Zeitgenössische Kunst
Münster
Das Westfälische Landesmuseum für Kunst und
Kulturgeschichte Münster konnte kürzlich die
78 Skizzenbücher erwerben, die August Macke in
den Jahren 1904 bis 1914 zur ersten Niederschrift
seiner künstlerischen Konzeptionen mit einer Unzahl
von Zeichnungen gefüllt hat. Die über 5000 Skizzen,
Notizen und Entwürfe zu Gemälden, Hand-
zeichnungen und Druckgraphik, zu Stickerei, Keramik
und Plastik bilden daher ein Dokumentations-
material ersten Ranges und wohl auch die Grund-
lage für die bisher noch ausstehende wissen-
schaftliche Bearbeitung des künstlerischen Gesamt-
werkes von Macke.
Im Zusammenhang mit dem Verkauf der Skizzen-
bücher hat die Familie Macke drei hachberühmte
Olgemälde des Malers dem Westfälischen
Landesmuseum als Dauerleihgabe zur Verfügung
gestellt: das „Selbstbildnis" von 1906, den
„Sonnigen Weg" von 1913 und das „ModegeschäfW
von 1913. Aus Anlaß dieser Erwerbung wurden
die Skizzenbücher mit anderen Zeichnungen und
den berühmten Tunis-Aquarellen aus dem Besitz des
Museums in einer Ausstellung gezeigt (Abb. 1-3].
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Oberfläche, wo die flüssige Farbe vertikal in die
unkontrollierbaren querlaufenden Faltungen floß,
um kurvenlinige Zeichen einzuschreiben. Eine
Inschrift, welche so in die Malerei eingraviert
wurde, ließ Farbe und Leinwand durchscheinen
(Sexprime hommage a JP Brisset). Nach 1960 Iäßt
er das Leinwandgitter fallen und geht dazu über,
die Leinwand mit einer erst schwarzen dann
weißen Flüssigkeit vorzupräparieren und faltet und
knittert diese. Die Farbe wird platt aufgetragen.
Dadurch erzielt er gemalte und nichtgemolte Falten,
welche die Oberfläche zersplittern (Abb. 5).
Jean Degoffex
charakterisiert die Schrift durch die lntegrierung
mittels einer einmaligen Bewegung, die er weder
zusammenstellt noch ergänzt, und die er danach
auch nicht mehr berührt. Für ihn zeichnet das
Zeichen den Raum.
Claude Viallat
lebt in Nizza. Bei der Fragestellung des doppelt
ausgedehnten Raumes durch Weglassen des
Leinwandgitters stellt die Malerei von Viallat
Beweisgrund durch ihre Zerlegung: Arbeit mit
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Basel
Kunsthöndler sind nicht nur Mittler zwischen
Künstlern und Käufern, sondern oft auch Sammler
von Rang. Ein hervorragendes Resultat einer
solchen, noch dem Maßstab höchster Qualität
getroffenen Auswahl hat das Kunstmuseum Basel bis
zum 25. Jänner 1976 gezeigt. In sieben Räumen
waren Meisterwerke der Graphik des 19. und 20.
Jahrhunderts aus dem Besitz von Eberhard Kornfeld,
dem Chef des Berner Auktionshauses, zu sehen.
Die Auswahl mit 338 Nummern reichte von Goya
bis zur iüngsten Gegenwart und wurde von einem
vorzüglich gedruckten, wichtigen Katalog begleitet.
Neben bedeutenden Probedrucken, Frühdrucken,
neben Zustands- und Farbvarianten enthält die
Sammlung auch mativische Raritäten, so Robert
Delaunays Farblitho des Chorumganges von Saint
Severin von 1907 oder die einzige Radierung,
die Vincent van Gogh geschaffen hatte: den
„Mann mit der Pfeife", das Bildnis seines Freundes
Paul Gachet. Dazu kostbare Mappenwerke -
Bonnards „Daphnis und Chloe", die Jahresmappe
der „Brücke", die Merz-Mappe von Schwitters;
das Schönste vom Schönen war versammelt (Abb. 4].
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Paris
Künstler aus dem Depot
Die FNAC (Fonds national d'art contemporain)
organisiert mit dem Musee National d'Art Moderne
eine Nonstop-Accrochage mit Künstlerwerken aus
der Reserve. Sie stammen aus Käufen des Museums
und großzügigen Schenkungen. Dem Publikum
wird damit die Möglichkeit geboten, einen neuen
Überblick über Vollständigkeit und Fehlerhaftigkeit
des zeitgenössischen französischen Kunstbesitzes
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wie über die Vorbereitungen für das Centre
Beaubourg zu gewinnen.
Nach 1947 mit Ausstellungen von Hartung und
Schneider hat sich die Strömung der lyrischen
Abstraktion der geometrischen Abstraktion des
Bauhauses, des Stiil und des Konstruktivismus
entgegengestellt. Die Beweissetzung der informellen
Elemente wird durch Arbeiten der Materialmalerei,
der Schnelligkeitsprinzipien und iener ohne
Vormeditation verwirklicht. Die Arbeiten der drei
folgenden Künstler stimmen mit den Auseinander-
setzungen dieser Strömung überein.
Simon HantoT
ist Ungar und lebt seit 1922 in Frankreich. Er stand
anfänglich unter dem Einfluß des Surrealismus.
Hantai forschte durch die verschiedensten Techniken
nach Materialeffekten: Prägung, Schichtung und
frottieren des Farbauftrages, Collagen, Faltungen,
Integrierungen fremdartiger Materialien, wie
Bindfaden, Knochen, Federn etc. Nach 1954 beendet
Hantai diese Versuche, die Breton „etres fabuleux"
nannte, und wendet das Verfahren der Schrift-
outomatik an (vom Surrealismus erarbeitet und vorn
Action Painting entwickelt]. Er begann mit
Gegenständen (ein Wecker) auf der vertikalen
Seilwerk, Netzen, Knoten, Splissungen, Wieder-
holung von einer gefärbten Form, welche die
Leinwand rhvthmisiert und die Form, zum Vorteil
der Farbausdehnung, neutralisiert.
Mechtild Wierer
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Großarl
Das Ergebnis einer mutigen Idee des Salzburgers
Erich Cevela ist nun schon zu einer Großarler
Tradition geworden: Vom 24. bis zum 30. Jänner 197i
fand in Großarl zum achten Male das alliährliche
Treffen europäischer Alt-Pfadfinder statt - iener
sich durch das ganze Leben verbunden fühlenden
Menschen, denen Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft eine Einheit ist. Zeichen für solche Haltung
war neben den vielen anderen Aktivitäten dieser
Tage unter dem Leitwort „Der Menschlichkeit eine
Chance" eine Ausstellung mit Werken zeit-
genössischer Plastik inmitten der Großarler Pfarr-
kirche. Ein unkonventioneller Weg, bildende Kunst
„auf dem Lande" zu pflegen, gewiß, aber wohl
ein sinnvoller; besonders hierzulande, wo volks-
verbundene Kunst leider nur zu oft mit dem
„G'würzbüscherl" anfängt und beim Hinterglasbild
aufhört. Die Bronzeplastik „Befriedeter Vietnamese
von Erich Sauer (vgl. Seite 40) in der katholischen
Kirche des Gebirgsdorfes war viel mehr als manche
der üblichen Krieger-„Denkmale"; dieser Torso
mit aufgerissenem Brustkasten und zerfetzten
Beinen war wohl für alle glaubwürdiges Zeugnis
nicht nur aller menschlichen Erniedrigung, allen
Elends und aller Verzweiflung, sondern auch
ununterbrochene Anklage an den „Willen zur
Macht", iener uralten Totschlägermentalität, die
heute wie ie Haß, Neid und Unmenschlichkeit
auszuspucken imstande ist.
Franz Wagner