Peter Vergo
Adoif Loos: zwischen
Modernismus und Tradition
ln den zwanziger und dreißiger Jahren waren viele Ver-
ehrer und Schüler von Adolf Loos katholischer als der
PapstÄ ErwurdefürdenVertretereines kompromißlosen
Rationalismus, seine Werke fürdurchwegs radikal und
bahnbrechend gehalten. Die Fahnenträger des uneuen
Bauensu haben ihm eine Bedeutung zugeschoben, auf
die Loos selber nie Anspruch erhoben hatte. Kaum er-
wähnt wurden jedoch die unverkennbaren konservati-
ven und traditionsgebundenen Aspekte seines Schaf-
fens und Denkens. Loos, der in den zwanziger Jahren
seine gesammelten Schriften und Aufsätze neu heraus-
gab, hat an manchen Stellen seine früheren Aussprü-
che, die mit seinem damaligen Standpunkt nichtmehr in
Einklang gebracht werden konnten, gekürzt odersogar
völlig weggelassen. Bezeichnenderweise ließ eraberso
gut wie unberührt diejenigen Aufsätze. in denen er sich
mit der Bedeutung der Tradition und der Vergangenheit
befaßte. wMan gewöhne sich, zu bauen wie unsere väter
gebaut haben, und fürchte nicht, unmodern zu seinw,
schrieb er 1914. "Man kommt dann zwar nicht in die
Deutsche Kunst und Dekoration und wird nicht kunst-
gewerbeschul-professor, aberman hatseinerzeit, sich,
seinem volke und der menschheit am besten gedientß
Trotz seiner negativen Beurteilung der historisierenden
Baustile, trotz all seiner abfälligen Äußerungen über die
klassizistischen Barock- und Rokokofassaden der Ring-
straßenepoche sind solche positiven Hinweise in den
Loosschen Schriften dieser Zeit sehr verbreitet.
Manchmal befriedigtersich mit Allgemeinheiten, indem
er vage auf die ralles überragende große des klassi-
schen altertumsii deutetFAn anderenStellenwirderprä-
ziser. ln einem Aufsatz aus dem Jahre 1913 schildert er
sein eigenes Bedürfnis, wieder an die Tradition anzu-
knüpfen, die wim anfange des neunzehnten jahrhun-
dertsii von architekten verlassen wurdef Noch unzwei-
deutiger schrieb er 1898 in einem Aufsatz, der in die ge-
sammelten Schriften nicht aufgenommen wurde: "Für
mich ist die Tradition allesßs
ln der letzten Zeit haben einige Architekturhistoriker
sich bemüht, des Architekten rätselhaften Standpunkt
zu präzisieren, der zwischen Modernismus und Tradi-
tion gelegen ist. Sie haben auf die klassischen Anleh-
nungen hingewiesen, die auch in einigen seiner wrevolu-
tionärstentr Entwürfe vorkommen - die dorische Säu-
lenordnung z. B., die einen Teil der Fassade vom nHaus
am Michaelerplatzii bildet: kein arrierepensee, wie neu-
erdings bewiesen wurde, auch kein Kompromiß, der
dem Architekten von seinen Gegnern aufgezwungen
worden wäre, sondern ein wesentlicher Bestandteil sei-
nes ursprünglichen Konzepts." SeinerAbhängigkeitvon
der Tradition, die in seinen Schriften über Architektur
und Einrichtungskunst nicht weniger ausgeprägt ist,
wurde dagegen verhältnismäßig wenig Achtung ge-
schenkt. Diese Tatsache ließe sich wohl zum Teil da-
durch erklären, daß Loos selber andere Architekten mit
Namen nennt, die er als die eigenen Vorgänger aner-
kennt, verrät aber beträchtlich wenigervon seinen lite-
rarischen Quellen. Diese lassen sich jedoch unschwer
erkennen. In seiner Besprechung einer Ausstellung im
k. k. Österreichischen Museum für Kunst und Industrie
im Jahre 1897 beschreibt Loos u,a. Entwürfe, die von
Studenten der Kunstgewerbeschule eingereicht wur-
den: wFür das gewerbe sind die besten Zeichnungen
nichts wert. Naturalistisch gezeichnete kürbisse - um
ein beispiel herauszuheben -, fein säuberlich und
recht plastisch schattiert, tuns nicht. Besonders wenn
sie für eine wandfriestapete unter dem plafond erdacht
sind. In einem solchen unglückszimmer würde man
nicht stark aufzutreten wagen. Schließlich könnten ei-
nem die kürbisse auf den kopf fallenli?
Zu diesem Zeitpunkt hätte derGedanke, daß flache Mu-
sterentwürfe die einzig passende Manier für das Aus-
schmücken von Boden und Decken bildeten, wohl kaum
jemanden überrascht. Schon vor einem halben Jahr-
hundert hatte Henry Cole, der Herausgeber des engli-
schen Journal of Design and Manufacfures wiederholt
vor Bodenteppichen und Deckenmalereien gewarnt,
wo Obst oder Blumen so plastisch nachgemalt wurden,
daßderunbedachte Besuchersich leicht hätte fürchten
können, daßer sfezertrete oderdaßsie ihm aufden Kopf
fielen. Es besteht übrigens eine frappante Ähnlichkeit
zwischen den früheren Loosschen Aufsätzen und dem
nHausstil-i vom Joumalofßeslgn. In einem Essay wDas
Speisezimmew,TeileinerSerie,dieimJahre1849unter
dem Titel wHints for the Decoration and Furnishing of
Dwellingsii erschienen ist, empörte sich der Autor ge-
gen das Anbringen solcher Deckenornamente, die -
vor allem in einem niedrigen Speisesaal - durch ihre
Plastizität den Eindruck erwecken könnten, wthat the
whole is about to descend for the purpose of forming a
magnificent pliir in the midst of your Täblßlf!
Ob das zeitgenössische englische Design einen unmit-
telbaren Einfluß auf Loos ausübte oderobdieser Einfluß
auf indirektem Wege nach Wien gelangte, muß offen
bleiben, Nach seiner Rückkehr aus Amerika nach Euro-
pa hat Loos anscheinend England besucht; in seinen
späteren Jahren haterwohl auch andere Englandreisen
unternommen. Seine Schriften gewähren uns jedoch
zum größten Teil keinetiefe Einsicht in das wirkliche Le-
ben in England zu dieser Epoche. Viele seiner Betrach-
tungen sind eher rührend naiv (oder sind sie doch be-
wußt ironisch?) wie er z. B. das englische Verkehrswe-
sen mitdem österreichischen vergleicht und zur sicher-
lich fehlerhaften Schlußfolgerung kommt, daß in Öster-
reich soziale Unterschiede gerade beim Reisen über-
aus stark ausgeprägt seien, während in England alle
Reisenden eine einzige fröhliche Familie biIdetenYSei-
ne Äußerungen über englische Architektur und Innen-
kunst sagen uns ebenfalls wenig Neues oder Originales
im Vergleich zu denjenigen europäischen Kritikern und
Schriftstellern, die von ihrem Aussichtspunkt auf dem
Festland über die neueste Entwicklung der englischen
Designbewegung referierten. Es kann z.B. eine lehr-
reiche Parallele gezogen werden zwischen den frühen
Loosschen Aufsätzen und der Streitschrift Im Kampf
um die Kunst, die vorn deutschen Architekten und
Theoretiker Fritz Schumacher 1899 veröffentlicht wur-
de. Genau wie Loos vertritt Schumacher eine Synthese
zwischen modernen Baumethoden und traditionellen
architektonischen Formen. Eine andere für uns typisch
Loos'sche Forderung wird auch in Schumachers Schrift
vorweggenommen, nämlich die nach der Gestaltung
des Wohnhauses von innen nach außen. Die Proportio-
nen eines bestimmten Raumes oder Saales, und daher
auch die Proportionen des ganzen Gebäudes, sollen
vom Zweck bestimmt sein; für Schumacher sind in die-
ser Hinsicht die englischen ländlichen Profanbauten
vorbildlich:
nEs ist vor allern auch das Bemessen der Höhe des Rau-
mes. was als wichtigstes Moment für seine eigentümli-
che Wirkung in Betracht kommt und beachtet sein will
meist liegt darin der Reiz, den der Engländer selbst
bei bescheidenen Aufgaben durch Anlage einer durch
zwei Geschosse gehenden Hall seinen Landsitzen zu
geben versteht. Wir töten gewöhnlich jede feinere
Nuancierung in unseren Innenräumen dadurch, daß un-
barmherzig alle Decken in gleicher Höhe liegen . . . Den
Ausgleich erreichen dieAusländerdadurch. daß sie das
Fensterdem jeweiligen Erfordernis des Raumes gewis-
senhaft anpassenii"
Übrigens schreibt Schumacher schon zu diesem relativ
frühen Datum überdie Dekoration inWorten, die uns un-
heimlich an den späteren Loos erinnern:
iiKein Ornament darf in der Architektur an sich wirken,
es wird erst gut oder schlecht, je nach dem Zusammen-
hang, in dem es verwandt wirdmii"
Ledig in einer Hinsichtwurde Loosvon der Mehrzahl sei-
nerZeitgenossen durch seine Ansichten getrennt. Zu ei-
ner Zeit, wo fast alle Schriftsteller, insbesondere die
Vertreter der Wiener Secession, die alle Kluft zwischen
der wschönenu und der wangewandtenii Kunst über-
brücken wollten. indem sie eine Wiedervereinigung von
vKunstii und nKunsthandwerkir forderten, machte Loos
einen grundlegenden Unterschied zwischen den Pro-