Katsushika Hokusai (1760-1849) ist wohl als der
im Westen am meisten bekannte japanische
Künstler anzusprechen, eine geniale, von Un-
ruhe erfüllte Persönlichkeit, die oftmals ihren
Künstlernamen wechselte und eine fast unglaub-
liche Arbeitsleistung vollbrachte. Von Hokusai
stammen rund 30.000 Zeichnungen und Illustra-
tionen zu 500 Büchern, wobei er in seinem
Werk Anregungen von den alten Malschulen
Chinas und Japans sowie von Europa, dem er
die Anwendung der Zentralperspektive verdank-
te, zu einer ganz persönlichen künstlerischen
Aussage vereinte. Der Natur in ihren sämtlichen
Erscheinungsformen, gleichgültig ob schön oder
abstoßend, auf das tiefste verbunden, erschien
ihm alles gleich darstellenswert, die Wieder-
gabe des alltäglichen Lebens mit signifikanten,
realistischen Figuren, denen häufig eine humor-
volle Note anhaftet, Blumen, Vögel usw., vor
allem aber die Landschaft, die vor Hokusai in
der Holzschnittkunst vernachlässigt worden war.
In der Erschließung der Landschaft, die eines der
ältesten und wichtigsten Anliegen innerhalb der
fernöstlichen Kunst bedeutet hatte, für die Druck-
grafik folgte ihm der jüngere, nicht weniger be-
rühmte Ando Hiroshige (1797-1858), zunächst
noch in Anlehnung an das Vorbild Hokusais,
bald aber mit eigenen Gestaltungsprinzipien.
Gleich dem älteren Meister beschäftigte ihn
nicht ausschließlich dieses Thema, obwohl der
Landschaftsdarstellung seine Vorliebe galt, in
der er wie Hokusai kein ldealbild, sondern die
künstlerische Umsetzung tatsächlich vorhandener
Szenerien anstrebte. Beiden Künstlern gemeinsam
ist neben einer Abkehr von idealisierenden Vor-
stellungen in der Wiedergabe der Menschen der
Einbezug europäisch-perspektivischer Stilmittel in
die ostasiatische Formenwelt. Hiroshiges Land-
schaften lassen ein intensives Naturstudium er-
kennen - das gilt auch für die anderen
Schöpfungen -, allerdings fehlen ihnen die bei
Hokusai gelegentlich anklingenden, untergrün-
digen und symbolträchtigen Züge. Seine Arbeiten
sind vielmehr erfüllt von Stimmungsgehalten, die
unmittelbar an allgemein menschliche Empfin-
dungen appellieren.
Diese Zeilen sollen jedoch nicht die künstleri-
schen Phänomene Hokusai und Hiroshige behan-
deln, vielmehr geht es darum, einen Hinweis zu
geben, wieweit das Österreichische Museum für
angewandte Kunst zur Verbreitung der Kennt-
nis um sie beigetragen hat.
1932 fand eine vom Verein der Freunde asiati-
scher Kunst und Kultur in Wien gemeinsam mit
der Grafischen Sammlung Albertina veranstal-
tete Ausstellung ostasiatischer Malerei und Gra-
fik, 12. bis 19. Jahrhundert, statt, die u. a. eine
Fülle an japanischen Holzschnitten enthielt, die
aus der Albertina und überwiegend von pri-
vaten Sammlern stammte. Daß das Öster-
reichische Museum, obwohl es bereits eine be-
achtliche Sammlung japanischer Drucke besaß,
nur wenige Blätter beisteuerte, mag an der Aus-
wahl gelegen haben und vielleicht auch daran,
daß man sich der Bedeutung dieser Bestände
und der vergangenen Verdienste des Öster-
reichischen Museums um den japanischen Holz-
schnitt in Mitteleuropa nicht mehr bewußt war.
So schrieb der bedeutende Kenner Julius Kurth
(Berlin) in seiner Einleitung zum Katalog: „Der
Japanholzschnitt hat sich Sdwritt für Schritt das
Interesse des deutschen Sprachgebietes erobert.
Staatssammlungen wetteiferten mit Privatsamm-
lungen, um weitere Kreise für ihn zu gewinnen,
und das Dresdner Kupferstichkabinett begann
1897 mit dem Reigen der Ausstellungen. Berlin
folgte 1905, Wiesbaden 1908, besonders frucht-
bar aber war das folgende Jahr, in dem Ham-
burg, Frankfurt a. M. (Sammlung Straus-Neg-
2
baur), München und noch einmal Berlin (Samm-
lung Mosle) auf den Plan traten. 1912 kam Ber-
lin zum dritten Male, 1927 lnsterburg, 1928 Zü-
rich . .. Auf österreichischem Boden hat erst
einmal eine Ausstellung stattgefunden, und zwar
1913 in Prag (Sammlung Bouska, Katalog tsche-
chisch). Nun endlich erscheint auch Wien!"' Die
avantgardistischen Leistungen österreichischer ln-
stitutionen auf diesem Gebiet waren in Verges-
senheit geraten oder völlig unbekannt geblieben.
Die Wiener Secession hatte dem japanischen
Farbholzschnitt viel zu verdanken - eine Aus-
stellung der Bibliothek des Österreichischen Mu-
seums stellt diese Beziehungen derzeit anschau-
lich unter Beweisz -, und gerade in den ent-
scheidenden Jahren um 1900 hatten in Österreich
Künstler und Publikum des öfteren Gelegenheit,
japanische Buntdrucke im Original kennenzuler-
nen. Den Auftakt bildete im Juni 1899 eine Ex-
position des Gewerbemuseums in Brünn mit ja-
panischen Originalaquarellen, Farbhalzschnit-
ten und Färberschablonen. Insgesamt über 500
Blatt, die von S. Bing, Paris, R. Wagner, Berlin,
E. Arnold, Dresden, R. Forrer, Straßburg, und
aus dem Österreichischen Handelsmuseum stamm-
ten". Im September desselben Jahres folgte das
Österreichische Museum in Wien mit rund 150
Blättern der bedeutendsten Meister, wie Haru-
nobu, Shunsho, Eishi, Utamaro, Hokusai und
Hiroshige, Leihgaben der Königlich-Sächsischen
Hof-Kunsthandlung E. Arnold zu Dresden '. Da-
mit fiel dem Österreichischen Museum das Ver-
dienst zu, „das Publicum in den Genuß dieser
merkwürdigen Kunst eingeführt" zu habens Bei
dieser Gelegenheit wurden für die Bibliothek
des Hauses auf dem Stubenring 27 Blätter er-
worben 6, darunter zwei von der Hand Hokusais
und acht von Hiroshige, ein bescheidener An-
fang für das heute in der Kunstblättersammlung
einen breiten Raum einnehmende und mit her-
vorragenden Beispielen vertretene Werk beider
Künstler.
Im Frühjahr 1900 gestaltete die Secession ihre
6. Ausstellung ganz im Zeichen Japans mit
Objekten aus dem Besitz des in Berlin lebenden
Wiener Sammlers A. Fischer, wobei wiederum
neben den Schöpfungen von Harunobu, Koryü-
sai, Masanobu, Kiyonaga und Utamaro auch
Arbeiten Hokusais und Hiroshiges zu sehen
waren', die sicher großen Anklang fanden,
denn schon 1899 hatte „der Realist, der
,Menzel' Hokusai, neben dem genialen Land-
schafter Hiroshige den Vogel abgeschossen, die
Meister des viel japanischeren XVlll. Jahrhun-
derts und der fruchtbare Übergangsmensch Uta-
maro waren ihnen bei den Wienern nicht ge-
wachsen".
Als der hundertjährige Todestag Hokusais 1949
einen willkommenen Anlaß bot, veranstaltete
das Britische Museum eine großangelegte Schau,
„. .. the first apportunity for the European public
to see his work in its fuII range, for a genera-
tion"". Der Autor des Kataloges B. Groy zog
Vergleiche zu den älteren Ausstellungen und
kam zu dem Schluß, daß die Hokusai Exhibition
in London , . may be the most fully represen-
tative exhibition hitherto heldw". Diese Annah-
me bezog sich auf Boston 1893, Tökyö 1900,
Paris 1913 und London 1924, die wichtigste und
bis heute unerreichte Hokusai-Dokumentation,
die auch sonst in der einschlägigen Literatur
keine Erwähnung findet, Wien 1901, fehlte. Einer
Idee des Kunstkritikers A. Friedmann folgend,
hatte in diesem Jahr nämlich die Wiener Kunst-
und Verlagshandlung E. Hirschler 8. Camp. mit
Unterstützung von S. Bing in Paris eine Aus-
stellung „Werke Hokusais" zustande gebracht,
die Rollbilder, Zeichnungen, Farbholzschnitte -
mehrere Serien wurden komplett vorgestellt -
und Bücher umfaßte, mit 630 Katalognui
der bis heute umfangreichste Überblick in
Exposition, die überdies in Europa die
ausschließlich dem Meister gewidmete Veri
tung war". Ort des Ereignisses war das
reichische Museum, dessen Pioniertat i
Folgezeit leider nicht die gebührende Bea-
fand.
Wenige Jahre später, 1905 strömten 28.57
sonen zu einer „Ausstellung von älteren j
schen Kunstwerken" in dos Österreichisch
seum, die eigene Objekte, solche des
reichischen Handelsmuseums und von Privat.
lern darbot, vor allem auch aus der Koll
Heinrich von Siebolds, eines Sohnes des b:
ten deutschen Arztes, Forschers und Reis
Philipp Franz von Siebold (1796-1866), d
österreichischer Diplomat in Japan tätig
sen war". Unter den vielen Exponaten
eine eigene Sektion der Entwicklung des
schnittes bis zu Hokusai und Hiroshige vor
ten, die innerhalb weniger Jahre nunmehr
bedeutende Zurschaustellung japanischer
drucke im Haus auf dem Stubenring, d
weist, daß Wien keineswegs abseits der
meinen Zeittendenzen stand, sondern ir
genteil eine führende Position innehatte. (
zeitig nahm das Museum die Möglichkeit
von Freiherr von Siebold 516 farbige Holz
te - unter ihnen Blätter von Hokusai -
kaufen ".
Somit waren bereits zu Anfang unseres
hunderts die Grundlagen geschaffen w
einerseits um das Interesse an der fernös
Holzschnittkunst zu wecken, und ariden
um dem japanischen Holzschnitt in Zukun
Platz zu sichern, der ihm innerhalb einer
blättersammlung vom Rang der des
reichischen Museums zukom, das seit
Gründung 1864 ganz bewußt auch die
Ostasiens in den Aufgabenbereich seiner!
lungen miteinbezogen hatte.
Die Übernahme der künstlerisch wert
Kollektionen aus dem Österreichischen Ha
museum 1907, die tausende asiatische O
enthielten, vermehrten die Bestände an ji
scher Grafik beträchtlich". Ein größere
wachs war weiterhin 1919 zu verzeichnen,
dem Legat von R. Lieben mit 110 Farbholz
ten, mit großteils späten Drucken, u. a. au:
Hokusai und Hiroshige.
Trotz dieser vielversprechenden Anfänge d
es allerdings noch geraume Zeit, bis der
schnittsammlung des Museums die ihr geb
de Aufmerksamkeit geschenkt und der Ws
Vorhandenen erkannt wurde. Das lag t
daß das Museum über keinen eigenen Sacl
beiter für Ostasien verfügte, ein bedaue
Umstand, der erst in den dreißiger Jahn
dem Eintritt von Dr. V. Griessmoier i
Sammlungen, dem nochmaligen Direkto
Hauses, ein erfreuliches Ende fand. Ihm l
Aufnahme der wissenschaftlichen Bearb
und vor allem der Ausbau der Holzschnittl
tion zu verdanken. So muß von den Anl
aus Privatbesitz und bei öffentlichen Ver:
rungen im Hinblick auf unser Thema d
werbung der „53 Raststatianen des Töl
von Hiroshige 1939 oder von Werken Ha
1943 gedacht werden. Die wertvollste und g
Erweiterung aber brachte die einzig
Schenkung Anton Exners aus den Jahrer
und 1946, von der mehr als 800 Numme
chinesischen und japanischen Holzschnitte
einen Teil der Gesamtwidmung ausmachte
bei Hokusai und Hiroshige besonders rei
tig vertreten waren.
Die Kriegswirren und die Jahre danach m
lagerung und Rückholung der Objekte