Jürgen Messensee, Hermann J. Painitz, Erwin Reiter - Österreich auf der 12. Biennale von Sao Paulo
Die österreichische Kunstszene der letzten Jahre wurde in entscheidendemAusmaß durch die Leistungen
ausgesprochener Einzelgänger geprägt. Man kann darin eine Bestätigung für die Subjektivität und Not-
wendigkeit der eigenen freien künstlerischen Entscheidung und ihrer Entwicklung sehen. Zugleich weist
dieser Umstand aber auch auf eine erfreuliche Unabhängigkeit maßgebender jüngerer österreichischer
Künstler von internationalen Modetrends und Tendenzen hin. Bei den interessantesten Begabungen, wie
sie in großer Verschiedenartigkeit vor allem innerhalb der Generation der Fünfundzwanzig- bis vierzigjährigen
anzutreffen sind. dominiert die eigene Konzeption und eine zumeist sehr eigenwillige originäre bildnerische
Umsetzung. Auf dieser Basis des Nichtepigonalen werden innerhalb der Malerei, Graphik, Objektkunst
und Plastik in Osterreich Positionen bezogen, deren Summe zwar durchaus dem vielzitierten pluralistischen
Bild heutiger Kunst entspricht, der internationalen Szene allerdings in herausragenden Leistungen eine
Reihe bemerkenswerter, kaum oder gar nicht vergleichbarer künstlerischer Akzente beisteuert.
Zu Außenseitern und künstlerischen Einzelgängern dieser Art zählen auch die Wiener Jürgen Messensee
und Hermann J. Painitz sowie der Oberästerreicher Erwin Reiter, die Osterreich auf der 12. Biennale von
Sao Paula mit Arbeiten neuen und neuesten Datums vorstellt.
Jürgen Messensee
Seit Beendigung seines Akodemiestudiums 1960
arbeitet der 1936 geborene Wiener Maler und
Zeichner Jürgen Messensee intensiv und
selbstkritisch an der Erschließung und Erprobung
zeitgemäßer Ausdrucksmöglichkeiten einer
gegenstandsgebundenen Kunst. Thematischer
Ausgangs- und Kristallisationspunkt seiner Arbeiten
sind zumeist Kopf und menschliche Figur,
gelegentlich aber auch Requisiten eines lnterieurs.
Messensee sieht in diesen Gegenständen allerdings
nicht mehr als Ansätze, Vorgegebenheiten und
begriffliche ldentifikationsmodelle, die erst durch
den Prozeß inspirierter bildnerischer Umsetzung
künstlerische Verbindlichkeit erhalten. Er entwickelte
mit Konsequenz ein klar abgegrenztes Vokabular,
das formale Strenge mit malerischer Vitalität
harmonisch in Beziehung setzt. Sein stark
abstrahierender expressiver Stil bezieht seinen
besonderen Reiz aus der Balance zwischen rein
malerischen und primär zeichnerisch-graphischen
Elementen. Auffallend ist dabei die klare Farm- und
Raumvorstellung, für die ein in seiner Breite und
Vehemenz stark schwankender Konturstrich ebenso
charakteristisch ist wie seine formale Sicherheit
verratender Einsatz.
Messensees existentielle Gleichnisse provozieren in
ihrer verschlüsselten Symbolik und den Andeutungen
einer ganz und gar antiliterarischen, wenn
auch dialektischen Thematik den Geist und die
Phantasie des Betrachters. Sie bieten keine
Patentlösungen an, erzählen nicht und bilden schon
gar nicht ab, sondern aktivieren über die legitimen
Möglichkeiten der sinnlichen Wahrnehmung
und die ästhetischen Qualitäten vitaler Malerei
unser Sehvermögen und lnterpretationsbedürtnis.
Seine Bilder und Zeichnungen verraten Kraft
und Elan, zugleich aber auch ungewöhnliche
Sensibilität und einen verschwenderischen
Nuoncenreichtum, wie er in derartiger Spontaneität
innerhalb der heutigen Malerei selten ist. Die
Grundhaltung des Künstlers ist flexibel und für neue
Anstöße offen. Die Gefahr bloßer Variation
und routinierten Wiederholens wird so durch
permanent vorgenommene schöpferische Erneuerung
gebannt.
Hermann J. Painitz
Mit voller Absicht wurden aus dem Gesamtwerk des
Wiener Malers, Graphikers und Plastikers
Hermann J. Painitz ausschließlich Beispiele seiner
seit 1970 entstandenen „Statistischen Portraits"
ausgewählt. Die Bilder und graphischen Blätter
dieser Serie stellen in ihrer strengen Logik und
Konsequenz einen für die Denkweise und das
bildnerische Vorgehen des 1938 geborenen Künstlers
bezeichnenden Beitrag dar.
Zum Unterschied vom konventionellen Porträt, dem
es um ein Fixieren charakteristischer Äußerlichkeiten
und das dadurch ausgelöste künstlerische
Vordringen zur porträtierten Person geht, wählt
Painitz das Verhalten und die Tätigkeit des
Menschen, die Ergebnisse einer politischen Wahl
oder einen Auszug aus der Weltliteratur (Jonathan
Swift) als Bildanlaß.
Ausgangspunkt sind für ihn Statistiken, die von
den Personen, die er porträtiert, für die Dauer
vereinbarter Zeiträume unter gleichfalls detailliert
abgesprochenen Gesichtspunkten angefertigt
werden. In diesen Bildstatistiken wird zum Beispiel
festgehalten, welcher Arbeit iemand nachgeht,
was eine bestimmte Person in ihrer Freizeit macht,
wie Tagesablauf und Stundenplan aussehen,
wie bestimmte Körperfunktionen beschaffen sind
und anderes mehr. Für die obiektiven Fakten
dieser Zählungen werden vom Künstler optische
Zeichen und Signale entwickelt, die zwar im Bild der
Anzahl und Abfolge nach vorbestimmte Reihen
ergeben, in ihren bildnerischen und ästhetischen
Wertigkeiten allerdings der freien Entscheidung
und dem persönlichen gestalterischen Vermögen
ihres Urhebers unterliegen. Bei Hermann J. Painitz
treffen somit schöpferische Willkür (in zumeist
sehr rationeller, bildökonomischer Form) und
statistisch ermittelte Fakten als gleichwertige und
gleichwichtige Faktoren seiner Darstellungen
zusammen.
Erwin Reiter
Der 1933 in Julbach in Oberösterreich geborene
Bildhauer Erwin Reiter absolvierte 1959 die
Meisterklasse von Professor Fritz Wotruba an der
Wiener Akademie der bildenden Künste.
Ausgehend von kraftvollen, zumeist barock und
vegetativ anmutenden Figurationen entwickelte er
vor allem in den letzten fünf Jahren - begleitet
von konstanter zeichnerischer Tätigkeit - einen
einprägsamen Personalstil, der in gleicher
Weise durch die Art seines formalen Vollzugs wie
seine an eine freie und offene Symbolik gebundenen
Deutungsmöglichkeiten überzeugt.
Reiters nahezu abstrakte Plastiken aus Chromnickel-
stahl, Bronze, Kupfer und Aluminium vereinen
in ihrer räumlichen Dynamik, in ihrem ausgewogenen
und doch spannungsreichen Verbunden- und
Verschlungensein mäanderartiger, kurviger Elemente,
zeitbezogenen und zeitgemäßen Ausdruck mit
gewissen nachvollziehbaren Tendenzen des
Archaischen. Bei aller Eleganz und material-
abhängigen Exaktheit springt von ihnen gleichsam
ein irrationaler Funke auf den Betrachter über,
der sehr wesentlich in der Symbolik dieser Arbeiten,
die zwischen den vermeintlichen Antipoden Engel
und Astronaut eine kühne gedankliche Brücke
schlagen, begründet ist.
Erwin Reiter, den Bibelstellen über Engel und
Erzengel ebenso faszinieren wie gut geschriebene,
phantasieanregende Science-fiction-Romane, sieht
im Weltraumfahrer unserer Zeit mehr als den
mit detaillierten Aufträgen in den Kosmos
oufgebrochenen Angesandten menschlicher Ratio.
Der Astronaut personifiziert für den Künstler
gleichsam das Schicksalhafte einer Epoche, indem
er die Leistungs- und Erlebnisföhigkeit des
Menschen im Technischen u n d Seelischen extrem
beansprucht. Mit Recht charakterisiert daher auch
der Theologe Kurt Lüthi Reiters Plastiken als
„lmplikationen, die das Erleben neuer Dimensionen
des Seelischen und Kosmischen zusammenschließen."
Die Denkanstöße und Empfindungen, die sie in
ihrer herben Schönheit und klaren Gliederung,
in ihrer massiven Kompaktheit und überlegten,
sensiblen Rhvthmisierung vermitteln, lohnen den
Einsatz. Peter Baum