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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXIV (1979 / Heft 165)

Wiltrud Mersmann 
Der Henkelkelch von Cividale 
Anmerkungen 1-6 
l Aussteilungskatalog: Friaul lebt, 2000 Jahre Kultur im Herzen Eu- 
rcpes, hg. Gian Carlo Menis und Aldo Flilll. Wien 1977, Nr. 49. Dem 
Direktor des Salzhurger Dommuseums. Herrn Domkaprtuiar Pralat 
Dr. Johannes Neuhardt. verdanke ich die Meglichkeit, den Kelch Zu 
untersuchen und neue Fotografien anlenigen zu lassen. Den Kol- 
legen Gien Carlo Menis. Udine. und Wilhelm Messerer. Salzburg, 
denke ich iur freundliche Ermutigung zu dieser Arbeit 
z Antonio Santangelo. Catalcgo delle cose d'arte e di entichita d'Ita- 
lia. Cividale, Roma 1936. 351. mit Äbblldung, 
7 Zum Heinrichskelch s. unten Anm. tdweitereitallanische Literatur 
zum Kelch von Cividale: Carlo Cecchelll, I mcnumentl del Friuli dal 
sacolo lV all'X 01 I Cividale, Rom 1941251. Giuseppe Marioni e 
Carlo Mutinelli. Giuda storico-anistica diCividaleUdine19583519. 
Pletro BertoIaeGian Carlo Menis, Ausstallungskatalog Udine, Mu- 
seo dlocesano d'arte sacra 1963. 37, Kat, Nr. 5 
' Joseph Braun, Meisterwerke der deutschen Goldschmisdekunst 
der vorgotischen Zeit, Münster 1922. 12. Nr. 59. Ders, Das christli- 
che Äitergerat, München 1932. Abb. 14T. 5, Text S. S1. Victor H. El- 
bern, Der eucharistische Kelch im fruhen Mittelalter, Berlin 1964. 
Anm.133 lli S. 35. Ferner: Cabrol-Leclerq, Dictionnaire ll, 2. Calica 
Sp. 1595. Ausstellungskatalog. Eucharistlc vessels O1 the Middle 
Ages. Busch-Relsinger-Museum Cambridge, Muss. 1975, Victor H. 
Elbern, Liturgisches Gerat des Fruhmlttaiaiters als Symboltreger, 
Sattimane di studio del cerltro italierlc di studi sull alto medioevo 
XXlILSpoloto1976. 349 f, Victor H. Elbern, Eine Gruppe insularer 
Kelche des lrühen Mittelalters, Festschrift Peter Metz. Berlin 1965. 
115 1 
5 Otto von Falke und Erich Meyer. Bronzegerate des Mittelalters l. 
Berlin 1935. 
' Falke-Meyer (Anm. 5) Abb. 149 und Text S 24, 25. Desiderlus von 
Montacassino, gesi. wer. berichtet von bluhendem Erzguß iri By- 
zanzlum Metallguß im Rheiri-Maas-Gebiet vgl. Katalog Rhein und 
Maas. Köln 1972. S. 67: erwähnt werden Chorpulte und Radleuch- 
ter aus der Zeit um 1000. Peter Bloch. Sieberiarrrlige Leuchter in 
christlichen Kirchen, Wallrai RichartzJehrbuch 23. 1961, 55. Ders, 
Zum Stil des Essener Leuchters. werdendes Abendland, Textband 
l. 534. Eine eingehende Analyse des Leuchtars bei Fiosmarie Mes- 
serer. Ottnnische Goldschmiedewerke im Essener Murlsterschatz. 
Diss. München, ungedr. 1950. Die FUtOS vom Essener Leuchter ver- 
danke ich der freundlichen Hilfsbereitschaft des Rheinischen Bild- 
archivs in Köln. - Verwandt mit dem Nodus des Keiches und mit 
dem Essener Leuchter ist das Blattornamont am Auliarlrand und an 
der inneren Lade der Limburger Staurothek (um 965). Grober, le- 
ster und später wirkt ähnliches Blnttwerk ern Diskos von Halber- 
stadt. Hierzu Kat Barbarossa-Ausstellung Stuttgart 1977, Voi I.Nr. 
ssz De: gleiche gilt für den Kalsersluhl In Goslar Dazu Erich Mey- 
er. Zeitschrift des Deutschen Vereins iilr Kunstwissanschaft 10. 
1943. 183 
Der kleine vergoldete Silberkelch aus dem Dom- 
schatz von Cividale wurde im Rahmen der Ausstel- 
lung i-Friaul lebtn einer breiteren Öffentlichkeit 
sichtbar gemacht. im Katalog ist er als iideutsch, 
10. Jahrhundert" bestimmti. 
Der Kelch ist 9,2 cm hoch, sein Durchmesser 6,7cm. 
Der Durchmesser der Patene beträgt 10,2 cm. Die 
alte Vergoldung ist teilweise durchgerieben, nur 
das innere der Kuppa ist neu vergoldet. Die Hen- 
kelchen und der Nodus sind gegossen. Die Form 
des kleinen Meisterwerkes ist sehr harmonisch. 
Die Kuppa besteht aus einem ausladenden, zehn- 
bogig gerippten Unterteil, über dem der Kelch steil 
geschwungen und unverziert aufsteigt. Die In- 
schrift am Lippenrand ist klar abgesetzt. Zwei 
S-förmig geschwungene Henkelchen sind als Ran- 
ke mit Weinlaub und Traube gebildet. Rittlings 
stehen darauf die winzigen Figürchen von Abel 
mit Lamm und Melchisedek mit Kelch und Patene. 
Ein feiner Perlring trennt Kuppa und Ständer. 
Auch der Stander ist in sich klar gegliedert. Der 
kleine Nodus besteht aus zweimal zwei Kreisen, 
die untereinander mit Spangen verbunden sind 
und innen von gebogten Blättern und Blüten aus- 
gefüllt sind. Am Rande des Fußes ist ein lnschrift- 
band klar abgesetzt wie am Lippenrand des Kel- 
ches. Über der Inschrift sind die schreibenden 
Evangelisten eingraviert. Sie wenden sich paar- 
weise in gleicher Haltung zueinander. Die ganz 
präzise auf dem Kelchrand aufsitzende Patene hat 
ein abgesetzte: lnschriftband wie Kuppa und Fuß. 
In die Schale ist ein Zwölfpaß getieft, in dessen 
Mitte die segnende Gotteshand vor dem Kreuz 
graviert ist. umgeben von der in ein Kreisband gra- 
vierten Inschrift i-Dextera Dominiu. Die Schönheit 
des kleinen Kelches beruht auf seinen wohldurch- 
dachten Proportionen (Kuppa: Ständer gleich 1:1) 
und auf der meisterhaften Feinheit der Arbeit. 
Die lnschriften lauten am Rande der Kuppa: 
SIGNATUR XRC FORIS ET LIBATUR AB INTUS 
Am Fußrand: DESCRIBUNT DOMINUM PRIMATES 
QUATUOR UNUM 
Am Rande der Patene: NON SITIES NON ESURIES 
SINE CRIMINE SUMENS 
Übersetzung: Gezeichnet wurde Christus von au- 
Ben, aber als Opfergabe wird er von innen gespen- 
det. - Den einen Herren beschreiben die vier Er- 
sten. - Du wirst nicht dürsten und nicht hungern, 
wenn Du dieses - frei von Sünde - nimmst. 
Dieser Kelch ist bisher nicht unbeachtet geblie- 
ben, doch gehen die italienische und die deutsche 
Forschung in seiner Beurteilung getrennte Wege. 
Der Friaul-Katalog (Text von A. Forniz) folgt in sei- 
ner Zuschreibung an die deutsche ottonische 
Kunst letztlich der Bestimmung von Antonio Sant- 
angelo von 19361. Unter Hinweis auf die Evangeli- 
stenbilder und die Kelchform, die er mit der Wie 
dergabe eines Kelches auf einer ottonischen EI- 
fenbeintafel vergleicht, spricht er den Kelch von 
Cividale als ottonische Arbeit vor 1050 an. Ferner 
tritt er der Bestimmung Brauns als Reisekelch ent- 
gegen unter Hinweis auf ein Inventar von 1494, 
nach welchem in dem Kelch am Karfreitag das Al- 
lerheiligste aufbewahrt wurde: nuna cuppa cum 
sua patena de argento inaurata cum pede rotundo 
habens in pede litteras circumcirca... et in media 
patena manus, in qua reponitur in sepulcro die ve- 
neris sancti vivificum corpus Xri . . .l- Die späteren 
italienischen Autoren wiederholen mit kleinen Ab- 
wandlungen die Meinung Santangelos. Die Datie 
rung heißt nun meistens 9.110. Jh., und zum Ver- 
gleich wird die Patene aus dem Welfenschatz in 
Braunschweig, der Heinrichskelch in München 
und der Salzburger Henkelkelch aus Sankt Peter 
im Kunsthistorischen Museum von Wien herange 
zogen. Diese Vergieichsbeispiele bekräftigen die 
frühe Datierung nicht, da der Salzburger Henkel- 
kelch aus dem dritten Viertel des 12. Jahrhun- 
derts stammt, die Braunschweiger Patene erst im 
12. Jh. graviert wurde und die Datierung des Hein- 
richskelches umstritten ist. Dessen Kuppa be- 
steht zudem aus einer fatimidischen Bergkristall- 
tasseß. 
Joseph Braun dagegen nennt den Kelch eine deut- 
sche Arbeit des späten 12. Jahrhunderts, und ihm 
folgt, etwas zögernd, V. H. Elbern im AnschIuB an 
den Henkelkelch des Bischofs Gervasius von 
Reims "fast identisch in der Form-x (mit dem Ger- 
vasiuskelch, vor 1067), uwenn auch massiger in 
den Proportionen ist der schöne Henkelkelch im 
Domschatz von Cividale, der aber schon der Zelt 
nach 1100 angehört und daher nicht eingehend 
berücksichtigt wird. . M. 
Mir stellte sich zunächst die Frage, wo und wann 
es in Europa zwischen dem 10. und 12. Jahrhun- 
dert ein so hervorragend fein gearbeitetes Stück 
Metallguß gegeben haben könnte wie den kleinen 
Nodus am Kelch von Cividale. Die Knäufe romani- 
scher Leuchter mit den meist plump gedrehten 
Blättern und Riemen sind unvergleichlich viel 
gröbere. Nach den Meisterwerken des Metallgus- 
ses in karolingischer Zeit scheint das Wissen wie 
der verlorengegangen zu sein. Bernward von Hil- 
desheim mußte sich hart bemühen, bis er die gro- 
Ben Türen in einem Stück gießen (lassen) konnte. 
Seine SiIber- und Bronzegüsse sind großartig, 
aber nicht zierlich und fein. Neben schriftlichen 
Zeugnissen über die frühe Gießkunst an Rhein 
und Maas ist uns aber ein einziges Kunstwerk 
wirklich erhalten, das hohe Qualität der Gußtech- 
nik, wohl unter dem Einfluß byzantinischer Hand- 
werker, zeigt: der siebenarmige Leuchter der Äb 
tissin Mathilde von Essen (973-1011). Falke und 
Bloch heben die hervorragende Feinheit des Bron- 
zegusses hervor. Der Leuchter mißt 211 cm. Seine 
Knäufe, die natürlich viel größer sind als bei dem 
kleinen Kelch, sind im Aufbau mit den vier ver- 
klammerten Kreisen sowie in Einzelheiten des 
Blattornamerlts eng mit dem Kelch verwandts. 
Durch diesen Vergleich ermutigt, den italieni- 
schen Forschern in der frühen Datierung und Lo- 
kalisierung in ein Zentrum ottonischer Kultur zu 
folgen, soll nun eine systematische Analyse ver- 
sucht werden, die natürlich von der Gestalt des 
Kelches auszugehen hat. Hierfür bietet die aus- 
führliche und mit einer großen Fülle von Bildern 
ausgestattete Arbeit von Elbern die besten Mög- 
lichkeiten (Anm. 4). Elbern betont mehrfach die 
großen Schwierigkeiten seines Versuches: Die er- 
haltenen Kelche bilden nur einen Bruchteil des 
einst vorhandenen. Die bildlichen Darstellungen 
von Kelchen, etwa im Zusammenhang von Kreuzi- 
gung, Messe, Abendmahl, müssen keineswegs na- 
turgetreu einen damals vorhandenen Kelch abbil- 
den. sondern können eine altere Vorlage kopieren. 
Die Nachahmung eines kunstvollen Vorbildes ist 
auch bei wirklichen Kelchen nicht auszuschlie 
ßen. Dennoch gelingt Elbern mit vorbildlicher Vor- 
sicht, gewisse allgemeine Kriterien der Form- 
wandlung festzustellen. Dabei bilden die karolin- 
gischen Kelche eine leichter zu definierende Grup- 
pe als diejenigen der Zeit um 1000. Ganz besonde- 
re Schwierigkeiten erwähnt Elbern bei der Beob- 
achtung der Entwicklung des Henkelkelches. Das 
ist insofern natürlich, als der Henkelkelch beson- 
ders stark durch antike und dann wohl auch durch 
byzantinische Vorbilder beeinflußt wird. Bei der 
Suche nach Vergleichsbeispielen beachten wir 
außer der Gesamtform noch besonders die arka- 
denartigen Rippen am Unterteil der Kuppa, die 
fast schon an die nKörbchenn der Barockkelche 
erinnern. Abbildung 1 zeigt einen Kelch aus blau- 
em Glas, der, wahrscheinlich für profanen Ge- 
brauch bestimmt, ganz antikische Formen hat und 
etwa aus dem 5. Jh. stammt. 
Vielleicht zum christlichen Kult gehörig ist der 
Kelch aus dem Siiberschatz von Zaiesie im Kunst- 
historischen Museum von Wien, der meist als 
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