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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXVII (1982 / Heft 182)

Ä Künstlerprofile 
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Walter Kaitna 
 
Krättesysteme 1962 -1 982 
Seit dem Beginn der sechziger Jahre arbeitet Walter Kaitna 
(' 1914) an der umfassenden Auslotung eines künstlerischen 
Grundkonzepts, das als ein von jeglicher zweckorieniierten 
technisch-ükonomischen Nutzung iosgelostes Gedankensy- 
stem letztlich in den als Assistent an der Technischen Hoch- 
schule durchgeführten Untersuchungen über Spannungsver- 
hältnisse in verschiedenen Werkstoffen wurzelt. Die zentralen 
Bestimmungsfaktoren dieser aus Metallstaben gebildeten Ob- 
jekte sind die wKraltii und das iiGleichgewioht-i. Die künstleri- 
sche Auseinandersetzung mit diesen beiden Phänomenen, die 
zu den grundlegenden Erfahrungen des Menschen gehören. 
vollzieht sich in der spannungsreichen Wechselwirkung von in- 
tuitiver Formerfindung und der für die Ausführung der Stabob- 
jekte notwendigen und bis ins letzte Detail reichenden rechneri- 
schen Festlegung aller Parameter. 
In den Kräftesystemen herrscht Identität zwischen der visuell 
ertahrbaren Form und der diese bedingenden. physisch in sie 
eingebrachten meßbaren Kraft: Die Biegekurve der innerhalb 
ihrer Elastizitätsgrenze gebogenen, also nicht verbogenen Me- 
tallstäoe entspricht derjenigen Energie, mit deren Hilfe die 
Formveränderung herbeigelührtwird. Läßt man dasobere Ende 
der Stäbe aus, dann schnellen sie wieder in ihre Ausgangsstel- 
lung zurück. das heißt in eine gerade, entspannte Position. Die- 
se Kräftesysteme sind keine Sinnbilder für iiGleicngewichtix. wie 
zum Beispiel die Kompositionen Piet Mondrians, sondern das 
iwKräftegleichgewichtu ist als tragendes Prinzip des Kunstwerks 
in diesem real vorhanden. Diese Idee von der künstlerischen 
Form als visualisierter, in seinen Bedingungen rational ein- 
sohaubarerGleichgewlchtszustand ungleicher Elemente(Kräf- 
te) leisteteinen neuen und in seiner Konsequenz und Klarheit be- 
stechenden Beitrag zu der Vielfalt systematisch-strukturelier 
Gestaltungsansätze, die im Rahmen der konstruktiven Kunst im 
Laufe der letzten Jahrzehnte entwickelt wurden. 
Indem Kaitnaseit einigen Jahren die in den Objekten wirksamen 
strukturellen Verhältnisse inTonfolgen und in Farbgestaltungen 
umsetzt, zählt er zur Gruppe jener österreichischen Künstler, 
Komponisten und Theoretiker. die seit den zwanziger Jahren 
umfassende strukturelle Konzepte erarbeitet haben, Dazu ge- 
hören in derZwölftonmusik Josef Matthias Hauer undAnton von 
Webern, Vertreter des logischen Positivismus des Wiener Krei- 
ses, aber auch die Strukturanalytiker der Wiener Kunstwissen- 
schatt und konstruktiv gestaltende Künstler der Nachkriegszeit 
wie Hans Florey, Dora Maurer u. a. 
Die Umsetzung derausden Kraftesystemen gewonnenen struk- 
turellen Verhältnisse in Tonreihen ist deshalb möglich, weil die 
als Spannung in die einzelnen Stäbe eingebrachte Kratt als Fre- 
quenz berechnet und in der Folgezum Klingen gebrachtwerden 
kann. Dabei wird aber keinesfalls eine synästhetlsche Vermitt- 
lung des Formeindrucks angestrebt; vielmehr handelt es sich 
um ein künstlerisches Experimentieren, das die Wirkung der 
charakteristischen Eigenschaften einerStruktur in verschiede- 
nen sinnlich erlahrbaren Erscheinungsformen untersucht. Da- 
beigiltesdiejedem Medium entsprechendeArtderVermittlung 
zu finden und das Verhältnis von struktureller Bindung und ge- 
stalterischer Freiheit jeweils neu zu definieren. 
Rationale Einsicht ist nichtein unabdingoares Erfordernis für ei- 
ne adäquate Auseinandersetzung mit Kunstwerken; das gilt für 
gegenständliche Werke ebenso wie für informelle Farbkcrnpo- 
siticnen. Strukturelle Kunst zielt wie jede Kunst darauf ab, den 
Betrachter direkt anzusprechen. Sie schafft aber mittels der 
dem Werk zugrundeliegenden eindeutig bestimmbaren Bedin- 
gungen Voraussetzungen lur eine rational begründbare Ver- 
mittlung wesentlicherAspekte seiner Existenz, ohne damit aber 
die Erfahrungsmoglichkeiten auszuschöpfen Die Krattesyste- 
me von Walter Kaitna erfordern grundsätzlich keine "Erklä- 
rungii, doch ein iiNachdenkenii ihres Entstehungsprozesses, 
und ihrer Idee vom anschaulichen Gleichgewicht der Kräfte ver- 
mittelt in Wechselbeziehung mit dem Endergebnis Einsichten, 
die die rein emotionale Erlebnismöglicnkeit des gegebenen 
Werkes wesentlich erweitern können, Dieter Bogner
	        
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