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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXX (1985 / Heft 203)

aktuell vorhanden, in den schriftlich fixierten Bezügen 
und dann konsequent sich daraus ergebend in den bild- 
lich formulierten Darstellungen; es muß hier also eine 
innere heilsökonomische Verwandtschaft gesehen 
werden; natürlich bedeutete dies für Johannes Nepo 
muk eine außerordentliche Werterhohung, unser Heili- 
ger steht in einem groß konzipierten Netz schon seit 
jeher laufender Heilswege. Bildlich und plastisch- 
räumlicll wird er so dargestellt und gerade deshalb so 
dargestellt. Als Belege dafür seien angeführt: die Eltern 
des böhmischen Heiligen werden als sehr fromm 
geschildert, alt und kinderlos." Von den Eltern Johan- 
nes des Täufers berichtet Lukas im i. Kapitel seines 
Evangeliums ganz Ähnliches: die Gerechtigkeit vor 
Gott, das weit fortgeschrittene Alter, das ständige 
Gebet. (Übrigens ist eine typologische Gemeinsamkeit 
auch mit Samuel vorhanden.) In den Bildtiteln von Stich 
2 (Geburt) heißt es: wConcepit filium in Senectute sua. 
Luc. C. l. v. 36a was sich auf den Täufer bezieht und zu 
Stich 4 (Joh. Nepomukdient am Altar) vPuer autem erat 
ministerin conspectu Domini antefaciem Heli Sacerdo 
tis. 1 . Reg. C. 2. v. 11x. Es istda beinahe selbstverständ- 
lich, daß die Geburt im ikonographischen Schema der 
Geburtdes Täufers abgebildet ist. Weiters: vorder Prie- 
sterweihe zieht sich Johannes von Nep. in die Einsam- 
keit zurück nafflictando corpore, repurgando conscien- 
tia, impetrandis COOISSÜÜUSN (Vita n. 5)- Johannes der 
Täufer in der Wüste, und natürlich auch Christus 
selbst." In der sehr bald ansetzenden Leidensparaliele 
der beiden Heiligen reagiert König Wenzel sehr ver- 
gleichbar dem König Herodes (d. h. die Heiligen haben 
Überzeugungskraft): vitaque viri doctrina, sapientia, et 
interioribus litteris captus, et eloquentla victus. audito 
JoannemultalaciebatlrNitanß). Bei Marcus6.20 heißt 
es: i-Herodes enim metuebat Johannem sciens eum 
virum iustum et sanctum. et custodiebat eum. et audito 
eo multa taciebatu. 
in der nlnszenierungu des Tullner Chors wird indessen 
dieSchlußfugeweiterentwickelt.WährendjaJohannes 
d. Ev. gleicherweise wie Johannes Nepomuk zu Maria 
aufblickt (auch hier sind wieder beide in derselben 
Schau innerlich vereinigt), hat sich Johannes d. T. den 
Beschauern zugewendet und weist mit der rechten 
Hand nach vorne (die Korrespondenz der Gesten über- 
spielt dabei alle Grenzen der Medien und damit Raum 
und Zeit). Dies kann sich einerseits auf den Altar bezie- 
hen, womit sein Fahnenspruch nEcce Agnus Deik im 
Sinne des gläubigen Barockmenschen eine unmittel- 
bare Wirklichkeit erhält. Die Geste kann auch weiterge- 
hen und das goldfarbene vVerbum divinumlr begleiten. 
Ganz im Sinne einer mittelalterlichen Doppelkirche 
befindet sich hinter dem Altar die Verbindungsötfnung 
zur Ouasiautbahrung des Martyrers in der Gruft. Auch 
ihn hat aber bereits die Lebenskraft des Wortes 
erreicht; wie sein großer Namenspatron, der Evange- 
list, weist er auf das aufgeschlagene Buch, in einem 
sehr schönen und geradezu klassisch gelautertem Ge- 
stenablauf von der Hand auf der Brust zu der, die das 
Wort Gottes zeigt." Der Glaube stützt ihn und das 
Buch, während die uBohemiak noch in tiefer Trauer zu 
Füßen ruht. Es muß hier eigens hervorgehoben werden, 
wie sehr der Fluß der Gewänder, die Bewegtheit der 
Gestalten und das innere Maß derGesten die Gruppe zu 
einer unlösbaren Einheit zusammengeschmolzen 
haben,wobeiauchder FlußderEmotionen beiallerlndi- 
vidualität in sich geschlossen bleibt - geschlossen 
bleibt bis autdas Indiz des lmpetus aus der Oberkirche: 
der rotfarbene Stuckvorhang aus der Verbindungsöff- 
nung ist autgetan. In der Unterkirche ist zweimal die 
Inschrift angebracht vBeati mortui qui in Domino mori- 
untur. Apc 14 V 131 - sicher so gemeint, daß die hier 
seit 1750 begrabenen Mönche in diese Bewegung mit- 
assoziiert werden. 
Es kann hier nicht auf die vielen Detaiianklänge hinge- 
wiesen werden, die auch das Langhaus der Kirche 
durchwirken. Nur kurz folgendes: die Verehrung des 
Aitarsakramentes wird in den vorderen Altären (hl. Fran- 
ziskus, Tabernakelrelief der hl. Paschaiis Baylon mit 
dem anbetenden Hund, und hl. Antonius, Tabernakei- 
reliet der Esel des Haeretikers beugt seine Vorderfüße 
vor dem Sakrament) beziehungsvoli unterstrichen. An 
den Tabernakein der hinteren Türen sehen wir einmal 
den Toddes hl. Franziskus und dann die hl. Rosaliain der 
Grotte. Sehr deutlich wird in all diesen Reliefs der 
pädagogisch-praktische Wille, den Gläubigen anzu- 
sprechen. Die vier Seitennischen sind darüber hinaus 
aber für sich allein zu sehende Bedeutungszellen. Das 
zeigt schon das über den Bogen angebrachte Motto, 
das zeigtaber auch die überaus feine Abstimmung aller 
in der Nische vorhandenen Motive." Es ist eine Einheit, 
die aus der Nische sich dem Langhaus gegenübereröff- 
net.ein geschlossener Kompositionsdiaiog,deraussei- 
ner Konversation doch manchen Oltenbarungsblitz 
nach außen hin zuiaßt. Bewundernswürdig erscheint 
nun wieder der gieichgestimmte Modus, das Verhalten 
aller in einer Tonart. 
Die Tullner Kirche steht wpfahlbauartigu auf einer Reihe 
in historische Tiefe reichender Stützen. Architektur 
geworden sind diese Fundamentierungen an den Pila- 
stern des Langhauses, an die in Kartuschen klassisch 
empfundene Apostelbüsten eingelassen wurden? 
Das ist nun doppelte Architektur: die xnormaleir der 
gekuppelten Wandvorlagen, und die der ideellen 
Bedeutung, daß eben die Apostel den Bau der Kirche zu 
tragen haben. Vorbild für diese Idee mag vielleicht in 
Tulln selbst gewesen sein: die Pfeiler der (nicht mehr 
existierenden) Frauenklosterkirche trugen die Figuren 
der Gründerhabsburger"; wollte man aber so wie in 
derHerstellungelnerDoppelkircheauchhierin mittelal- 
teriiche Zeitschichten absteigen. eine Reverenz an den 
nur in der barocken Kunstsprache so zu verherrlichen- 
den Titelheiligen? Es läßt sich dies schwer genau fest- 
stellen. Von der Kanzel, deren Relief die Auffindung des 
Heiligen an der Prager Moldaubrücke zeigt, tönt ein 
Engel einen silbernen Trompetenstoß. während der Er- 
scheinungsvorhang nach beiden Seiten geöffnet wird. 
der Heilige Geist und seine Flammenzungen erschei- 
nen über der Kuppel der Kanzelbedachung, die nach 
dem kleinen Zentralbau im Fresko in der Unterkirche, 
wohl auchalsSymbolderKircheüberhaupLverstanden 
werden kann; der schon einmal zitierte Prediger von 
1752 schloß seine schwungvolle Allocutio mit den Wor- 
ten: n . . . aufdaß wirdie Ehre Gottes indem Werck stand- 
hatftig verthatigen I hierdurch auch an uns wahr werde 
I was von denen Jüngern des Herrn die Apostolische 
Geschichten melden I und ich anheut zum Lob-Spruch 
Joannis aus denenselben entlehnet habe; Alle seynd 
erfüliet worden mit dem heiligen Geisur" im Sinne 
einer solchen vollständigen Spiritualisierung darf wohl 
die Interpretation des Raums der Tullner Minoritenkir- 
che verstanden werden. 
Anmerkung 36i.-37 (Anm. 31 -36 l. s. S. 15) 
kleine Rundaoqeriniscrien die Büsten der Apostel untergebracht wur- 
den Die Deutung au! Apostel ist allerdings nicht durch lnschrifien 
bes iigi. senr schön wera natürlich. würde es eine Verbindung gehen 
-Kenninisvori Beschreibungen ist In an sicnrnoqiicn gewesen rzur 
Aposielkirche in Konxinnlinoipei. von der bekannt wer und ist. daß der 
Sarkoptiug des Kaisers Konstantin von sauien mit den Inschnlleri der 
12 Apostel umgeben war, s. Kraimiolrlier. Richard. Eariy Qrrisiian arrd 
Byzantine Architecture. - Harmondswortri 1965 (T719 Pellcan History 
U1 an. Z 24.) Die Allsgorlslerung da! tatsächlichen Architektur durch 
atficriiene Embleme oder Kertuschen geschah bereits auch in dem 
bereits genannten Werk von Joseph Mezger. Anrius rriariano 
1G 
benedlCllnilSUÄfliTi. 7); z. B. der Rundiempel am Fest der nl . Aurea vom 
IV. Octobris wird durch sieben Säulen getragen, die mit lnschritten wie 
casta, tacens, humllls usw. als Tugenden der betreuenden Heiligen 
ausgewiesen Sind und 50ml! diese beruhigen. einen r-Tempiurn De lil 
bilden (so die Überschrift). die Sockellnschrlit besagt dies ausdrückw 
iißh nDomus septem suiiultl bßiumriisl. Ein sehr scnones. wesennieir 
früheres Beispiel stellt der Tiiemien der lnbschrill v-Madruiia Tempe- 
von Wolignriq Klliun von 1629 drrrnrenio, Eibliotecacommunale) Hier 
Siili Karl Emmunuol Mndruzzo in einem Sedlsßckigan Zentralraum. 
dessen Pieiler mit Taieln eisTuqenden des Fürsten ausgewiesen wur- 
den, Tugenden. die aber zugleich den Ruhmastempei des Kerl Emma! 
nuel bilden. - 
" s. Anm. 21 .
	        
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