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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXIII (1978 / Heft 156)

Klaus Eggert 
Hans Graf Wilczek und sein 
Werk 
Ein höchst wichtiges Motiv des Sammelns muß für 
den am 7. Dezember 1837' geborenen Hans Graf 
Wilczek die "Erinnerung" gewesen sein. und zwar 
der romantisch bestimmte Begriff von Erinnerung, 
brillant und präzis vom zeitgenössischen Bild- 
hauer Ernst Julius Hähnel formuliert: "Nur solange 
unser Gedächtnis ausreicht, uns selbst historisch 
zu sein, leben wir."2 Bedingung zur Existenz der 
Persönlichkeit ist nach Hähnels Worten also eine 
vollständige zeitliche Kontinuität derselben im 
Bewußtsein. Diese Kontinuität wird durch Erinne- 
rung möglich. Erinnerung wird in der romantisch 
bestimmten Epoche dann ein Motiv für das Sam- 
meln, wenn eine Verbindung zwischen Sammelob- 
jekt und Erinnerungsgehalten hergestellt wird. 
(Auf der Trivialebene entsteht in der Nachromantik 
in Verbindung mit Kommerz der Andenkenkitsch 
des 20. Jahrhunderts.) Eine legitime Art von Erin- 
nerung in Zusammenhang mitAndenken kommt in 
Graf Wilczeks Autobiographie immer wieder vor"; 
sogar auf seinem Fernrohr wurden etwa 70-80 Da- 
tumszahlen und Namen der Orte eingraviert. an 
denen es diente". 
Durch das Sammeln von Gegenständen. an die 
sich Erinnerung knüpft, wird "Gegenwart" über 
den falschen Gegenwartsbegriff - etwa das, was 
momentan materiell-empirisch "vorhanden" ist, 
"da ist" - hinaus ausgedehnt in die unbegrenzt 
dauernde Kontinuität, die wahre ruhende Gegen- 
wart. Auch etwas nach dem landläufigen Zeitbe- 
griff längst "Vergangenes" kann also volle, über- 
dies anschauliche Gegenwart haben. Das "Histori- 
sche" im vorstehenden Hahnel-Zitat ist nichts Ab- 
geschlossenes, Unwiederholbares. Darauf beruht 
die Möglichkeit des irrig so bezeichneten "Histo- 
rismus" als etwas Schöpterischem. (Für die Urhe- 
24 
ber des Terminus "Historismus" galt ja gerade das 
Historische als abgeschlossen. und "Historismus" 
war ihnen unschöpferische Fiepristination.) Daher 
wäre der "Historismus" viel richtiger als "Kontinu- 
ismus" zu bezeichnens - ihm gehört Graf Wilczek 
als typischer Vertreter an. 
Der Bezug zwischen Gegenständen und Erinne- 
rung ist dem Konzept des magischen Idealismus 
bei Novalis verwandt. welcher Magie definiert als 
"die Kunst, die Sinnenwelt willkürlich zu gebrau- 
chen", wobei "willkürlich" "frei" bedeutet. Der 
magische Idealist "kann ebensowohl die Gedan- 
ken zu äußeren Dingen wie äußere Dinge zu Ge- 
danken machen"? Durch Erinnerung erfolgt für 
die Persönlichkeit die Imagination, Ein-Bildung 
nicht nur des im trivialen Sinne empirisch "Erleb- 
ten", sondern darüber hinaus im Kontinuismus der 
Vergangenheit als umfassender Einheit, So wird 
Erinnerung eine Möglichkeit der Epoche, daß der 
Kosmos in der Persönlichkeit sei und die Persön- 
lichkeit im Kosmos. 
Schon in seinerJugend war HansGraf Wilczek kein 
Angepaßter. zeigte vielmehr eine auf sich selbst 
beruhende Individualität: ". . . und lernte von mei- 
nen Lehrern nichts. sondern nur das, was mich in- 
teressierte, von mir selbst-F Die Zeugnisse über 
Graf Wilczeks Einschätzung von Repräsentation 
und allgemein von "sozialem Prestige" sind zahl- 
reich. wenige Beispiele müssen genügen: "Ja. Titel 
bekam ich wohl genug. so den Exzellenztitel , . ,. 
auch zur Würde eines Ehrenpräsidenten des Kap- 
selstutzenvereines von Gföhl wurde ich erhoben, 
allein die einzige Stellung, die ich erreicht habe, ist 
die eines Unterjägers bei den Neunerjägern" äu- 
ßerte er am 18. Januar 1917". Er hatte sich 1866 als 
Gemeiner zum 9. Jägerbataillon anwerben lasseng. 
"Von Politik sage ich Euch wenig, denn ich hatte 
immer gegen sie eine große Abneigungßm Wilczek 
war also nicht verwaltbar und verwertbar - so er- 
klären sich wohl auch seine seltenen Zuteilungen 
bei Hofe. Die bei Grat Wilczek zu beobachtende 
Freiheit von Verstrickungen in materielle Realitä- 
ten erhält. im Lichte der Sammeltätigkeit gesehen. 
einen romantischen Sinn: Um der Kunst willen und 
durch sie ist er frei. 
Obwohl der kontinuistische Sammler und Schöp- 
fer die Kontinuitätals unbegrenzt imaginiert, ist oft 
ein Zentrum des Interesses vorhanden. auch bei 
Hans Wilczek: "Sein Herzensheiliger war Kaiser 
Max l."" Er erwarb eine Drehbank des letzten Ftit- 
ters" und einen Neudruck seines "Triumphzuges" 
mit den Originalholzstöcken, wobei er sein Exem- 
plar des Neudruckes durch den Maler Ruzicka il- 
luminieren ließ". Dieser Triumphzug befindet sich 
derzeit noch am ursprünglichen Platze. im Gang 
des Palas-Riegelbaues auf Kreuzenstein. Selbst 
bei derJagd erstrebte er das Erlebnis der Kontinui- 
tät zu Maximilian l., indem er neben alten Handfeu- 
erwaffen die Armbrust am meisten erprobte: ". .. 
schon deshalb. weil ich mich durch sie in die Zeit 
des großen Kaisers Maximilian I. versetzt fühlte.""' 
Diese Art von Sammeln ist dem Schöpferischen 
wesensverwandt. Bei dem Prozeß der Gegenwär- 
tigsetzung des Gesammelten ist ja das Nachschaf- 
fen der Objekte in der Vorstellung wesentlich. Wis- 
senschaftliche Kenntnis ist nur Mittel zum Zweck. 
Bei dieser Auffassung ist es naheliegend - vor al- 
tern weil noch die Tendenz des Kontinuismus zum 
Gesamtkunstwerk hinzutritt - den Objekten und 
damit der eigenen Persönlichkeit des Sammlers. 
welche sich in den Objekten erschafft, erlöst und 
selbst genießt, ein Milieu zu schaffen. wobei die 
Architektur Ordnungsmachtist. Dies nun wareines 
der Motive für die Schöpfung der Veste Kreuzen- 
stein. Wie jedes romantische Schloß ist sie nicht 
Wohnung, Repräsentationsbau oder Museum, 
sondern ein ästhetisches Milieu, in welchem der 
Mensch als empirisch-reales Phänomen wesenlos 
ist. Sofern der Mensch sich aber selbst zum Kunst- 
werk gemacht hat, etwa durch die romantischen 
Kostumierungen, wie sie bei Hans Wilczek auch 
haufig vorkamen, vermag das Milieu ihn zu inte- 
grieren. Ein Milieuschloß ist eine romantische 
Baugattung, ist ein Gesamtkunstwerk: Es ist ein 
Denkmal für ldeengehalte, die imaginativ, aber 
bewußt mit dem Schlolihatten verknüpft werden,
	        
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