steigerten Piastizität, ihrer allseitigen Vermitte-
lung durch radial ausstrahlendes Akanthusbiatt-
werk und vor allem mit ihrer dämonischen Aus-
drucksintensltat von sardonischer SeIbstversun-
kenheit, ähneln den beiden Krasteinmaskarons
der unteren Balustrade (1. Stock) des Grafenegger
Hauptturms (an dessen Hoffront). im obersten
Raum wird der Turm inschriftiich 1861 datiert und
Franz Schönthaler als Bildhauer angegeben. lhm
mochte der Verfasser also die Singerstraßen-
Maskarons zuschreiben. Schönthaier, geboren
1821, war einer der bedeutendsten Bildhauer des
Wiener Kontinulsmus, und zwar weniger für Ein-
zelmonumente als für Skulptur in direkterer Ver-
bindung zu den übrigen Künsten - für die also,
weiche landläufig mit dem (mißverstandenen)
Schlagwort "dekorativ-i belegt wird. Unter ande
rem wirkte er am Arsenal, dem Opernhaus, dem
Kaiser-Ferdinand-Nordbahngebaude, dem Ste
phansdom (wo Leopold Ernst zeitweilig Dom
baumeister war), einem der Wiener Liechten-
stein-Palais, dem Stadttheater, den Kaiser-
Appartements im Neuen Burgtheater und der Her-
mesvilla im Lainzer Tiergarten".
Der schmale Fries im großen Salon des Breunner-
paiais mit seinem Knorpelwerkornament und den
von der Wand zur Decke verbindenden agraffenar-
tigen übergreifenden Konsolen ist äußerst ähnlich
dem Fries der Grafenegger uHalleii (Südflügel, Be
ietage, östlicher Eckraum). Die Konsolen in beiden
Räumen sind fast identisch.
Nach allem bisher angeführten dürfte der große
Raum des Singerstraßenpalais kurz vor 1870 ent-
standen sein. Einzelbezüge zu Grafenegg wurden
erwiesen. Aber auch im Gesamteindruck besteht
ein Bezug: vor allem beim Knorpelwerkornament,
aber auch sonst zeigt sich Intensität von absicht-
iich verwirrenden und phantasievoll ineinander-
verbundenen Einzeiformen (Ausnahme natürlich
die Deckenkomposition). Dadurch entsteht eine
dämonische, das lfMenSChllChöii bannende Stim-
mung. Dasselbe ist allgemein in den Grafenegger
Räumen der Fall. Unterstützt wird die Stimmung
durch die iifoncierte-i (koioristisch tief gedämpfte)
Haltung des Raumes. Auch die Beleuchtung, ver-
mutlich ein Heiidunkei, wird mitgewirkt haben; da
die Fensterportleren fehlen, bleibt es bei der Ver-
mutung, denn die Vorhänge ermöglichten damals
die imaginierte Beleuchtungsstimmung durch die
Art ihrer Gestaltung. Das verwirrende, dabei sou-
veran präzise ineinander der Formen steht in kon-
tradiktorischem Gegensatz zu der nüchternen
Überschaubarkelt, die im Rationalismus ein
Hauptprinzip war.
Und dabei ist all diese bannende Bizarrerie nur ei-
ne Komponente des Raumeindrucks. Die andere
ist die klare (aber nicht simple) symbolische Tek-
tonisierung bei Decke, Tür und Kamin. Aus der Po
larität von wuchernder, seltsamer, überraschen-
der Bizarrerie besonders beim Ornament ein-
schließlich der Wand-Tenture einerseits und der
klaren Tektonik andererseits wird in romantischer
Weise Einheit.
im Ahnensaai (Abb. 2, 3) des Breunnerpaiais zeigt
der Plafond gegenüber dem des Großen Salons
mehr Variation in der Komposition, auch mehr
Vielteiiigkeit und verschiedene Holztöne. Die gro-
ße pathetische Dramatik des Großen Salons fin-
det sich nicht, sie ist sicher nicht angestrebt. Aber
das gelangte Sechseck als Kassettenform spielt
wieder eine wichtige Rolle, im Ahnensaai auch zu-
weilen an einer Schmalseite geradlinig abge
schnitten. Die Grafenegger Vergleichsbeispiele
für diese Kassettenfigurationen wurden bei Be-
sprechung des großen Salons des Paiais' Breun-
ner angeführt.
Die Wandgestaitung im Ahnensaal ist anders als
im Großen Salon, abgesehen von dem intensiven,
verwirrend phantastischen Ausdrucksgehalt der
Stoffdessinierung (im Ahnensaal ein mattgiitzern-
des Golddessin auf dunklem Fond, einer der
schönsten in kontinuistischen Wiener Denkma-
lern erhaltenen Stoffe). Die Vertafeiung im Ahnen-
saal ist weit hinaufgezogen. Die Zone darüber ist
die Hauptzone der Wand. Die Wand hat also eine
ausdrucksmäßige Kopfgewichtigkeit, das ist ei-
nes der häufigsten und typischsten Formprinzi-
pien des gesamten Kontinuismus, und zwar fin-
det sich dieses Verlegen des bedeutungsmäßigen
Schwergewichtes nach oben in allen bildenden
Künsten. Der Verfasser wies erstmals 1969 an
Wiener Beispielen darauf hinil.
Abgesehen von der Kopfgewichtigkeit gilt für die
Ahnensaalwände die Äußerung Jacob von Falkes:
rZur Hoizwand kann sich auch vortrefflich ein
bildlicher Schmuck, sei es in aufgehängten Bil-
dern oder in Wandmalerei, hinzugeselien, indem
die Vertäfelung nicht zu voller Höhe der Wand hin-
aufgezogen wird, sondern ein friesartiger Streif
oberhalb des Gesimses übrig bleibLJÄ-i Falke
wirkte vor allem in Wien als Kunsttheoretiker von
Wohnräumen und Kunstgewerbe; sein umfangrei-
ches Oeuvre hatte bedeutenden Einfiuß auf die
Praxis, besonders die aufiagenreiche uKUFlSi im
Hausen, aus der obiges Zitat stammt.
Die Ahnenbildrahmen sind zu Aedikuien tektoni-
siert. So geschätzt das Aedikuiamctiv im Großen
Salon des Breunnerpaiais und generell in Grafen-
egg war - wie erwähnt -, so ist doch eine so
monumentale Tektonisierung bei Gemäiderahmen
ganz ungewöhnlich. Eine wahrscheinliche Ursa-
che dafür gibt der schon zitierte Falke an. Er
schreibt, Staffeleigemäide "entstehen im Atelier
ganz selbständig, ohne alle Rücksicht auf die
Wand, weiche sie einmal schmücken sollen, sie
tragen ihr ästhetisches Ziel allein in sich... im
Zimmer sollen sie Decoration sein und sind doch
nach Entstehung und Absicht isolierte, selbstän-
dige Kunstwerke...44u. Bei Falke ist "Decoratlonii
nicht "Verzierung" oder simple Ausstattung eines
Raumes mit Objekten, sondern Schöpfung einer
ausdrucksmäßigen Gesamtharmonie eines Rau-
mes in Form und Farbe, auch das Resultat einer
solchen Schöpfungß. Hierbei steigern sich die bil-
denden Künste und deren Werke wechselseitig
zum Ensemble oder sogar zum Gesamtkunstwerk,
analog steigern sich auch Anregungen der ver-
schiedenen vorkontinuistischen Epochen oder
Werke derselben. Was die Ahnengemaide angeht,
so wirkt ein tektonisierter Rahmen der Isolierung
des Staffeleibildes als Gattung in i-Decorationenii
entgegen; er bringt das Gemälde in Bezug zur
Archi-Tektur des Raumes, und im konkreten Falle
im Breunnerpaiais um so mehr, als in der Aedikula
ein dort auch sonst vorkommendes Motiv gewählt
wurde. Wenn die Tektonisierung der Isolierung der
Gemälde entgegenwirkt, steigert sie andererseits
übrigens deren Selbständigkeit und macht sie zu
Monumenten im Gesamtmonument des Raumes.
Der Unterschied zwischen Isolierung und Selb
ständigkeit von Kunstwerken, die sich in einer gro-
Beren Einheit (hier einem Raum) befinden, dieser
Unterschied, wie ihn der Kontinuismus sah, wird
hier anschaulich. Wer ihn nicht nachvcllzieht,
kann überhaupt nicht Kunstwerke der Epoche als
Einheit erkennen, weil dem Kontinuismus eine
Einheit aus der Vielfalt solcher selbständiger,
aber nicht isolierter Teile spezifisch ist, und zwar
durchwegs und als eine Grundvoraussetzung.
Die Boiserie des Ahnensaals zeigt an der auf
Abb. 3 sichtbaren Wand in der Mitte ebenfalls ein
Motiv von monumentaler Tektonik, relativ selb-
ständig: das Konstantinsbogenmotiv. Gottfried
Semper hat es so häufig verwendet, daß es als Teil
seines Stiles gelten mußß. Sempers umfassender
Einfluß auf seine Epoche bedarf keines Beweises
mehr.
Der Kamin des Ahnensaals ist wieder diagonal