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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXIII (1978 / Heft 156)

  
3 Ei Greco, --Ei Sopiönw. Neapel, Museo Capodimonte 
4 EI Greco. Der hl. Hieronymus als Kardinal. Bayonne, 
Musee Bonnat 
5 EI Greco, Kardinal Fernando Niflo de Guevara. New 
York, Metropolitan Museum 
in den sieben Jahrzehnten, die seit der Wiederent- 
deckung EI Grecos vergangen sind, ist seine Male- 
rei nahezu an jeder historischen und aktuellen 
Stilströmung der europäischen Kunst gemessen 
worden. Weil die Eigenart Grecos vieideutig und 
nicht auf einen einfachen Nenner zu bringen ist, 
war sie stets offen für die Projektionen jeder See- 
ienlage und Geisteshaltung, der die Beschäfti- 
gung mit dem Stilprobiem gerade auf der Spur ge- 
wesen ist. Seine Kunst bot sich der schwärmeri- 
schen Menschensuche des Jugendstiis, den Re 
flexen eines hochgespannten expressionistischen 
Weltgefühis ebenso wie der nAbstraktion und Ein- 
fühlung" bis hin zur Reaktion nachromantischer 
Urkundenfälschung und pathologischen Erklä- 
rungsversuchen an. Greco, gesehen im Zwielicht 
einer Renaissance des byzantinischen Spätmittel- 
alters, als Spätling der venezianischen Hochklas- 
sik, als Exponent des Manierismus und Protago 
nist des Barock, hat die Gemüter erhitzt und ver- 
zaubert. 
Seit um die Jahrhundertwende das Problem des 
Stiles in der Kunstwissenschaft seine Wendung 
zum Problem einer vertieften Stilgeschichte erfah- 
ren hatte, ist Ei Greco zu einem Prüfstein kunst- 
wissenschaftlicher Interpretation geworden. Hat- 
te noch der große Hispanologe Cari Justi 
versuchtl, Greco durch eine Würdigung seines 
eben entdeckten italienischen Frühwerkes vor der 
Überschattung durch die damals noch ganz unver- 
standene Masse seines spanischen, zumal des 
Spätwerkes zu "retten-t, so ist bei den letzten ein- 
dringenden Forschungen Halldor Soehners? der 
Wille zu einer rationalen Deutung aller Stadien sei- 
ner Kunst durchaus bestimmend. Der Eifer der 
Forschung hat mit den Unmengen der Beiträge 
über Greco gewiß nicht versagt, aber die Kunstge- 
schichte hat, ohne es zu wollen, vor ihm eines ih- 
rer schillerndsten Selbstbildnisse entworfen und 
dabei doch die Einsicht offengelassen, daß die 
Botschaft Grecos, um deren Interpretation sie 
sich von Anfang an mühte, gegen Klassifizierun- 
gen ebenso empfindlich ist wie gegen das schon 
zur Erkenntnis erhobene ästhetische Erlebnis. 
Mit dem Erscheinen Grecos in Spanien vollzieht 
sich dort, zusammengedrängt auf die Gestalt ei- 
nes einzelnen Künstlers, ein Entwickiungsprozeß, 
der in Italien schon hundert Jahre vorher seinen 
ersten Höhepunkt erreicht hatte: die selbstbewuß- 
ie Herauslösung des Künstlers aus den hand- 
werksmaßigen und zünftischen Bindungen seiner 
Arbeit, die Ausbildung einer neuen Ethik dieser Ar- 
beit, die wiederum auf der Entfaltung selbständi- 
ger ästhetischer Theorien fußte - Ei Greco hat, 
wie wir wissen, Traktate über Architektur, Plastik 
und Malerei geschrieben, die heute verschollen 
sind. 
Auch der zweite Teil dieses Vorgangs, das, was 
man die Divinisierung, die Vergöttlichung des 
Künstlers nennen könnte und deren Spätphase EI 
Greco in Italien noch miterlebte, wird in Spanien 
erst an seiner Person nachvollzogen. Einem tüch- 
tigen älteren kastiiischen Meister, Luis de Mora- 
ies, gaben seine Zeitgenossen bezeichnenderwei- 
se nicht deshalb den Beinamen vei divinoii, "weil 
sie seine Schöpfung über alle Maßen göttlich fan- 
den, sondern weii er fast ausschließlich religiöse 
Themata behandelte-ß. Mit einem Wort: in Greco 
findet zusammengedrängt der rasche, spannungs- 
voile Nachvollzug all jener Vorgänge statt, die seit 
dem frühen 15. Jahrhundert bis zur zweiten Hälfte 
des 16. Jh.s dem italienischen Künstler zu jener 
Autonomie verhalfen, die den Inbegriff der Renais- 
sance bedeutet. Die Zusammendrängung einer so 
langen Entwicklung auf die Biographie eines ein- 
zelnen kann sich nicht kühl und gelassen ins Werk 
setzen, sie spielt sich sozusagen in einem heißen 
Prozeß ab. Die heftigen Rechtsstreitigkeiten, die 
Greco bei fast jedem größeren Auftrag durchzu- 
stehen hatte, legen davon ein beredtes Zeugnis 
ab, am deutlichsten aber äußert sie sich in der 
Entstehung seines malerischen lndividualstiles, 
der sich nicht in das Epocheschema der europä- 
ischen Kunstgeschichte fügt. Die volle Eigenart 
der Grecoschen Bildform entsteht erst in Spanien, 
und zwar plötzlich und fast unvermittelt. Auch sie 
ist gekennzeichnet durch eine heftige, hitzige 
Übersteigerung in der Zusammenfassung dessen, 
was in Italien seine gute Zeit gebraucht hatte: die 
Herausbildung der wmanierau zu einem Eigen- 
wert, der dort um so wichtiger geworden war, je 
mehr die Maßstäbe sich an einer immanenten Äs- 
thetik orientierten, die schließlich zur Krise des 
Manierismus führen mußte. 
immanente Ästhetik und religiöse Bestimmung 
des Bildes sind in Italien oft zu Widersprüchen ge 
worden. Das Tridentiner Konzil hat hier regulie 
rend eingegriffen. Greco entging dieser Gefahr, 
bei ihm gibt es nicht das Auseinanderklaffen von 
ästhetischem Selbstwert und religiöser Funktion 
des Bildes. Mit welchen Mitteln ihm die Überwin- 
dung dieses seinem Frühwerk durchaus nicht 
fremden manieristischen Zwiespaites gelang, das 
ist die Frage, die sich eine Betrachtung der Bild- 
form Grecos zu stellen hat. 
in der Quittung, die Ei Greco 1588 nach langwieri- 
gen Streitigkeiten über die Bezahlung seines Ge- 
mäldes der wBestattung des Grafen Orgazn aus- 
steilte, findet sich der für die damalige Situation 
eines Malers in Spanien unerhörte Satz: vSo gewiß 
wie die Rate meiner Bezahlung unter dem Werte 
meines sublimen Werkes steht, so gewiß wird 
mein Name  als der eines der größten Genies 
der spanischen Malerei in die Nachwelt ein- 
gehenßu Mit diesem Seibstbewußtsein hat Ei Gre 
co die soziale Stellung des Malers in Spanien revo- 
lutioniert. Der Streit um den Wert des Bildes, der 
ihn sogar beim Papst sein Recht suchen ließ, war 
nur der Anfang einer ununterbrochenen und durch 
die ganze spanische, fast vier Jahrzehnte währen- 
de Zeit des Malers sich hinziehenden Serie von 
Prozessen, in denen es um mehr als bloße Geldbe 
träge ging. Die gutachtenden Künstler, die bei je 
dem Verfahren beigezogen wurden. gaben Greco 
stets recht und erwiesen ihm darüber hinaus 
höchste Achtung. im Laufe jener Prozesse gelang 
es ihm schließlich, seine Bilder und in der Folge 
die Malerei in Spanien überhaupt aus der abgabe- 
pflichtigen mittelalterlichen Zunftbindung zu lö- 
sen. Das sinnfalligste Kennzeichen dieser Unab- 
hängigkeit war die Ausbildung eines unverwech- 
selbaren individuellen Stiles, einer Bildform, deren 
augenscheinliche Freiheit von aller Fiegel- und Re 
zepthaftigkeit die Einmaligkeit des Bildes in Erfin- 
dung und Ausführung verbürgte. 
Diese nun gewiß ganz unmittelalterliche Haltung 
muß zusammen gesehen werden mit einer Tatsa- 
che, die ihr zu widersprechen scheint: viele von 
Grecos Bilderfindungen kennen wir in einer Un- 
zahl von Wiederholungen, mehr als dies bei irgend- 
einem anderen italienischen oder spanischen Ma- 
ler der Fall ist. Neben den Ton- und Wachsmodei- 
len, die Pacheco bei seinem Besuch in Toledo 
1611 von dem greisen Greco gezeigt wurden, er- 
schienen ihm "noch viel wunderbarer die Originale 
von allem, was er in seinem Leben gemalt hatte, in 
einem Gemach in Ölfarbe ausgeführt in ganz klei- 
nen Bildernit. 
Solch altertümlich anmutende Verbindung von 
handwerklichem Reproduktionsbetrieb und Mu- 
sterbuchwesen scheint nur schwer vereinbar mit 
dem meditativen, ganz von spontanen Inspiratio- 
nen bestimmten Biid, das im allgemeinen die Vor- 
steliung von Greco geprägt hat. Wenn es auch zu 
weit gegriffen scheint, in der Replikenproduktion 
ein byzantinisches Erbteil, die gleichsam Ikonen- 
hafte Tradier- und Wiederholbarkeit des Bildes se 
hen zu wollen, so gibt es eine wirkliche Parallele
	        
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