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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXIV (1979 / Heft 163)

steigerten Piastizität, ihrer allseitigen Vermitte- 
lung durch radial ausstrahlendes Akanthusbiatt- 
werk und vor allem mit ihrer dämonischen Aus- 
drucksintensltat von sardonischer SeIbstversun- 
kenheit, ähneln den beiden Krasteinmaskarons 
der unteren Balustrade (1. Stock) des Grafenegger 
Hauptturms (an dessen Hoffront). im obersten 
Raum wird der Turm inschriftiich 1861 datiert und 
Franz Schönthaler als Bildhauer angegeben. lhm 
mochte der Verfasser also die Singerstraßen- 
Maskarons zuschreiben. Schönthaier, geboren 
1821, war einer der bedeutendsten Bildhauer des 
Wiener Kontinulsmus, und zwar weniger für Ein- 
zelmonumente als für Skulptur in direkterer Ver- 
bindung zu den übrigen Künsten - für die also, 
weiche landläufig mit dem (mißverstandenen) 
Schlagwort "dekorativ-i belegt wird. Unter ande 
rem wirkte er am Arsenal, dem Opernhaus, dem 
Kaiser-Ferdinand-Nordbahngebaude, dem Ste 
phansdom (wo Leopold Ernst zeitweilig Dom 
baumeister war), einem der Wiener Liechten- 
stein-Palais, dem Stadttheater, den Kaiser- 
Appartements im Neuen Burgtheater und der Her- 
mesvilla im Lainzer Tiergarten". 
Der schmale Fries im großen Salon des Breunner- 
paiais mit seinem Knorpelwerkornament und den 
von der Wand zur Decke verbindenden agraffenar- 
tigen übergreifenden Konsolen ist äußerst ähnlich 
dem Fries der Grafenegger uHalleii (Südflügel, Be 
ietage, östlicher Eckraum). Die Konsolen in beiden 
Räumen sind fast identisch. 
Nach allem bisher angeführten dürfte der große 
Raum des Singerstraßenpalais kurz vor 1870 ent- 
standen sein. Einzelbezüge zu Grafenegg wurden 
erwiesen. Aber auch im Gesamteindruck besteht 
ein Bezug: vor allem beim Knorpelwerkornament, 
aber auch sonst zeigt sich Intensität von absicht- 
iich verwirrenden und phantasievoll ineinander- 
verbundenen Einzeiformen (Ausnahme natürlich 
die Deckenkomposition). Dadurch entsteht eine 
dämonische, das lfMenSChllChöii bannende Stim- 
mung. Dasselbe ist allgemein in den Grafenegger 
Räumen der Fall. Unterstützt wird die Stimmung 
durch die iifoncierte-i (koioristisch tief gedämpfte) 
Haltung des Raumes. Auch die Beleuchtung, ver- 
mutlich ein Heiidunkei, wird mitgewirkt haben; da 
die Fensterportleren fehlen, bleibt es bei der Ver- 
mutung, denn die Vorhänge ermöglichten damals 
die imaginierte Beleuchtungsstimmung durch die 
Art ihrer Gestaltung. Das verwirrende, dabei sou- 
veran präzise ineinander der Formen steht in kon- 
tradiktorischem Gegensatz zu der nüchternen 
Überschaubarkelt, die im Rationalismus ein 
Hauptprinzip war. 
Und dabei ist all diese bannende Bizarrerie nur ei- 
ne Komponente des Raumeindrucks. Die andere 
ist die klare (aber nicht simple) symbolische Tek- 
tonisierung bei Decke, Tür und Kamin. Aus der Po 
larität von wuchernder, seltsamer, überraschen- 
der Bizarrerie besonders beim Ornament ein- 
schließlich der Wand-Tenture einerseits und der 
klaren Tektonik andererseits wird in romantischer 
Weise Einheit. 
im Ahnensaai (Abb. 2, 3) des Breunnerpaiais zeigt 
der Plafond gegenüber dem des Großen Salons 
mehr Variation in der Komposition, auch mehr 
Vielteiiigkeit und verschiedene Holztöne. Die gro- 
ße pathetische Dramatik des Großen Salons fin- 
det sich nicht, sie ist sicher nicht angestrebt. Aber 
das gelangte Sechseck als Kassettenform spielt 
wieder eine wichtige Rolle, im Ahnensaai auch zu- 
weilen an einer Schmalseite geradlinig abge 
schnitten. Die Grafenegger Vergleichsbeispiele 
für diese Kassettenfigurationen wurden bei Be- 
sprechung des großen Salons des Paiais' Breun- 
ner angeführt. 
Die Wandgestaitung im Ahnensaal ist anders als 
im Großen Salon, abgesehen von dem intensiven, 
verwirrend phantastischen Ausdrucksgehalt der 
Stoffdessinierung (im Ahnensaal ein mattgiitzern- 
des Golddessin auf dunklem Fond, einer der 
schönsten in kontinuistischen Wiener Denkma- 
lern erhaltenen Stoffe). Die Vertafeiung im Ahnen- 
saal ist weit hinaufgezogen. Die Zone darüber ist 
die Hauptzone der Wand. Die Wand hat also eine 
ausdrucksmäßige Kopfgewichtigkeit, das ist ei- 
nes der häufigsten und typischsten Formprinzi- 
pien des gesamten Kontinuismus, und zwar fin- 
det sich dieses Verlegen des bedeutungsmäßigen 
Schwergewichtes nach oben in allen bildenden 
Künsten. Der Verfasser wies erstmals 1969 an 
Wiener Beispielen darauf hinil. 
Abgesehen von der Kopfgewichtigkeit gilt für die 
Ahnensaalwände die Äußerung Jacob von Falkes: 
rZur Hoizwand kann sich auch vortrefflich ein 
bildlicher Schmuck, sei es in aufgehängten Bil- 
dern oder in Wandmalerei, hinzugeselien, indem 
die Vertäfelung nicht zu voller Höhe der Wand hin- 
aufgezogen wird, sondern ein friesartiger Streif 
oberhalb des Gesimses übrig bleibLJÄ-i Falke 
wirkte vor allem in Wien als Kunsttheoretiker von 
Wohnräumen und Kunstgewerbe; sein umfangrei- 
ches Oeuvre hatte bedeutenden Einfiuß auf die 
Praxis, besonders die aufiagenreiche uKUFlSi im 
Hausen, aus der obiges Zitat stammt. 
Die Ahnenbildrahmen sind zu Aedikuien tektoni- 
siert. So geschätzt das Aedikuiamctiv im Großen 
Salon des Breunnerpaiais und generell in Grafen- 
egg war - wie erwähnt -, so ist doch eine so 
monumentale Tektonisierung bei Gemäiderahmen 
ganz ungewöhnlich. Eine wahrscheinliche Ursa- 
che dafür gibt der schon zitierte Falke an. Er 
schreibt, Staffeleigemäide "entstehen im Atelier 
ganz selbständig, ohne alle Rücksicht auf die 
Wand, weiche sie einmal schmücken sollen, sie 
tragen ihr ästhetisches Ziel allein in sich... im 
Zimmer sollen sie Decoration sein und sind doch 
nach Entstehung und Absicht isolierte, selbstän- 
dige Kunstwerke...44u. Bei Falke ist "Decoratlonii 
nicht "Verzierung" oder simple Ausstattung eines 
Raumes mit Objekten, sondern Schöpfung einer 
ausdrucksmäßigen Gesamtharmonie eines Rau- 
mes in Form und Farbe, auch das Resultat einer 
solchen Schöpfungß. Hierbei steigern sich die bil- 
denden Künste und deren Werke wechselseitig 
zum Ensemble oder sogar zum Gesamtkunstwerk, 
analog steigern sich auch Anregungen der ver- 
schiedenen vorkontinuistischen Epochen oder 
Werke derselben. Was die Ahnengemaide angeht, 
so wirkt ein tektonisierter Rahmen der Isolierung 
des Staffeleibildes als Gattung in i-Decorationenii 
entgegen; er bringt das Gemälde in Bezug zur 
Archi-Tektur des Raumes, und im konkreten Falle 
im Breunnerpaiais um so mehr, als in der Aedikula 
ein dort auch sonst vorkommendes Motiv gewählt 
wurde. Wenn die Tektonisierung der Isolierung der 
Gemälde entgegenwirkt, steigert sie andererseits 
übrigens deren Selbständigkeit und macht sie zu 
Monumenten im Gesamtmonument des Raumes. 
Der Unterschied zwischen Isolierung und Selb 
ständigkeit von Kunstwerken, die sich in einer gro- 
Beren Einheit (hier einem Raum) befinden, dieser 
Unterschied, wie ihn der Kontinuismus sah, wird 
hier anschaulich. Wer ihn nicht nachvcllzieht, 
kann überhaupt nicht Kunstwerke der Epoche als 
Einheit erkennen, weil dem Kontinuismus eine 
Einheit aus der Vielfalt solcher selbständiger, 
aber nicht isolierter Teile spezifisch ist, und zwar 
durchwegs und als eine Grundvoraussetzung. 
Die Boiserie des Ahnensaals zeigt an der auf 
Abb. 3 sichtbaren Wand in der Mitte ebenfalls ein 
Motiv von monumentaler Tektonik, relativ selb- 
ständig: das Konstantinsbogenmotiv. Gottfried 
Semper hat es so häufig verwendet, daß es als Teil 
seines Stiles gelten mußß. Sempers umfassender 
Einfluß auf seine Epoche bedarf keines Beweises 
mehr. 
Der Kamin des Ahnensaals ist wieder diagonal
	        
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