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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXVI (1981 / Heft 174 und 175)

Schichten ausgegangen, denn wenn einer in der 
Natur lebt, muß er zur Natur nicht zurück. Die be- 
kannten Beispiele: das französische 18. Jahrhun- 
dert (Schäferspieie, Hameau der Marie Antoinette 
usw.), das russische späte 19. Jahrhundert (Na- 
rodniki, Toistoianer mit ihrer Wirkung auf Gandhi 
und auf die Kibbuzim). - Positiv an diesem Ge- 
schehen ist der Gewinn an Freiheit. Negativ er- 
scheint, daß mit dem Untergang der Ideologie das 
natürliche Ftegulativ in der Wertung ausgefallen 
ist. So zeigt die permissive Atmosphäre ihre 
Schattenseiten: alles ist erlaubt, aber nicht aus 
dem Glauben an die schöpferische Kraft des Men- 
schen, sondern weil man zu feige und bequem ist, 
Werturteile abzugeben und auf solche Weise die 
Kultur den Bewegungen der Marktwirtschaft aus- 
liefert. Marktwert ist aber kein geistiger Wert, Es 
entsteht die Orientierung nach den falschen Maß- 
stäben der Werbung. 
3. Der Mensch hat in den hochentwickeiten euro- 
päischen lndustrlegesellschaften die Dimension 
der Tragischen verloren. im Glauben an die totale 
gesellschaftliche Bedingtheit seiner Existenz ver- 
fällt er einem merkwürdigen, ihm selbst höchst ra- 
tional erscheinenden Fatalismus. Er liefert sich 
dernenu Kunst überhaupt nur als Fragestellungen 
verstanden werden. Sie sollen zugleich eine mögli- 
che Auffassung über das Kunstgeschehen als 
Vorstufe eines künftigen gesellschaftlichen Ge- 
schehens beleuchten. Es ist allerdings schwer, oft 
auch unmöglich, jene Zeichen, die in der Kunst 
enthalten sind, richtig zu dechiffrieren. 
Zur Definition der vmodernemt Kunst und insbe- 
sondere der wmodernenu Malerei wollen wir Wer- 
ner Hofmanns ausgezeichnetes Essay Ober 
Kunsttheorie des 20. Jahrhunderts zitieren (im 
Sammelband nBruchliniem): 
uWir glauben überall dort von ,moderner Maierei' 
sprechen zu dürfen, wo die künstlerische Gestal- 
tung - gleichgültig, ob siezu gegenständlichen 
oder ungegenständiichen Resultaten führt - das 
Gegenständliche seiner materiellen Substanz ent- 
kleidet und als Kraftiinie bzw. als ,Eiement' dem 
Bildbau eingliedert. Sind jedoch einmal die ele- 
mentaren Form- und Farbwerte aus dem gegen- 
ständlichen Motiv herausgeiöst, ist also das 
,Funktionelie' aus dem ,lmpressiven' herausge- 
holt, so nimmt das Kunstwerk folgerichtig den 
Weg zu seiner Verseibständigung, der gleichzeitig 
die Erkenntnis seiner Eigengesetzlichkeit vorbe- 
standen Ähnlich dachte Cezanne: "Kunst 
Harmonie, parallel zur Natura. 
Kehren wir zurück zur Wortfindung Mondi 
spricht von wspiritueiler Harmonie-r. Wir s- 
iaubten uns die Formulierung: "Es schein 
wären Wissenschaft und Kunst währer 
Aufruhrs gegen das Herkömmliche mit der 
len, dessen weltliche Macht erlosch, in Be 
gekommen und wären durch diese Berühr 
einer neuen Spiritualität durchflutet word 
Es wäre nun möglich, daß diese wspiritut 
monieu, diese "neue Spiritualltätv uns n 
das Ende des extrem materialistischen, n 
schen und positivlstischen Weltbildes an. 
ne solche Anzeige wäre ja überholt, d: 
Weltbild ohnehin bereits durch die Natu 
schaft korrigiert und zum Großteil zerstört 
ist), sondern zugleich auch den Aggregate 
einer neuen, sich erst allmählich former 
seilschaftiichen Wirklichkeit erahnen I: 
wollen uns fragen, wieweit uns die Besch 
mit der "modernem Kunst ganz bestimr 
denzen der gesellschaftlichen Entwicklur 
sen läßt. Dabei wollen wir auf ein Spiel r 
zichten, nämlich auf das Spiel mit histi 
 
 
den Spezialisten der Genesung und des Todes aus 
und nimmt sein Schicksal als von der Gesell- 
schaft vorbestimmt genauso hin wie er sich mit 
der verrückt hohen Zahl der Verkehrstoten abfin- 
det - so, als handelte es sich um eine Epidemie. 
Mit dem Verschwinden des Ehrbegriffes als Aus- 
druck der sozial relevanten Vitalität ist das Tragi- 
sche nicht nur existentiell, sondern auch bezüg- 
lich des gesellschaftlichen Bewußtseins verloren- 
gegangen. 
Einen ästhetischen Aspekt dieses Vorgangs be- 
leuchtet Mondrian: wJe mehr das Tragische ver- 
schwindet, desto mehr gewinnt die Kunst an Rein- 
heim Diese Meinung, die weitgehend dem allge- 
meinen Werturteil der wmodernenu Kunst ent- 
spricht, macht aus dem Negativum ein Posltivum, 
bekennt sich rückhaltlos zum vorherrschenden 
Zeitgefühl und zieht die Konsequenz aus dem Um- 
schwung, der sich in der Kunst vollzogen hat und 
immer noch vollzieht; von der Mimesis (Nachah- 
mung) zur neuen Spiritualität. 
Waren die bisherigen Überlegungen bloß hypothe- 
tische Denkbehelfe, mit Fragezeichen versehene 
Behauptungen als Hilfsmittel der Wahrheitsfin- 
dung, so sollen die hier folgenden Gedankenfrag- 
mente zur gesellschaftlichen Deutbarkeit der "mo- 
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reitet. Die autonome, gegenstandsfreie Form ist 
geboren... 
Und weiter: 
wln dem Maße, wie nun die Form rein und als ent- 
blößte Konstruktion hervcrtritt und auf ihre Ein- 
Kleidung in gegenständliche Motive verzichtet, ge- 
währt sie dem Beschauer, nach der Meinung Kan- 
dinskys, unmittelbaren und umweglosen Zugang 
zu den ,inneren Klängen' und der ,inneren Welt', 
welche bisher im Gegenständlichen verschlüsselt 
IBQGTLu 
im weiteren zitiert Hofmann den Satz Mondrians: 
"Bisher war keine der Künste rein gestaltend, 
denn das individuelle Bewußtsein war vorherr- 
schend, alle waren mehr oder weniger beschrei- 
bend, indirekt, annähernd-i Und nochmals Mon- 
drian: "Die neue Harmonie ist eine doppelte, eine 
Dualität von spiritueller und natürlicher Harmonie. 
Sie offenbart sich als innere und äußere Harmo- 
nie, beide zusammen in verinnerlichter Äußerlich- 
kein. 
Schließlich verweist Hotmann darauf, daß die 
"moderne Malerei" weine neue, vielschichtige 
Kunslwirklichkelt Ins Leben rief, die  der Natur- 
wirklichkeit mit dem Anspruch auf Gleichberechti- 
gung entgegentritt und damit ein bedeutendes 
Goethe-Wort radikal zu verwirklichen versucht: 
,Kunst - eine andere Natur; auch geheimnisvoll, 
aber verständlicher, denn sie entspringt dem Ver- 
Analogien, allerdings im Bewußtsein der l 
digkeit, ja der Windigkeit solcher Vergleii 
also zur Fragestellung. 
ist die "moderne Kunstu ein Vorzeichen dt 
den hochentwickelten Industriestaaten 
erst entwickelnden posturbanen Gese 
Wird hier nicht jener Zustand der Urbanl 
wunden, den wir als Denkmodeli etwa mi 
naissance gleichsetzen dürfen, den wir 
Aufklärung verbinden, den wir auf dem G- 
Ökonomie mit den Begriffen Merkantilis 
dustrieiie Revolution und Kolonialismus i 
dung bringen? Das ideal dieser Zeit war- 
der Individualismus. Dieser lndividualism 
wesentlichen auf den Zeitabschnitt der 
dauer gerichtet. Er ist folglich gezwungen 
Zeitabschnitt mit befriedigenden Erfolge 
füllen. Diese Erfolge müssen meßbar sei 
iich, etwa in der Zahl der zurückgelegter 
ter, und finanziell. (Oder in Fällen subliml 
folgserlebnisses: durch Autorität um 
tation.) Die Kunstform des lndividualismi 
Realismus: der Mensch, der sich als einz 
greift, begreift auch alles andere als etwa 
nes und will die Welt als eine geordnet: 
von Einzelwesen abgebildet sehen, nicht 
bol, als Zeichen, als Chiffre, als Ausflußi 
borgenen Spiritualität. 
Versuchen wir zwischen dem Modell des
	        
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