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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXIV (1979 / Heft 166 und 167)

mit dem Hinweis auf Andrea Pozzos Deckenge- 
mälde im Gartenpalais Liechtenstein zu Wien 
(1704-1709)"erklärtwerdenAußerdem erreichtdas 
Motiv in gemalter und stuckierter Form um 1720 
seine größte Verbreitung"). Doch abgesehen von 
der Weitergabe des Motivs innerhalb derselben 
Künstlerfamilie. kommt der Balustrade als integrier- 
tem Bestandteil des Wandaufbaus, wie sie in 
Kremsmünster erscheint, der Rang der Erstmalig- 
keit zu. Als die wesentlichste Gemeinsamkeit dieser 
Dekorationen in Ludwigsburg und Kremsmünster 
ist festzustellen. daß sie trotz des Abstandes von 
mehr als einer Generation diese unvenivechselbare 
Eigenart in der bildräumlichen Verflechtung von 
Stuckdekoration und Deckenmalerei beibehalten, 
die beide Elemente als unmittelbar aufeinander be- 
zogene und kontinuierlich sich steigernde Einheit 
auffaßt. Die Verwirklichung dieser biidräumlichen 
Grundkonzeption in der Form. wie sie erstmals in 
der Wiener Servitenkirche und in der Stiftskirche 
Kremsmünstererscheint, und die damit verbundene 
Doppelnatur des Stuckornaments in der Schwebe 
zwischen Bild- und Lichtraum findet in der Balu- 
strade ihren sinnfälligsten Ausdruck. Diese Ambiva- 
Ienz der Balustrade bekundet sich in ihrer Ver- 
tauschbarkeit zwischen den Bereichen der Stuck- 
dekoration und der Deckenmalerei. Die in der Fen- 
sterzone des Mittelschiffs der Stiftskirche Krems- 
münster vorgebildete Lichtbezogenheit findet bei 
Fischer v. Erlach in der oberen Gruftkapelle des 
Grazer Mausoleums und der Salzburger Kollegien- 
kirche durch die Ausdehnung auf die gesamte 
Stuckdekoration ihre konsequente Weiterentwick- 
lung und eine großartige Steigerung. Die Weiterbil- 
dung dieser schwebenden Ornamentstruktur bei 
Diego Francesco Carlone in Lambach. die bereits 
wesentliche Elemente des Kremsmünsterer Dekora- 
tionsstils mit einbezieht, wird in Ludwigsburg zur 
Synthese aller dieser Stilkomponenten geführt. Der 
abgebildete größere Dekoraticnsausschnitt aus 
dem Saal des Spielpavillons zeigt bei den Putten- 
gruppen auf dem Kuppelgesims die höchste Diffe- 
renzierung der Lichthaftigkeit im Kontrast zum 
Kremsmünsterer Balustradenmotiv, das nun im 
Deckengemälde Colombas eine ausschließlich bild- 
räumliche Funktion besitzt (Abb. 11). Die Ausbil- 
dung dereinzelnen Dekorationsstrukturen und ihrer 
wechselseitigen Beziehungen erfolgt mit einer Aus- 
gewogenheit und Klarheit, daß die einzelnen Stil- 
komponenten in ihrerSynthese völlig überschaubar 
und strukturell homogen bleiben. 
Die hier beobachtete Wanderung des Balustraden- 
motivs in der Zeit zwischen 1680 und 1720 und die 
Expansion seiner räumlichen Struktur im weitesten 
Sinne auf den Dekorationsstil dieser Epoche cha- 
rakterisiert durch die außerordentliche Vielschich- 
tigkeit der Erscheinungsformen die Entfaltung des 
spätbarocken Gesamtkunstwerkes in einer Weise. 
wie sie nur auf der höchsten künstlerischen Rang- 
stufe möglich ist. Die Spannweite der motivischen 
und strukturellen Variation innerhalb der Künstler- 
gruppen Barbarino-Colomba und Fischerv. Erlach 
- Carlone, die an der Spitze dieser Epoche stehen, 
läßt bei der Vielfalt ihrer individuellen künstleri- 
schen Ausdrucksmöglichkeiten ein Maß an struktu- 
reller Homogenität und immanenter künstlerischer 
Konsequenz erkennen, welche die innere Gesetz- 
mäßigkeit des Epochenstils und des Personalstils 
stets einhält. Dieses Gleichgewicht und die innere 
Übereinstimmung von Personalstil und Epochensfil 
ist die Ursache dafür. daß die konstanten Grund- 
strukturen, aus denen sich das spätbarocke Ge- 
samtkunstwerk entfaltet, stets transparent bleiben. 
Daraus erklärt sich das Festhalten an bestimmten 
Dekorationsmotiven, wie die Balustrade oder die 
Girlande, die für die Ausbildung der Grundstruktur 
von maßgeblicher Bedeutung sind. Nur so läßt es 
sich erklären, daß bei Diego Francesco Carlone in 
der westlichen Spiegelgalerie von Schloß Ludwigs- 
burg 0715116)" das Motiv des Puttos mit dem 
verlorenen Profil auftaucht (Abb. 12). das Barbarino 
ein halbesJahrhundert zuvorzu Seiten der Zwickel- 
gemälde in der Kuppel der Wiener Servitenkirche 
erstmals angewandt hat. 
Das vornehmste Beispiel für die weiträumige Aus- 
strahlung dieser Ornamentmotive und bildräumli- 
chen Strukturen sind neben Schloß Ludwigsburg 
die italienischen Stuckdekorationen im Kloster Ot- 
tobeuren. Es wäre sehr verlockend, die Stuckdekora- 
tionen jener Räume zu untersuchen, in denen die 
Balustrade eine wesentliche Rolle spielt. Allein 
schon die Aufzählung dieserRäume besagt viel über 
Hang und Bedeutung des Balustradenmotivs: Bi- 
bliothek, mittleres Haupttreppenhaus. Theatersaal, 
Kaisersaal und dessen Vorsaal. Hier sei nur das Mit- 
teltreppenhaus herausgegriffen. dessen Stukkatur 
vom Trupp des Andrea Maini (1722123) geschaf- 
fen wurde". Die Balustrade erscheint hier als Ein- 
fassung der Deckengemälde in stuckierter und ge- 
malter Form (Abb. 13). Die Einbeziehung der stuk- 
kierten Balustrade als schwebender Bildsockel in 
das Deckengemälde entwickelt ihre bereits in 
Kremsmünster ausgeprägte Lichtbezogenheit kon- 
sequent weiter und verschmilzt sie, teilweise an die 
Stelle der Scheinarchitektur tretend. mit der Bild- 
räumlichkeit. Der Schwebezustand wird durch die 
Adler unterhalb der Zwickelkartuschen betont und 
gesteigert. Diese Synthese von Lichtbezogenheit 
und Bildräumlichkeit steht eindeutig unter dem Ein- 
fluß der Dekoration Carlones und Colombas im 
Spielpavillon von Schloß Ludwigsburg. Die Kartu- 
sche am Übergang von der Mittelarkade zur Balu- 
strade weist durch ihre Verwandtschaft mit Carlones 
Kartuschenform in Lambach unmittelbar auf das- 
selbe Ornamentmotiv in der Kollegienkirche zurück. 
In der rhythmischen Anlage der Girlande, die von der 
Kartusche ausgeht. ist aber immer noch das Vorbild 
von Kremsmünster erstaunlich stark wirksam. Es 
bestätigt sich hier wieder die starke und nachhaltige 
Wirkungskraft der konstanten Grundstrukturen in 
der Integration von Stuckdekoration und Decken- 
malerei, deren weitreichende Wirkung aus der Re- 
zeption des Dekorationsstils Barbarinos durch Fi- 
scher v. Erlach und Carlone hervorgegangen ist. 
Daß diese Beziehung zu Kremsmünster keine Einzel- 
erscheinung ist, beweist die Stuckdekoration des 
Raumes Nr. 189 im 1. Obergeschoß des Südflügels 
(um 1721-1723)". Das Zentrum des Deckenspiegels 
wird von einer rhythmisierten Girlande umrahmt, die 
von Putten und Adlern gehalten wird (Abb. 14). Die 
rhythmische Anlage der Girlande entspricht völlig 
jener am Vorhallengewölbe der Stiftskirche Krems- 
münstern. Von einer unmittelbaren Vorbildlichkeit 
der Kremsmünsterer Vorhallenstukkatur kann 
selbstverständlich nicht die Rede sein. da zu diesem 
Zeitpunkt dieser Dekorationstyp in Süddeutschland 
allgemein verbreitet war. Doch an derTatsache, daß 
hier in typologischer und struktureller Hinsicht die 
Auswirkung des Kremsmünsterer Dekorationstyps 
festzustellen ist. ändert dies nichts. Die Weiterent- 
wicklung dieses Dekorationstyps durch die Schüler 
Barbarinos veranschaulicht Girolamo Alfieri im 
Kremsmünsterer Kapitelzimmer. Hier erscheint er in 
der Hohlkehle, bereichert durch das Eckmotiv des 
Adlers (Abb. 15). Ohne Zweifel spielt auch die Fries- 
dekoration in der Katharinenkirche des Grazer Mau- 
soleums als Vorstufe eine wesentliche Rolle. Cha- 
rakteristisch für den Rhythmus der Girlande an der 
Ottobeurer Decke sind die Putten, die mit senkrecht 
erhobenem Arm die Girlande halten und dadurch ihr 
Gesicht verdecken. Wegen des besseren Erhal- 
fungszustandes wird hier ein Stuckdetail mit einem 
völlig übereinstimmenden Putto aus dem Kanzlei- 
treppenhaus abgebildet, das dem Raum Nr. 189 un- 
mittelbar benachbart ist und offensichtlich vom 
gleichen Trupp stuckiert wurde (Abb. 16)". Die mo- 
tivische und strukturelle Verwandtschaft mit dem 
abgebildeten Stuckdetail aus der Kuppel derWiener 
Anmerkungen 18-27 
ll 
I. 
z: 
z: 
zr 
Bernhard Kerber. Andrea P0110 (Beitrage zur Kunstgeschichte S). 
Berlin- Navii York 1971. S, 75-82. Tafel 58. 
Kloster Ebrach. Treppenhaus (Ballhnsar Neumann 1716); Unteres 
Belvedere Wien, Deckengemälde im Marmorsaal (Martino AItO- 
mdnta 1715): Stift St Florian, Deckengemälde im Marmorsaal 
(M. Altcmonte 1723l1724); Klosterkirche Aldersbach, Deckenge- 
mälde iin Langhaus (cosmas Damian Asarn 1720). 
W. Fleischhauer, a. a. 0., S. 35. 
Tilmann Brauer. Stadt und Landkreis Memmlngcn. Kurzinventar 
(Bayerische Kunstdenkmale IV). München 1959. s 188. 
T. Breuar, a. 10.. 5.199. 
Leonore Pühringer-Zwanowetz. Die Barockisierung der Stiftskir- 
che von Kremsmünster. in: Mitteilungen des oberösterreichischen 
Landesarchivs 12 (Cremllarium 777-1977. Festschrift zur 1200- 
Jahr-Feier des Stiftes Kremsmünster), 1977. Abb, 22. 
T. Brauer. a. e 0.. s. 194. 
Richard Schmidt. Schloß Ludwigsburg, München 1954, Abb. 2c. 
OKT XLllll1 Teil, Die kunstdenkmaier des Benediktinerstlftes 
Kremsmünster. Das Stift - Der Bau und seine Einrichtung. Wien 
1977, S. 337, 414. Abb. 247. 
K. Kosel. Barbarino, Fischerv. Erlach und die Stuckdekoration des 
Spatbarock in Österreich: alte und moderne Kunst 23. 1978. 
Heft 156, Abb. 4.
	        
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