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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXV (1980 / Heft 169)

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Zwischen den beiden Polen der t-Haupt- und 
Staatsaktionii im Porträt und der familiär-privaten 
Persönlichkeitsstudie in ihrer ständig zunehmen- 
den Bedeutung und Vervollkommnung pedingen 
die verschiedenen Auftraggeberkreise und unter- 
schiedlichen künstlerischen Potenzen größte Va- 
riationsbreite der Bildniserscheinungen. Ohne 
iiDespotismus im Geschmackii, der itdaher nicht 
leicht zu fassenti ist, tolerierte die Kaiserin viele 
Richtungen im Kunstschaffen ihrer Zeit: Die Über- 
fülle der Bildnisproduktion unter Maria Theresia 
und Joseph ll. mit den drei Hauptströmungen - 
der italienischen Barocktradition nach Batonl, 
dem römischen Frühklassizismus Mengs'scher 
Prägung und dem englischen Porträtstil _ macht 
Günther Heinz") übersichtlich. 
Die eigentliche Breite des Tätigkeitsfeldes be- 
stimmen qualitätvolle Arbeiten, in denen sich 
mehrere Auffassungsweisen mit dem Ziel verbun- 
den haben, verläßlich der Erwartung des Auftrag- 
gebers zu entsprechen. Weil sie keine originären 
Stileigenschaften vorweisen, treten sie zwar in der 
allgemeinen Einschätzung neben den mit berühm- 
ten Künstlernamen verbundenen Werken zurück; 
meist läßt sich aber aus dem gleichen Grund gera- 
de an ihnen das komplexe Nebeneinander der Ab- 
sichten ablesen. Unter diesem Gesichtspunkt sei 
hier ein Maler vorgestellt, der kaum je Erwähnung 
findet, weil die meisten seiner Bilder verschollen 
oder in Dorfkirchen und Museumsdepots schwer 
R 
zugänglich sind. Johann Nepomuk Steiner (1725 
bis 1793?)lß wurde in lglaulMahren geboren; ein 
Lehrmeister ist nicht sicher zu ermitteln. Ein mehr- 
jähriger Aufenthalt in der 1750er Jahren brachte 
die ihn formende Begegnung mit dem Schalten 
Anton Raphael Mengs' (1728-79). Nach Steiners 
Rückkehr in seine Heimat empfahl ihn ein Graf 
Sporck nach Wien, wo er Kammermaler und 1767 
Akademiemitglied wurde und ihn Aufträge der 
Portrat- und Historienmalerei gleichermaßen be- 
schäftigten. Hervorragende Persönlichkeiten des 
Hochadels, der Geistlichkeit und des Kulturlebens 
saßen dem Künstler Modell; er nahm aber auch 
teil an dem routinemäßigen Produktionsbetrieb, 
wo von einem verbindlichen Vorbild (namentlich 
der Regenten) je nach Zweck abgewandelte Nach- 
bilder hergestellt wurden. Als ein originales 
Hauptwerk ist die Ausstattung der Paulizimmer 
(1770) in der Neuen Pralatur des Stiftes GeraslNÖ. 
zu betrachten. Das Einwirken klassizistischer Zeit- 
strömungen auf Steiner zeigt sich dort nicht etwa 
in antikisierender Linienführung, sondern in der 
Entfärbung zur Grisaille hin. 
Einiges aus Steiners Porträt-Oeuvre ist in Stichen 
greifbar. Darunter befindet sich ein Bildnis (Abb. 
5), dessen Abbildungsgegenstand ob seiner unge- 
wöhnlichen Individualität Beachtung verdient. Es 
handelt sich um den iihochfürstlichen Mohrenit 
Angelo Soliman". Um 1721 kam er als Häuptlings- 
sohn in dem nicht näher bestimmbaren ostafrika- 
nischen Land "Pangutsiglangti zur Welt. Bei ei- 
nem Überfall auf seinen Stamm wurde der Knabe 
verschleppt; aus dem Besitz verschiedener Skla- 
venhändler ging er in den einer Marquise in Messi- 
na über, die das begabte Kind erziehen und auf 
den Namen Angelo christlich taufen ließ. Als Fa- 
miliennamen fügte man Soliman hinzu. Als Page 
des Fürsten Johann Georg Lobkowitz ( + 1755) er- 
warb er sich auf Reisen und Kriegszügen vielseiti- 
ge Welterfahrung und erhielt dann in Wien seine 
Lebensstelle beim Fürsten Wenzei Liechtenstein. 
Seine Stellung zu Liechtenstein war "ein Gemisch 
aus seiner formellen Funktion als Kammerdiener, 
seiner äußeren Bestimmung als fürstliches Mode- 
attribut und seinem inneren Wert als Menschlßii. 
Angelo war überaus geschätzt und angesehen, er 
war umfassend gebildet, sprachengewandt, ein 
ausgezeichneter Schachspieler und seit 1783 Frei- 
maurer in der iiLoge zur wahren Eintracht-i. In das 
Bildnis von Steiners Hand bzw. Johann Gottfried 
Haids samtiges Schabkunstblatt ist das zeitge- 
ndssische Interesse an der dekorativen Rarität 
ebenso eingegangen wie die Bewunderung des 
"edlen Wilden", allerdings wohl hinsichtlich des- 
sen, daß er christianisierbar war und sein nwildesr- 
Temperament zu bändigen wußte. Aus dem unge- 
fähren Geburtsjahr Angelos und dem Beginn der 
Tätigkeit Steiners in Wien läßt sich ermitteln, daß 
der ttMohr-r zur Zeit des Bildnisses auf sein fünf- 
zigstes Jahr zuging. Der scheinbare Widerspruch 
mit derjugendlichen Erscheinung klärt sich durch 
die überlieferte Beobachtung, daß man iibis in 
sein höchstes Alter  bey nahe keine Spur der Ab- 
nahme oder des Alters in seinem Ausserlichen 
entdecken" konntel9. 
Zu den rundglänzenden Ohrringen und Knöpfen 
der orientalisierten Gala eines exotischen Schau- 
stiickes ist "der gescheite, milde und doch so ent- 
schiedene Blickith- mehr als eine ästhetische Ent- 
sprechung. Aber die individuelle Gesichtsbildung 
dieses dem europäischen Schonheitsempfinden 
entgegenkommenden äthiopischen Menschen- 
typs wird durch die Pyramiden- und Palmenstaffa- 
ge sowie das Phantasieszepter mit dem numidi- 
schan Löwen ins Zeremonielle überführt e aller- 
dings, fern der hofisch-wienerischen Wirklichkeit, 
als ideeller Prinz eines recht ungreifbar-märchen- 
haften Negerreiches, für den denn auch in der 
Bildunterschriftäl kein Geringerer als Jugurtha 
zum Vergleich herangezogen wird, der unbere- 
chenbare Afrikaner, der doch zuletzt Rom unter- 
lag. Die originale Farbgebung des Bildes ist nicht 
bekannt, wohl aber, daß Angelo Solimans iiTracht 
. immer die Vaterländische, eine Art von türki- 
scher weiter Kleidung (war), meist blendend weiß, 
wodurch das glänzende Schwarz seiner Haut 
noch vortheilhafter erschienüit. Aus diesem unge- 
wohnten, wie vertauscht erscheinenden Gegen- 
satz von Hell und Dunkel erhält auch Steiners Bild 
einen wesentlichen Reiz. 
Verbinden sich das Wunderkammerstaunen und 
der Reflex eines gebildeten Geistes an diesem 
Porträt um 1770, so entspricht es doch ganz dem 
lebenslangen Vorrang der schönen Rarität vor der 
humanen Wertschätzung in Solimans Biographie. 
Es darf nicht verschwiegen werden, daß Angelo 
Soliman offensichtlich schon zu seinen Lebzeiten 
durch Beschluß Kaiser Franz' ll. dazu bestimmt 
war, nach seinem Tod für das k.k. Hof-Naturalien- 
kabinett ausgestopft zu werden. Dies wurde 1796 
gegen den verzweifelten Widerstand seiner Toch- 
ter auch bewerkstelligt, so daß er als iiRepräsen- 
tant des Menschengeschlechtsi- in der Gesell- 
schaft von Tapir und Wasserschwein ethnologi- 
sches Exponat war, "bis dann endlich (1848) eine 
verirrte Kanonenkugel des hochlürstlichen Moh- 
ren sorgsam konservierten Uberbleibseln ein krie- 
gerlsch ehrenvolles Ende bereitet(e)23ii. 
Was hier als kuriose Marotte des guten Kaisers
	        
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