gung und Richtungsänderung, im Momentanen,
das bis zum Blitzhaften und Schlagartigen hin ge
steigert werden kann.
2. Ist sie eine reine Flächenform, und je konse
quenter die Gegenstände aus ihr sich zusammen-
setzen, desto mehr schwindet die meßbare und
faßbare Raumdimension aus den Bildern. Alles er-
scheint auf derselben Bildebene.
3. Das Unstatische und Unräumliche der Flam-
menform als formales Grundelement schließt eine
Festlegung der proportionalen Verhältnisse aus.
im Vertikaltrieb des Flammenden liegt schon ein
Grund für die Überlängung der Gegenstände und
Figuren.
4. Die flammenhafte Gestalt dieser kleinsten Ein-
heit ist ihrem Wesen nach polymorph, d.h. sie
kann in der Häufung aus sich jede Form bilden,
ohne ihren spezifischen Charakter dabei aufzuge
ben.
5. Das Feuer ist in wohl allen Religionen, im Alten
und Neuen Testament Sinnbild des Göttlichen. Je-
de Person der Trinität kann im Kleide des Feuers
erscheinen. Es ist das archetypische Bild des Gei-
stes. Von den Flammenzungen des Pfingstwun-
ders bis zu den brennenden Herzen Jesu, Mariä
(und vieler mystischer Heiliger) ist die Flamme das
Symbol, das in vollkommenster Weise die Eigen-
schaften göttlicher Kraft zusammenfaßt - ganz
zu schweigen von ihrer Bedeutung in der christli-
chen Liturgie.
An den symbolischen Qualitäten des Feuers und
der Flamme hat im höchsten Maße auch das nur
Flammenformige teil, das "feurig-i ist, auch ohne
unmittelbar Feuer darzustellen. Die Flammenform
bei Greco bringt als ein echtes Symbol mit sich al-
le, auch die entferntesten Qualitäten des Feuers
und des Feurigen. In der Addition dieser wspre
chendenu formalen Einheiten wird die Fläche des
Bildes selbst zu einem flammenden Gebilde, in
dem das Feurige, Brennende (z.B. der Dornbusch in
Abb. 12), das Glühende und Ausgeglühte (der Far-
ben) vom hellsten, weißglühenden Focus (Taube
des HI. Geistes) bis zur verkohlten Schwärze
(Schwarz ist die Schattenfarbe bei Greco) eingela-
gert sind. Ferner: das Wogen des Feuers, sein
Überspringen von Ding zu Ding. Dahinter steht als
tiefere Bedeutung der Vorgang der Verwandlung
schlechthin. Der Übergang von einem "Aggregat-
zustand" in den anderen, wie er in der Verbren-
nung geschieht und wobei Energie frei wird: schon
das Bild "EI Soplonrr - ein Junge, dereinegltihen-
de Kohle anbläst - bringt um 1575 die frühe und
äußerst wörtliche Fcrmulierungdieserldee(Abb. 3).
Das brennende, flackernde, zuckende - und oft-
mals müßte man bei Grecos Vorliebe für das Grau
sagen: das "rauchender: Ereignis in den Bildern
vollzieht sich aber nicht als eine bloß applizierte
Metapher, seine schlagende, anschauliche Kraft
erweist sich in der Umwandlung des Bildes
selbstlß. Das bevorzugte Hochformat beruht eben-
so darauf wie die Wirkung von Grecos Malereien
in ihrem architektonischen Gesamtzusammen-
hang, wo das "Feuer der Farbenu - hier ist die
ser Ausdruck wirklich legitim - erst ganz
hervcrbricht. Dem Feuer in seiner ontoiogisch-
symbolischen Qualität, wie sie schon im Rot des
Mantels Christi in "EI Espolim (Abb. 1) zu greifen
war, eignen noch andere Eigenschaften, die we
sentlich für das Verstehen von Grecos Malerei
sind, z.B. die Qualität der Reinheit, der Reinigung
und Läuterung. Dahin weisen die nreinenu Farben,
vor allem in der bevorzugten Rot-GelbKom
blnation, die manchmal von Greco in großen Flä-
chen völlig unvermischt verwendet, oft aber auch
mit dunklem Pigment überdeckt werden, so daß
ihre Leuchtkraft als ein Glühen, gleichsam wie
Glut unter der Asche erscheint - besonders
schon zu beobachten am lnkarnat des iHierony-
mus als Kardinalu (Abb. 4). Andererseits kann die
10
Farbe auch als reines Weiß wverglühenu - z.B. im
Mantel Mariens in der w-Verkündigungu (Abb. 12).
Auf einer anderen Sinnebene lassen sich so ziem-
lich alle Bilder Grecos - auch die Porträts - ver-
stehen als Sinnbilder einer allgemeinen Geläutert-
heit oder tiefgreifender Vorgänge einer bestimrn-
ten Reinigung. In jedem biblischen Geschehen, in
der "Tempelreinigungw, mit der thematisch ver-
wandt ist der Typus der wlmmaculatau, ferner in al-
len Martyriendarstellungen; im n Begräbnis des
Grafen Orgazu (Abb. 2) mit dem Thema der Aufnah-
me der Seele in kindlich reiner Gestalt in den Him-
mel; dann vor allem in apokalyptischen, eschato
logischen Themen: die nÖffnung des V. Siegels"
nach der Johannes-Apokalypse, die "Anbetung
des Namens Jesuu durch Himmel, Erde und Hölle,
die Bilder des Gerichtes und die richterhaften
Bildnisgestalten (Abb. 4, 5). Schließlich ist auch in
Grecos einzigem mythologischen Bild, der vTö-
tung des Laokoonu, dieser Bezug zur Reinheit
oder Läuterung da, und zwar immer im Bilde einer
Freiwerdung verborgener Energien". So sind die
Gesten der Menschen bei ihm oft nichts anderes
als die Darbringung ihres geläuterten Selbst, ihrer
befreiten oder nach Befreiung strebenden Seele
- der so oft als ekstatisch bezeichnete Charakter
vieler Bilder Grecos hat hier seinen Grund. Auch
der Ausdruck des Verzehrten und Sehnsuchtsvol-
len in Grecos Heiligendarstellungen ist Ausdruck
einer Hinwendung zu höherer Reinheit. Es ist kein
Zufall, daß Feuer und Flamme in der spanischen
mystischen Dichtung die am häufigsten erschei-
nenden Sinnbilder sind. So heißt es etwa bei Juan
de la Cruz, dem Zeitgenossen Grecos und Verfas-
ser einer Dichtung mit dem bezeichnenden Titel
"Lima da amor viva-r15: ein einer Nacht, dunkel und
unergründlich, da die Angst sich verzehrt hatte in
den Flammen der Liebe..., verließ ich das Haus,
ruhevoll und gefaßt, ungesehen und nicht sehend,
ohne einen anderen Führer als das Licht, das in
meinem Herzen brannte..., schöner als der T:
der Mittagshöhevuw Dieses Beispiel ließe sicl
viele vermehren.
Mit der Qualität der Reinheit des Feuers ist e
die suggestive und persuasive Macht der B
Grecos auf den Betrachter angezeigt. Sie sollt
der Anschauung reinigen - das ist der Anfan
ner barocken Bildrhetorik, die nicht im Embler
schen wurzelt. Vielleicht lebt gerade in di
Qualität bei Greco die anschaulich völlig ven
delte Reinheit von Form und Farbe der byzar
schen Malerei fort.
Ein Weiteres: im Feuer r-verschmelzenu die
mente der verschiedenen Stoffe miteinander.
gilt für die Fähigkeit Grecos, die verschiedi
Einflüsse, vor allem aus seiner italienischen
zur Synthese zu bringen. Das Byzantinische
darin ebenso umgeschmolzen wie das Venez
sche, es bringt die Starre der manieristlsi
Form in Fluß. Auf höherer Ebene leistet es
nVerschmelzung-t der verschiedenen Zeitfor
im Bild, so im "Begräbnis des Grafen Org
Nachhaltig wirksam bleibt schließlich die l
lichkeit der "Macchiau Grecos, in der gegen:
gen Angleichung aller Formen, welche sie bev
Motive und Zitate (nach Michelangelo, Tizian,
toretto, den Bassani, Bellange usw.) in Mas
Kompositionen zu verschmelzen.
Ferner: alles, was in sich bewegt sein kann, h
und die ganze belebte Welt, eignet sich für
Darstellung aus dieser symbolischen Urzelle
flammenförmigen Farbfläche, alles Unbele
Unbeseelte jedoch nicht. Wir sahen im sogen
ten vToledo im Gewittern (Abb. 6) die Archite
als das einzig Starre und Unbewegliche im
gläsern und unwirklich werden, und schon vle
her war mit Grecos Übersiedlung nach Spa
die Architekturdarstellung und das Architek
sche überhaupt aus seinen Bildern verschwun
Architektur eignet sich eben ihrem Wesen I
nicht für diese bewegte und bewegliche Stri
rierung. Wo im Spätwerk nennenswerte Arch
turdarstellungen erscheinen, handelt es
durchweg und mit Sicherheit um Arbeiten von
cos Sohn Jorje Manuel oder der Werkstatt un
dem um Wiederholungen sehr viel älterer Bi
findungen Domenicoslß.
Dem Verschwinden des Architektonischen
spricht auf der anderen Seite das schon im F
werk oft anzutreffende Überwiegen des innerl:
chen Geschehens in der himmlischen Zone. lr
Flächenbewegungen der flammenden Gebildi
det die Sichtbarmachung eines an sich Unsicl
ren, eines immateriellen Mediums statt. Der R
wird dabei zu einer Fläche, die weder bloße
ken oder Nebel noch sonstige Gegenstände
stellt, sondern vor allem reine Farb- und Licht
ncmene, die allerdings jederzeit in gegenstä
che bzw. quasigegenständliche Form umschl:
können. Es ist ein Geschehen in der Luft, die
nicht mehr einfach gleichbedeutend mit dem l
raum ist. Hatte die venezianische Malerei dir
rechnung des beleuchtenden Lichtes in der
nur an der Färbung der dinglichen Welt und al
loristisches Problem entdeckt, so wird jetz
Greco die Luft selbst als ein bewegtes Mei
sichtbar, nicht als Atmosphäre, sondern als
Medium der Erscheinung, weil in ihr sichtbari
was nach altem bildhaften Sprachgebraucr
Luft nächstverwandt ist: das v-Pneumak als
hauch und Geist. Das Analogon in mystisi
Schriften wäre etwa das häufige Bild des
hensa in den Lüften.
Schließlich verlangt das Feurige auch ein
stimmtes Verhalten von seiten des Betracl
gegenüber Grecos Bildern: eine Distanz, die w
zu groß noch zu gering sein darf. Das ruhelos
flackernde verträgt sich weder mit starker
noch Fernsicht, es verlangt nach der richt