diese Mittelsäule zutiefst allen Grundforderungen des
abendländischen Kirchenbaues. Denn wir sind
gewohnt, den Raum, um uns zu worientierenu. aus der
Mitte heraus zu erleben. die Hauptachse des Baues
immer und stets überschauen zu können. Dies verhin-
dert jedoch die Säule, die die Mitte sperrt.
Wohl gibt es im mittelalterlichen Sakralbau gewölbte
Einstützenraume, deren Prototyp im antiken Rundraum
mit Ringtonne zu finden ist; der Bestimmung nach sind
es aber meistens sepulkrale Raume wie Karner oder
Unterkirchen. Manche Forscher' haben solche Räume
aus dem Holzbau ableiten wollen, übersehen aber. daß
hier bestimmte Wölbungstypen. die sogenannten
Schirmgewölbe, entwickelt wurden. Allen Schirmge-
wölben ist gemeinsam, daß sich die Wölbung nicht kon-
zentrisch vom Außenrand her gegen die Mitte des
Raums oder Jochs entwickelt. wie wir dies bei den her-
kömmlichen Wöibungstypen (Kreuzgewölbe, Tonne
oder Kuppel) beobachten können, sondern zentrifugal
aus einer Stütze in der lotrechten Mittelachse des
Raums. Nicht die Wand. sondern die Stütze bringt hier
die Wölbung hervor! Es leuchtet ein, daß damit zugleich
einstrukturelles Prinzipgesetztwurde. das. konsequent
durchgeführt, zu revolutionären Kirchentypen führen
mußte."
Die für unser Beispiel so wichtige Verbindung von
Schirmgewölbe und Hallenkirche war im späten
14. Jahrhundert durch eine irErfirldungu Peter Parlers
möglich geworden: dem sogenannten Netzgewölbe.
wie es zum erstenmal in der Tordurchfahrt am Altstad-
ter Brückenturm in Prag ausgebildet ist. Knapp nach
1370 konzipiert und vermutlich um 1385 vollendet, sind
hierim ersten Auftauchen bereits alleGrundsatze eines
idealen Netzgewölbes verwirklicht: Es ist aus einem
Quadratentwickelt,alleRippenschneiden einandernur
in Winkeln von 45 odervon 90 Grad und esgibt nur noch
drei Formen von Gewolbeteldern, rhombische, drei-
eckige oder quadratische?
Der künstlerisch wie technisch interessanteste Bau
Peter Parlers neben seinem Hauptwerk. dem Prager
Veitsdom, ist der Chor der Bartholomauskirche in Kolin
(Abb. 25). inschriften überliefern den Urheber, die Bür-
gerschaft derStadt, und den Beginn des Baues: 20. Jan-
ner1360.Parlerentschied sich hierjedcch nicht fürdas
vklassischerr Schema eines Kathedralchors wie beim
Veitsdom. sondern für eine rrantiklassischeu Variante
mit Dreistrahlgewölben im Chorumgang, wie sie von
den Zisterziensern in mehreren Etappen in Mitteleuropa
ausgebildet worden war: Sedlec um 1300. Zwettl 1343,
Kaisheim 1352i" (Nebenbei sei bemerkt, daß der pla-
nende Architekt der Salzburger Stadtpfarrkirche den
1343 - 1383 geschaffenen Chor der Stiftskirche Zwettl
gekannt haben muß, da hier wie dort die eingezogenen
Strebepfeiler am Polygon keilförmig zulaufen. um die
Rechteckform der Chorkapellen wahren zu können.)
Selbstverständlich gehört zu den unmittelbaren Vorstu-
fen für Kolin auch die Heilig-Kreuz-Kirche in Schwa-
bisch Gmünd. Aber Parler ging in Kolin über alles frü-
here wesentlich hinaus. da erzum erstenmal alle Joche
des Chorumgangs durchlaufend mit Dreistrahlen,
genauer mit einem Springgewölbe wölbte und damit
einen Pfeiler in die Hauptachse des Chorhaupts rückte.
DieshatlezurFolgedaß im Obergadennichteinzentra-
les Fensternach Osten, sondern ein Mauerpfeiler in der
Mittelachse steht - die Konsequenz daraus hat der
bedeutendste Mann aus der nMeisterklassex Peter Par-
Iers 1408 in Salzburg gezogen, mögen die Forscher nun
darüber streiten, ob dieses Genie Hanns von Burghau-
sen oder Hans Stethaimer geheißen hat,
Nicht zu übersehen ist, daß auch in Salzburg den Auf-
trag die Bürgerschaft der Stadt erteilte. ln der zweiten
Hälfte des 14. Jahrhunderts war die Finanzkraft der
Salzburger Kaufleute bedeutend gestärktworden: 1359
zum Beispiel hatte Martin Autner die erzbischöflichen
Einnahmen aus den Tauernbergwerken gepachtet,
1402 legte Ulrich Samer 12.000 Gulden (nach heutigem
Wert immerhin rund 19 Millionen Schilling) langfristig
bei der venezianischen Staatsbank an, allein im Jahre
18
141 9 führte Martin Öder Waren im Wert von 10.000 Du-
katen aus Venedig durch Friaul nach Norden." Dem
damals einsetzenden - und 1511 mit der Verhaftung
des Stadtrats durch den Erzbischof unwiderbringlich
beendeten - Traum von einer mit den Privilegien der
Reichsfreiheit ausgestatteten Stadt Salzburg wararchi-
tektonischer Anspruch zugesellt worden: Am 22. März
1407" erwarben wdie Bürger von Salzburgrr Haus und
Hofstatt der Patrizierfamilie Kautzl und errichteten dort
ihr neues Rathaus mit Zinnenkranz und Turm, ganz im
Stil der Palazzi der oberitalienischen Sladtrepubliken.
Ein Jahr später erhielt vStethaimerrr den Auftrag zum
gesamten Neubau der Stadtpfarrkirche." In einer
genialen Synthese hat er die Koliner Konzeption seines
Lehrers mit dem Typus der spaitgotischen Hallenkirche
verschmolzen - als Ostabschluß einer dreischiffigen
sechsjochigen Halle (von der nurder Ostteil ausgeführt
wurde) pflanzte er in das Zentrum und den Drehpunkt
des Chores ein Rautenschirmgewölbe (Abb. 24 und 32),
das den gesamten Innenraum überzeugend und macht-
voll beherrscht: Laut ursprünglicher Planung waren bei-
derseits des Mittelschiffes jeweils sechs Säulen ange-
ordnet. dazu gesellt sich die (dreizehnte) Säule in der
Hauptachse.
Hier scheint es nun angebracht, den interessanten
Bereich ßMittelalterliche Architektur als Bedeutungs-
tragerw zu betreten, dem Günter Bandmann so eindring-
liche Forschungen gewidmet hat. nDie Kirche ist nicht
nurAbbild, sondern Wirklichkeit des himmlischen Jeru-
salem, indem die Einzelglieder das als Wirklichkeit
gegebene Sakrament und die Reliquien ausdeuten, zur
Anschauung bringen. Die Auffassung des Kirchenge-
baudes als Himmelsstadt darf für das Mittelalter als all-
gemeinverbindlich angesehen werden. So können die
Stützen der Kirche die Apostel oder die Propheten per-
sonifizieren, die das Gebäude, den Gottesstaat tra-
gen w" Schon Eusebius sagte bei der Einweihung der
Basilika von Tyrus, daß die zwölf Säulen, die die Kuppel
tragen, die zwölf Apostel darstellen"; Nachweise der
Bedeutung der Säulen einer Kirche als Apostel sind
genügend veröffentlicht werden." Bandmann wirft im
weiteren die Frage auf, ob die allegorische Interpreta-
tion bewirken kann, das als Metapher herangezogene
Ding wabzubildenir? nln einer Richtung kann diese Frage
von vornherein bejaht werden: Dem Bauglied kann die
die Bedeutung abbildende Form angeheftet (!) werden.
Sotragen dieSäulen an gotischen Portalen die Figuren,
diesie bedeuten. . . . Noch im 1 1 . Jahrhundert begnügte
man sich damit. nurdie Namen vcn Heiligen aufdie Säu-
len zu schreiben oder durch Einlegen von Reliquien sie
in ihrer Realität zu steigern. Die einfachste Lösung
finden wir am gotischen lnnenraumpfeiler, die auf Kon-
solen stehenden Flguren werden den Stützen ange-
heftetnr"
Gesetztden Fall. dem Architekten der Planung von 1408
türdie Salzburger Stadtpfarrkirche seien solche Gedan-
ken nicht fremd gewesen. Dann ist es doch erlaubt,
zumindest einige Fragen zu stellen: Wenn man die Mit-
telsaule dieser Kirche nicht in dem Sinn auffaßt, daß sie
"das Licht, das aus dem Osten kcmmtr, abschwächt
oder stört, sondern daß sie selbst von diesem Licht
umflossen wird? ist es da wirklich unwichtig, daß in den
drei Hauptkirchen Salzburgs die Säule. wdie die Kirche
trägt-r. immer mit einem Marienaltar eine wesentliche
Einheit bildet beziehungsweise sicher gebildet hat: hier
in derStadtpfarrkirche, im südlichen Querhaus des mit-
telalterlichen Domes (wie wir genau aus Urkunden"
wissen), und schließlich in der Kirche der Benediktiner-
abtei St. Peter, deren Gnadenblld keinen anderen Na-
men trägt als den: wMaria Saum Bisher hat noch nie-
mand eine Verbindung von rMaria Saulr hergestellt zur
xMadonna na Slllpiu in der 1360 durch Kaiser Karl IV. ge-
gründeten Servitenkirche in der Prager Neustadt", zur
rrNotre-Dame du Piiierir der Kathedrale von Chartresm.
zur Schutzpatronin aller Spanisch sprechenden Völker.
zu irNuestra Senora del Pilarw in Saragossa." Wenn die
(geplanten) zwölf Säulen der Salzburger Stadtpfarrkir-
che die zwölf Apostel bedeutet haben können, warum
Anmerkungen 4 - 26 (Anm. 4 - 6 s. Text S. 17)
' Zum ganzen Komplex ausführlich: Klaus Gamber, Conversi ai
num, Die Hinwendung von Priester und Volk nach Osten bei di
iefer im 4, und 5. Jahrhundert. in Römische Quarfalschriil für
che Altertumskunde und Kirchengeschichte, 67, 1972, S. 49 -
aller älteren Lit, - Ferner, Ftudoli Sintrup, Die Bedeutung de
schert Gebärden und Bewegungen in lateinischen und deutsch
legungen des 9. bis 13. Jahrhunderts t: Münstersche M11
Schritten B137), München 1978. S 224'234
5 Barbara Maurmann, Die Himmelsrichtungen im Weltbild des I
ters. Hildegard von singen, Honcirius Augustodunensis und
gutorem 1 Munstersche Mittelalter-Schriften Hd. 33), Munche
129.
' Erich Bachrnann. Die architeklurgeschichtliche Stellung deri
chischen Einstützerikirche, in: Christliche Kuristblattcr, 95
Heft 2, S 9A 14. - Alkmar von Ledebur, Der Chorrriiitelpiei
GeneseeinesArchiteklurmotfvsdes Hansvon Burghausen. DIE
chen 1977.
7 Zum Problem: Walther Buchcwiecki, Die gbtischcn kircher
reichs, Wien 1952, S. 137 - 144, mit aller älteren Llt
' Bachmann wie Anm, G, hier S. 11.
' Gdtl Fehr, Die Wnlbekunst der Parler, in. Katalog derAusstellu
Parler und der Schone Still. KOIn 1978, III, S. 45 - 48.
" Erich Eachmann. KapitelArchiiekfur, in: Karl M. Swoboda ed ,
Böhmen. München 1969, S. 102 - 103.
" Zur SalzburgerWirtsctiartsgeschiche im Spafmitteialter Fritz K
(Heinz DOpSCh ed.) Geschichte Salzburgs, Ilt, Salzburg 191
S, 557 mit Anm. 4 -41B,
11 Originalurkunde im Stadtarchiv Salzburg
1' Zur Baugeschichte vgl. den Beitrag von Friedrich Kobler in
Heft
" Günter Bandmann, Mittelalterliche Architektur als Bedeutung:
Berlin 91978, S. 65 - S7.
" Max Schlesinger, Symbolik in der Architektur. in Zeitscl
geschichte der Architektur, 4. 1910, S. 217 31 und S BO-l
.82.
" Julius viJriSchlbsscr, Schriitquellen zurGescnichtederkarolini
Kunst,Wien 1892, hierS. 13 -J0seDh sauenSyrnbnllkdes Kir:
bäudesuridseinerAusstattung in der Auffassung des Mitteialte
burg im Breisgau. 21924, hier S, 134. 7 Werner Haftrnann, USS
wie Säulerimonument. LelpzigIBerlln 1939. hier s. es. - EI
Hempel, Der Fieaiitaischarakter des kirchlichen Wandbildes in
alter. in: Kunsthlsforlsche Studien : Festschrift fur Dagobe
Breslau 1943, 5.106 - 120. hier S 107.
" Bandmann wie Anm. 14. hier S 75 und B0.
" Messen- und Lichterstiftung des Erzbischofs Friedrich von Leil
Salzburger Ddm Vbm 1B. Februar 13352 . . . in columpna proxir
aliare sancti Thdme . . . altarerri. .virgiriis Marie , . , de novoi
mus seu cdnstruximus , ; voller Text der Urkunde in' Sal.
Urkundenbuch, 4 1933, Nr. 349 auf S. 410-415
" Leander Heimli Die Servilenklöster Maria Verkündigung
Michael in Prag. in. Mitteilungen des Vereinsfur Geschichte d!
schon In Böhmen. 51, 1913, S 118-123.? Erich Bachmann.
tung und typengeschichtliche Stellung der Prager Servitenkiri
slupik, In: Alma Mater Pragensis. 4, Muncnen 1953, Heft 4-
18 8-12. - Jan Svatek, Organisace rehclnich instituci C
zernlbn a peöe o iejich archivy, lrtI Sbdrriik archivnlch praci.21
S. 503 7 624.
n YVSS Delaporte, Les trois Nclre-Dame O9 la cathedrale de C1
Chartres 1955 (11965). S. 35 s 63
1' Nazario Perez, Apuntes histbrlcds de la devocion a Nueslra S61
Pilar de Zaragoza. Saragossa 1930. - Rrbardo der Arco. Ei Tel
Nuestra Sericre del Pilar en ia Edad Media, Saragossa 1945
f" Wenzel. Patriarch von Antiochia und römischer und böhmische
ier, verlieh am 1B. 3. 1400 auf Bitten Heinrichs von Rosenb
Georgskapelie In der Burg Krumau 40 TageAblaß und fügte bei
rum accepimus, quod in capelia castri praescripti Crumpnav
puichro opere irnago Vlrginis Marie glbriose. ad quam fideles
davotionis habere noscuniur rr Zitiert nach: Rudolf Hönlgschn
Entdeckung der Krumauer Madonna. in' Alte und moderne K
1962, Heft 62163 (unter Notizen auf')S. 51 - 52.
1' Einen sorgfältigen und ausführlichen Literaturbericht zum si
Forschung über die Schönen Madonneri gab Wolfgang von St:
Katalog derAusstellung i-Spätgntik iri Salzburg V Plastik und K
weiser. Salzburg 1975, s. 43 - 4a.
1' sieinguß. fragmentierte ursprüngliche Fassung, H 10a cm;da.
Hahnl im Katalog der Ausstellung 1400 Jahre Franziskaner
Durgn, Salzburg 1973, Kai. Nr. 2 auf S. 78 mit aller älteren Lil
" Dazu Theodor Müller in! Kunstchrcnik 1G, 1963, S. 287
" Theodor Muller. Plastik, in Katalog der Ausstellung riEuroi
Kunst um 1400-, Wien 1962, S. 306- 307.