bewegung in Böhmen verursachte eine Diaspora
der Kulturträger in die angrenzenden Gebiete des
süddeutschen und österreichischen Raumes. Die
Zerstörung kirchlicher Institutionen führte auf
dem Handschriftensektor zu großen Materialverlu-
sten, von denen man sich heute keine genaue Vor-
stellung mehr machen kann. So sind einzelne böh-
mische Handschriften als Zeugnisse geretteter
Restbestände zu werten. ihr Erscheinungsbild ist
unterschiedlicher Natur. in den ersten Dezennien
des 15. Jahrhunderts setzt sich die Gebrauchs-
handschrift auf Papier allgemein in den Kloster-
skriptorien durch (vgl. Cod. Zwetl. 81, 177, Cod.
Scot. 26). Die grundsätzliche Hinwendung zur Pa-
pierhandschrift als rasch zu verbreitendes infor-
mationsmittel spielt natürlich eine bedeutende
Rolle. Der Bürger, das Volk sollen mittels der
handgeschriebenen Textverbreitung angespro-
chen werden; im böhmischen Raum, vor allem in
Prag, stand der Disput religiöser Grundsatzfragen
im Mittelpunkt, die traditionell in Form von Predig-
ten niedergeschrieben, aber auch stark verbal
kundgetan wurden, wobei die Predigerorden maß-
geblich daran beteiligt waren.
Ebenfalls trug die Entwicklung an der Prager Uni-
versität zur Bewußtseinsbildung in geistesge-
schichtlicher Hinsicht bei.
Am anschaulichsten ist die geistige Umwälzung
innerhalb der Kirche durch die reformatorischen
Bestrebungen und bezüglich des Alltagsiebens in
den illustrierten Exemplaren der Konstanzer Kon-
zilschronik des Ulrich von Richental überliefert?!
Ulrich von Richentai, Konstanzer Bürger (t zirka
1437), vermutlich Kanzlei-Notariatsschreiber, hat
als Außenstehender den Konzilsverlauf völlig neu-
tral geschildert. Nur wenige Quellen sind zu seiner
Person erhalten. Wesentlich ist, daß er das große
Ereignis nicht im Auftrag, sondern aus eigenem
Antrieb niedergeschrieben hat. Der Chronist schil-
dert jeden sakralen und politischen Vorgang in der
Konziisstadt Konstanz äußerst detailreich; etwa
die Ankunft der Päpste oder den Einzug König Si-
gismunds und seiner Gemahlin Barbara von Cilli,
die politische Aktivität der Kurfürsten und Herzog
Friedrichs von Tirol, den ProzeB gegen Jan Hus
und Hieronymus von Prag mit deren Verurtei-
iung. Dem bedeutenden Wiener Universitätsge-
lehrten und Magister der Theologischen Fakultät
Nikolaus von Dinkelsbühi wurde die Aufgabe er-
teilt, Hus in dessen Glaubensansichten, etwa der
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Verwendung des Laienkelches, zu bekehren. Die
Diskrepanz in Glaubensfragen war zugleich eine
Konfrontation religiöser Geisteshaltung um 1400
im Geiehrtenkreis der Prager und Wiener Universi-
tät (1409 war Hus Rektor der Prager Universität).
Hus, dessen Sakramentslehre auf Wiclif beruhte,
folgte der Gepfiogenheit der Prager Vorreformato-
ren und predigte öffentlich in der Landessprache,
aber auch in Deutsch und Latein. Ebenso trat er
als Liederkomponist hervor (Meßiieder, Fest- und
Feiertagslieder)" Über ihn wurden Lieder verfaßt,
wie etwa im Cod. 253 der Universitatsbibliothek
von Graz, vormals im Zisterzienserstift von Neu-
berg."
Neben dem Darsteilungsablauf der Konzils-
schwerpunkte versteht es der Chronist, nicht nur
lebendig die religiösen Feste dem Leser zu vermit-
teln, sondern auch die Blütezeit, welche die Stadt
während der Konzilsphase auf wirtschaftlichem
und kulturellem Gebiet erlebte, umfassend darzu-
legen. Er schildert, wie König Sigismund mit dem
goldenen Rosenstrauß, den er von Papst Johan-
nes XXIII. empfangen hat, mit den Kurfürsten, Gra-
fen und Rittern in pelzverbramtem Umhang auf ei-
nem Schimmel durch die Stadt reitet (Abb. 3)
(Wien, Österreichische Nationalbibliothek, Cod.
3044, fcl. 61v-62r).1' nUnd nach dem segen do
nam unnser her der kunig den selben Rosen in sin
hand mit einem gulden tüch und Reit mit durch die
S'a(.„l(
Bei der Fronleichnamsprozesslon erläutert Ulrich
von Richental die vielfältige Teilnehmerschar. Der
Prczessionszug umfaßte u.a. 20 Kardinäle, 49 Erz-
bischöfe, 69 Weihbischöfe, Priester, Äbte, Docto-
res, Chorherren, Angehörige des Benediktineror-
dens, Canonici reguiares. Abgeschlossen wird der
Zug durch König Sigismund, sein Gefolge und von
Barbara von Cilii (Abb. 4)." Das erzählte Leben
von täglichen Genremotiven kommt etwa in den
Darstellungen von Fieischläden und Brotbäckern
zum Ausdruck (fol. 48v) (Abb. 5). Es werden die Ko-
sten für die verschiedenen Brotsorten festgehal-
ten, oder es wird erwähnt, daß viele fremde Brot-
bäcker in die Stadt kamen. Die Abbildung zeigt die
Herstellung von italienischen Pasteten. v... Darzü
Ware" och vil frdmder Bratbecken zü Ccstenntz die
stärtenclich uff dem marckt Büchent und der von
Cosreniz Brot! Beckerm Die sechs erhaltenen Ab-
schritten des verlorenen Urexemplars der Fiichen-
talchronik sind reichhaltig, zumeist in lavierter Fe-
.
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