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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXIII (1978 / Heft 160 und 161)

schlesisch-böhmischen Raum angehöre, wird 
durch das hierzu besprechende Beispiel, das in der 
Sammlung Fritz Biemann, Zürich, bewahrt wird, be- 
kräftigt. Bei diesem ungewöhnlich hohen, nahezu 
zylindrischen Glas auf niedrigem Fuß mit blauem 
Überfang handelt es sich um einen Typus. der 
nachweislich in der Gräflich Harrachschen Glas- 
hütte in Neuwelt hergestellt wurde. Eine aus dem 
Nationalfabriksproduktenkabinett stammende for- 
male Parallele im Technischen Museum in Wien von 
1849 mit rotem Uberfangdekor kann dies bezeugen 
und bietet zugleich für die Entstehung unseres Gla- 
ses einen zeitlichen Anhaltspunkt um 185025. Wich- 
tig ist vor allem die in rahmendes Ast- und Blattwerk 
eingebettete Hauptdarstellung: Für diese auf hellem 
mattiertem Grund aus dem blauen Überfang her- 
ausgeschnittene Figurengruppe der reitenden 
Amazone im Kampf gegen eine das Pferd ansprin- 
gende Pantherkatze verwendete Zach eine damals 
weltberühmte Komposition alsVorbild, und zwar die 
uberlebensgroße Bronzeskulptur des August Kiss, 
die im Jahre 1843 an der rechten Treppenwange vor 
der Front des Schinkelschen Alten Museums in Ber- 
lin aufgestellt wurde" (Abb. 14). Mit diesem Bild- 
werk feierte der noch relativ junge Kiss als hoff- 
nungsvoller Schüler des bekannten Bildhauers 
Christian Rauch seinen ersten großen Triumph. Ei- 
nen Triumph, der von der aufsehenerregenden Aus- 
stellung des Tonmodells 1839 in der Flauchschen 
Werkstatt über die von begeisterten Gönnern und 
schließlich Friedrich Wilhelm IV. bereitgestellte Fi- 
nanzierung des teuren Gusses 1841 bis hin zur Pra- 
sentation eines bronzierten Kolossalabgusses in der 
Londoner Weltausstellung von 1851 reichte. Das in- 
ternationale Echo schlug sich nicht nur literarisch, 
sondern in einer Flut von plastischen Nachbildun- 
gen in getriebenem Silber oder in Zinkabgüssen 
nieder, während die Amazone in Berlin eine Volks- 
tümlichkeit erreichte, die ihrsogar den Aufdruck auf 
Zigarrentaschen und anderen Geratschaften be- 
scherte. wBerlin und Preußen standen eine ganze 
Zeit lang im Zeichen derAmazonezT-r Daß Zach sich 
von dieser allgemeinen Erregung mitreißen ließ, ist 
einleuchtend - um so eigentümlicher ist es jedoch, 
daß er die Amazone nicht von der üblichen Schau- 
seite her darstellte, sondern gerade von der Gegen- 
seite. Dies mag damit zusammenhangen. daß der 
rassige Pferdekopf auf der "rechten-- Seite völlig 
von dem in die Gurgel des aufbaumenden Reittieres 
verbissenen Panther verdeckt wird. Der Glaskünst- 
ler zog offenbar die Klarheit der Silhouette vor - er 
verzichtete deswegen sogar auf das rechte Vorder- 
bein des Pferdes -, doch mußte er dafür in Kauf 
nehmen. daß dem mit dem Kissschen Werk nicht 
vertrauten Betrachter seines Glases nun der Kopf 
des Katzenraubtieres und damit der eigentliche 
Zielpunkt für die zum Todesstoß angesetzte Lanze 
der Amazone verborgen blieb, Sieht man von dieser 
im Sujet selbst liegenden Schwierigkeit ab, so kann 
man seine Geschicklichkeit, mit der durchaus nicht 
einfachen Aufgabenstellung fertig zu werden, nur 
bewundern. Eine gewisse Derbheit der Modellie- 
rung und die massige Überhöhung des Felsensok- 
kels mochten angesichts der groben. fast klobigen 
Gefäßform der Wirkung des Schnittdekors propor- 
tional durchaus zugute kommen. Da sämtliche gra- 
phischen Abbildungen derAmazonengruppe immer 
nur die Hauptschauseite wiedergeben, muß sich 
Zach an einer dreidimensionalen Ausführung orien- 
tiert haben. Dies war seit Februar1839 am Original in 
Berlin möglich, im gleichen Jahrwar ein Hilfsrnodell 
in der Breslauer Ausstellung der schlesischen Ge- 
sellschaft für Vaterländische Kultur gezeigt worden, 
1840 hatte sich Ludwig l. von Bayern eine Marmor- 
nachbildung fertigen lassen, 1851 folgte die Darbie- 
tung in London, und spätestens von da an waren 
kleine Nachbildungen überall verbreitet. Dafur, daß 
Zach die Übertragung auf das Glas mit Hilfe einerei- 
genen Nachzeichnung nach dem Original oder 
solch einem Nachgul! durchgeführt hat. spricht 
auch der Umstand, daß er der Amazone im Gegen- 
satz zum Vorbild eine selbst erdachte kurzärmelige 
Oberbekleidung angetan hat. Vieles deutet darauf 
hin, daß wir es hier mit einem derfrühesten, noch in 
seiner böhmischen oder schlesischen Heimat ent- 
standenen Werk Zachszu tun haben. das spatestens 
im Anschluß an die von der Londoner Ausstellung 
15 
 
 
1851 ausgeloste internationale Begeisterungswelle 
für die Amazone entstanden sein wird. Im Hinblick 
auf die Möglichkeit, daß Zach später tatsächlich 
langere Zeit oder überhaupt in England gearbeitet 
hat, ist anzunehmen, daß er mit seiner Variante auf 
Glas dort ein erfolgreiches Debut gewärtigen konn- 
te. Bis 1855 war erjedoch anscheinend noch in sei- 
ner Heimat tätig oder unterhielt Kontakte dorthin 
aufrecht. da Gläser seiner Hand in diesem Jahr bei 
der Pariser Weltausstellung von der Firma Franz 
Steigerwald präsentiert wurden". Steigerwald hatte 
in den zwanziger Jahren in enger Verbindung mit 
der Haidaer Glasveredelung eine Glashandelsfirma 
in Würzburg und Frankfurt a.M. mit Badesaisonbe- 
trieben in Wiesbaden und Bad Ems gegründet. Für 
ihn war bereits Dominik Biemann zwischen 1828 
und 1840 tatig gewesen", und später pflegten auch 
Karl Günther und Karl Pfohl geschäftliche Bezie- 
hungen zu ihm, nachdem er in den vierziger Jahren 
noch eine Münchner Filiale eröffnet hatte". Es mag 
kein Zufall sein, daß es sich bei diesen Namen um die 
besten Meister der bohmischen Glasschnittkunst 
des 19. Jahrhunderts handelte, die Franz Steiger- 
wald vertrat. Der internationale Absatz dieser Firma 
forderte das höchstmögliche Qualitätsniveau. 
Für unsere Untersuchung ist es wohl ebenfalls kaum 
zufällig, daß es vor allem gerade diese vom interna- 
tionalen Publikum anerkannten Glasschneider wa- 
ren, die sich in einzelnen Versuchen der komplizier- 
ten Wiedergabe von Bildwerken auf Gläsern an- 
nahmen. Da diese Tendenz freilich von der Eignung 
der Vorbilder ebenso abhängig war wie von der Ge- 
schicklichkeit der Glaskünstler, hielt sie nur für eine 
kurze Blütezeitzwischen 1830 und 186D an, um dann 
wieder völlig in Vergessenheit zu geraten. 
3 Anschrift des Autors: 
Prof. Dr. Brigitte Klesse 
Direktor des Kunslgewerbemuseums 
der Stadt Koln 
Eigelstelntorburg 
0-5000 Koln 1 
41
	        
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