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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXVII (1982 / Heft 180 und 181)

wichtiger und bisher nie erwähnter Unterschied liegt 
im Monogramm: Statt in einem Dreieck erscheinen 
die lnitialen Hoffmanns in den lnterieurskizzen vom 
Ende des Jahres 1900 wie auch in den gleichzeitig 
entstandenen Beiträgen für den Katalog der 8. Seces- 
sionsausstellung erstmals in einer geradlinig stilisier- 
ten, viereckigen Zusammenfassung. 
In der Literatur im Rahmen der Wiener Stiikunst wird 
sowohl Hoffmann als auch Moser als nErfindem des 
Quadrates bezeichnet. Eine Untersuchung der Vor- 
gänge, in denen sich der Durchbruch zum reinen Qua- 
drat bei beiden Künstlern ereignet hat. sollte jedoch 
sinnvoller sein als die Prioritätsfrage. Denn während 
das Quadrat in den Zeichnungen Hoffmanns Ende 
1900 schon markant in Erscheinung trat. ereignete 
sich diese Wende bei Moser etwas später, dafür aber 
radikaler; bei Moser tritt andererseits das viereckige 
Monogramm schon 1898, also wesentlich früher als 
bei Hoffmann, auf. 
Die graphische Produktion Mosers war 1900, ver- 
glichen mit den Jahren davor, verhältnismäßig gering; 
seine 1900 beginnende Lehrtätigkeit an der Kunstge- 
werbeschuie und seine kunstgewerblichen Tätigkei- 
ten nahmen ihn vermutlich zu sehr in Anspruch. Allge- 
mein läßt sich bei Moser in dieser Zeit die zunehmen- 
de Neigung zu einer flächig stilisierenden Darstel- 
iungsweise beobachten. Dabei bleibt er weiterhin dem 
Gegenständlichen verpflichtet. im Gegensatz zu Hoff- 
mann, bei dem abstrahierende Tendenzen von Anfang 
an vorhanden waren (siehe die Vignette Abb. 1). 
Das oft hervorgehobene Bekenntnis Mosers zu einem 
kompromißlosen Purismus manifestierte sich überra- 
schend in seinem aus reinen Quadraten bestehenden 
Buchschmuck für das Theaterspiel wDie Blechschmie- 
deri von Arno Holz (Ver Sacrum. Heft 18 und 19. 
SeptemberlOktober 1901). Weil dieses Ereignis für die 
Weiterentwicklung der Wiener Flächenkunst von ent- 
scheidender Bedeutung war, erscheint es wichtig, zu 
verfolgen, was sich unmittelbar zuvor im Bereich der 
Wiener Graphik nicht nur bei Moser. sondern auch bei 
anderen Künstlern abgespielt hat. 
im nBuchschmuck-i für den von L.Hevesi verfaßten. 
Mitte Jänner 1901 in Ver Sacrum erschienenen Auf- 
satz über George Minne schloß Moser an die Orna- 
mentik an. die er in der so wichtigen 8. Ausstellung für 
den Sockel des vielbesprochenen Brunnens von Min- 
ne mit den knienden Knaben verwendet hatte. Das 
quadratähnliche, immer noch an organisch Gewach- 
senes erinnernde Grundmuster tritt hier in verschie- 
denen Varianten auf. So ruft die Verbindung dieser 
Formen mit parallel verlaufenden vertikalen Linien am 
Schluß des Artikels (Abb. 14)' die Assoziation mit ei- 
nem Baum voller Knospen hervor; eine Inspiration 
durch ein Beispiel des damals sehr bewunderten 
Ch.R. Mackintosh wäre hier nicht auszuschließen 
(Abb. 13).") In einer anderen Seite wiederum sind die- 
selben wKnospenu in einer völlig abstrahierten, 
schachbrettartig zu Quadraten gruppierten Textum- 
rahmung anzutreffen (Abb. 12)." Auffallend ist nun 
die dekorative Anordnung der gedruckten Zeilen. die 
als Kompositionselement im Gesamtbild mitwirken. 
Diese starke Einheit von Typographie und Schmuck 
ist für das vor allem nach 1900 immer deutlicher fest- 
stellbare Streben der Wiener Stilkünstler nach Ge- 
samtwirkung kennzeichnend. Es ist kein Zufall. daß 
Hevesi gerade in dem oben erwähnten Artikel die 
Kunst George Minnes als nSieg über die Originalität. 
höchste Selbstbezwingungu qualifiziert und danach 
feststellt: wUnd es liegt so etwas in der Luft. und in die- 
sen Ausstellungen ist es an anderen Dingen zu spü- 
ren, eine Sehnsucht nach etwas Unpersüniichen, weil 
in höherem Sinne Persönlichenmir" So rückte im 
Laufe des Jahres 1901 der "Sieg-t des nunpersönli- 
chenu. da richtungslosen und leicht in einen größeren 
Zusammenhang einzuordnenden Quadrates allmäh- 
lich näher. in der ganzseitigen Bbckiin gewidmeten 
Zeichnung Adolf Bdhms erscheint das Ver-Sacrum- 
Emblem in der Form von drei weißen Quadraten vor 
einer flammenden Sonne." Etwas später (März 1901) 
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wurden von Adolf Bdhm rechteckige Vignetten mit 
Mustern abgebildet. die aus schwarzen und weißen 
Quadraten bestehen." 
Bemerkenswert ist der von Josef Hoffmann gestaltete 
Umschlag des Katalogs für die 10. Ausstellung der Se- 
cession im Frühjahr 1901 (Abb. 10). Hier dominiert 
das regelmäßig wiederholte Motiv des fast quadrati- 
schen schwarzen Rechtecks. in dem die Zahl 10 aus- 
gespart blieb, rhythmisch abwechselnd mit dem Em- 
blem der ebenfalls fast quadratisch stilisierten drei 
Schilde. 
Man könnte sagen, daß diesem Katalogumschlag eine 
gleichwertige Bedeutung zukommt wie der von Moser 
konzipierten Raumgestaltung der 10. Ausstellung. Vor 
allem bei der zukunftweisenden Einrichtung des Klimt- 
Saales mit dem vielbesprochenen Fakultätsbild wMe- 
dizinu wird immer wieder die ökonomische Einteilung 
der Wände hervorgehoben, in denen die Gemälde in 
ihrer einfachen, geradlinigen Rahmung die Funktion 
von rechteckigen oder quadratischen Elementen ei- 
ner streng monumentalen Flächenkomposition erhal- 
ten. Ein durchaus ähnliches Prinzip liegt dem Layout 
des gleichzeitig zur Ausstellung erschienenen Ver- 
Sacrum-Heftes mit Klimts i-Bewegungsstudienu zur 
wMedizim zugrunde (H. 6, Mitte März 1901). Der Ge- 
danke liegt nahe, daß Kolo Moser - damals Mitglied 
der künstlerischen Redaktion - für die Gestaltung 
der Seiten verantwortlich war. in denen sich recht- 
eckige oder quadratische Ausschnitte der Zeichnun- 
gen zusammen mit den Worten wGustav Klimt OM-x 
und den quadratisch eingefaßten Seitenzahlen zu äu- 
ßerst sparsamen und wohlüberlegten Flachenkompo- 
sitionen verselbständigenßä Die Frage nach der Urhe- 
berschaft jener quadratischen Einfassung der Seiten- 
zahl - die hier In dieser Form zum ersten Male auf- 
scheint - ist in unserem Zusammenhang, vor allem 
in Hinblick auf die weitere Entwicklung der Flächen- 
kunst Kolo Mosers - durchaus relevant. Eine Ver- 
stärkung der Vermutung. daß dieser Entwurf von Mo- 
ser stammt. bildet sein etwas früher abgebildeter Ti- 
telschmuck ("Zur IX. Ausstellung"). in dem die Zahl IX 
ebenfalls viereckig umrahmt wird." 
in der Entwicklungsgeschichte des Quadrates in der 
Flächenkunst bildet die im Rahmen der 10. Ausstel- 
lung von Hoffmann und Moser durchgeführte Tätigkeit 
- die Gestaltung des 6. Ver-Sacrum-Heftes also inbe- 
griffen - die unmittelbarste Stufe vor dem radikalen 
Übergang zum reinen Quadrat in der Buchkunst. der. 
wie erwähnt, bei Kolo Moser in seinem vtypographi- 
schen Schmuck" zu den Arno-Holz-Fragmenten lag 
(Abb. 19. 21, 22)." in den genannten zwei Heften flan- 
kieren in einer jeweils anderen Zusammenstellung 
vertikale Gebilde von schwarzen und weißen Quadra- 
ten den Text. Die historische Bedeutung des in dem 
Minne-Heft schon angekündigten Übergangs vom 
nBuchschmuckr zum wtypographischen Schmucker 
kann nicht genug betont werden. Die Bezeichnung 
wtypographischer Schmuck-i. die hier in Ver Sacrum 
zum ersten Mal auftaucht. bezieht sich offenbar einer- 
seits auf das völlig entindividualisierte Ornament (der 
Schmuck entstand mach Angaben" des Künstlers) 
und andererseits auf das Prinzip, die Ornamentik in ih- 
rer strengen Zusammenfassung mit dem Textbiock 
dem Gesamtbild des Blattspiegels unterzuordnen. Auf 
einen solchen, bis in die letzte Konsequenz durchge- 
führten Purismus wird Moser in seiner Buchkunst 
dann kaum mehr zurückkommen. wie schon festge- 
stellt wurde." In seinem für die i-Drei Spiele: Riikes 
geschaffenem Buchschmuck" wurden die Quadrate 
schon freier und verspielter kombiniert: schwarze 
Vierecke, die - im Gegensatz zum Arno-Holz- 
Schmuck - auch in den Text hineingenommen wur- 
den, stehen in einem lebendigen Kontrast zu orange- 
farbenen Rauten (Abb. 23)." Manche Seiten zeigen 
außerdem eine reich ornamentierte Textumrahmung. 
und in einer ganzseitigen Illustration spielt sich der 
Dialog der beiden Hauptpersonen vor einem aus 
schwarz-weißen, verzerrten Rauten bestehenden Hin- 
tergrund ab." 
Die im Anschluß an den Arno-Holz-Schmuck entstan- 
denen graphischen Arbeiten Kolo Mosers können 
überhaupt als Höhepunkt der Wiener Flächenkunst 
bezeichnet werden. Zu seinen wichtigsten Werken 
dieser Zeit zählen das Ende 1901 I Anfang 1902 er- 
schienene Mappenwerk iiFiächenschmucku (das zum 
Teil schon früher entstandene Entwürfe enthält)". der 
Einband und die Druckanordnung der im März 1901 
vom k. k. Ministerium für Kultus und Unterricht in Auf- 
trag gegebenen und mit großem Aufwand ausgestat- 
teten Monographie von Franz Servaes über Segantini, 
die 1902 bei Gerlach und Schenk erschien (und die in 
der Literatur über Kolo Moser merkwürdigerweise 
nicht erwähnt wird) (Abb. 23, 51). sowie das immer 
wieder lobend hervorgehobene Plakat für die 13. Aus- 
stellung der Secession (FebruarlMärz 1902). In diesen 
und anderen Werken spielt das Quadrat in der häufi- 
gen Anwendung als Schachbrettmuster eine wichtige 
Rolle. Nicht nur bei Moser. sondern auch in den gra- 
phischen Werken anderer Künstler. wie Bertold Löff- 
ler und Max Benirschke ist schon im Laufe des Jahres 
1902 eine Anhäufung von Quadraten festzustellen. 
Auch für die Typographie der Wiener Buchkunst hatte 
das Erscheinen der beiden Arno-Holz-Hefte wichtige 
Folgen: Das Quadrat übernimmt seitdem allmählich 
die Funktion des vor allem seit 1900 in Gebrauch ge- 
kommenen knospen- oder beerenähnlichen kreisför- 
migen Ornaments als zeilenergänzendes oder seiten- 
füllendes Element. ln solcher Anwendung trifft man 
das Quadrat als ungefüllte Form an, so zum ersten 
Mal auf der Seite der "Mitteilungenw des gleich an den 
Arno-Holz-Schmuck anschließenden Heftes und et- 
was später im Text der erwähnten Segantini-Monogra- 
phie, dem vermutlich ersten Buch, in dem Moser sei- 
ne neuen typographischen Erkenntnisse zur Anwen- 
dung brachte. Noch häufiger erscheint das schwarze 
(volle) Quadrat, das vor allem in Inseraten und Aus- 
stellungskatalogen oft zum Schachbrettmuster ver- 
vieifältigt wurde. 
Die meistgenannte Erklärung für die Popularität des 
Quadrates im Milieu der Wiener Secession ist die Be- 
kanntschaft der Wiener Künstler mit den Werken der 
Mackintosh-Gruppe, die dem Publikum durch Veröf- 
fentlichungen in Kunstzeitschriften schon seit 1897 
ein Begriff sein konnte" und deren Werke in der epo- 
chaten. dem modernen europäischen Kunstgewerbe 
gewidmeten 8. Ausstellung zum ersten Mal in Wien 
gezeigt wurden (November-Dezember 1900). Auf den 
unverkennbaren Einfluß, den die v-Glasgow Fouw auf 
die Wiener Kollegen ausübten, wurde schon oft hinge- 
wiesen. Die Tendenz zu geometrischen Gestaltungs- 
prinzipien zeigte sich bei Chr. R. Mackintosh im Ver- 
lauf der neunziger Jahre: auch bei ihm spielte die qua- 
dratische Form eine Rolle. Als Beispiele für die An- 
wendung des reinen Quadrates führen die Autoren ei- 
ner in letzter Zeit erschienenen, dem Thema Mackin- 
tosh und Wien gewidmeten Publikation innenarchitek- 
tonische Entwürfe vom Ende des Jahres 1898 sowie 
aus den Jahren 1900 und 1901 an." Es wird aber in 
diesem Zusammenhang nicht auf ein wichtiges Bei- 
spiel im Bereich der Flächenkunst hingewiesen: auf 
die im Mackintosh-Heft von Ver Sacrum abgebildete 
Einladungskarte für Miss Cranstons Tearoom, in der 
schwarze quadratische Akzente sowohl in der Typo- 
graphie als in der Darstellung deutlich vorhanden 
sind." Die für dieses Heft bestimmten Fotos wurden 
von Mackintosh bekanntlich schon im Dezember 1900 
nach Wien geschickt." Kolo Moser wird sich mit die- 
sem Material eingehend auseinandergesetzt haben, 
weil er - wie schon erwähnt - im Jahre 1901 Mit- 
glied der künstlerischen Redaktion und daher mitver- 
antwortlich für die Gestaltung der Hefte war. Vor al- 
lem in seinem berühmten, Anfang 1902 entstandenen 
Plakat für die 13. Ausstellung der Secession findet die- 
se offenbar intensive Beschäftigung mit dem graphi- 
schen Oeuvre seiner schottischen Kollegen einen un- 
verkennbaren Niederschlag. 
Trotz der unumstrittenen Bedeutung der schottischen 
Künstler für die Wiener Stiikunst erscheint eine Be-
	        
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