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Siegeszug. In Schweden. das zum Vorbild eines so-
zialen Staates wurde, setzte eine weitreichende Auf-
klärungstätigkeit allgemeinbildender Institutionen
ein, die große Bevölkerungskreise mit den Prinzi-
pien des modernen Wohnens vertraut machte.
Nach der schwierigen Arbeit des Wiederaufbaues in
Mitteleuropa besann man sich mit dem steigenden
Wohlstand zunächst einer fast schon als klassisch
zu bezeichnenden Vergangenheit. So wurden die
ldeen des Bauhauses an den Hochschulen weiter-
entwickelt und von den Möbelfirmen aufgegriffen.
Bald aber fanden geschäftstüchtige Firmen heraus.
daß man mit modernen Möbeln blendende Ge-
schäfte machen konnte, wenn man nur dem allge-
meinen Publikumsgeschmack etwas entgegenkam.
Außerdem wurde die Welt kleiner, die Entfernungen
schrumpften mit der steigenden Geschwindigkeit
der Flugzeuge mehr und mehr zusammen. In Spa-
nien sah man rustikale Möbel. in Frankreich die
Prunkstücke Ludwigs XV. Es entstand in Europa ein
neuer Eklektizismus, jener sonderbare Stil, der die
lllustriertenberichte über die Wohnungen von Film-
stars und Industriemanagern zum Vorbild hatte.
Dem Pseudomcdernismus einer die Landschaft
überschwemmenden Häuschenarchitektur folgte
der Pseudomodernismus auch im Möbelbau.
Italien allerdings - ein Land, in dem man "auf der
Straße-k wohnt und dessen soziale Gegensätze zu
den krassesten in Europa gehören - errang bald
nach dem Krieg durch die großartigen Designer der
Mailänder Schule eine imponierende Stellung im
Möbelbau. vor allem durch Experimente mit dem
neuen Material Kunststoff. Wagemutige Unterneh-
men. zumeist kleine Möbelfirmen. fanden heraus.
wie gut sich dieses Material mit seiner plastischen
Verformbarkeit für die Möbelherstellung eignete.
Die Verbindung des norditalienischen Kapitalismus
mit progressiven Designern wurdezu einem europä-
ischen Phänomen.
Aus der Perfektion der fortschrittlichen amerikani-
schen Möbelfirmen und der Originalität der italieni-
schen Designer entwickelte sich eine neue Form der
internationalen Möbelproduktion, wobei wegen des
starken Konkurrenzdruckes auch bald Modelle zu
erschwinglichen Preisen angeboten wurden. Es
stand nun eine Vielzahl ausgezeichneter Produkte
für die Einrichtung jeder Wohnung zur Verfügung.
Allerdings mußten, den Gesetzen des Kapitalismus
folgend. immer neue Möbel auf den Markt kommen.
um die Produktion in Gang zu halten. Die Sensation
um jeden Preis. das w-Neue- mußte gefördert wer-
den.
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8 Ludwig Mies van der Rohe. Haus Tugendhat. Brilnn.
1930. Der große, nach zwei Seiten gegen Garten und
Wintergarten geöffnete Wohnraum wird mit frei stehen-
den Wänden und zurückhaltender Moblierung geglie-
dert.
9 Bard Henriksen. Umbau des Dachgeschosses eines Ko-
penhagener Hauses aus dem 18. Jahrhundert. Die einfa-
chen Formen der Stühle Arne Jaccbsens geben dem
Raum, der auf Einheitlichkeit und Repräsentation ver-
zichtet, die Atmosphäre moderner Wohnlichkeit.
10 Charles Eames und Eero Saarinen. Entwurf für einen
Armstuhl. 1940. The Museum cf Modern Art, New York.
Einer der zehn ersten Preise des Wettbewerbs "Organic
Design iri Home Furnishings-r, der 1941 vom Museum of
Modern Art in New York veranstaltet wurde.
Dieser Essay bietet eine Zusammenfassung der in dem
Buch von Karl Mang "Geschichte des modernen Möbels -
Von der handwerklichen Fertigung zur industriellen Pro-
duktion- (erschienen imVerIag Gerd Hatje, Stuttgart, 1978)
dargestellten gesamten Entwicklung.
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Cutrvlilrrrü
Die Stille und Klarheit der Bauhausatmosphäre. die
Möbel des sozialen Wohnbaues der zwanzigerJahre
sind heute kaum noch gefragt. Die Lebensweise der
siebziger Jahre verlangt nach Flexibilität und Varia-
bilität der Einrichtung. Dieser Forderung kommen
die zahlreichen Kombinationsmöglichkeiten sowie
die Formen- und Farbenvielfalt der Wohnlandschaft
entgegen. Diese Möbel lassen Umbauten und Ver-
änderungen zu. die dem Ablauf des Lebens auch in-
nerhalb der Familie entsprechen. Gleichzeitig zeigt
sich allerdings ein Rückzug auf das traute alte Mö-
bel, der in eine neueWelleder Nostalgie mündet: Die
Stühle des Jugendstils. Zeugen hochwertiger
Handwerksleistung. werden derzeit in Serien pro-
duziert.
Der westlichen Industriegesellschaft stehen heute
zwei Welten gegenüber: Einmal der Osten, der zwar
glaubt, gesellschaftspolitisches Vorbild zu sein. sich
aber im Möbelbau völlig an den Westen anschließt
oder ihn sogar im negativen Sinne zu übertrumpfen
sucht; von dort kommen vielfach die billigen Kopien
alter Stile. Eine eigenständige Linie, die zum Bei-
spiel der Einrichtung von Gemeinschaftshäusern
dienen könnte. hat sich bisher nicht gezeigt. Zum
anderen lebt die sogenannte Dritte Welt ebenfalls
von den Wohnideen des Westens. Sie zerstören dort
angewendete überlieferte Formen und haben nichts
mit den Lebensrhythmen gemein. die sich durch
Jahrhunderte erhalten haben. DerTraum, eine Indu-
strienaticn zu sein oder zu werden, Iäßt alle anderen
Überlegungen häufig in den Hintergrund treten. Zu
Beginn des letzten Viertels des zwanzigsten Jahr-
hunderts wird allerdings ein Lichtblick sichtbar. Die
Jugend glaubt nicht mehr so ganz an das Ideal rück-
sichtslosen Geldverdienens. und die sinnvoll einge-
richtete Wohnung. die ein zwangloses Zusammen-
leben erlaubt, gewinnt wieder an Wert. Vielleicht
finden wir heute den Weg zur Realisierung der Ideen
von William Morris, zu echten Möbeln, zur Einrich-
tung eines sozialen Zeitalters- nicht in dem Sinne.
daß wir die Maschine abschaffen, sondern daß wir
sie jene Produkte herstellen lassen. die wir als ge-
recht und gut befinden in einer Umgebung, die den
Sinn des Menschlichen auf dieser Welt ausstrahlt.
Fl Anschrift des Autors
Arch. Dipl.-Ing. Prof. Karl Mang
Präsident des Österreichischen
Institutes für Formgehung
Baumannstraße 9. 1030 Wien