und die Mehrzweckhaftigkeit der Konzeption und
Einrichtung.
Für die reichliche Anbringung von Verzierungen
wurde jeder nur mögliche Anlaß gesucht: von den
sockelartigen Stegen und den darauf gestellten
zoomorphen Gestellen mit Körbchen, über die
Beine mit ihren Basen, mit den in die Kannelüren ge-
legten Zierstäben und den Kapitellen, bis zum
Schreibkasten mit seiner Fülle verschiedenartigen
Schmucks - den Bronzebeschlägen, -zierleisten
und -plaketten. Solcher Aufwand war vielverspre-
chend. Er ließ bei der Innenausstattung zumindest
ein Äquivalent, wenn nicht noch eine Steigerung
erwarten. Denn seit den Kabinettschränken des Ma-
nierismus und des Frühbarock waren die preziösen
Kasten- und Schreibmöbel daraufhin angelegt, den
Besitzer beim Öffnen in den Genuß eines Überra-
schungseffekts zu bringen. Daß dieses Ziel erreicht
wurde. dafür garantierte die ausgeklügelte Mecha-
nik, mit deren Hilfe das Möbel für verschiedene
Zwecke brauchbar gemacht werden konnte, zu-
sammen mit den zierlich ausgeführten Utensilien,
mit denen es versehen war. Von all den Köstlichkei-
ten geben uns freilich die Photographien und die
Beschreibung auf der alten Karteikarte nur eine
blasse Vorstellung, denn wiederum war mit kostba-
rem Material, wie vergoldeter Bronze, Email und
Wedgewood-Porzellan. nicht gespart worden.
Ein Möbel mit einem solchen dekorativen und
zweckbestimmten Gesamtkonzept steht noch völlig
auf dem Boden der handwerklichen Tradition des
18. Jahrhunderts und der von ihr geprägten Ebeni-
sterie. die in den Meisterleistungen des Ancien re-
gime ihre höchste Erfüllung fand. Ganz selbstver-
ständlich mußte ein Handwerker von der Begabung
und den Fähigkeiten eines Benedikt Holl unter dem
Einfluß dieses Vorbildes stehen. schon gar, wenn er
nach seinem damals bereits recht vorgeschrittenen
Alter von 44 bzw. 46 Jahren Gelegenheit genug ge-
habt haben konnte, um ausreichende Erfahrungen
zu sammeln. Sie wurden durch sein ganzes Leben
für seine Arbeitsweise richtungweisend. Das zeigt
sich bei dem Schreibtisch von 1799 und nicht weni-
gerbei dem Karlsluster Möbel (Abb. 3), das wir in der
Reihe der signierten Arbeiten Holls an die zweite
Stelle setzen wollen.
Zur Begründung dieser Reihenfolge können wir uns
auf eine Schulzeichnung (Abb. 4) von Gottlieb Au-
gust Pohle berufen, die das Datum vom 5. Oktober
1807 trägt"; und zu einem ansehnlichen Konvolut
derartiger "Risse" zählt. das in der Kunstblätter-
sammlung des Österreichischen Museumsverwahrt
wird. Die Übereinstimmung der Zeichnung mit dem
ausgeführten Möbel ist eine so weitgehende. daß sie
auch für die Datierung des Schreibtisches den Aus-
schlag gibt. Er kann nur um die gleiche Zeit, im er-
sten Dezennium des Jahrhunderts, entstanden sein.
weshalb als orientierende Zeitmarke eine Datieru ng
"um 1805-1810w in Betracht zu ziehen wäre und
keinesfalls später. Dagegen würde neben derortho-
gonalen Strenge des Aufbaus auch das verwendete
Material sprechen. Eschenholz ist eine Sorte. die im
frühen franziszeischen Stil. um 1800, gerne für Mö-
bel von Distinktion gebrauchtwurde. Als Beispiel sei
auf das im Österreichischen Museum befindliche
Schreibpult von Johann Fleimann venuiesen, neben
dessen Signatur auch das Datum 1802 geschrieben
steht". Später wurde das Eschenholz vorn Maha-
goni verdrängt und trat erst wieder in den späten
zwanziger Jahren stärker hervor. Es wäre undenk-
bar. den Karlsluster Schreibtisch so spät anzusetzen
(zum "franziszeischen Stil" siehe Anm. 9h, j-l).
Es muß dieser Möbeltyp den maßgeblichen Wiener
Fachkreisen so geläufig gewesen sein, daß erwegen
der Präzisionsarbeit, die seine Herstellung verlang-
te. als Schulbeispiel ausgewählt wurde. Lag es da
nicht nahe. daß ein Meister. der sich etwas zutraute,
diese Herausforderung annahm und sich auf die An-
fertigung dieser eleganten Möbel verlegte?
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Natürlich haben das französische und das englische
Vorbild bei der Formgebung in entscheidendem
Maße Pate gestanden. Aber das erstere weit mehr als
das letztere. Um bei diesem zu beginnen, so ist ei-
gentlich bloß die waagrechte Tonne des Zylinder-
deckels englischer Herkunft (Abb. 6). Aber um wie-
viel eleganter und wohlproportionierter ist die Wie-
ner Lösung als jene, die Sheratons Entwurf vor-
schlägf". Und weshalb? Weil der Wiener Tisch die
englische Art der Zylinderführung mit den beiden
altbewährten französischen Typen des sogenann-
ten ß-Bonheur-du-iour" (siehe Anm.16a). des Da-
menschreibtisches mit niedrigem Ladenaufsatz,
und des Arbeitstischchens mit dem kleinen Korb auf
den geschweiften Stegen in einer so geglückten und
harmonischen Weise miteinander in Verbindung
brachte. daß man das Ergebnis ohne Übertreibung
als vollkommen bezeichnen kann.
Wir haben es demnach hier mit einem Möbel zu tun,
bei dem die wichtigsten Komponenten seines Kon-
zepts bis in den Louis XVl-Stil zurückreichen, somit
also Formgut des 18. Jahrhunderts sind und nichts
mit dem Empire zu tun haben. Das gilt es anzumer-
ken. weil diese stilistischen Zusammenhänge für die
Wiener Situation (siehe Anm. 9, h) und daher für die
richtige Einschätzung und Datierung der hiesigen
Kleinmöbel solcher Art ausschlaggebend sind.
Ganz anders verhält es sich bei dem Arbeitstisch-
chen mit Birkenmaserfurnier und Stahlbeschlägen
(Abb. 12)". Hier dürften wir es mit dem aus Paris im-
portierten Typus eines hochmodernen Luxusmö-
bels zu tun haben. das dort im ersten Dezennium des
Jahrhunderts aufgekommen sein muß. Aber so wie
der Tisch vor uns steht. war er gewiß nicht von An-
fang an erdacht und entworfen worden. In einem er-
sten Stadium war die Kassette mit ihrer reichen in-
neneinrichtung verschiedenster Bestimmung ein
Gegenstand für sich. in einer nächsten Entwick-
lungsphase stellte man die Kassette auf ein passen-
des Tischchen, das in halber Höhe mit einem einge-
faßten Ablagefach versehen sein konnte, wie das
schon im Louis XV und noch mehr im Louis XVI üb-
lich geworden wer. Erst in einem dritten Schritt wur-
den beide bis dahin getrennten Teile, also die Kas-
sette und der Tisch. konsequentenueise zu einer
Einheit verbunden, wie es das Tischchen im Wiener
Museum zeigt. Dieser Ablauf muß sich innerhalb
kürzester Frist ereignet haben, und es wird dabei
nicht anders als in vielen ähnlichen Fällen gewesen
sein, daß nämlich alle drei Möglichkeiten auch ne-
beneinander in Gebrauch sein konnten.
Diese Schilderung der Evolution des Möbeltyps, wie
ihn das Arbeitstischchen verkörpert, ist allerdings
bloß als ein Versuch zu werten. der einzig und allein
auf der Erfahrung beruht. weil keine einschlägigen
Literaturstelien ausfindig zu machen waren. Als
wichtigster Beweis für den vermutlich richtig ge-
schilderten Hergang sei ein wenig bekanntes. aber
sehr prominentes Pariser Beispiel des zweiten Ent-
wicklungsstadiums, also der entscheidenden Zwi-
schenstufe, angeführt (Abb. 13). Es ist das kostbare
Toilette-Necesseire mit dem dazugehörigen Tisch-
chen oder Gueridon, die beide im Jahre 1806 von
dem bekannten Ebenisten Felix Fiemond für Kaise-
rin Josephine in das Palais des Tuileries geliefert
wurden und sich heute im Schloß Malmaison befin-
den". Sehr bald darauf muß auch das WienerTisch-
chen angefertigt worden sein. Für die Zeit seiner
Entstehung gibt es nämlich einen recht verläßlichen
Terminus ante quem. Ludwig Neustifter hat erst
kürzlich darauf verwiesen, daß eine der vier Gou-
achen von Balthasar Wigand. auf der Innenseite des
Deckels, die Franzensburg in Laxenburg in einem
nur bis 1809 zutreffenden Bauzustand zeigt".
Alswichtigste Markierungen und Fixpunkte auf dem
Weg zu einer richtigen Datierung von Wiener Klein-
möbeln bieten sich zwei Exemplare dieser Art im
Österreichischen Museum an: eine dreigeschossige
Etagere (Abb. 14) und ein kleiner Arbeitstisch
(Abb. 15). Die Etagere trägt auf der einen S
wand das Datum MDCCCVII und auf der an
den Namen BENEDICT". Das Möbel mit Holl ii
bindung zu bringen. scheint trotz der Nai
gleichheit nicht vertretbar. Es fehlt die für Hr
zeichnende Präzision. Beim seitlichen Fiä
schmuck ist die Binnenzeichnung nicht in Ma
rie ausgeführt, sondern. nach Art einer lavierti
derzeichnung, auf das nur im Umriß der Motiv
gesägte helle Holz aufgetragen. Ein solches
weichen in eine nicht tischlerische Technik st
Gegensatz zu Holls hohem Oualitätsstandarc
schließlich schreibterseinen Vornamen ander
entscheidender als die Beantwortung dieser
ist es jedoch. sich die Formgebung eines zeitl
eindeutig bestimmten Möbels gut einzupräge
man sich im Vergleichsfalle daran wird halter
sen.
Dem zweiten Möbel kommt ähnliche Bedeutu
weil es mit einer datierten Zeichnung sehr vi
hende Übereinstimmung zeigt (Abb. 15, 16.
Man sehe sich die Gestaltung des ganzen St
systems daraufhin an. verfolge den Verlai
Schweifung, registriere die Venuendung von
rechten Sprossen, gedrechselten toskan
Säulchen und waagrechten Verstrebungen, i
unterste Stege auf kleinen Kugelfüßen ruhe
die mäanderartig endenden Auflagen fehlen t
Tisch im Gegensatz zur Zeichnung den Zwi:
stücken unterhalb der Säulen eine Raute auf
ist. fällt nicht ins Gewicht. Ebenso verhält es s
der abweichenden Form des Korbes; sie istoh
lang. weil es sich dabei um eine Ergänzung h:
Denn auch dieses zierliche Möbel hatte nac
Krieg am Bergungsort schwerste Beschädig
zu erleiden gehabt; doch fanden sich bis a
Körbchen alle Bestandteile wieder.
In Anbetracht derÄhnlichkeit mitderZeichnu
dem Konvolut des Gottlieb August Pohle, das
rungen von 1804 bis 1809 aufweist. erschi
durchaus statthaft, als Entstehungszeit des l
"um 1810" anzugeben. Man kann mit Recht:
diesem Fall schon Gesagtes wiederholen,
doch nahelag, wenn ein Tischler auf den Gec
kam, ein Modell auszuführen, dessen Zeichn
Unterricht allgemein geübt worden war.
lV.
Und nun zur Probe aufs Exempel. Wenn rr
diesen zeitlich fixierbaren Beispielen den l
Tisch mit Marketerie und Tuschmalerei verg
dann ist nicht einzusehen. weshalb man ih
späte Datierung gab, die er bisher in der L
erhielt (Abb. 18. 19)". Sie schwankt ZWlSChl
1830" und "um 1840". Doch wäre in dieser
zehnt und kurz darüber hinaus ein solches Ti
stell längst nicht mehr zeitgemäß gewesen.
dieStützen ausgedachte System mit seinen S
fungen und Überschneidungen soll eine as
ornamentale Figur" ergeben (ähnlich wie t
Abb. 14 und 16); unabhängig von der Arcl
und fern von jeder Monumentalität. Das ent
aber nicht der Gestaltungsweise, wie sie da
nationale Empire und das vom ihm gepräg
dermeier bevorzugten. Das deckt sich mit d
der Schulzeichnungen im Österreichische
seum, die - obwohl im ersten Dezennium de
hunderts, also in der Blütezeit des Empire e
den - nichts damit zu tun haben. Sie vertret
Auffassung, die auf älteren französischen un
schen Vorbildern und Anregungen basiert u
storisch und kulturhistorisch begründet - Vl
treffendsten als franziszeischer Stil zu bezr
wäre (siehe Anm. 9. h. j-l).
Dabei haben wir noch gar nicht die Marke
Augenschein genommen und nicht nach il'
deutung gefragt. Alle Flächen des Möbels
nur das Tischblatt. auch die Zarge und das
vorderstück, iaselbst die Stützen und Stege