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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXVII (1982 / Heft 184 und 185)

gemein verständlich gewesen ist. Liebenwein verwen- 
det nun in seinem Zyklus bis auf eine Figur nur allge- 
meinverstandliche Szenen aus dem Alltagsleben der 
Menschen. Das Programm gliedert sich daher in eine 
mittlere Komposition, an die links und rechts Szenen an- 
schließen, deren ieichtverständliche Bildlichkeit sich 
darauf bezieht. 
Die Mitte zeigt vor einer Hecke mit früchtetragenden 
Bäumen einen dreischaligen Brunnen, in welchen die 
von links kommenden Frauen und Männer mit Eimern 
Wasser gießen, das auf der rechten Seite von Frauen 
wieder entnommen wird, um es an die folgenden Sze- 
nen weiterzureichen. Ohne Zweifel sind die Baume mit 
den Früchten, aber auch der Brunnen Metaphern (Bil- 
der) der menschlichen Sprache, deren Inhalt jeder- 
mann verständlich ist und die in poetischer Form die Be- 
deutung der Sparkasse symbolisieren. Diese zentrale 
ldeedes Sammelns. Bewahrens und Weitergebenswird 
in den weiteren Szenen ausgebaut und differenziert. 
So umfassen die vier Bilder der linken Seite folgende 
Szenen: Am Beginn steht ein Bild, das durch Kessel- 
schmiede, Maschinen und rauchende Schlote deutlich 
auf die Industrie anspielt als einer Voraussetzung des 
von der Sparkasse zu hütenden Wohlstandes. Auf die- 
ses Bild folgt eine Komposition, die in der Kartonversion 
nicht mehrvorhanden ist, aber im Original die Bauwirt- 
5 Max Liebenwein, Allegorie auf die Altersfürsorge 
hält. Wahrscheinlich ist dieser Maler ein Selbstbildnis 
des Künstlers. 
ln diesen vier Kompositionen sind auch noch die Blu- 
men und die leuchtenden Rosen von bildlicher Bedeu- 
tung. Alle Szenen ereignen sich im Freiraum vor einem 
goldenen Himmelsgrund und einem landschaftlich- 
oberösterreichischen Szenarium. In diesen acht Sze- 
nen verwendet Liebenwein eine starke und leuchtende 
Farbigkeit, er verleiht damit seiner liebenswürdig- 
schlichten Umsetzung literarisch-gedanklicher Sach- 
verhalte eine heitere. poetische Dimension, wie sie 
auch in Volksliedern zu linden ist. 
Als Maximilian Liebenwein diesen Zyklus malte. hatte in 
Wien derJugendstil seinen Höhepuntk erreicht. Als Mit- 
gliedderWienerSecession warermitailen Ereignissen, 
diesich voraliem aufdem Wiener Boden im Zusammen- 
hang mit der sogenannten nKlimtgruppe-x abspielten. 
bestens vertraut. Für diese Wegbereiter der Moderne 
waren die allegorischen Kompositionen ein durchaus 
vertrautes Genre, hatten doch Ernst und Gustav Klimt 
sowie Franz von Matsch selbst die Räumlichkeiten des 
Burgtheaters. der Museen und der Wiener Universität 
mit derartigen Kompositionen geschmückt. Die Frage, 
die sich der heutige Betrachterdahervorsoichen Arbei- 
ten stellen mag; WHBÜEU solche Bilder unabhängig von 
ihrem Inhalt auch eine ästhetische Wertigkeit und worin 
 
schaft darstellt. indem es Maurer bei der Einrichtung ei- 
nesiBauwerkeszeigt. ln der Fortsetzung sind zwei Bilder 
der Landwirtschaft vorbehalten. Ein Pferdegespann mit 
Pflug undjungem Bauersowie einvon einem Bauern ge- 
führtes Ochsengespann dienen der Verdeutlichung der 
für Oberösterreich so wichtigen Landwirtschaft. Diese 
Bedeutung wird nicht nur durch die Aufteilung auf zwei 
Bilderbetont, sondern auch durch die Beifügung derein- 
zigen allegorischen Figur im ganzen Zyklus, Liebenwein 
laßt das Ochsengespann begleiten von einer geflügel- 
ten nackten Frauenfigur. die auf einer Kugel steht und 
Füllhorn und Zaumzeug in den Händen hält. Mit dieser 
Figur zitiert Liebenwein einen Künstler, der zeitlebens 
ein großes Vorbild für ihn gewesen ist, nämlich Albrecht 
Dürer. Dieser hat um 1501l1503 unter dem Elnfluß sei- 
nes humanistischen Freundes Willibald Pirkheimer ei- 
nen großen Kupferstich von dieser Figur geschaffen, 
derwDasgroße Glück-r genanntwird und diegriechische 
Schicksalsgottin nNemesisv wiedergibt. 
Alle bisherigen Bildersind als eine szenischeAbfolge zu 
verstehen. sie sind auf das Zentrum ausgerichtet und 
stellen die bildhafte Wiedergabe alles dessen dandas 
zur Bildung des Kapitals beiträgt. Die rechts vom Brun- 
nenzentrum (: Sparkasse) angeordneten Bilder sind 
nun jenen Bereichen vorbehalten, denen das Wasser 
(: Kapitabwlederzugute kommt. also alle humanitären 
und kulturellen Bereiche. Wir erkennen die Armen- und 
Altenfürsorge, die Kinder- und Mütterfürsorge sowie die 
Krankenpflege. Den Abschluß bildet eine Szene mit jun- 
gen singenden und musizierenden Frauen sowie einem 
Maler, dervorseinerStaffelei steht und darauf allesfest- 
38 
Die gesamte Kartonfassung Max Liebenweins (Abb, 1 - 9) ist in 
Kaseiniarben gemalt und 1908 entstanden. 
besteht dieseftu, war diesen Künstlern noch nicht rele- 
vant.AuchdieAuffassungvonderAutonomiedes Bildes 
gegenüber allen inhaltlichen Bestimmungen war noch 
nicht von allzu großer Bedeutung. 
Ohne Zweitel sind diesen Kompositionen Maximilian 
Liebenweins Inhalt und Form gleicherweise bestim- 
mend und zu einergelungenen Synthese gebracht. Die- 
serzwischen Moritzvon Schwind und Arnold Böcklin an- 
gesiedelte Künstler hat die Strukturen des Jugendstiles 
in eigenwilliger Art stilisiert und damit einen Aspekt in 
der Wiener Secession vertreten, der volksnah. mär- 
chenhaft und romantisch gewesen ist. Maximilian Lie- 
benwein versuchte immer. seine Bilder mit den allen 
Wiener Secessionisten gemeinsamen ästhetischen 
Grundlagen zu gestalten. So bediente er sich bei der 
Realisierung seines Linzer Frieses des von den Wienern 
propagiertenFlächenstils.derhiertrotzeinerNahezum 
Naturalismus die zweidimensionale Flachigkeit und 
den starken Kontur bevorzugt. Dieser mehr zeichneri- 
sche als malerische rrKonturenstilr gibt seinen Kompo- 
sitionen schlichte Festigkeit und bäuerliche Stabilität, 
denen eine ornamental-dekorative und leuchtende Ko- 
loristik eine naiv-heitere und poetische Wirkung ver- 
leiht. 
In dem für die Linzer Allgemeine Sparkasse geschaffe- 
nen Bilderzyklus hinterließ Liebenwein ein Werk, das 
neben dem von Gustav Klimtund Leopold Forstner etwa 
um dieselbe Zeit geschaffenen Zyklus für das Palais 
Stoclet in Brüssel einen zwar andersartigen. aber nicht 
weniger signifikanten Beitrag des österreichischen Ju- 
gendstils darstellt.
	        
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