Sicher ist in das Wesen dieser Nymphe als Bewohnerin
eines rizauberischK-gotischen Wasserschlosses das
romantische Undinen-Motiv eingegangen. wie es La
Motte Fouque in seiner Erzählung von 1811 geschildert
hat. Durch den erheirateten Besitz einer menschlichen
Seele wandelt sich das Naturgeschöpf vom seelen-
losen Elementargeist des Wassers zu einer liebenden
und leidenden Frau. Es ist die Metamorphose der unbe-
wußten Naturindiewehe BewußtheitmenschlicherExi-
stenz, Und darin ist es das Verhältnis von Natur und
Kunst selbst, das in der melancholischen Schönheit
einer Symbolgestalt zum Ausdruck schmerzlicher
Reflexion geworden ist."'
Sehr gegensätzlich zu Undinens Marmorbild in Anif
wurde in derStadt Salzburg bei der Gestalt desWilden-
Mann-Brunnens die Natur geschildert. Dieser Wilde
Mann stand über seinem Brunnen fruher am alten
Fischmarkt bei den Fleischbanken am Salzachgries"
(Abb. 3). Unbeirrt von allem traumversunkenen Entglei-
ten in Vergangenheitsempfindung ivielmehrvoll Prä-
senz mitten im Alltag wachte diese Naturgestalt nicht
weit vom städtischen Pranger uber dem Treiben des
Marktes. Eine seiner Funktionen war die eines rechtli-
chen MarktzeichensderStadt(vergleichbardem Floria-
nibrunnen am Alten Markt). Sein Schild zeigt denn auch
- heute nur schwer erkennbar - das salzburgische
Stadtwappen. In der Heraldik stellen schild- und wap-
penhaltende Wiidmänner ein vielbeschäftigtes Wach-
personal, und das bildet gewiß einen bedeutsamen Teil
in der iiRealitätil dieser mythischen Wesen. Doch
erwächst diesem hier aus einer treffenden Verbindung
von künstlerischer Form und Naturvorstellung eine
besonders leibhaftige Realitat. DieTechnikder Kupfer-
treibarbeit hämmerte diesen Wildmann zu einer bered-
len Formlebendigkeit.dieinungeglätteteiAnschaulich-
keit jenen ungebärdigen Naturbereichen entspricht.
denen die Wilden Leute entstammen. Das Wild-Borsti-
ge seiner Erscheinung im zottigen Fellkteid. das hart-
blättrige Laubgewinde um Kopf und Hiiften verzählenrr
dem Betrachter von jenen raschligen Waldeinsamkei-
ten. wo Wildmänner und Wildlrauen hausen. Wie der
Wesensunterschied in der ganzen Befindlichkeit der
Anifer Nymphe und dieses Wildmannes, so gegensätz-
lich ist auch die Formensprache zwischen jenem lyri-
schen Verklingen und dem, was hier gleichsam im rau-
hen Naturlaut nicht ohne Scherz hervorgerufen wird. In
Gestalt des Sagenhaften wird die Erfahrung naturzeitli-
chen Wandels aus Beharrung undjähem Wechsel laut.
In diesem Tonfall paraphrasiert der knorrige, tieibholz-
artige Stamm in der Rechten das "Stämmigeii des wur-
zelfesten Stehens. und der Ansatz zum Kontrapost
wirktdabei mehrwieeiri nachdruckliches Postierender
Stange denn als ein nachgiebiges Ausponderieren des
Korpers. Geradedei nicht zu übersehende i-Humorrr -
der seinem Wortursprung nach im Feuchten wurzelt 7
gibt der Figurdas hohe Maß an vitalerSpannkraft, Es ist
nicht unverständlich, daß der sonst so genau erfas-
sende Lorenz i-lübnei im Wildmann iidie Statue eines
Wassergottesii sieht." In gewisser Weise mag sich da
demaufgeklärtenAugedas Elementare, Mythischedie-
ser Naturgestalt mitgeteilt haben, wie sie gleichsam
wassereritstiegen über dem Fischkalter wacht, So. wie
der Wildmann auf der Säule ein Abkömmling der Ele-
rrientarnatur in derStadl lSl, so waren einst die bewegli-
chen, im Stern der Wassertröge gefangenen Fische
TierederwildenSalzach. Das sonderbar ineinandertau-
sehende Realitätsverhaltnisvon Kunst- und Naturform,
das zur Entstehungszeit des Brunnens den iiStyle ru-
stiqueii prägte, ist mit einem witzigen Wesenszug auch
diesem Marktbrunnen zu eigen. r
Gegenüberdem Ideal einer regulärgeläuterten, vollen-
deten Kunstform betont der iiStyle rustiquerr ein Schöp-
fungsprinzip der Gestaltwerdung, das nahe den
Ursprüngennochvoridervieldeulig-arnbivalenteniiNa-
turir elernentar-wildwuchsiger Kräfte durchwaltet ist.
Diese Verbindung zum Ungestum-Vegetabilischen (vor
allem auch im iiHumork) teilte sich beim Wilden-Mann-
Brunnen nicht zuletzt durch die nah vorbeistromende
1R
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Salzach mit. einen damals ungezähmten Gebirgsfluß.
der Reichtum und Verderben gleichermaßen bringen
konnte. Auch ein Blick auf die extreme Situierung des
Klausentors, das Markus Sittikus 1612 - noch in sei-
nem Wahljahr - auf Kosten der Stadt errichten ließ.
verdeutlicht durch eine bemerkenswerte ikonographi-
sche Formulierung die betont enge Zusammenfügung
von urtümlich-mächtiger Felswand und ungezügelter
Flußnatur im Bereicht stämisch-architektonischer
Festigung. ' Über der lnschrifttafel (Abb. 4) wachen in
heraldischer Funktion zwei Wildmänner. lagernden
Flußgottern nicht unähnlich. Der eine führt in seiner
Rechten einen austreibenden Baumstrunk, während
der andere eine um seinen linken Arm sich windende
Schlange fest im Griff halt, Ambivalent-mehrsinnig ist
dieses Schlangensymbol seiner ganzen chthonischen
Erdnatur nach. so wie die Wildmänner auch. Unverse-
hens der Enge entgleitend, ist die wendige Schlangen-
klugheit zugleich voll überraschender Gefährlichkeit. '
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In der Gesinnung des iiStyle rustiquerr sind Fels und
Wasser ihrem innersten Wesen nach originär miteinan-
der verwandte Hervorbringungen der iiTerrari, der irdi-
schen Matrix. ln dieser tlUlSplüfigliChkeiN der Natur
gründet als Faszinosum iener Zeit die eigenartige
Ästhetik des Grottenmilieus. ln Salzburgs italienisch-
manieristisch geprägter Kunst zur Zeit des Markus Sitti-
kus von Hohenems gilt dies insbesondere für den Geist
der Hellbrunner Anlage als einem höchst effektvoll
inszenierten Theatrum der Erstaunlichkeiten. Diesem
Wesen entsprechend treibt das Wundersam-Zwittrrge
der Kunst-Natur-Metarriorphose hier sein vexatori-
sches Spiel. Einer der Hauplschauplätze wardas i-Stei-
nerne Theaterii. Fischer von Erlach bewunderte es als
eine (durch Erosion) geformte iiWundersame Felsen :
Bühne . . . an welchem die Natur selber den Bau gefüh-
ret. den die Kunst nicht zuwege zubringen ver-
mocht hätteiikg. Zwarweiß Johann Steinhauser als Zeit-
genosse. es sei das iiTheatrum des Bergs . mit
sondern Fleiß und Kunst also durchbrochen" und zuge-
richtet worden e doch betont er dies zur Schilderung
eines anders frappierenden iiAugenblicksir. einer ande-
ren Metamorphose aus Kunst- und Naturauftritt; denn
dadurch können i-die Personen überall aus den Folsen
artlich hertürkomen, darob sich die Zuehorer nit
wenig verwundernrigß Gerade dies ist der transitori-
sche wMomentii par excellence im manieristischen
iiStyle rustiquek: das dämonisch-urplötzliche Lebendig-
Werden aus scheinbarer Unbelebtheit und polar dazu
dasheftigeiiversteinernri imtheatralisch-dramatischen
Affekt. Neben den wundersamen Aktionen bei den dort
stattgehabten Schausoielen selbst lassen dies auch die
Grotten Hellbrunns als thematisch-formal durchgebil-
dete Inszenierungen erkennen, die eine enge Bezie-
hung zur Bühne haben.
Diese Komplexität bildet jedoch auch einen wesentli-
chen Kern der stilistischen Eigenart und ihrer Kontinui-
tät bis ins Barock beim Herkulesbrunnen unter den
Hotarkaden der Residenz und beim Residenzbrunnen,
Vor allem ein Trionlo, der 1618 in Salzburg nach dem
Vorbild der berühmten Florentiner Theaterfeste der
Medici stattfand. ist hierbei aufschlußreich." Von
einem großen Wilden Mann als Herold angeführt und
vonWildmännerngezogen,erschien unteranderem ein
Triumphwagen des Herakles. Dieser war keulen-
schwingend auf dem als verschlossener Berg gebilde-
ten Gefährt zu sehen: Mit Acheious, dem Sohn der
Sonne und der Erde. wollte er um Deianira kämpfen und
damit beweisen, daß durch Mühe alle menschenmogli-
chen Sachen zuwege gebracht werden können, Müßig-
gang aber zu Schmach und Unehre führen. Letztlich
also wohl ein Triumph der hohen Emsigkeit der Hohen-
emser, "J Nach mehreren Metamorphosen des proteus-
haften. wasser-erdverbundenen Acheious obsiegt
Herakles denn auch durch unbeirrbare Festigkeit "
Diese festliche Begebenheit nächst der Residenz ist
demGrundgedankennachmitdem BrunneninderArka-
denhalle der Residenz verbunden. dort kämpft noch
heutesichtbarHeraklesiml-lalbdunkeleinerGrottenni-
sche verbissen einen Wasserdrachen als Lernäische
Hydra nieder?" Programmatisch wie im Trionlo von
1618wird damit das Selbstverständnis der herrscherli-
chen Pflicht in Überwindung dunkler, bedrohender
Mächte gezeigt: ein ikonographischer Zielpunkt des
ersten Residenzhofes als Vorbereitung des Haupttrep-
penaufgangs. Bei genauerem Hinsehen erweist sich
darüber hinaus in eigenartigen Details jene angeführte
Komplexitatvon Kunst- und Naturerscheinung, Gerade
derWahlspruchdes MarkusSittikusiiNumen veldissita
jungitiim HellbrunnerSchloßlFestsaali, dem die Umar-
mung zwischen salzburgischem Wappenlowen und
Hohenemsischem Steinbock beigesellt ist, betonte als
vlelsinnige Losungrnanch kontrastierendeVerbindung.
Unter dieser Schickung kann sich die gegensätzliche
Natur von Steinbock und Lowe im Temperament
ebenso paaren wie beide als Zodiak-Zeichen eine Tem-
perierung des Hitzig-Frostigen anzeigen. weil unter den
Gestirnen von Steinbock und Löwe Sommer- und Win-