Jahrhunderts mit dem Orient. Manche wählten ihn
im Verlauf oder unmittelbar nach einer Reise zum
Thema, andere schöpften aus dem Erlebnis eines
einziges Aufenthalts im Süden immer wieder und
viele Jahre lang, und wieder andere kannten nur
Beschreibungen und Ansichten aus Reisebüchern
und Zeitschriften und nahmen orientalische The-
men vereinzelt in ihre Gestaltungswelt auf. Seit
den siebziger Jahren waren im Künstlerhaus eini-
ge Werke französischer Orientalisten, wie Horace
Vernet, Eugene Fromentin und Jean-Leon Gero-
me, ausgestellt.
Leider gibt es keine Monographie L.C. Müllers,
weil das Bildmaterial zum größten Teil in engli-
schem Privatbesitz und unerreichbar ist. Eine
1922 herausgegebene Sammlung von Briefen des
Künstlers an Ferdinand Lautberger, August von
Pettenkofen, Georg Ebers u.a. sowie von einigen
Briefen an ihn informiert jedoch ausgezeichnet
über sein Lebenß. Im Winter 1873174 hielt sich der
Maler zum ersten Mal in Ägypten auf. Vorher (von
Dezember 1872 bis Sommer 1873) war er zusam-
men mit Eugen Jettel in Sizilien. nlch arbeite immer
im Freien, und zwar in der Sonne. ich wage viel,
denn von der Sonne beleuchtete Figuren sind
schwer in eine Bildwirkung zu bringen...tt (Brief an
Laufberger vom 21. Janner 1873). "Was Farbe an-
belangt, so kann ich behaupten, daß ich heute
Dinge weiß, von welchen ich noch vor 2 Monaten
absolut keinen Dunst hatte, doch mit aller Mühe
ist es mir noch nicht gelungen, ein diesem Wissen
conformes Produkt zu Tage zu fördernd: (Brief an
Laufberger vom 16. April 1873). Müllers einziger
Trost war, daß es Jettel, der schließlich vergramt
abreiste, noch schlechter ging. In Kairo wollte
Müller Studien vor der Natur malen und nicht, wie
in Palermo, fertige Kompositionen. Erst im Wiener
Atelier sollten dann große Bilder aus diesem Ma-
terial entstehen. Der Wunsch, nach Agypten zu ge-
hen, kam nicht aus heiterem Himmel: Bald nach
dem Abschluß des Akademiestudiums befand
sich Müller in Szolnok, wo ihm andere Menschen
mit anderen Lebensgewohnheiten begegneten,
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die flache Landschaft unter einem dominierenden
Himmel, der ein anderes als das gewohnte Licht
verbreitet. Ein für Wiener Begriffe exotischer Ort.
Müller schwebten schon damals große figurenrei-
che Stimmungsbilder vor, die er in manchmal jah-
relanger Arbeit versuchte auf die Leinwand zu
bringen. So schuf er sein großes Bild vDie letzte
Tagesmühu (Wasserholende Mädchen an der
Theiss)', und unter denselben Vorzeichen schuf er
auch sein Meisterwerk, den 1878 vollendeten
"Markt in Kairon (Abb. Frontispiz, I, S. 1), der 1875
ohne Vorgabe eines Themas vom Ministerium für
Cultus und Unterricht für die Akademiegalerie be-
stellt worden war. Es ist bezeichnend, daß Müller
kein literarisches Thema wählte, sondern das Le-
ben darstellen wollte, dem er in Kairo täglich be-
gegnete. w... ich habe es vorgezogen, etwas zu
malen, das gar keinen Titel hat, mir aber Gelegen-
heit gab, malerisch zu wirken-t, erzählte er Georg
Ebers in einem Brief vom 1. März 1878. Verschie-
dene Figuren, die er nicht vor der Natur, sondern
in Venedig (wo er ein Atelier in der Ca' Rezzonico
besaß) aus der Erinnerung gemalt hatte (Müller
schleppte das große Bild jahrelang zwischen Ve-
nedig und Kairo hin und her), kratzte er herunter,
um sie durch nach der Natur und im Sonnenlicht
Kairos gemalte zu ersetzen (Brief an Laufberger
vorn 22. Jänner 1878). Der i-Markt in Kairo" ist das
Hauptwerk der Wiener Orientmalerei und auch ein
Hauptwerk der realistischen Orientmalerei im eu-
ropäischen Rahmen. Der "Poetische Realismus-i
des Bildes" wird durch das Fehlen eines Themas
betont, das Augenmerk des Beschauers würde
durch Handlung von der Erfassung einer Stim-
mung, der Atmosphäre nur abgelenkt. Zur glei-
chen Zeit arbeitete Müller an Illustrationen für das
Agyptenwerk Ebers", eine Aufgabe, die er nach
seiner Berufung zum Akademieprofessor an
C.R. Huber weitergab. Obwohl der ewige Zweifler
Müller mit seinem Bild nicht zufrieden war (zu vie-
le Figuren seien drauf, meinte er), gelang ihm ein
solcher Wurf später nicht wieder. Die nSchule in
Algiem (Abb. 2) aus dem Jahre 1887 zeigt deutlich,
daß er seinem Ziel - oder war es ein Wunsch-
traum? -, möglichst wwahrii zu malen, mit Hilfe
geradezu fotografisch treuer Wiedergabe der Ge-
sichter nahekommen wollte, daß jedoch der inne-
re Zusammenhalt nur unvollkommen bliebl". Das
mag damit zusammenhängen, daß es eines jener
Bilder ist, die er aus der Erinnerung gemalt hat.
Besonders lebendig und unmittelbar sind seine
Porträtstudien, meist kleinformatig und im Gegen-
satz zu den mehrfigurigen Bildern schnell gemalt.
Das Porträt i-Nefusat- (Abb. 3) ist ein schönes Bei-
spiel dafür, daß Müller nie das historische Ägyp-
ten gesucht, sondern sich nur mit dem Heute be-
schaftigt hat. So lehnte er auch Genrebilder mit
Themen aus vergangenen Zeiten ab.
Dieser Maler war ein unstetes Gemüt. Er fand zum
Orient, weil sich das aus seiner Vorstellung, Wahr-
heit in der Malerei finden zu müssen und sie nur
unter einem fremden Himmel finden zu können,
fast von selbst ergab. Denn das Licht, das die
i-Wahrheit an den Tagii bringt, gab es seiner Mei-
nung nach nur im Süden. So bewegte er sich im
Lauf der Jahre immer weiter in diese Richtung:
Szolnok, Venedig, Sizilien, Kairo und Oberägyp-
ten. Wieder und wieder versuchte Müller seinen
Freund Pettenkofen zu einem Ägyptenaufenthalt
zu überreden, doch war dessen Scheu vor einer
Seereise stärker. (Einmal schreckte Pettenkofen
sogar erst in Triest angesichts des Meeres zurück,
obwohl er sein Kommen schon angekündigt
hatte). "Es ist eine zum Himmel schreiende Sünde,
daß Du nicht hierher kommst", schrieb Müller am
28. August 1881, irOberegypten ist Deine Domaine,
ist für Dich erfunden worden. Niemand könnte
Oberegypten so gut packen, als Du es könntest-
Er selbst war neunmal in seinem "lieben" Ägypten
(zwischen 1873 und 1886). Die meisten Bilder, die
er dort malte, verkaufte er direkt an Reisende, vor
allem an Engländer, die den Winter in Ägypten ver-
brachten; dabei war seine Bekanntschaft mit dem
Prince of Wales sehr nützlich. Bald gehörte er in
den Augen des englischen Publikums zu den er-
sten europäischen Orientmalern. Er war im Londo-