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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXIV (1979 / Heft 166 und 167)

Gehalt des Ornaments besser fassen als dort, wo 
ihm ein spezifischer ikonographischer Sinn -zu- 
kommt. Das ist der Fall bei den aus Lorbeerblättern 
geflochtenen Festons in den Nischen über den Por- 
talen und in der Attika der Gräber (Abb. 3, 4). Der 
Lorbeer ist ein altes mediceisches Emblem. Um 
seine Symbolik. die im übrigen eng verbunden ist 
mit dem Selbstverständnis der Renaissance und der 
Idee des nrinasci", rankt sich eine weitverzweigte 
Ikonographie der mediceischen Prosperitäte. Das 
Grünen des Lorbeers meinte das Gedeihen der 
hstirps mediceaw; die Lebenskraft, die den abge- 
hauenen Strunk mit neuem Laub schmückt, bedeu- 
tete die Lebenskraft dieses Geschlechtes. Der medi- 
ceische Lorbeer, der ehedem stets als blühender fri- 
scher Zweig oder als Baum in der Pflege der Götter 
erschien, ist in der Neuen Sakristei zum toten Grab- 
schmuck geworden, seine Blätter und Früchte sind 
kunstvoll zu Artefakten gebunden. Die dem Lorbeer 
und den Medici gemeinsame, sich immer wieder 
verjüngende und erneuernde Lebenskraft ist in die- 
sem Schmuck erloschen. Das Emblem bezeugt 
nicht mehr die Hoffnung auf neue Blüte und aber- 
malige Renovation, sondern deren Vergangenheit, 
denn mit dem Geschlecht stirbt auch der Sinn des 
v-sempew - des lebensgewissen Wahlspruchs, den 
der grüne Zweig ausdrückte. Die Hoffnung auf das 
irdische, zeitliche vrinasci-r ist tot, aber sie verwan- 
delt sich im Patrozinium der Grabkapelle in die 
Glaubensgewißheit der verheißenen ßWiederge- 
burtw in der Auferstehung. Diesen Erscheinungs- 
formen der abgeschlossenen geschichtlichen Zeit 
in Architektur und Ornament entspricht in der 
Skulptur die Stillegung der täglichen, der profanen 
Zeit. Auf einer Entwurfsskizze zu den Grabmälern 
hat Michelangelo selbst diesen Gedanken zu Papier 
gebracht: "Der Ruhm hält die Epitaphien hinge- 
streckt, es geht nicht vonrvärts und nicht zurück, 
denn sie (die Medici) sind tot, ihr Tun ist abge- 
schlossenU 
Der Stillstand der Zeit ist das Thema der Allegorien 
derTageszeiten auf den Sarkophagen. Das Inaktive, 
Schwere und Lastende, das In-Trauer-Gelähmtsein 
und gleichsam Schlafbefangene ihres gesamten 
Körperausdrucks ist zu oft beschrieben worden, als 
daß es hier wiederholt werden müßte. Michelangelo 
hat ein allegorisches Gespräch zwischen dem Tag 
und der Nacht notiert, in dem es heißt: t-Der Tag und 
die Nacht sprechen und sagen: wir haben mit unse- 
rem schnellen Lauf den Herzog Giuliano zum Tode 
geführt; es ist wohl recht. daß er dafür Rache nehme, 
wie er es tut, und die Rache ist diese: dawir ihn getö- 
tet haben, so hat nun er mit seinem Tode uns das 
Licht genommen und hat mit seinen geschlossenen 
Augen die unseren verschlossen, so daß sie nicht 
mehr über der Erde leuchten. Was hätte er also mit 
uns gemacht, wenn er am Leben geblieben wäreh" 
Tag und Nacht bedenken also ihr tragisches Ge- 
schick als ßpersönlicheß Zeit des Mediceers, mit 
dessen Leben und Tod, den siejaherbeiführen muß- 
ten, sie selbst unausweichlich und unmittelbar ver- 
bunden sind. In der Verknüpfung ihres verhängnis- 
vollen Laufes mit der Sterblichkeit des Herzogs ist 
die Zeit selbst wandelbar und sterblich geworden. 
im Tod des Medici führt sich die Zeit ihrem eigenen 
Ende entgegen. Ihr Ende ist Stillstand und im Still- 
stand wird sie zum Bild. ln den Bildwerken zeigt sich 
die gebrochene Macht der Zeit, weil sie in der kör- 
perhaften Fixierung von der Zeitlichkeit ihres eige- 
nen finalen Prinzips ereilt wird. Der Bildzustand, in 
dem die Zeit sich ihrer selbst und - wie das von Mi- 
chelangelo gedichtete Gespräch zeigt - auch ihres 
Tuns bewußt wird, bedeutet für sie Tatenlosigkeit, 
Schlaf- und Traumbefangen heit. In der Allegorie tritt 
Kunst die Nachfolge der Zeit an. Nur auf das Wesen 
der Zeit bezogen, löst sich das Paradox, daß es im 
Bewußtwerden ein Verlöschen gibt. daß in der Re- 
flexion Macht gebrochen wird und die Bildwerdung 
Negierung bedeuten kann. 
In dem zitierten Gespräch von Tag und Nacht heißt 
es, daß ihnen das Licht genommen sei, mit dem sie 
über die Erde leuchten. Tatsächlich hat Michelan- 
gelo den Raum so beleuchtet, daß schon sein Licht 
jenes Erlebnis vorn Stillstand der Zeit zu vermitteln 
imstande ist. Zunächst einmal dient es, wie ich mei- 
ne, zur Identifizierung der Tageszeiten allgemein: 
Das Gesichtdes "Giornor- ist voll beleuchtet, dasder 
ßNotte-r ganz verschattet und die Gesichter von 
eCrepusculor- und "Aurorau sind je zur Hälfte be- 
leuchtet und verschattet. Es ist aber nur dann mög- 
lich, diese Beleuchtung durch das natürliche Tages- 
licht konstant zu halten, wenn das Licht steil aus der 
Höhe herabfällt und niemals die direkte Sonnenein- 
strahlung dieses Beleuchtungsgleichgewicht stört. 
Die Süd- und Ostseite der Sakristei schließt sich 
dem Baukörper der Kirche San Lorenzo an. die Fen- 
ster im zweiten Geschoß sind daher auf diesen Sei- 
ten blind. Die Folge davon ist, daß der Wechsel der 
Tageszeiten im Inneren der Kapelle kaum wahrge- 
nommen wird. Mit dem Licht steht die Zeit still. 
Durch den allegorischen Tod der Tageszeiten und 
durch die Ausschaltung ihres Lichtes ist der profa- 
ne, mundane Zeitbegriff entwertet und ungültig ge- 
worden. Er wird ersetzt durch einen liturgischen 
Rhythmus und damit durch einen sakralen Zeitbe- 
griff. Clemens VII. bestimmte in einer Bulle im Jahre 
1532 den außerordentlich reichen Totendienst, der 
darin bestand, daß vier Kapläne (je zwei abwech- 
selnd) Tag und Nacht und nur durch die Meßzeiten 
unterbrochen, Gebete für die Toten und Lebenden 
des Hauses Medici sprechen und jeden Morgen 
mindestens vier Messen für die Verstorbenen gele- 
sen werden sollten. Mehrere Quellen geben Zeugnis 
von der Einhaltung dieser Bestimmungen, die erst 
1629 und 1807 abgeändert bzw. aufgehoben wur- 
den. 1574 berichtet ein französischer Reisender. der 
die Kapelle besucht: "Bemerkenswert ist, daß in die- 
ser Kapelle stets und zu jeder Stunde, des Tages wie 
der Nacht, zwei Priesteraufden Knien zu Gott fürdie 
in den Grabmälern Beigesetzten beten. Alle zwei 
Stunden werden sie abgelöst. Die einzige Unterbre- 
chung sind die Hauptmesse und die Vesper, wo alle 
zusammen betens." 
Diese Iiturgisch-sakrale Neuordnung der Zeit weist 
freilich über den Begriff Zeit hinaus, sie ist gerichtet 
aufjene eschatologische Erfüllung der Zeit, die in 
der Auferstehung Christi bereits vonrveggenommen 
ist und mit diesem Namen im Patrozinium der Grab- 
kapelle erscheint. 
Wer als Besucher einmal das Glück hat, die Kapelle 
ohne viele Menschen und ohne die Erklärung der 
Fremdenführer vorzufinden, wird eine Raumerfah- 
rung machen, wie er sie in keiner anderen sakralen 
oder profanen, weder in bewohnbarer noch unbe- 
wohnbarer Architektur gewinnen kann. Sein erster 
Eindruck wird bewußt oder unbewußt davon be- 
stimmt, daß er sich, obwohl er inmitten eines Rau- 
mes steht, nur Außenwänden gegenübersieht. Es 
gibt nirgendwo sonst Bauten. welche die Außenfor- 
rnen der Fenster ins Innere übertragen. Man steht 
zwischen Außenfassaden und doch in einem Zen- 
tralraum. Dieser Raum aber ist außerordentlich steil 
-ein Eindruck, derdurch die tatsächliche Höhe ent- 
steht und durch die sich verjüngenden Fenster des 
Pendentivgeschosses noch verstärkt wird. In dieser 
Überhöhung ist der Raum als Ganzes schwer faßbar, 
erverliert seine prägnante Gestalt. Deshalb gewinnt 
die Raumgrenze den Vorrang. Dies trifft vor allem 
dort zu, wo sie in Flächen und Reliefschichten diffe- 
renziert ist, also im Geschoß der Grabmäler, die ja 
Fassadenarchitekturen sind. Der überkuppelte Zen- 
tralraum kehrt sich um in einen "Fassadenraums. 
dessen Wandstruktur eine gleichsam innenräumli- 
che Situation von Außenarchitekturen erzeugt. Sein 
elnnenr- ist ein wZwischem dem "Außen". Die Her- 
einnahme des Fassadenhaften, nach außen Gewen- 
deten, erzeugt ein sich im Innersten Verschließen- 
des; mit einem Wort, es ist ein paradoxer, hermeti-
	        
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