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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXVI (1981 / Heft 174 und 175)

Rudolf Schmidt 
 
Kaum jemand, der nicht vom Anblick eines älteren Erd- 
oder Himmelsglobus fasziniert ist. Man findet diese Ob- 
jekte in Museen, in Bibliotheken von Klöstern und Schlös- 
sern - dort oft in ihrem ursprünglichen "Ambiente-i, und 
gerade dann entstehen bei der Betrachtung gedankliche 
Verbindungen: an Forschung in der Studierstube, wie auf 
Bildern holländischer Barockmaler zu sehen, an die Ar- 
beit von Astronomen und Astrologen, an Attribute von 
Seefahrern, an die Gemeinschaft der Mönche, deren Auf- 
gabe es war, Wissen weiterzugeben, wovon die Bibliothe- 
ken Zeugnis ablegen. Folgt man diesen Assoziationen, so 
gelangt man bald zu der vornehmsten Zweckbestimmung 
des Globus, die uns vom Altertum überliefert ist: als Mo- 
dell der Erde oder des Himmels Unsehbares, nur in der 
Vorstellung Definiertes sichtbar zu machen und damit der 
theoretischen Erkenntnis praktische Hilfe zu leisten. 
Leicht verständlich, daB im alten Griechenland, der Wiege 
unserer europäischen Geisteskultur, die ersten Globen 
entstanden sind bzw. entstanden sein sollen. Waren es 
doch griechische Denker, die, aufbauend auf früheren 
nahöstlichen Beobachtungen, den Schritt der Erkenntnis 
taten: gewisse Erscheinungen im sichtbaren Himmel und 
auf der Erde, Fixsterne und Planeten, Mondphasen, 
Sonnen- und Mondfinsternisse, Tag- und Nachtiänge und 
vor allem wechselnde Länge des Schattens eines Stabes 
zu verschiedenen Stunden und zu Mittag im Laufe des 
Jahres waren die Beobachtungen - warum es so ist oder 
so sein konnte, war den Griechen wichtig. Und mit dem 
Gedanken iiwarumii folgt auch die Reduzierung auf ein 
Modell - und so existiert auch noch ein Himmelsglobus 
aus der Antike - Der Farnesische Atlas - mit einer Him- 
melskugel auf einer Trägerfigur, wobei die Hlmmelskugei 
viele der heute noch gebräuchlichen Sternbilder - die 
schon in Babylon und in Ägypten in Gebrauch waren, 
zeigt, aber auch die Bahn der Sonne während des Jahres 
durch die Tierkreis-Sternbilder, so wie auf modernen Him- 
melsgloben, neben dem Himmelsäquator dargestellt. 
Dachte man damals die Fixsterne in gleicher, wenn auch 
ungeheuer großer Entfernung von der Erde, aufgereiht auf 
einer Ari Kristailkugel, so war die Darstellung auf der Ku- 
geloberfläche durchaus die richtige Methode, wie sie die 
lebensgroße Skulptur im Nationalmuseum in Neapel zeigt 
- die Skulptur war im übrigen in der großartigen 
Geographie-Kartographle-Ausstallung im Sommer 1980 
im Gentre Pompidou in Paris zu sehen. - Und heute, da 
wir wissen, daß die Fixsterne durchaus nicht In auch nur 
annähernd gleichem Abstand von unserer Sonne stehen. 
ia daB sie sehr wohl - wenn auch von uns gesehen gerin- 
ge - Lageveränderungen zeigen, wissen wir kein besse- 
res Modell zu machen als den heutigen Himmeisglobus. 
Und damit sind wir zu einer wichtigen Erkenntnis gekom- 
men: durch Jahrtausende hindurch wird ein Modell des 
sichtbaren Sternhimmels in mehr oder weniger gleicher 
Form gebraucht und daher hergestellt. 
Beim Erdglobus war die Abfolge schon komplizierter: Kra- 
tes auf Mallos (um 150 v. Chr.) soll einen hergestellt ha- 
ben, denn auch für ihn wie für alle griechischen Gebilde- 
ten ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. war eindeutig, daB die 
Erde eine Kugel sei, ja man hatte für verschiedene Orte 
schon eine Art Koordinaten entworfen, also unser ge- 
bräuchliches System der Längen- und Breitengrade erfun- 
den, wenngleich man die geographische Breite (Wien z. B. 
etwa 48') manchmal als Verhältnis der Länge des Schat- 
tens, den ein senkrecht stehender Stab zu Fruhlings- oder 
Herbstanfang am Mittag wirft, zur Länge des Stabes 
selbst angibt (z. B. für einen Ort auf 45' Breite 1:1). Aber 
selbst wenn man die Reisen der Handeltreibenden, die 
Seereisen der berühmten Seevölker der griechischen An- 
tike einbezieht, waren nur etwa acht Hundertstel der Erd- 
oberfläche bekannt; hätte man also fl.ir Lagebezeichnun- 
gen sinnvoll eines Modelles bedurft, warum dann eine 
ganze Kugel bauen? Vielleicht nur, um die Veränderung 
des Klimas - gegen Süden zu zunächst wärmer, gegen 
Norden kälter W zu erklären, dann hätte dieser Globus 
aber ganz anders ausgesehen als unser heutiger. Und mit 
dem Untergang abendländischen Wissens und dem star- 
ken Einfluß schlecht verstandener Bibelübersetzungen 
und einer gleichschaltenden Denkvorschrift war es durch 
Jahrhunderte nicht eberi ratsam, von der Kugelgestalt der 
Erde zu sprechen und von der Möglichkeit, daß es Antlpo- 
den geben könnte, Und doch, wie unter einer verschwore- 
nen Gemeinschaft blieb die Vorstellung von der Kugel- 
gestalt der Erde, besonders bei gebildeten Klerikern, er- 
halten. Keine Rede davon, daß Columbus nicht gewußt 
hätte, die Erde sei eine Kugel, aber ob viele seiner mee- 
resgewohnten, einfachen Matrosen sich darüber Gedan- 
ken gemacht haben, ist fraglich. - So kommt es, daß 
greifbare Zeugen fur die Herstellung von Erdgloben erst 
aus jener Zeit stammen, da die Umschiffung Afrikas ge- 
lungen war und die Neue weit zur alten hlnzutrat: der Erd- 
äpfel des Martin Eiehalm (erhalten im Germanischen Mu- 
seum in Nürnberg) ist der älteste Erdgiobus (1492) und 
zeigt eine Gestalt der Kontinente, die neues Wissen - al- 
lerdings ohne Amerika - mit Überliefertem nach Ptole- 
maeus verbindet. 
50 
Ältere Erd- und Himmeisgioben 
1,2 Erd- und Hlmmelsglobus 
von W. BiaeuIArnsterdam, 
nach 1616. D. 23 cm. Die 
Nordhaibkugei des Erdglo- 
bus zeigt dledamalsvermu- 
tete Lage der amerikani- 
schen Westkusta Osterrei- 
chlsches Museum für ange- 
wandte Kunst (Lelhgaben). 
3. 4 Ausschnitte aus dem 
Erdglobus von w. Blaeul 
Amsterdam, nach 161a. o. 
34 cm. Nachrichten aus fer- 
nen Llindern finden ihren 
Niederschlag auf dem Kar- 
tenblld. Hier die legendären 
Riesen Patagonlens und 
seltsame Tierarten Zentral- 
Südamerikas. 
es Erdglobus von M. Greu- 
terlStraBburg und Rorn, 
1632. D. 5D cm. Die Süd- 
halbkugel wird von einem 
riesigen Auslralknntirient 
beherrscht, den allerdings 
noch niemand gesehen hat- 
te und für den ES daher kei- 
ne städtenamen, Flüsse 
8 etc. gab. Die Kartusche 
wendet sich 
der Geograph 
sende in ferne 
7 Himrnelsglobi 
seuiieimiigs: 
Teile der Giob 
einen Globus 
(Im. Die Slreil 
bis zur Spitze 
Polen ausgef 

	        
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