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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXX (1985 / Heft 198 und 199)

diese Mittelsäule zutiefst allen Grundforderungen des 
abendländischen Kirchenbaues. Denn wir sind 
gewohnt, den Raum, um uns zu worientierenu. aus der 
Mitte heraus zu erleben. die Hauptachse des Baues 
immer und stets überschauen zu können. Dies verhin- 
dert jedoch die Säule, die die Mitte sperrt. 
Wohl gibt es im mittelalterlichen Sakralbau gewölbte 
Einstützenraume, deren Prototyp im antiken Rundraum 
mit Ringtonne zu finden ist; der Bestimmung nach sind 
es aber meistens sepulkrale Raume wie Karner oder 
Unterkirchen. Manche Forscher' haben solche Räume 
aus dem Holzbau ableiten wollen, übersehen aber. daß 
hier bestimmte Wölbungstypen. die sogenannten 
Schirmgewölbe, entwickelt wurden. Allen Schirmge- 
wölben ist gemeinsam, daß sich die Wölbung nicht kon- 
zentrisch vom Außenrand her gegen die Mitte des 
Raums oder Jochs entwickelt. wie wir dies bei den her- 
kömmlichen Wöibungstypen (Kreuzgewölbe, Tonne 
oder Kuppel) beobachten können, sondern zentrifugal 
aus einer Stütze in der lotrechten Mittelachse des 
Raums. Nicht die Wand. sondern die Stütze bringt hier 
die Wölbung hervor! Es leuchtet ein, daß damit zugleich 
einstrukturelles Prinzipgesetztwurde. das. konsequent 
durchgeführt, zu revolutionären Kirchentypen führen 
mußte." 
Die für unser Beispiel so wichtige Verbindung von 
Schirmgewölbe und Hallenkirche war im späten 
14. Jahrhundert durch eine irErfirldungu Peter Parlers 
möglich geworden: dem sogenannten Netzgewölbe. 
wie es zum erstenmal in der Tordurchfahrt am Altstad- 
ter Brückenturm in Prag ausgebildet ist. Knapp nach 
1370 konzipiert und vermutlich um 1385 vollendet, sind 
hierim ersten Auftauchen bereits alleGrundsatze eines 
idealen Netzgewölbes verwirklicht: Es ist aus einem 
Quadratentwickelt,alleRippenschneiden einandernur 
in Winkeln von 45 odervon 90 Grad und esgibt nur noch 
drei Formen von Gewolbeteldern, rhombische, drei- 
eckige oder quadratische? 
Der künstlerisch wie technisch interessanteste Bau 
Peter Parlers neben seinem Hauptwerk. dem Prager 
Veitsdom, ist der Chor der Bartholomauskirche in Kolin 
(Abb. 25). inschriften überliefern den Urheber, die Bür- 
gerschaft derStadt, und den Beginn des Baues: 20. Jan- 
ner1360.Parlerentschied sich hierjedcch nicht fürdas 
vklassischerr Schema eines Kathedralchors wie beim 
Veitsdom. sondern für eine rrantiklassischeu Variante 
mit Dreistrahlgewölben im Chorumgang, wie sie von 
den Zisterziensern in mehreren Etappen in Mitteleuropa 
ausgebildet worden war: Sedlec um 1300. Zwettl 1343, 
Kaisheim 1352i" (Nebenbei sei bemerkt, daß der pla- 
nende Architekt der Salzburger Stadtpfarrkirche den 
1343 - 1383 geschaffenen Chor der Stiftskirche Zwettl 
gekannt haben muß, da hier wie dort die eingezogenen 
Strebepfeiler am Polygon keilförmig zulaufen. um die 
Rechteckform der Chorkapellen wahren zu können.) 
Selbstverständlich gehört zu den unmittelbaren Vorstu- 
fen für Kolin auch die Heilig-Kreuz-Kirche in Schwa- 
bisch Gmünd. Aber Parler ging in Kolin über alles frü- 
here wesentlich hinaus. da erzum erstenmal alle Joche 
des Chorumgangs durchlaufend mit Dreistrahlen, 
genauer mit einem Springgewölbe wölbte und damit 
einen Pfeiler in die Hauptachse des Chorhaupts rückte. 
DieshatlezurFolgedaß im Obergadennichteinzentra- 
les Fensternach Osten, sondern ein Mauerpfeiler in der 
Mittelachse steht - die Konsequenz daraus hat der 
bedeutendste Mann aus der nMeisterklassex Peter Par- 
Iers 1408 in Salzburg gezogen, mögen die Forscher nun 
darüber streiten, ob dieses Genie Hanns von Burghau- 
sen oder Hans Stethaimer geheißen hat, 
Nicht zu übersehen ist, daß auch in Salzburg den Auf- 
trag die Bürgerschaft der Stadt erteilte. ln der zweiten 
Hälfte des 14. Jahrhunderts war die Finanzkraft der 
Salzburger Kaufleute bedeutend gestärktworden: 1359 
zum Beispiel hatte Martin Autner die erzbischöflichen 
Einnahmen aus den Tauernbergwerken gepachtet, 
1402 legte Ulrich Samer 12.000 Gulden (nach heutigem 
Wert immerhin rund 19 Millionen Schilling) langfristig 
bei der venezianischen Staatsbank an, allein im Jahre 
18 
141 9 führte Martin Öder Waren im Wert von 10.000 Du- 
katen aus Venedig durch Friaul nach Norden." Dem 
damals einsetzenden - und 1511 mit der Verhaftung 
des Stadtrats durch den Erzbischof unwiderbringlich 
beendeten - Traum von einer mit den Privilegien der 
Reichsfreiheit ausgestatteten Stadt Salzburg wararchi- 
tektonischer Anspruch zugesellt worden: Am 22. März 
1407" erwarben wdie Bürger von Salzburgrr Haus und 
Hofstatt der Patrizierfamilie Kautzl und errichteten dort 
ihr neues Rathaus mit Zinnenkranz und Turm, ganz im 
Stil der Palazzi der oberitalienischen Sladtrepubliken. 
Ein Jahr später erhielt vStethaimerrr den Auftrag zum 
gesamten Neubau der Stadtpfarrkirche." In einer 
genialen Synthese hat er die Koliner Konzeption seines 
Lehrers mit dem Typus der spaitgotischen Hallenkirche 
verschmolzen - als Ostabschluß einer dreischiffigen 
sechsjochigen Halle (von der nurder Ostteil ausgeführt 
wurde) pflanzte er in das Zentrum und den Drehpunkt 
des Chores ein Rautenschirmgewölbe (Abb. 24 und 32), 
das den gesamten Innenraum überzeugend und macht- 
voll beherrscht: Laut ursprünglicher Planung waren bei- 
derseits des Mittelschiffes jeweils sechs Säulen ange- 
ordnet. dazu gesellt sich die (dreizehnte) Säule in der 
Hauptachse. 
Hier scheint es nun angebracht, den interessanten 
Bereich ßMittelalterliche Architektur als Bedeutungs- 
tragerw zu betreten, dem Günter Bandmann so eindring- 
liche Forschungen gewidmet hat. nDie Kirche ist nicht 
nurAbbild, sondern Wirklichkeit des himmlischen Jeru- 
salem, indem die Einzelglieder das als Wirklichkeit 
gegebene Sakrament und die Reliquien ausdeuten, zur 
Anschauung bringen. Die Auffassung des Kirchenge- 
baudes als Himmelsstadt darf für das Mittelalter als all- 
gemeinverbindlich angesehen werden. So können die 
Stützen der Kirche die Apostel oder die Propheten per- 
sonifizieren, die das Gebäude, den Gottesstaat tra- 
gen w" Schon Eusebius sagte bei der Einweihung der 
Basilika von Tyrus, daß die zwölf Säulen, die die Kuppel 
tragen, die zwölf Apostel darstellen"; Nachweise der 
Bedeutung der Säulen einer Kirche als Apostel sind 
genügend veröffentlicht werden." Bandmann wirft im 
weiteren die Frage auf, ob die allegorische Interpreta- 
tion bewirken kann, das als Metapher herangezogene 
Ding wabzubildenir? nln einer Richtung kann diese Frage 
von vornherein bejaht werden: Dem Bauglied kann die 
die Bedeutung abbildende Form angeheftet (!) werden. 
Sotragen dieSäulen an gotischen Portalen die Figuren, 
diesie bedeuten. . . . Noch im 1 1 . Jahrhundert begnügte 
man sich damit. nurdie Namen vcn Heiligen aufdie Säu- 
len zu schreiben oder durch Einlegen von Reliquien sie 
in ihrer Realität zu steigern.  Die einfachste Lösung 
finden wir am gotischen lnnenraumpfeiler, die auf Kon- 
solen stehenden Flguren werden den Stützen ange- 
heftetnr" 
Gesetztden Fall. dem Architekten der Planung von 1408 
türdie Salzburger Stadtpfarrkirche seien solche Gedan- 
ken nicht fremd gewesen. Dann ist es doch erlaubt, 
zumindest einige Fragen zu stellen: Wenn man die Mit- 
telsaule dieser Kirche nicht in dem Sinn auffaßt, daß sie 
"das Licht, das aus dem Osten kcmmtr, abschwächt 
oder stört, sondern daß sie selbst von diesem Licht 
umflossen wird? ist es da wirklich unwichtig, daß in den 
drei Hauptkirchen Salzburgs die Säule. wdie die Kirche 
trägt-r. immer mit einem Marienaltar eine wesentliche 
Einheit bildet beziehungsweise sicher gebildet hat: hier 
in derStadtpfarrkirche, im südlichen Querhaus des mit- 
telalterlichen Domes (wie wir genau aus Urkunden" 
wissen), und schließlich in der Kirche der Benediktiner- 
abtei St. Peter, deren Gnadenblld keinen anderen Na- 
men trägt als den: wMaria Saum Bisher hat noch nie- 
mand eine Verbindung von rMaria Saulr hergestellt zur 
xMadonna na Slllpiu in der 1360 durch Kaiser Karl IV. ge- 
gründeten Servitenkirche in der Prager Neustadt", zur 
rrNotre-Dame du Piiierir der Kathedrale von Chartresm. 
zur Schutzpatronin aller Spanisch sprechenden Völker. 
zu irNuestra Senora del Pilarw in Saragossa." Wenn die 
(geplanten) zwölf Säulen der Salzburger Stadtpfarrkir- 
che die zwölf Apostel bedeutet haben können, warum 
Anmerkungen 4 - 26 (Anm. 4 - 6 s. Text S. 17) 
' Zum ganzen Komplex ausführlich: Klaus Gamber, Conversi ai 
num, Die Hinwendung von Priester und Volk nach Osten bei di 
iefer im 4, und 5. Jahrhundert. in Römische Quarfalschriil für 
che Altertumskunde und Kirchengeschichte, 67, 1972, S. 49 - 
aller älteren Lit, - Ferner, Ftudoli Sintrup, Die Bedeutung de 
schert Gebärden und Bewegungen in lateinischen und deutsch 
legungen des 9. bis 13. Jahrhunderts t: Münstersche M11 
Schritten B137), München 1978. S 224'234 
5 Barbara Maurmann, Die Himmelsrichtungen im Weltbild des I 
ters. Hildegard von singen, Honcirius Augustodunensis und 
gutorem 1 Munstersche Mittelalter-Schriften Hd. 33), Munche 
129. 
' Erich Bachrnann. Die architeklurgeschichtliche Stellung deri 
chischen Einstützerikirche, in: Christliche Kuristblattcr, 95 
Heft 2, S 9A 14. - Alkmar von Ledebur, Der Chorrriiitelpiei 
GeneseeinesArchiteklurmotfvsdes Hansvon Burghausen. DIE 
chen 1977. 
7 Zum Problem: Walther Buchcwiecki, Die gbtischcn kircher 
reichs, Wien 1952, S. 137 - 144, mit aller älteren Llt 
' Bachmann wie Anm, G, hier S. 11. 
' Gdtl Fehr, Die Wnlbekunst der Parler, in. Katalog derAusstellu 
Parler und der Schone Still. KOIn 1978, III, S. 45 - 48. 
" Erich Eachmann. KapitelArchiiekfur, in: Karl M. Swoboda ed , 
Böhmen. München 1969, S. 102 - 103. 
" Zur SalzburgerWirtsctiartsgeschiche im Spafmitteialter Fritz K 
(Heinz DOpSCh ed.) Geschichte Salzburgs, Ilt, Salzburg 191 
S, 557 mit Anm. 4 -41B, 
11 Originalurkunde im Stadtarchiv Salzburg 
1' Zur Baugeschichte vgl. den Beitrag von Friedrich Kobler in 
Heft 
" Günter Bandmann, Mittelalterliche Architektur als Bedeutung: 
Berlin 91978, S. 65 - S7. 
" Max Schlesinger, Symbolik in der Architektur. in Zeitscl 
geschichte der Architektur, 4. 1910, S. 217 31 und S BO-l 
.82. 
" Julius viJriSchlbsscr, Schriitquellen zurGescnichtederkarolini 
Kunst,Wien 1892, hierS. 13 -J0seDh sauenSyrnbnllkdes Kir: 
bäudesuridseinerAusstattung in der Auffassung des Mitteialte 
burg im Breisgau. 21924, hier S, 134. 7 Werner Haftrnann, USS 
wie Säulerimonument. LelpzigIBerlln 1939. hier s. es. - EI 
Hempel, Der Fieaiitaischarakter des kirchlichen Wandbildes in 
alter. in: Kunsthlsforlsche Studien : Festschrift fur Dagobe 
Breslau 1943, 5.106 - 120. hier S 107. 
" Bandmann wie Anm. 14. hier S 75 und B0. 
" Messen- und Lichterstiftung des Erzbischofs Friedrich von Leil 
Salzburger Ddm Vbm 1B. Februar 13352 . . . in columpna proxir 
aliare sancti Thdme . . . altarerri. .virgiriis Marie , . , de novoi 
mus seu cdnstruximus , ; voller Text der Urkunde in' Sal. 
Urkundenbuch, 4 1933, Nr. 349 auf S. 410-415 
" Leander Heimli Die Servilenklöster Maria Verkündigung 
Michael in Prag. in. Mitteilungen des Vereinsfur Geschichte d! 
schon In Böhmen. 51, 1913, S 118-123.? Erich Bachmann. 
tung und typengeschichtliche Stellung der Prager Servitenkiri 
slupik, In: Alma Mater Pragensis. 4, Muncnen 1953, Heft 4- 
18 8-12. - Jan Svatek, Organisace rehclnich instituci C 
zernlbn a peöe o iejich archivy, lrtI Sbdrriik archivnlch praci.21 
S. 503 7 624. 
n YVSS Delaporte, Les trois Nclre-Dame O9 la cathedrale de C1 
Chartres 1955 (11965). S. 35 s 63 
1' Nazario Perez, Apuntes histbrlcds de la devocion a Nueslra S61 
Pilar de Zaragoza. Saragossa 1930. - Rrbardo der Arco. Ei Tel 
Nuestra Sericre del Pilar en ia Edad Media, Saragossa 1945 
f" Wenzel. Patriarch von Antiochia und römischer und böhmische 
ier, verlieh am 1B. 3. 1400 auf Bitten Heinrichs von Rosenb 
Georgskapelie In der Burg Krumau 40 TageAblaß und fügte bei 
rum accepimus, quod in capelia castri praescripti Crumpnav 
puichro opere irnago Vlrginis Marie glbriose. ad quam fideles 
davotionis habere noscuniur rr Zitiert nach: Rudolf Hönlgschn 
Entdeckung der Krumauer Madonna. in' Alte und moderne K 
1962, Heft 62163 (unter Notizen auf')S. 51 - 52. 
1' Einen sorgfältigen und ausführlichen Literaturbericht zum si 
Forschung über die Schönen Madonneri gab Wolfgang von St: 
Katalog derAusstellung i-Spätgntik iri Salzburg V Plastik und K 
weiser. Salzburg 1975, s. 43 - 4a. 
1' sieinguß. fragmentierte ursprüngliche Fassung, H 10a cm;da. 
Hahnl im Katalog der Ausstellung 1400 Jahre Franziskaner 
Durgn, Salzburg 1973, Kai. Nr. 2 auf S. 78 mit aller älteren Lil 
" Dazu Theodor Müller in! Kunstchrcnik 1G, 1963, S. 287 
" Theodor Muller. Plastik, in Katalog der Ausstellung riEuroi 
Kunst um 1400-, Wien 1962, S. 306- 307. 
 

	        
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