Gottfried Biedermann
Zum wBildnisu-Stil
Meister Theoderichs
und Peter Parlers
Nachbemerkungen zur
Parler-Ausstellung in Köln 1978! 79
Anmerkungen 14
' J. Blalostocki, Spatmittelalter und beginnende Neuzeit. Propy-
läsn-Kunstgsschichte. Berlin 1972. au. 1. Abb. 212a. b. Vgl. auch
n. Hausherr. Zu Auftrag. Programm und Büsten-Zyklus des Prager
Domchores. In. Zeitschrift fur Kunstgeschichte. 197i. a4. s. 21 n.
'- Was z.B. als wkarntnarischt- oder wsteirisch- läuft. erscheint zu-
rnindest ungeklä wenn nicht als fragwürdig.
2 G. Schmidt. Malerei bis 145D. Talelmalarei-Wandmalerei-Buchma-
lersi, m. Gotik in Böhmen. ms. von K. M. Swoboda. Manchen 1969.
S. 202.
3 J. Peslna. in: -Die Pnrlar und der schone Stil ISSO-ldßßn Katalog
der Ausstellung In Küln 1978179. Köln 1978. Bd. ll. S. 758 H.
' A. Friedl. Magister Thsodoricus. Das Problem seiner malerischen
Form. Prag 1956.
Kaiser Karl lV. hat in seiner Prager Residenz der
Kunst im Rahmen der allgemeinpolitischen Ziele
eine so außergewöhnliche Rolle zugewiesen. wie
dies während des Spätmittelalters nicht noch einmal
sein sollte und zuvor vielleicht nur unter Karl dem
Großen und Friedrich Il. in ähnlichem Maße der Fall
gewesen war. Die intellektuelle Aufgeschlossenheit
und europäisch-humanistische Bildung Karls lV.
bewirkten in Prag. aber nicht nur hier. eine erstaun-
liche Konzentration künstlerischer Kräfte. die viel
Fremdes importierten und dennoch Neues hervor-
brachten. Es war eine Aufgabe der Ausstellung in
Köln. nach diesem Besonderen. Typischen und Cha-
rakteristischen der wPrager Hofkunstß von ca. 1350
bis 1400 gefragt zu haben. Viel anschauliches Mate-
rial auseuropäischen Ländern wurdezusammenge-
tragen und ergab ein an sich rundes Bild. Was man
leider vermissen mußte. waren die Rolle und der Bei-
trag Englands zur Parler-Kunst. Weder die Ausstel-
lung noch das mehrbändige Handbuch wußte
darauf eine Antwort. Damit kann man sich keines-
falls begnügen, denn England hat sich ohne Frage
deutlich mit dem Festland berührt. wenn auch auf
der anderen Seite die Dimension des gegenseitigen
Einflusses keineswegs befriedigend geklärt er-
scheint. Es ließen sich neben Exeters Portalfiguren
Kopfkonsolen und Büsten in Ely oder Bristol nennen
oder auch auf eine Figur in Westminster HaIllLon-
don hinweisen'. Der dreibändige Katalog (Hand-
buch) war wie erwartet mehr als ein Vademecum.
und dennoch hat er einige unübersehbare Lücken
aufzuweisen, wenn man von der oft sehr verwirren-
den Meinungsvielfalt. z.B. Peter Parler betreffend.
absieht. So besteht Österreichs Beitrag zur Parler-
Kunst nur aus Wien und Salzburg". Eine durchge-
hende Einheitlichkeit konnte verständlicherweise
auch bei der Auswahl der Exponate nicht erreicht
werden. Alles in allem gab die Ausstellung in Köln
viele Anregungen und Denkanstöße. die man in Zu-
kunft weiter verfolgen sollte und muß. Man hat ge-
merkt. daß vieles neuerlich in Frage und zur Diskus-
sion gestellt wird. Einer von den vielen nicht beant-
worteten Fragen. die schon in Köln offengeblieben
ist. möchte ich im folgenden etwas nachgehen. Sie
stellt ein Problem der Berührung von Malerei und
Skulptur der Zeit um 1360170 dar. weniger ein for-
males als vielmehrein phänomenologisches und hi-
storisch bedingtes. Man kann den Fragenkomplex
mit einigen Schlagwörtern und Hilfsbegriffen. wie
"Individualität des Ausdrucks-A. w-Bildnisgradii. "Ty-
penvariation-t u.a.m.. zwar nicht auflösen, aber an-
schneiden. Es handeltsich hier um Begriffe. die frei-
lich manchmal von der Forschung nebeneinander
verwendet werden, aber sich dem ganzen Problem
nur approximativ nähern können; meßbar sind etwa
Bildnishaftigkeit oder der Grad der Porträtähnlich-
keit ohnehin kaum. Man muß versuchen. diese Be-
griffe in konkreten Zusammenhang mit Werken der
Kunst zu bringen. Selbstverständlich wird man dann
aufsolche Künstlerpersönlichkeiten wieTheoderich
und Peter Parler treffen. Es beschäftigt uns die Fra-
ge. wie sich denn ihr Stil einerseits berührt, ander-
seits vom Zeitstil unterschieden werden kann. Zu-
nächst einige eher grundsätzliche Bemerkungen
zum Oeuvre beider Künstler. Dafür bieten mehrere
Publikationen die Basis. Meister Theoderich war
Hofmaler oder -pictor regisa Karls lV. Erwar Schöp-
fer und Vertreter einer Malergeneration. die zwi-
schen Tradition und Innovation vermittelte. Die
Größe Theoderichs wird nicht von allen Autoren
gleich beurteilt. manche sagen. er sei kein wirklich
genialer Maler, sondern eher eine originelle Er-
scheinung gewesenz. Theoderich hatte Hausbesitz
in Prag und ist als aktiver Maler zwischen 1359 bis
1368 nachweisbar. 1381 ist er wahrscheinlich ver-
storben. Die Ausmalung der Kreuzkapelle auf der
Burg Karlstein bei Prag steht mit seinem Namen in
enger Verbindung: sie erfolgte 1360165". Hier war
Theoderich an maßgeblicher Stelle beteiligt. Insge-
samt hat man am Gesamtprogramm drei Künstler-
hände unterschieden. die sich bei genauerem Stu-
dium herauskristallisieren lassen'. Während die an-
deren beteiligten Künstler zuweilen von bestimmter
Flachheit der Form und des Ausdrucks sind. stellt
man bei Theoderich zwar nicht eben Eleganz, aber
dafür eine direkte, unmittelbar und spontan auf den
Betrachter wirkende Malweise fest. Man gewinnt
den Eindruck. daß es Theoderich geradezu auf eine
lebendige Gestaltung der Figuren ankam, daß seine
Figuren miteinem Gegenüberkommunizieren; dazu
übertrieb und übersteigerte er anatomische For-
men. setzte sie oft in ein unausgewogenes. unglei-
ches Verhältnis zueinander. Kaum aber war Theo-
derich -irrational-. wie dies J. Pesina festzustellen
glaubte, im Gegenteil. er war rational, wenn man
darunter seine zutiefst in der irdischen Vorstel-
lungswelt verankerten Typen und Figuren meint. die
nach menschlichem Maßstab gebildet erscheinen.
An die kraftvolle. vitale Manierzu malen sind andere
böhmische Meister vor und nach Theoderich kaum
herangekommen. Rangordnung und Chronologie
der Werke können im folgenden nicht ausführlich
besprochen werden. Eine Anzahl von Heiligen-
wbildnissena (in diesem Begriff liegtvislleicht schon
etwas von dem persönlichen Stil) hat sich erhalten.
keine Darstellungen sind wirklich ganz profaner Na-
tur und aus dem religiösen Rahmen vollständig aus-
zugliedern. Somit bewegte sich Theoderich durch-
aus im traditionellen Rahmen mittelalterlicher
Kunst. ln den meisten Fällen hat er die äußere Form
der Büste gewählt, die allerdings in ihrer Profilwie-
dergabe variiert wurde. Dem persönlich-individu-
ellen Typus nach und inhaltlich unterschied er. d.h.
er arbeitete den Charakter des Ausdrucks heraus.
ihm war die Alterswiedergahe, das Temperament.
geistiger Zustand (Wachsamkeit, Contemplatic . . .)
als Instrument individueller künstlerischer Gestal-
tung wichtig. Jede Figur erhält damit einen nicht
austauschbaren Platz innerhalb desgroßen Ganzen.
Dies scheint doch etwas Besonderes in Theoderichs
Wollen gewesen zu sein. Die für Schloß Karlstein.
das weltlichem Anspruch in demselben Maße genü-
gen sollte wie persönlich-religiöser Meditation, ge-
schaffenen Heiligen fügen sich zu einergroiiartigen
lkonenwand eigenen. unverwechselbaren Charak-
ters zusammen. bei der das Serienhafte genauso
auffällt wie das Einzelbild. die Gerichtetheit aller Fi-
guren auf ein gemeinsames Zentrum genauso wie
die in sich abgeschlossenen Elnzelfiguren. Wiesehr
nun auch für das Gesamtprogramm Theoderichs
Wille ausschlaggebend und bildend gewesen ist.
läßt sich schwer entscheiden. man gewinnt aber den
Eindruck. daß die gesamte Ausstattung in Karlstein
ohne Theoderichs Beitrag viel mehr eine Schau-
wand moralischen Inhalts wäre als auch eine Serie
einzeln groß heraustretender Figuren. denen Indivi-
duelles eigen ist. die sich aber nicht als isolierte
Porträts von Heiligen diesem Ganzen einfügen. So-
weit es in diesem äußeren Rahmen ging. vermochte
sich Theoderich von der althergebrachten Vorstel-
Iung des idealisierten Heiligen zu lösen und versah
diesen mit irdisch-menschlichen Zügen und Gebär-
den. Jede Frage nach dem persönlichen Stil des Ma-
lers hat sich an dem Problem individueller Darstel-
lungsweise, wobei auch das singuläre Bildnis zählt.
zu orientieren. Nehmen wir nun einige Beispiele aus
dem Gesamtoeuvre heraus. um der Eigenart Theo-
derichs näherzukommen. Die in der Nationalgalerie
zu Prag befindliche Tafel mit der Darstellung des
Evangelisten Matthäus ist zunächst bestimmt von
einer Ausschnitthaftigkeit in formalem Sinne. Auf
dem kubisch wirkenden. im Bildraum schräg veran-
kerten Rumpf sitzt ein mächtiger bärtiger Kopf.
dessen Blick nachdenklich und meditierend auf das
Evangelium, eben nicht aufden Akt des Schreibens.
gerichtet erscheint. Man meint hier Seherisches.
Prophetisches. jalnspiration selbst zu verspüren. Es
handeltsich um ein Stadium bestimmter Geistigkeit.
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