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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXX (1985 / Heft 203)

und der Gruft und der Interpretation durch Fresko und 
Stuck erlaubt die Frage nach einem umfassenden und 
verklammernden Konzept. im ersten Teil dieses Dar- 
stellungsversuches soll die exemplarische Verknüp- 
fung gezeigtwerden, d. h. die Dichte eines Programms, 
das die Ausführung offenbar immer begleitete und 
lenkte; ein später nachfolgender Teil soll erklären, wel- 
che Voraussetzungen in künstlerischer und ideeller 
Hinsicht bestanden habenF 
Die Kirche ist ein einfacher Saalbau mit halbkreisformi- 
ger. an den Seiten leicht eingezogener Apsis; die vier 
Joche des Saals sind durch Doppelpilaster (Komposit- 
ordnung) voneinander getrennt; dasselbe System - 
Doppelpilaster mit darüber verkröpftem Gebälk - 
akzentuiert auch die Apsis, wobei allerdings durch die 
Kannelierung, die Marmorierung. die reiche Anwen- 
dung von Gold die Architektur nun wesentlich prägnan- 
ter und insgesamt die Apsis als festlicher Farbraum 
erscheint. im Westen trägt ein Segmentbogen auf vor- 
springenden Wandpfeilern die Empore. Die Apsis ist 
durch eine Halbkuppel bedeckt, die vier Joche des 
Langhauses besitzen Platzelgewölbe. die durch den 
Doppelpilastern entsprechende zweifache Gurten von- 
einander abgesetzt sind. Über der Empore sind die Gur- 
ten sogar vervierfacht. Das alles ist in einer sehr ein- 
fachen und klaren Architektursprache vorgetragen. 
Bereits von dieser einfachen Architekturgrundierung 
sind gewisse distinguierende Elemente wahrzuneh- 
men. So wird das sonst einheitlich durchziehende 
Gebälk vor der Apsis in Architrav und Fries unterbro- 
chen: hier sind Doppeltüren angebracht (zur Sakristei 
im Norden, zu einem Emporenzugang im Süden). die 
darüber befindlichen rundbogigen Emporenöffnungen 
wurden durchsehrfeineStuckierungen zu einereinheit- 
lichen Dreiergruppe zusammengebunden? zwei 
Scheinfronten stehen in einer leichten Querrichtung 
einander gegenüber. Sehr klug inszeniert wurde die 
Llchtführung in den beiden Hauptteilen der Kirche: wah- 
rend im Langhaus das Licht allein in der Gewblbezone 
durch relativ große Segmentbogenfenster eindringt, 
wobei die Lichtquelle als solche gar nicht richtig erfah- 
ren werden kann wegen der Tiefe der Lichtschächte, 
wird die Apsis durch große, festlich umrahmte Rund- 
bogen (zwei) in eine direkte Lichtfülle getaucht. Die 
grundsätzlich gleichen Stuckornamente (Bandelwerk 
und Blütengitter, Blattformen) wiederstrahlen in der 
Apsis durch ihre Vergoldung das Licht. an der Saal- 
decke wurde es durch die Weißgrundierung (ursprüng- 
Iich?)diffus verteilt. Es wird noch zu zeigen sein. daß die 
Farb- und Lichtinszenierung für die Gesamtinterpreta- 
 
  
  
1 Ehemalige Minoritenkirche hl. Johannes 
Nepomuk in Stadt TullnlNiederöster- 
reich. Außenansicht von Süden 
2 Grundrißderehem.MinoritenkircheTulin 
mit Einzeichnung der älteren Loreto- 
Kapelle und dem Kirchenneubau. 1732 
bis 1739 (Architekt Pauli?) 7 (AK 2G IX 
1962) 
tion des Raums entscheidende Bedeutung haben. Die 
Wände des Langhauses sind durch seichte Nischen für 
Altäre geöffnet worden. Jede dieser Kapellen ist durch 
eine lnschriftkartusche mit einem besonderen Zweck 
ausgewiesen worden, einem besonderen Patrozi- 
niumf Die Frontflächen des energisch vorspringenden 
Diadembogens der Empore sind durch die Malereien 
zusammen mit der Kostbarkeit des Brüstungsgitters 
(Holz) als Kontrapunkt zur Pracht der Apsis ausgebil- 
det." Die beiden Blendbögen an der Westwand des 
LanghausesunterderEmporegebenmitihrerdurchlau- 
fenden Nutung bereits eine Ankündigung desselben 
Architekturelements in der Unterkirche. 
Der Neubau der Kirche mit seinem damals sehr moder- 
nen Patrozinium zum hl. Johannes Nepomuk; ver- 
drängte zwar das alte zu Ehren der Verkündigung an 
Maria: man hat diesen Mangel - er mag bei dem gro- 
Ben Alter und der Verbindung der Minoritenkirche mit 
der StadtTulln recht schwergewogen haben - in zwei- 
erlei Weise kompensiert: einmal ist die besondere Ver- 
ehrung des hl. Johannes zur Muttergottes aus der Vita 
ersichtlich gewesen und wurde auch in den Fresken 
einige Male zitiert'"; andererseits erhielt die Muttergot- 
tesverehrung nun einen eigenen Bauteil zugewiesen: in 
rechtem Winkel schießt unmittelbar an den Emporen- 
trakt die Loretokapelle an (Rohziegelbau über einem 
Rechteck mit einer ebensolchen Tonne überwölbt)". 
an den Türen sind außerdem noch die Verkündigung 
und die Heimsuchung nkommemoriertix worden (in holz- 
geschnitzten Reliefs)" Der Vorraum zur Loretokapelle 
bekam Verteilerfunktion: er führt sowohl zu Einsiedelei 
als auch zur Unterkirche. Es würde eine eigene Unter- 
suchunglohnen.wieweitbeiderGruppenbildungdieser 
insgesamt vier Räumlichkeiten mit jeweils eigenen 
liturgisch-kultischen Zwecksetzungen. die aber einen 
übergreifenden Zusammenhang nicht ausschließen, 
alte Überlieferungen eine Rolle gespielt haben; es 
tauchtjadochdieAssoziation der hochmittelalterlichen 
Kirchenfamilie auf. 
Geradezu überquellend von Verbindungslinien zeigt 
sich die Unterkirche. bei der mit der gleichen Berechti- 
gung auch der Begriff Gruft anwendbar wird. Halb 
unterirdisch erstreckt sie sich in den gleichen Dimen- 
sionen wie die Oberkirche, genau unter ihr gelegen. 
Architektonischistsiesehrüberlegt ausgebildet. durch- 
aus also kein Raum zweiter Kategorie. Sie besitzt drei 
Schiffe, das mittlere ist ca. doppelt so breit wie ein Sei- 
tenschitf. die Kreuzgratgewölbe werden von sechs qua- 
dratischen Pfeilern getragen (auf die durchgehende 
Nutung wurde bereits hingewiesen). Diese Binnenglie- 
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derung mag teilweise aus strukturellen Gründen not- 
wendig gewesen sein, es stimmt aber doch nachdenk- 
lich. wenn die Seitenschifte umziehend eine Art 
Chorschiuß bilden. wenn dieser Quasi-Chorumgang 
auch verschliflen wurde und noch dazu durchdie Liege- 
figur des Johannes Nepomuk verstellt worden ist. So 
wie es sich bei der Anlage der Loretokapelle um eine 
lmitationsarchitektur handelte. so können wir uns hier 
erinnern. daß im Prager Veitsdom das Grabmal des 
hl. Johannes Nepomuk ebenfalls im Chorumgang 
situiert wurde, was ia auch den alten Sinn des Chorum- 
ganges überhaupt neu belebt hat. 
Weiters wurde das Joch vordem Chorschluß durch das 
Thema des Deckenfreskos (das einzige in der Unterkir- 
che) besonders ausgezeichnet: ein Papst mit einem 
Schriltband: Beati mortui qui in Domino moriuntur" 
(Apoc 14. 13), und einem Rundkirchenmodeil . mit aller 
Vorsicht kann man von einem wVorchoru sprechen. Eine 
flache Nischewgerade nurangedeutet - läßtschiieß- 
lich noch an eineChorscheitelkapelledenken, das aller- 
dings als Maximaldeutung. Die überlegte und sorgfäl- 
tige Erstellung der Unterkirche (der Begriff Gruft ist 
insofern ebenfalls berechtigt. als in den beiden Seiten- 
schiffen Kolumbarien eingerichtet wurden, deren 
einige um die Mitte des 18. Jh.s. also unmittelbar nach 
der Fertigstellung, durch Mitglieder des Konvents 
belegt worden sind; die Belegungen sind durch Inschrif- 
ten ausdrücklich ausgewiesen)" berechtigt zur 
Annahme, daß hier eine essentielle Ergänzung zur 
Oberkirche konzipiert worden war. Als ein Argument 
dafür kann mit großer Gewichtigkeit die kreisförmige 
Öffnung hinterdem Hochaitar der Oberkirche herange- 
zogen werden: Sorgfältig mit Sandsteinquadern ausge- 
mauert. mit einem Schmiedeeisengitter verschlossen, 
in der Dimension von ca. 70 cm, akustische, optische 
(dasschonweniger)undvorailemfunktionsmäßigeVer- 
bindung von Ober- und Unterkirche (die Ausstattung 
wirdnoch erweisemdaßvorallem dieletztereintendiert 
worden ist). Zwei Fragen können im heutigen Stand der 
Forschung (es würden entsprechende Bau- oder 
Restaurierungsarbeiten notwendig sein) nicht beant- 
wortet werden: entweder ging ein Vorgangerbau dem 
heutigen voraus und dieser Vorgänger hat sich in 
wesentlich bestimmenden Zügen in derbarocken Adap- 
tierung erhalten. dies würde ein sehr großes histori- 
sches Verständnis des Konvents bedeuten. Oder (was 
allerdings auch nicht ohne eine sehr beachtenswerte 
Basismoglichgewesen wareyeinevoliständigeNeuan- 
lage wurde errichtet. Auch diese dürfte aber nach unse- 
rem Ermessen nicht ganz ohne mittelalterliche Vor-
	        
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