MAK

Volltext: Alte und Moderne Kunst XXIV (1979 / Heft 165)

efähr 90 Jahre nach der Entstehung der Ma- 
ia des Kanzlers Rolin, also bereits zu Beginn 
16. Jahrhunderts, schuf P. Pourbusl seine An- 
t des Zisterzienserklosters Ter Duinen? (Abb. 
las hervorstechendste Merkmal im Vergleich 
Architekturauffassung beider Bilder ist der 
ommen unterschiedliche Blickwinkel. Hier 
Luftperspektive von einem Punkt aus erlebt, 
ür den Menschen der Spätgotik als unerreich- 
;alt, den man also in einem gewissen Sinne 
' nennen könnte. Besonders charakteristisch 
weint die in Farbgebung und Kontur fast kar- 
tphisch anmutende Behandlung der Land- 
ft außerhalb der Klosteranlage. Sie steht im 
ensatz zu den Gebäuden, die der Maler mit be- 
terswerter Exaktheit und Minuziosität zur 
tellung bringt, wohl letztlich in der Absicht, 
Architektur aus der sie umgebenden Land- 
it herauszuheben, sie als selbständiges 
nema zu begreifen. 
iemalte Ansicht des Klosters Ter Duinen ist 
in hohem Maße aufschlußreich für die Ent- 
ung der Luftperspektive unter dem Aspekt 
itiisprache. Dies gilt besonders im Hinblick 
ie Farbkomposition. Architektur wird hier un- 
nem Blickwinkel gesehen, bei dem sich Farb- 
cen aufgrund unterschiedlicher Distanz nur 
er feststellen lassen. Daß der Urheber der Ta- 
annoch an der Farbabstufung festhält, indi- 
welche Bedeutung er dieser als Ausdrucks- 
l beimiBt. Jedoch erfolgt hier der Übergang 
iarbe nicht graduell, kontinuierlich wie bei 
Eyck, sondern spontan, diskontinuierlich in 
ngigkeit vom Lichteinfall. Während in der lin- 
Bildhälfte ein diffuses, düsteres Licht vor- 
cht, erfolgt gegen die Bildmitte schlagartig 
ufheliung: das typische Rot der Ziegeldächer 
aßt dabei ebenso wie die Fassadenfarbe. Ge- 
ert wird diese Differenziertheit in der Beob- 
rng noch durch den Kontrast zwischen den 
igschatten der Architektur und der sie umge- 
eri Landschaft. 
lm Gegensatz zur Luftperspektive setzt die voll- 
ständige Kenntnis und Beherrschung der Linear- 
perspektive vielseitige Einsichten in geometrische 
und optische Gesetzmäßigkeiten voraus. Neben 
der Konvergenz paralleler Linien im Raum zählen 
dazu vor allem die Berücksichtigung der Distanz 
sowie die sichere Einschätzung der Proportionen 
zwischen Architektur und Figuren. Ob und inwie 
weit die Prinzipien der Perspektive in der flämi- 
schen Tafelmalerei der Spatgotik bekannt waren, 
blieb bis heute umstritten. Die Ansichten darüber 
divergieren beträchtlich. Einerseits, so wird be- 
hauptet, beschränkten sich die flämischen Mei- 
ster auf eine exakte und detaillierte Beobachtung, 
andererseits wird ihnen die Kenntnis fundamenta- 
ler perspektivischer Prinzipien bescheinigt, wie 
das Gesetz von der Distanz bzw. die Lehre vom Au- 
genpunkt. Erstes Licht in die Diskussion brachten 
 
die an Gemälden van Eycks bzw. Petrus Christus 
durchgeführten Untersuchungen von G.J. Kern-V. 
Kern kam durch systematische Studien zu dem 
Schluß, daß man Jan van Eyck die vollständige 
Kenntnis der Linearperspektive absprechen müs- 
se, da er weder das Gesetz von der Distanz noch 
die Prinzipien von der Zugrundelegung eines ein- 
heitlichen Fluchtpunktes gekannt habe. Demge- 
genüber legen seine Untersuchungen an Bildern 
von Petrus Christus den Schluß nahe, daß dieser 
Maler zwar nicht das Gesetz von der Distanz, da- 
für aber die Prinzipien von der Annahme eines ein- 
heitlichen Fluchtpunktes und Horizontes kannte. 
Tatsächlich läßt bereits eine punktuell konzipierte 
kritische Überprüfung der Architekturdarstellung 
den unterschiedlichen Stand perspektivischer 
Kenntnis deutlich werden. So hält z. B. die in 
Abb. 3 vorgestellte Bildarchitektur weder der per- 
2 
spektivischen Analyse noch der schlichten Beob- 
achtung stand. Dargestellt ist der Bau der Brüsse- 
ler Kathedrale, die aufgrund der frontalen Ansicht 
keine nennenswerten perspektivischen Anforde- 
rungen stellt. Mit der Abbildung einer Häuserzeile, 
die aus der Bildebene herausführt, war der Maler 
jedoch offensichtlich überfordert. Hier spürt der 
Betrachter, daß der Urheber des Gemäldes4 zwar 
die räumliche Wirkung suchte, sie aber aufgrund 
fehlender perspektivischer Kenntnisse und Erfah- 
rung nicht zur Entfaltung bringen konnte. Daß, wie 
die Analyse erkennen läßt, dennoch einige der Or- 
thogonalen auf zwei unterschiedliche Fluchtpunk- 
te zustreben, erscheint insgesamt gesehen eher 
ein Ergebnis von Zufälligkeiten als etwa ein An- 
satz zur geteilten Perspektive zu sein. Repräsenta- 
tiv für den geringen Stand perspektivischer Kennt- 
nis ist auch der stellenweise auftretende Wechsel 
zwischen konvergierenden und divergierenden 
Orthogonalen. 
Einem weitaus fortgeschritteneren Stadium der 
Perspektive begegnen wir in den Gemälden Hegier 
v. d. Weydens. Sie lassen, wie das Beispiel Der 
hl. Lukas malt die Madonna (Abb. 4) zeigt, zumin- 
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