwerden solcher 
Grundkonstanten: bei ihm tritt in reiner Form her- 
vor die flackernde, unkörperliche Zerdehnung der 
Form in der Fläche, nicht einfach ein Leichtwer- 
den oder ätherisches Sich-Auflösen, sondern ein 
mit größter Energie erfülltes Aufleuchten, besser 
noch: ein Aufflammen der Gestalt; ein Vorgang, in 
dem die Gegenstände extrem unhaptisch, unkor- 
perlich, aber als Flachenformen von höchster Be 
weglichkeit sind. Stets hat man diese flammen- 
hafte Form als charakteristisch in Grecos Malerei 
empfunden, aber merkwürdigerweise nie mehr 
darin erkannt als eine bloße Metapher für die 
allgemeine Beschreibung. Dieses eigenartige, 
absolut dominierende Element verlangt aber, in 
ganz anderer Weise ernst genommen zu werden; 
denn als nur uneigentliche und oberflächlich "ex- 
pressiv-t verstandene Methapher leistet es nicht 
mehr, als es die gängige Auffassung von Grecos 
Subjektivismus ohnehin vermochte. Die Eigenart 
des Flammenhaften bestimmt nicht nur die Einzel- 
gestalt, sie schlägt sich nieder in der Flächen- 
struktur des gesamten Bildes, im Kleinsten genau- 
so wie in der Großform, und bleibt da- 
bei eben vollkommen unabhängig von der iiobjek- 
tivenii Eigengestalt der Gegenstände. 
Gleichgültig, ob man ein Stück des Himmels, des 
Lendentuches in der Kreuzigung (Abb. 7) oder des 
hl. Sebastian (Abb. 10) nimmt, in allem ist als 
Grundform des gesamten Aufbaus eingelagert die 
flammenförmige Einzelfläche, die ohne räumliche 
Ausdehnung als reine Flächenform ein züngeln- 
des, fiackerndes und im plötzlichen Richtungs- 
wechsel unerhört bewegliches Biidmuster er- 
zeugt. Damit ist aber schon der Anfang zu einer 
"Theorie" der Grecoschen "Macchia" gelegt, denn 
die kleinsten farbigen und formalen Elemente ei- 
nes Bildes erlauben, richtig gedeutet, manchmal 
sehr tiefreichende Schlüsse über die formale Seite 
hinaus". Diese kleinsten, nicht weiter zerlegbaren 
und daher auch nicht weiter ableitbaren Elemente 
sind bei Greco die Farbflecken in flammenförmi- 
ger, zerrissener, wogender Gestalt. 
Nichts berechtigt mehr, hier nach der Bedeutung 
solcher Farbflecke zu fragen, als jene Bemerkung 
in Pachecos "Ei Arte de la Pinturaii, wo er etwas 
ratlos und in deutlicher Mißbilligung feststellt: 
"Wer würde glauben, daß Dominico Greco so hau- 
fig zu seinen Bildern zurückkehrte und sie wieder 
und wieder überging, mit dem Ergebnis, daß er sei- 
ne Farben scharf abgesetzt und unverbunden ließ, 
so daß sie wie brutale Farbkleckse (crueles borro 
nes) aussehen, die Kraft zur Schau tragen sollen?" 
In einem Bild wie der "Verkündigung-i in Lugano, 
kurz vor 1600 entstanden (Abb. 12), schlägt die 
flammenförmige Grundformi? an jeder Stelle In 
stärkerer oder schwächerer Unmittelbarkeit 
durch. Was bedeutet sie? 
1. ist sie die unstatische Form schlechthin, und 
das hat seine Ursache In der unablasslgen Bewe 
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