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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXIII (1978 / Heft 160 und 161)

Elisabeth Ftücker 
Stammbuch und Embiematik 
Betrachtung anhand des 
Stammbuches von 
Hieronymus Haid aus Wien 
"Ich muB euch noch mein 
Stammbuch überreichen, 
G6nn' eure Gunst mir dieses 
Zeichen." 
(Goethe: Faust I, Vers 2045, 2046, 
Schüler zu dem als Faust verkleideten Mephisto) 
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Das Stammbuch ist eine der kuriosesten Formen 
des Buches. Es gilt als Handschrift. obwohl es auch 
Gedrucktes-sei es als Text. Kupler- oder Stahlstich 
- Zeichnungen. Malereien, Scherenschnitte. 
Stickereien und Buntpapiere enthalten kann, Für 
seinen Einband haben sich Buchbinder und Silber- 
schmiede meist besondere Mühe gegeben; gleich- 
gültig. ob sie einen Einband für einen festen Buch- 
block anfertigten. der alle diese unterschiedlichen 
Blätter vereint, oder ob sie ein Kästchen bauten. in 
dem die Blätter lose verwahrt werden. 
Überdie Entstehung diesermerkwürdigen Buchgat- 
tung. die im 20. Jahrhundert als Poesiealbum ein tri- 
viaies Ende fand. gibt die "Ökonomisch-technische 
Encyklopädie ...K von Johann Georg Kriinitz die 
ausführlichste Erklärung: n. . . Liber memoriae fau- 
torum et amicorum dicatus. Album; Livre de genea- 
logie; ein Erinnerungsbuch. in welchem Verwandte, 
Gönner und Freunde Denksprüche mit ihren Namen 
eigenhändig verzeichnen; auch wohl dabei eine 
Zeichnung mit der Feder. oder eine Malery mit Was- 
serfarben. z.B. ein Wappen. einen Blumenstrauß. 
hauptsächlich mit Vergißmeinnicht und Flosen, ein 
Stilleben. Quodliebet. eine Landschaft. auch Sinn- 
bilder. die sich auf eine Kunst. Wissenschaft. das 
Geschäft oder Gewerbe. den Handel beziehen. auch 
komische Gegenstände; auch werden zuweilen 
Stickereyen in Seide von Frauen und Jungfrauen 
zum Andenken hineingebracht. Diese Bücher haben 
die Breitoctav-Form . . . 
Der Einband ist gewöhnlich mit gepreßtem Leder 
überzogen. Die gewöhnlichsten Farben sind Zinno- 
ver oder Scharlachroth . . . Man hat auch Stammbü- 
cher mit losen oder fliegenden Blättern, die man 
dann an diejenigen austheilt, die man in seinem 
Stammbuche eingeschrieben zu sehen wünscht. 
Diese Art Stammbücher haben wahrscheinlich den 
Zweck. daß man eines Theils nicht sehen soll. wel- 
che Verwandte. Gönner und Freunde man hat, und 
anderen Theils damit keine Frau oder Jungfrau 
durch ein vielleicht nicht ganz anständiges Geden- 
kemein in Verlegenheit gesetzt werden soll. welches 
sich doch auch bei Freunden in ein Stammbuch ein- 
schleichen kann. e Der Ursprung der Stammbücher 
soll sehr alt sein; denn man will Spuren davon in den 
ältesten Zeiten derersten Christen gefunden haben. 
...lndessen scheint diese Angabe mehr darauf hin- 
zudeuten. dali man das Vorbild dazu bei den Rö- 
mern selbstzu suchen habe; denn bei dem genann- 
ten Volke war das Album eine weiße Tafel. welche 
man an der Wand befestigte. um darauf etwas öf- 
fentlich anzuzeigen. Erinnerungen zu machen... 
Wahrscheinlicher ist wohl der Ursprung der 
Stammbücher von den Stammregistern. Stamm- 
bäumen des Adels herzuleiten. Hiernach wäre also 
Stammbuch ein Geschlechtsbuch. .. Daß die 
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Stammbücher von den Stammregistern des i 
abzuleiten sind. geht daraus hervor, dali sie vo 
Mitte des sechzehnten Jahrhunderts an bis g 
das Ende des siebzehnten zur Mode, zum g 
Tone der großen Welt gehörten. und sie unterl 
schen Fürsten. Grafen und anderen Personen 
Adels- und auch des vornehmen oder angeseh 
Bürgerstandes gewöhnlich waren, Sie WL 
nachher von Gelehrten. die sich auf Vorzeigur 
lauchter und berühmter Namen etwas zu Gute 
ten, und von Personen geringeren Standes. en 
auch bloß Freundschalts halbernachgeahmt; l: 
zuletzt in der zweiten Hälfte des achtzehnten 
hunderts. nachdem sie bei den Großen schon I: 
außer Gebrauch waren. nur noch bei jungen Le 
Studenten. angetroffen wurden . .. 
Die nächste Veranlassung zu den Stammbüi 
sollen die sogenannten Symbola oder Wahlspi 
der Fürsten und anderer Herren gewesen sein 
wenn sie mit darauf anspielenden Figuren beg 
waren. Sinnbilder. Devisen hießen  
Eine besondere Zierde der alten Fürstlichen un 
deren großen Stammbücher machen die mit g 
Nettigkeit gefertigten. dem Wahlspruche vie 
beigesetzten Geschlechtswappen aus . . . Dac 
wurden diese Stammbücher in Gedenkbüche 
wandelt, welche Erinnerungen an freundschafi 
Verhältnisse. an geliebte, verwandte. interes 
Personen, an merkwürdige Ereignisse. an h: 
hebende Augenblicke. an Alles. was angenehn 
deutend. wirkend und waltend aus der Vergar 
heit und Gegenwart theilnehmend anspricht, z 
wahren, Der Reisende und der Gereiste überbli 
seinem Stammbuche die ganze Reihe seiner H 
begebenheiten . . . Der Freund der Wissensch 
zaubert mit dern Namen seiner Freunde auch 
im spätesten Alter sich die Freuden des freier 
wiederkehrenden. aber stets unvergeßlichen 
dentenlebens wieder hervor . . .'-- 
Diese zwar nur im Auszug zitierte Beschreibur 
ler den Begriff des Stammbuche berühre 
Aspekte vermag uns auch heute noch. nach an 
halb Jahrhunderten. die beste Vorstellung VOl 
kulturgeschichtlichen VielseitigkeitdieserBuc 
tung zu vermitteln. 
Alle einschlägige Sekundärliteratur der letzten 
zwanzig Jahre beruft sich immer wieder au 
Werk von Keil, das bereits 1893 erschien undi 
sich ein kurzer Hinweis auf Devisen. Wahlsprl 
Embleme und die Verwendung von gedruckter 
blembüchern mit durchschossenen Leerseite 
Stammbücher findet? 
Keils grundlegende Untersuchung fußt auf 
Weimarer Stammbuch-Sammlung (Ehem. Groi 
zogliche Bibliothek. heute Thüringische Land 
bliothek). die neben derjenigen in Wolfent
	        
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