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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXIII (1978 / Heft 156)

gung und Richtungsänderung, im Momentanen, 
das bis zum Blitzhaften und Schlagartigen hin ge 
steigert werden kann. 
2. Ist sie eine reine Flächenform, und je konse 
quenter die Gegenstände aus ihr sich zusammen- 
setzen, desto mehr schwindet die meßbare und 
faßbare Raumdimension aus den Bildern. Alles er- 
scheint auf derselben Bildebene. 
3. Das Unstatische und Unräumliche der Flam- 
menform als formales Grundelement schließt eine 
Festlegung der proportionalen Verhältnisse aus. 
im Vertikaltrieb des Flammenden liegt schon ein 
Grund für die Überlängung der Gegenstände und 
Figuren. 
4. Die flammenhafte Gestalt dieser kleinsten Ein- 
heit ist ihrem Wesen nach polymorph, d.h. sie 
kann in der Häufung aus sich jede Form bilden, 
ohne ihren spezifischen Charakter dabei aufzuge 
ben. 
5. Das Feuer ist in wohl allen Religionen, im Alten 
und Neuen Testament Sinnbild des Göttlichen. Je- 
de Person der Trinität kann im Kleide des Feuers 
erscheinen. Es ist das archetypische Bild des Gei- 
stes. Von den Flammenzungen des Pfingstwun- 
ders bis zu den brennenden Herzen Jesu, Mariä 
(und vieler mystischer Heiliger) ist die Flamme das 
Symbol, das in vollkommenster Weise die Eigen- 
schaften göttlicher Kraft zusammenfaßt - ganz 
zu schweigen von ihrer Bedeutung in der christli- 
chen Liturgie. 
An den symbolischen Qualitäten des Feuers und 
der Flamme hat im höchsten Maße auch das nur 
Flammenformige teil, das "feurig-i ist, auch ohne 
unmittelbar Feuer darzustellen. Die Flammenform 
bei Greco bringt als ein echtes Symbol mit sich al- 
le, auch die entferntesten Qualitäten des Feuers 
und des Feurigen. In der Addition dieser wspre 
chendenu formalen Einheiten wird die Fläche des 
Bildes selbst zu einem flammenden Gebilde, in 
dem das Feurige, Brennende (z.B. der Dornbusch in 
Abb. 12), das Glühende und Ausgeglühte (der Far- 
ben) vom hellsten, weißglühenden Focus (Taube 
des HI. Geistes) bis zur verkohlten Schwärze 
(Schwarz ist die Schattenfarbe bei Greco) eingela- 
gert sind. Ferner: das Wogen des Feuers, sein 
Überspringen von Ding zu Ding. Dahinter steht als 
tiefere Bedeutung der Vorgang der Verwandlung 
schlechthin. Der Übergang von einem "Aggregat- 
zustand" in den anderen, wie er in der Verbren- 
nung geschieht und wobei Energie frei wird: schon 
das Bild "EI Soplonrr - ein Junge, dereinegltihen- 
de Kohle anbläst - bringt um 1575 die frühe und 
äußerst wörtliche Fcrmulierungdieserldee(Abb. 3). 
Das brennende, flackernde, zuckende - und oft- 
mals müßte man bei Grecos Vorliebe für das Grau 
sagen: das "rauchender: Ereignis in den Bildern 
vollzieht sich aber nicht als eine bloß applizierte 
Metapher, seine schlagende, anschauliche Kraft 
erweist sich in der Umwandlung des Bildes 
selbstlß. Das bevorzugte Hochformat beruht eben- 
so darauf wie die Wirkung von Grecos Malereien 
in ihrem architektonischen Gesamtzusammen- 
hang, wo das "Feuer der Farbenu - hier ist die 
ser Ausdruck wirklich legitim - erst ganz 
hervcrbricht. Dem Feuer in seiner ontoiogisch- 
symbolischen Qualität, wie sie schon im Rot des 
Mantels Christi in "EI Espolim (Abb. 1) zu greifen 
war, eignen noch andere Eigenschaften, die we 
sentlich für das Verstehen von Grecos Malerei 
sind, z.B. die Qualität der Reinheit, der Reinigung 
und Läuterung. Dahin weisen die nreinenu Farben, 
vor allem in der bevorzugten Rot-GelbKom 
blnation, die manchmal von Greco in großen Flä- 
chen völlig unvermischt verwendet, oft aber auch 
mit dunklem Pigment überdeckt werden, so daß 
ihre Leuchtkraft als ein Glühen, gleichsam wie 
Glut unter der Asche erscheint - besonders 
schon zu beobachten am lnkarnat des iHierony- 
mus als Kardinalu (Abb. 4). Andererseits kann die 
10 
Farbe auch als reines Weiß wverglühenu - z.B. im 
Mantel Mariens in der w-Verkündigungu (Abb. 12). 
Auf einer anderen Sinnebene lassen sich so ziem- 
lich alle Bilder Grecos - auch die Porträts - ver- 
stehen als Sinnbilder einer allgemeinen Geläutert- 
heit oder tiefgreifender Vorgänge einer bestimrn- 
ten Reinigung. In jedem biblischen Geschehen, in 
der "Tempelreinigungw, mit der thematisch ver- 
wandt ist der Typus der wlmmaculatau, ferner in al- 
len Martyriendarstellungen; im n Begräbnis des 
Grafen Orgazu (Abb. 2) mit dem Thema der Aufnah- 
me der Seele in kindlich reiner Gestalt in den Him- 
mel; dann vor allem in apokalyptischen, eschato 
logischen Themen: die nÖffnung des V. Siegels" 
nach der Johannes-Apokalypse, die "Anbetung 
des Namens Jesuu durch Himmel, Erde und Hölle, 
die Bilder des Gerichtes und die richterhaften 
Bildnisgestalten (Abb. 4, 5). Schließlich ist auch in 
Grecos einzigem mythologischen Bild, der vTö- 
tung des Laokoonu, dieser Bezug zur Reinheit 
oder Läuterung da, und zwar immer im Bilde einer 
Freiwerdung verborgener Energien". So sind die 
Gesten der Menschen bei ihm oft nichts anderes 
als die Darbringung ihres geläuterten Selbst, ihrer 
befreiten oder nach Befreiung strebenden Seele 
- der so oft als ekstatisch bezeichnete Charakter 
vieler Bilder Grecos hat hier seinen Grund. Auch 
der Ausdruck des Verzehrten und Sehnsuchtsvol- 
len in Grecos Heiligendarstellungen ist Ausdruck 
einer Hinwendung zu höherer Reinheit. Es ist kein 
Zufall, daß Feuer und Flamme in der spanischen 
mystischen Dichtung die am häufigsten erschei- 
nenden Sinnbilder sind. So heißt es etwa bei Juan 
de la Cruz, dem Zeitgenossen Grecos und Verfas- 
ser einer Dichtung mit dem bezeichnenden Titel 
"Lima da amor viva-r15: ein einer Nacht, dunkel und 
unergründlich, da die Angst sich verzehrt hatte in 
den Flammen der Liebe..., verließ ich das Haus, 
ruhevoll und gefaßt, ungesehen und nicht sehend, 
ohne einen anderen Führer als das Licht, das in 
meinem Herzen brannte..., schöner als der T: 
der Mittagshöhevuw Dieses Beispiel ließe sicl 
viele vermehren. 
Mit der Qualität der Reinheit des Feuers ist e 
die suggestive und persuasive Macht der B 
Grecos auf den Betrachter angezeigt. Sie sollt 
der Anschauung reinigen - das ist der Anfan 
ner barocken Bildrhetorik, die nicht im Embler 
schen wurzelt. Vielleicht lebt gerade in di 
Qualität bei Greco die anschaulich völlig ven 
delte Reinheit von Form und Farbe der byzar 
schen Malerei fort. 
Ein Weiteres: im Feuer r-verschmelzenu die 
mente der verschiedenen Stoffe miteinander. 
gilt für die Fähigkeit Grecos, die verschiedi 
Einflüsse, vor allem aus seiner italienischen 
zur Synthese zu bringen. Das Byzantinische 
darin ebenso umgeschmolzen wie das Venez 
sche, es bringt die Starre der manieristlsi 
Form in Fluß. Auf höherer Ebene leistet es 
nVerschmelzung-t der verschiedenen Zeitfor 
im Bild, so im "Begräbnis des Grafen Org 
Nachhaltig wirksam bleibt schließlich die l 
lichkeit der "Macchiau Grecos, in der gegen: 
gen Angleichung aller Formen, welche sie bev 
Motive und Zitate (nach Michelangelo, Tizian, 
toretto, den Bassani, Bellange usw.) in Mas 
Kompositionen zu verschmelzen. 
Ferner: alles, was in sich bewegt sein kann, h 
und die ganze belebte Welt, eignet sich für 
Darstellung aus dieser symbolischen Urzelle 
flammenförmigen Farbfläche, alles Unbele 
Unbeseelte jedoch nicht. Wir sahen im sogen 
ten vToledo im Gewittern (Abb. 6) die Archite 
als das einzig Starre und Unbewegliche im 
gläsern und unwirklich werden, und schon vle 
her war mit Grecos Übersiedlung nach Spa 
die Architekturdarstellung und das Architek 
sche überhaupt aus seinen Bildern verschwun 
Architektur eignet sich eben ihrem Wesen I 
nicht für diese bewegte und bewegliche Stri 
rierung. Wo im Spätwerk nennenswerte Arch 
turdarstellungen erscheinen, handelt es 
durchweg und mit Sicherheit um Arbeiten von 
cos Sohn Jorje Manuel oder der Werkstatt un 
dem um Wiederholungen sehr viel älterer Bi 
findungen Domenicoslß. 
Dem Verschwinden des Architektonischen 
spricht auf der anderen Seite das schon im F 
werk oft anzutreffende Überwiegen des innerl: 
chen Geschehens in der himmlischen Zone. lr 
Flächenbewegungen der flammenden Gebildi 
det die Sichtbarmachung eines an sich Unsicl 
ren, eines immateriellen Mediums statt. Der R 
wird dabei zu einer Fläche, die weder bloße 
ken oder Nebel noch sonstige Gegenstände 
stellt, sondern vor allem reine Farb- und Licht 
ncmene, die allerdings jederzeit in gegenstä 
che bzw. quasigegenständliche Form umschl: 
können. Es ist ein Geschehen in der Luft, die 
nicht mehr einfach gleichbedeutend mit dem l 
raum ist. Hatte die venezianische Malerei dir 
rechnung des beleuchtenden Lichtes in der 
nur an der Färbung der dinglichen Welt und al 
loristisches Problem entdeckt, so wird jetz 
Greco die Luft selbst als ein bewegtes Mei 
sichtbar, nicht als Atmosphäre, sondern als 
Medium der Erscheinung, weil in ihr sichtbari 
was nach altem bildhaften Sprachgebraucr 
Luft nächstverwandt ist: das v-Pneumak als 
hauch und Geist. Das Analogon in mystisi 
Schriften wäre etwa das häufige Bild des 
hensa in den Lüften. 
Schließlich verlangt das Feurige auch ein 
stimmtes Verhalten von seiten des Betracl 
gegenüber Grecos Bildern: eine Distanz, die w 
zu groß noch zu gering sein darf. Das ruhelos 
flackernde verträgt sich weder mit starker 
noch Fernsicht, es verlangt nach der richt
	        
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