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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXVIII (1983 / Heft 186 und 187)

Peter Vergo 
Adoif Loos: zwischen 
Modernismus und Tradition 
ln den zwanziger und dreißiger Jahren waren viele Ver- 
ehrer und Schüler von Adolf Loos katholischer als der 
PapstÄ ErwurdefürdenVertretereines kompromißlosen 
Rationalismus, seine Werke fürdurchwegs radikal und 
bahnbrechend gehalten. Die Fahnenträger des uneuen 
Bauensu haben ihm eine Bedeutung zugeschoben, auf 
die Loos selber nie Anspruch erhoben hatte. Kaum er- 
wähnt wurden jedoch die unverkennbaren konservati- 
ven und traditionsgebundenen Aspekte seines Schaf- 
fens und Denkens. Loos, der in den zwanziger Jahren 
seine gesammelten Schriften und Aufsätze neu heraus- 
gab, hat an manchen Stellen seine früheren Aussprü- 
che, die mit seinem damaligen Standpunkt nichtmehr in 
Einklang gebracht werden konnten, gekürzt odersogar 
völlig weggelassen. Bezeichnenderweise ließ eraberso 
gut wie unberührt diejenigen Aufsätze. in denen er sich 
mit der Bedeutung der Tradition und der Vergangenheit 
befaßte. wMan gewöhne sich, zu bauen wie unsere väter 
gebaut haben, und fürchte nicht, unmodern zu seinw, 
schrieb er 1914. "Man kommt dann zwar nicht in die 
Deutsche Kunst und Dekoration und wird nicht kunst- 
gewerbeschul-professor, aberman hatseinerzeit, sich, 
seinem volke und der menschheit am besten gedientß 
Trotz seiner negativen Beurteilung der historisierenden 
Baustile, trotz all seiner abfälligen Äußerungen über die 
klassizistischen Barock- und Rokokofassaden der Ring- 
straßenepoche sind solche positiven Hinweise in den 
Loosschen Schriften dieser Zeit sehr verbreitet. 
Manchmal befriedigtersich mit Allgemeinheiten, indem 
er vage auf die ralles überragende große des klassi- 
schen altertumsii deutetFAn anderenStellenwirderprä- 
ziser. ln einem Aufsatz aus dem Jahre 1913 schildert er 
sein eigenes Bedürfnis, wieder an die Tradition anzu- 
knüpfen, die wim anfange des neunzehnten jahrhun- 
dertsii von architekten verlassen wurdef Noch unzwei- 
deutiger schrieb er 1898 in einem Aufsatz, der in die ge- 
sammelten Schriften nicht aufgenommen wurde: "Für 
mich ist die Tradition allesßs 
ln der letzten Zeit haben einige Architekturhistoriker 
sich bemüht, des Architekten rätselhaften Standpunkt 
zu präzisieren, der zwischen Modernismus und Tradi- 
tion gelegen ist. Sie haben auf die klassischen Anleh- 
nungen hingewiesen, die auch in einigen seiner wrevolu- 
tionärstentr Entwürfe vorkommen - die dorische Säu- 
lenordnung z. B., die einen Teil der Fassade vom nHaus 
am Michaelerplatzii bildet: kein arrierepensee, wie neu- 
erdings bewiesen wurde, auch kein Kompromiß, der 
dem Architekten von seinen Gegnern aufgezwungen 
worden wäre, sondern ein wesentlicher Bestandteil sei- 
nes ursprünglichen Konzepts." SeinerAbhängigkeitvon 
der Tradition, die in seinen Schriften über Architektur 
und Einrichtungskunst nicht weniger ausgeprägt ist, 
wurde dagegen verhältnismäßig wenig Achtung ge- 
schenkt. Diese Tatsache ließe sich wohl zum Teil da- 
durch erklären, daß Loos selber andere Architekten mit 
Namen nennt, die er als die eigenen Vorgänger aner- 
kennt, verrät aber beträchtlich wenigervon seinen lite- 
rarischen Quellen. Diese lassen sich jedoch unschwer 
erkennen. In seiner Besprechung einer Ausstellung im 
k. k. Österreichischen Museum für Kunst und Industrie 
im Jahre 1897 beschreibt Loos u,a. Entwürfe, die von 
Studenten der Kunstgewerbeschule eingereicht wur- 
den: wFür das gewerbe sind die besten Zeichnungen 
nichts wert. Naturalistisch gezeichnete kürbisse - um 
ein beispiel herauszuheben -, fein säuberlich und 
recht plastisch schattiert, tuns nicht. Besonders wenn 
sie für eine wandfriestapete unter dem plafond erdacht 
sind. In einem solchen unglückszimmer würde man 
nicht stark aufzutreten wagen. Schließlich könnten ei- 
nem die kürbisse auf den kopf fallenli? 
Zu diesem Zeitpunkt hätte derGedanke, daß flache Mu- 
sterentwürfe die einzig passende Manier für das Aus- 
schmücken von Boden und Decken bildeten, wohl kaum 
jemanden überrascht. Schon vor einem halben Jahr- 
hundert hatte Henry Cole, der Herausgeber des engli- 
schen Journal of Design and Manufacfures wiederholt 
vor Bodenteppichen und Deckenmalereien gewarnt, 
wo Obst oder Blumen so plastisch nachgemalt wurden, 
daßderunbedachte Besuchersich leicht hätte fürchten 
können, daßer sfezertrete oderdaßsie ihm aufden Kopf 
fielen. Es besteht übrigens eine frappante Ähnlichkeit 
zwischen den früheren Loosschen Aufsätzen und dem 
nHausstil-i vom Joumalofßeslgn. In einem Essay wDas 
Speisezimmew,TeileinerSerie,dieimJahre1849unter 
dem Titel wHints for the Decoration and Furnishing of 
Dwellingsii erschienen ist, empörte sich der Autor ge- 
gen das Anbringen solcher Deckenornamente, die - 
vor allem in einem niedrigen Speisesaal - durch ihre 
Plastizität den Eindruck erwecken könnten, wthat the 
whole is about to descend for the purpose of forming a 
magnificent pliir in the midst of your Täblßlf! 
Ob das zeitgenössische englische Design einen unmit- 
telbaren Einfluß auf Loos ausübte oderobdieser Einfluß 
auf indirektem Wege nach Wien gelangte, muß offen 
bleiben, Nach seiner Rückkehr aus Amerika nach Euro- 
pa hat Loos anscheinend England besucht; in seinen 
späteren Jahren haterwohl auch andere Englandreisen 
unternommen. Seine Schriften gewähren uns jedoch 
zum größten Teil keinetiefe Einsicht in das wirkliche Le- 
ben in England zu dieser Epoche. Viele seiner Betrach- 
tungen sind eher rührend naiv (oder sind sie doch be- 
wußt ironisch?) wie er z. B. das englische Verkehrswe- 
sen mitdem österreichischen vergleicht und zur sicher- 
lich fehlerhaften Schlußfolgerung kommt, daß in Öster- 
reich soziale Unterschiede gerade beim Reisen über- 
aus stark ausgeprägt seien, während in England alle 
Reisenden eine einzige fröhliche Familie biIdetenYSei- 
ne Äußerungen über englische Architektur und Innen- 
kunst sagen uns ebenfalls wenig Neues oder Originales 
im Vergleich zu denjenigen europäischen Kritikern und 
Schriftstellern, die von ihrem Aussichtspunkt auf dem 
Festland über die neueste Entwicklung der englischen 
Designbewegung referierten. Es kann z.B. eine lehr- 
reiche Parallele gezogen werden zwischen den frühen 
Loosschen Aufsätzen und der Streitschrift Im Kampf 
um die Kunst, die vorn deutschen Architekten und 
Theoretiker Fritz Schumacher 1899 veröffentlicht wur- 
de. Genau wie Loos vertritt Schumacher eine Synthese 
zwischen modernen Baumethoden und traditionellen 
architektonischen Formen. Eine andere für uns typisch 
Loos'sche Forderung wird auch in Schumachers Schrift 
vorweggenommen, nämlich die nach der Gestaltung 
des Wohnhauses von innen nach außen. Die Proportio- 
nen eines bestimmten Raumes oder Saales, und daher 
auch die Proportionen des ganzen Gebäudes, sollen 
vom Zweck bestimmt sein; für Schumacher sind in die- 
ser Hinsicht die englischen ländlichen Profanbauten 
vorbildlich: 
nEs ist vor allern auch das Bemessen der Höhe des Rau- 
mes. was als wichtigstes Moment für seine eigentümli- 
che Wirkung in Betracht kommt und beachtet sein will 
 meist liegt darin der Reiz, den der Engländer selbst 
bei bescheidenen Aufgaben durch Anlage einer durch 
zwei Geschosse gehenden Hall seinen Landsitzen zu 
geben versteht. Wir töten gewöhnlich jede feinere 
Nuancierung in unseren Innenräumen dadurch, daß un- 
barmherzig alle Decken in gleicher Höhe liegen . . . Den 
Ausgleich erreichen dieAusländerdadurch. daß sie das 
Fensterdem jeweiligen Erfordernis des Raumes gewis- 
senhaft anpassenii" 
Übrigens schreibt Schumacher schon zu diesem relativ 
frühen Datum überdie Dekoration inWorten, die uns un- 
heimlich an den späteren Loos erinnern: 
iiKein Ornament darf in der Architektur an sich wirken, 
es wird erst gut oder schlecht, je nach dem Zusammen- 
hang, in dem es verwandt wirdmii" 
Ledig in einer Hinsichtwurde Loosvon der Mehrzahl sei- 
nerZeitgenossen durch seine Ansichten getrennt. Zu ei- 
ner Zeit, wo fast alle Schriftsteller, insbesondere die 
Vertreter der Wiener Secession, die alle Kluft zwischen 
der wschönenu und der wangewandtenii Kunst über- 
brücken wollten. indem sie eine Wiedervereinigung von 
vKunstii und nKunsthandwerkir forderten, machte Loos 
einen grundlegenden Unterschied zwischen den Pro-
	        
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