gerjahren. Die Identifikation mit Maulbertsch basiert
nicht nur auf der physiognomischen Ähnlichkeit,
obwohl diese überzeugend ist. Sie beruht auch auf dem
Kolorit.besonders im offenen Kragen und indem blauen
Rock mit den für ihn typischen Weißhöhungen. Die
Hand des Porträtierten verdient auch besondere
Beachtung (Abb. 6). Sie ist in einerfreieren. lockeren Art
gemalt als das Gesicht, sie war wahrscheinlich nicht
Ergebnis der genauen Beobachtung im Spiegel. In der
Tat legt ihre Stellung im Bild die Ansicht nahe, daß sie
überhaupt ohne Hilfe des Spiegels gemalt wurde. Der
junge Maler mischt seine Farben auf der Palette. deren
oberer Rand an der Unterkante des Bildes zu sehen ist.
Bemerkenswert ist auch die Art, wie der Pinsel gehalten
wird: mit zwei Fingern, wobei der kleine Finger in einer
fast affektierten Weise abgespreizt ist - ebenso wie
der alte Maulbertsch seine Hand mit dem Pinsel im spä-
ten Selbstporträt malte (Fig. 1), obwohl das dort in einer
so summarischen und skizzenhatten Artgeschieht, daß
es aussieht wie eine expressionislisch gemalte Hand,
etwa von Soutine. Aber - wie man sieht - der Pinsel
wird von zwei Fingern gehalten und der kleine wegge-
streckt wie in dem neu gefundenen Jugendporträt.
Wann dieses neue Selbstbildnis gemalt worden ist, muß
offenbleiben. Es ist nicht datiert, aberaus seiner genau-
eren Betrachtung kann man gewisse Schlüsse ziehen.
Die Züge sinddie eines sehriungen Mannes, das maleri-
sche Können. besonders die Behandlung der Hand, läßt
an den freien. lockeren Malstil denken, der für seine
Frühzeittypisch ist, obwohl das Gesichttschließlich die
Hauptsache) mit glatten Pinselstrichen sorgfältig
durchmodelliert ist. Für einen jungen Maler schon an
sich eine große Leistung. Trotz der Gefahr einer viel-
leichtzu subjektiven Interpretation möchte ich aus dem
Ausdruck dieses Jugendportrats Anhaltspunkte für
seine Datierung gewinnen. Es ist das Gesicht eines auf
sich selbst vertrauenden Menschen, der hinunterblickt
(eine Pose, die vielleicht durch den Spiegel bedingt ist)
und fast frech, oder besser: mutig dreinblickt - das
Gesicht eines jungen Mannes, der schon mit 15 Jahren
sein Vaterhaus in Langenargen verließ, vielleicht hinauf
nach Ulm ging, um dann mit einer Ulmer Schachtel die
Donau hinunterzufahren nach der großen kaiserlichen
Haupt- und Ftesidenzstadt Wien, wo er viel von Van Roy
lernte und an der Malerakademie bei Troger und Mildor-
fer studierte. Seine künstlerische Tätigkeit in den Jah-
ren 1745 - 49, als die Akademie während des Österrei-
chischen Erbfolgekrieges geschlossen war, ist uns fast
unbekannt. Wir wissen nur, daß er noch als Student am
15. August 1745 in der Pfarrkirche zum hl. Michael in
Fischamend Barbara Schmidtin, die 24jährige Tochter
eines Baders zu Vösendorf, Johannes Schmidt, heira-
tete, mit der er dann fast 35 Jahre in kinderloser Ehe
zusammenlebte. Erging an die Akademiezurück, als sie
wiedereröffnetwurde, und seine Fähigkeiten waren mit
26 Jahren schon so groß, daß er mit seinem Gemälde
"Die Akademie mit ihren Attributen bey den Füßen
Minervensr 1750 den 1. Preis erhielt und damit akade-
mischer Maler wurde, 1759 wurde er ordentliches Mit-
glied der Akademief ln den späten vierziger oder frü-
hen fünfziger Jahren muß Maulbertsch sein Selbstpor-
trät gemalt haben, das ihn sowohl selbstbewußt, als
auch - vielleicht unbewußt - als arrivierten Maler in
der kaiserlichen Residenzstadt zeigt. Es ist das sympa-
thische Gesicht eines jungen Malers voll Vertrauen in
das eigene Können, zur Zeit als er seine Arbeit für die
Piaristen begann, die in seinem ersten großen Fresko
auftrag für die Decke der Kirche Maria Treu zwischen
1752 und 53 kulminierte - eine unerhörte Leistung für
einen Maler seines Alters. der in der Verherrlichung
Mariens durch das Alte und Neue Testament gewisser-
maßen auch seine eigene Glorie der Nachwelt hinter-
ließ? Etwas vorn unerschrockenen. sich selbst vertrau-
enden. um nicht zu sagen übermütigen Charaktereines
jungen Mannes, der alles zu wagen bereit ist, spricht
aus diesem Porträt.
Wofür das Porträt gemalt worden war, ist auch unbe-
kannt. DieTatsachedaß es aus derKonstanzerGegend
auf uns zukommt, läßt vermuten, daß Maulbertsch es
vielleicht für seine Familie in Langenargen gemalt und
dorthin geschickt hat, ehe er seine verwitwete Mutter
und zwei verwaiste Schwestern nach dem Tod des
Vaters am 20. Mai 1748 zu sich nach Wien kommen ließ.
was anscheinend schon vor 1750 geschah. Vielleicht
hat seine Mutter es bei dieser Gelegenheit einem Mit-
glied der Familie Thumb gegeben, von dem. der In-
schrift auf der Rückseite des Porträts nach, das Bild
später erworben wurde.
Solche Ergänzungen zu Maulbertschs Werk sind nicht
nur an sich wichtig. sie lassen auch viele Probleme sei-
nes Oeuvres neu sehen. Das hier vorgestellte frühe
Selbstporträt, meisterhaft in Form und Farbe und in der
Genauigkeit des physiognomischen Details. ist so sou-
verän in der Definition der Form und in der Behandlung
der Farbe, daß man an manchen Bildern zu zweifeln
beginnt, die heute als seine frühesten Werke angese-
hen werden. Sicherlich malen alle Künstler in einem
Selbstporträt anders als in vielfigurigen Kompositionen
und besonders den Skizzen dazu, doch dergroße Unter-
schied zwischen dem Porträt und manchen von den
Frühwerken verlangt eine genauere Untersuchung?
Die Bereicherung unserer Kenntnisse von Maul-
bertschs Frühzeit und seinem Talent als Porlrätist, die
die Entdeckung von diesem Bild bedeutet, ist beacht-
lich. Sie beleuchtet sozusagen diese so wichtige
Periode im Leben des Malers, worüberwirwirklich allzu
wenig wissen. Sie bietet uns auch einen Maßstab -
einen absoluten - womit man die oft ziemlich fragwür-
digen Frühwerke, die man ihm zugeschrieben hat, ver-
gleichen kann. Letztens stellt sie die Frage: wenn Maul-
bertsch solch ein ausgezeichneter Porträtist war, wo
sinddieanderen Bilder, dieerbestlmmtwährend seines
langen Lebens gemalt hat? Obwohl er im Hauptberuf
Freskant war - ein Kirchen- und Historienmaler -,
hatte er klarerweise das Talent und die Fähigkeit und
sicher auch die Gelegenheit, um ab und zu Porträts zu
malen. Sie sind nicht vorhanden. Dasselbe dürfte man
auch von den Stilleben und Blumenstücken sagen, die
zu malen erebenfalls fähig war, wenn man an die präch-
tigen Beispiele solcher Malerei denkt, die man in dem
Kirchstettener Deckenbiid, auch ein Frühwerk. sehen
kann. Das völlig unenuartele Erscheinen des Jugend-
selbstbildnisses läßt hoffen. daß auch solche Bildervon
ihm eines Tages ans Licht kommen werden.
8 DielnschriftaufderRückseitedesSelbstbildnissesinjungen
Jahren (Abb. 1. 2). Ausschnitt
Anmerkungen 4 - 7
' Die Informationen über Maulbertschs Leben stammen hauptsächlich
von Haberdilzl und von Klara Garas. Franz Anlon Maulbeüscrl 1724 NS
1796. Arnallriea-Verlag, Wien 1960, urld Klara Garas. FranzAnlon Maul-
bensch, Leben und Werk. Verlag Galerie Welz. Salzburg 1974.
1 Siehe die schöne Beschreibung in Hzberdllll. s. lls tl
' Wiezurri Beispiel Bruno Bushart in einem Brief vom 2a l 1985 - . wer
in jungen Jahren so meisterlich mit Form und Farbe umzugehen ver-
steht, kann die Vieler! Unherlollenheitsn, die in den angeblichen Früh-
werken zulagelreien. nicht verbrochen haben , . .-
1 Für kollegiale Hilfe und ihre Meinungen über das neuenldeckte Selbst-
panrax mochte ich Frau Dr, Gertrude Aurenllammer. w Hotrat DlrSk-
tor a. D. Dr, Hans Aurerlhammer. Wien, und Prof. Dr, Bruno Busharl.
Augsburg, herzlich danken,