Jahren der Apostel der Moderne in Wien und hat
als einer der ersten für die Kunst Klimts Partei ge
ncmmen.
Sowohl Klimt als auch Hermann Bahrs Gewand ist
auf eine gemeinsame Wurzel zurückzuführen. auf
die japanischer NdKostüme. Klimts Begeisterung
für alles Orientalische hat sicher auch Kenntnis
von diesen japanischen Gewändern gehabt, deren
Ärmeischnitte sehr deutliche Verwandtschaft mit
den eigenen Produkten ausweisen". Auch Paul
Poiret in Paris wurde im Hinblick auf seine revolu-
tionären Modeentwürfe als orientalisch beeinflußt
angesehenlz.
Das Kleid, das Emilie Fiöge auf einem der Fotos
(Abb. 1) von Dora Kallmus trägt, ist ein seidenes
Abendkleid mit dekorativen Leisten am Aus-
schnitt und in der Mitte. Der Hut ist im Zusammen-
hang mit dem Kleid entworfen wie offensichtlich
auch der Mantel. Auf den ersten Eindruck weist
der Entwurf nicht auf die Hand Gustav Klimts hin,
doch bei wiederholter Betrachtung, besonders
des Fotos in voller Figur, ruft die Sensuaiität und
Eleganz Klimts in Erinnerung. Die Absetzung der
Büste und die durchlaufende Linie ohne Betonung
der Taille sind eine ungewöhnliche Mcdeform.
Eine weiteres von Emilie Fiöge selbst getragenes
Kleid hat einen anderen Charakter (Abb. 2). Das
Foto von Dora Kallmus ist 1909 datiert und zeigt
offensichtlich die Modekünstlerin in einem weite-
ren eigenen Werk, dem sich Klimt-Zeichnungen im
Besitz der Galerie Samuels in New York versuchs-
weise zuordnen lassen. Drei dieser Zeichnungen
gehen auf die Jahre 1903-1904 zurück und entstan-
den als Studien für das Bildnis von Hermine
Galiia. Deutlicher noch ist die Beziehung zwi-
schen einer Bleistiftzeichnung von zirka 1905 von
Klimt für das Bildnis einer Dame (ebenfalls im Be
sitz der Galerie Spencer A. Samuels in New York).
Hier können Details wie Ärmeiiösungen sowie der
untere Rüschenabschiuß direkt verglichen
werden. Doch ganz besonders ist auf die geome-
trischen Ornamentformen des Kleides zu verwei-
sen, die auf dem Foto deutlich erkannt werden
können und der Stiisprache Klimts entsprachen.
Auf einem weiteren Foto von Dora Kallmus
(Abb. 3), das Emilie Fiöge zeigt, ist diese geometri-
sierende Ornamentform auf ein mit Blumenorna-
menten geschmücktes Kleid aufgesetzt worden,
so daß ein aus geometrischen und vegetablli-
schen Formen bestehender Kontrast entstanden
ist, der den ungewöhnlichen Reiz des Kleides aus-
macht.
Unter den Fotos von Dora Kallmus befinden sich
auch zwei für Damenhüte (Abb. 4 und 5), die 1910
datiert sind und die Bezeichnung tragen: llHut ent-
worfen vom Maler Kriesem Beide Modelle fügen
sich organisch in die Bestrebungen der Wiener
Werkstätte ein und steilen eine faszinierende Be-
reicherung der auf Originalität und Extravaganz
gerichteten Modetendenzen dar, wie sie sonst ali-
gemein mit Reformbewegungen selten zusam-
mengehen.
Ein weiterer Beweis für die von Gustav Klimt ange-
regten Modereformbestrebungen ist das Kleid von
Frau Friederike Beer-Monti auf ihrem Bildnis von
Klimt. Aus einem Brief der Nichte von Frau Beer-
Monti wird ersichtlich, daB das Kleid von der Wie-
ner Werkstätte gearbeitet wurde: vAile ihre Kleider
dieser Zeit waren entworfen und gearbeitet von
der Wiener Werkstätte, auch der Pelzmantel, den
Klimt allerdings von innen nach außen kehrte (,he
iiked the siik iining') und die Dargestellte in die-
sem Sinne maiteil-l
Die Aktivitäten der Wiener Werkstätte kann auch
für die Modeentwicklung als bedeutsam angese-
hen werden. Die Werkstätte wurde auf Initiative
von Fritz Warndörter, Josef Hoffmann (1870-1966)
und Kolo Moser (1868-1918) 1903 in Wien gegrün-
det und war in der Neustiftgasse 32 unter-
36
gebracht". Die führenden Lehrer und Meister wa-
ren neben Hoffmann und Moser Dagobert Peche
(1887-1923), der nach Hoffmann von 1913-1923 die
Leitung der Werkstätte übernahm, sowie Carl Otto
Zeschka, Mathilde Fiögl und Kitti Rix.
1907 tritt Eduard Wimmer-Wisgriil (1882-1961) hin-
zu und wurde Leiter der Modeabteiiung. Er hatte
zuvor bei Alfred Roiler und Josef Hoffmann stu-
diert. Der Sektor Mode tritt damit neben die vorher
im wesentlichen auf die Innenausstattung von
Häusern gerichteten Bestrebungen, wie es Josef
Hoffmann 1904 treffend im "Arbeitsprogramm der
Wiener Werkstätten formuliert hatte: "Solange
nicht unsere Städte, unsere Häuser, unsere Rau-
me, unsere Schranke, unsere Geräte, unsere Klei-
der und unser Schmuck, solange nicht unsere
Sprache und unsere Gefühle in schlichter, einfa-
cher und schöner Art den Geist unserer eigenen
Zeit versinnbiidlichen, sind wir unendlich weit ge
gen unsere Vorfahren zurück und keine Lüge kann
uns über alle diese Schwachen täuschen. . 15a.
G uEin Morgengewandu, Wiener Werkstätte, 1919. Ent-
wurf Prof. Eduard Wimmer-Wisgriil, nach einem Foto
von Dora Kallmus (GOra-Bende).
Anmerkungen 11-20
" Kazuo Okamoto" No-Kostume, Du. Februar 1964. S. 23-36.
u M. Braun-Ronsdorf: Mirror 01 Fashion. New York 1964. S. 175.
" Brief von Mrs. A. Shaplm an den Verfasser vom 2 Nov 1977 Auch
Schiele hat sowohl für die Wiener Werkstatte Entwurle fur Klei-
dung entworfen als BUCH Frau Friederike Eeer-Montl portratiert
(1914).
" Die Wiener Werkstätte, 190371928, Wien 1929. W Mrezek- Die
Wiedergeburt des Kunsthandwerks und die Wiener Werkstaile,
Alte und Moderne Kunst MailJuni 1964.
" Wlederebdruck in o. Breicha und e. Fritsch: Finale und Auftakt.
Wien 1999-1914, Salzburg 1964. s. 209-212.
" M. Eettersby: Art Deco Fashinh. London 1974
" w. Mrezek Eduard Josef Wimmer-Wisgrlll, Alte und Moderne
Kunst Norm-Dez. 195411965, S. 43 ff.
" a 9.0. w. Mrazek s 44.
" H Waissenberger Die Wiener Sezession, Munchen 1971. S. 112.
" a a0. w. Mrazek s 45.
Die Mode war somit bereits Teil der Grundsatzer-
kiärung von Josef Hoffmann, der die Wiener Werk-
statte durch die schwierigen Jahre von 1903-1913,
die "Hoffmann-Perioden, leitete. Doch erst durch
die intensive Mitarbeit von Eduard Wimmer-
Wisgriil erhielt die Mode eine neue bestimmende
Funktion innerhalb der Werkstätte. Eines der Fo
tos von Dora Kallmus (Abb. 6) zeigt einen Mo-
deentwurf von Eduard Wimmer-Wisgriil; ein Mor-
gengewand aus dem Jahre 1919, in dem die bis zu
einer Vorform von Art Deco reichenden Fähigkei-
ten dieses Modekünstlers deutlich hervortreten.
Das aus zwei Teilen bestehende Gewand zeigt ein
ornamentaies Muster. Der Unterteil, in Hosenform
geschnitten und piissiert, ist an den Knöchein ge-
rafft und gebunden. Der Oberteil ist offen überein-
andergeiegt und an den Seiten durch Schleifen
gebundeniö.
Rückblickend hat Eduard Josef Wimmer-Wisgriil
in einem Vortrag aus den späten 20er Jahren über
die entscheidenden Züge der Reform in der Mode
gesprochen und als das Zentrum der Bemühungen
das Reformkleid angesehen: "Dieses Reformkleid
- es war zunächst etwas abschreckend Häßli-
ches, ein wahrer Männerschreck und ein dankba-
res Objekt der damaligen noch sehr humorvollen
Simplizissimus-Zeichner - dieses Reformkleid
brach radikal mit der Wespentaiiie und hing einen
etwas pyramidai geformten Sack auf die Schul-
tern der Frau, der sehr zum Überfiuß noch mit brei-
ten Ornamenten im damaligen Jugendstil deko-
riert war...'7.u in seinem Vortrag ging Wimmer-
Wisgriii auch auf die Vergieichspunkte der paraiie
ien französischen Mode ein und betonte, daB Poi-
ret diese generellen Reformzüge aufgenommen
und "für die ganze zivilisierte Welt adaptiert
habeißu. R. Waissenberger hob die Rolle Wimmer-
Wisgriiis im internationalen Zusammenhang her-
vor, wenn er schrieb: "Schließlich erhielt die Mode
durch Eduard Wimmer wesentliche Anregungen
und machte sich durch eigene Entwürfe von den
Pariser Einflüssen weitgehend unabhängigih
Eine rückblickende Überschau über die revoiutio
nären Bewegungen des Jahrhunderts läßt deut-
iich werden, daß neben die großen Modekünstler
in Paris sowie neben dem von van de Velde und
Mohrbutter geführten Kampf für eine körpergemä-
Be Modekunst besonders Wien durch Werk und
Beispiel von Gustav Klimt, aber auch durch Schie
ie, Krieser und Wimmer-Wisgriil eine entscheiden-
de Rolle gespielt hat, die insbesondere durch die
Genialität Klimts eine spezifische Note erhielt. Es
war das besondere Verdienst Klimts, einer Ver-
männlichung der Frauenmode entgegengewirkt zu
haben, eine Gefahr, wie sie deutlich von Wimmer-
Wisgrill gesehen und formuliert worden war: ßEs
war die Gefahr, daß sich die Frau zu sehr vermänn-
licht und sich dadurch ihrer weiblichen Reizmittei
begeben häifezom
Klimts Universalität und seine reiche Ausdrucks-
begabung verstand es wie sein großer Zeitgenos-
se Paui Poiret in Paris, den Reformbestrebungen
der Zeit ihre doktrinäre Vernunft zu nehmen und
sie mit neuem künstlerischem und sinniichem Le-
ben zu füllen. Dies überstieg in den meisten Fällen
die praktischen, gesunden und häßlichen Produk-
te der meisten Modereformer der Jahrhundertwen-
de. Klimts Sensibilität gab nicht nur der Kunst sei-
ner Zeit einen tiefgreifenden neuen Sinn, sondern
auch der Modeentwicklung durch die für Emilie
Fiöge entworfenen Kleider und durch die von ihm
mit beeinfiußte Aktivität der Wiener Werkstätte le-
bendige impulse und bestimmende Werte. Seine
überragende Größe wird dadurch nur einmal mehr
bestätigt.
U Anschrift des Autors:
Prof. Dr. Udo Kuitermann
Schooi of ArchitectureIWashington University
St. Louis, Missourl, USA