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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXX (1985 / Heft 200)

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beiden mittleren in dunkel leuchtendem Grün und 
ebenso sattem Rot erscheinen. 
Lydia Roppolt notiertedazu: i-Mrr gefiel die gotische Kir- 
che sehr gut, und ich wollte etwas Kostbares schaffen. 
ich glaube. ich habe das Wesen der Gotik erfaßt. In der 
Glaskunstmußmanwirklich sehreinfachsein,damitdie 
Wirkung umsogroßer ist. Das Licht der Sonne bringt die 
Farben zum Leuchten und Klingen." Sie weist auf den 
intensiven Widerschein dieser Gestalten auf das im 
Chorhangende Kruzifix hin. insbesondere auf das inder 
Glaskunst so seltene Grun liiHoffnungsschimmer. . .i). 
und nennt die grüne Gestalt beiläufig "Biantf. Ohne sol- 
che spontane Äu ßeru ngen überzubewerten, bestätigen 
siedoch die Beobachtung, daß selbst die abstraktesten 
Schöpfungen von Lydia Roppolt nicht gegenstandslos 
sind, sondern daß ihnen sehr reale Erfahrungen 
zugrunde liegen. 
Fur die elf Fenster der kreisrunden Taufkapelle der 
Christkonigkirche in Linz-Urfahr schuf Lydia Roppolt 
stark abstrahierte Bildfenster in Echtantikglas zum 
Thema iiFlammenzungen und Wasserflusseri, einem 
Thema, das bei vielen alten lnitiationsriten eine Rolle 
spielt und auch der christlichen Taufe symbolisch Aus- 
druck verleiht ln hellen, überaus duftigen Farben wer- 
den die blauen Wasser, herabsturzend in Wasserfällen 
und in Becken ruhend. und die darüber schwebenden 
roten Feuerzungen dargestellt Von oben ragt die rote 
Sonne in die seitlichen Fenster herein, wahrend sie in 
den mittleren Fenstern, selbst nicht sichtbar, in den 
Wassern rot widerscheint. Dieses Werk verströmt trotz 
seinerLebendigkeit in FarbeundSlrich einegroße Ruhe 
und atmet die Frische einer sommerlichen Mor- 
genfruhe. 
Wie kaum ein anderer Künstler der letzten Jahrzehnte 
hat Lydia Roppolt durch ihr Werk Anteil an der grundle- 
genden Erneuerung der christlichen Kunst. Wie ein 
erratischer Block steht ihr Werk inmitten der durch die 
ratlose Flucht der im Glauben wie in der Kunst Verunsi- 
cherten. Ihr kompromißloses, auf den Wesenkern des 
Glaubens direkt zugehendes Gestalten hat unzählige, 
konventionelle Betrachter durch ihre Kühnheit befrem- 
dende, oft erschreckende Werke hervorgebracht, die- 
neben den großten Zeugnissen christlicher Kunst wür- 
dig bestehen können. Niemals allerdings hatte sie 
beabsichtigt, künstlerisch zu schockieren Die offen- 
bareWahrheitaberistnieangenehnmuriddie Frohe Bot- 
schaftverlangtvomChristen nichtwenigeratssotortige 
Umkehr und Anderung seines Lebens. 
Die großen Präsentationen religiöser Kunst, die rund 
um den Katholikentag T983 in Wien, Linz, Salzburg und 
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anderswostatttanden,haben ein grellesSchlaglichtauf 
diese allgemeine Verunsicherung und Ratlosigkeit ge- 
worfen. Die Fragen nach der Wahrhaftigkeit der Kunst 
und nach der Wahrhaftigkeit des Glaubenswurden dort 
sowenig berührLalsobes nicht not tate,sieimmerwie- 
derzu stellen und immervon neuem nach Antworten zu 
suchen. 
Erzbischof Dr. Jachym hat Lydia Roppolt den ehrenvol- 
len Auftrag erteilt, die Fenster der neuen Ptarrkirche 
zum Göttlichen Erlöser in Wlen-Brigittenau (Burghart- 
gasse)zugestalten undmitdiesem,seinemletzenWerk 
als Baureferent der Wiener Erzdiözese dem Wunsch 
der Künstlerin entsprochen, das zentrale Thema des 
Glaubens nicht bloß symbolisch. sondern figürlich dar- 
stellenzudürfen.Seinem persönlichen Mutundseinem 
Vertrauen in die gestalterische Kraft Lydia Roppolts ist 
diese überwältigende Verkörperung christlichen 
Bekenntnisses zu verdanken. 
Lydia Roppolt fand hier nicht einfach eine Fensterwand 
vor, sondern sieben Raumoffnungen unterschiedlicher 
Größe, Form und Höhenlage, die zudem in verschiede- 
nen Ebenen mit einem kräftigen konstruktiven Raster 
geschlossen wurden und den Kirchenraum hinten ab- 
QTGHZGTT. 
Die insgesamt 33 m breite Bildkomposition zeigt den 
geheimnisvoll geordneten Kosmos unter dem als Zei- 
chen der Versöhnung alles überspannenden Regenbo- 
gen und im 6 m hohen Mittelfeld den die Grenzen des 
Raumes überschreitenden gottlichen Erlöser am 
Kreuz. 
Lydia Roppolt notierte zu ihrem Erlöserfenster: wln der 
Mitte ist der Erlöser, DieGeste des geneigten Kopfes ist 
tief mystisch und bewegend, ist Hingabe. Er ist fürewig 
als Erlöser erhoben. Für den Leib wählte ich Hellrot, 
Selen;derKreuzesbalkenistinleuchtendem Rot. Damit 
der Korpus richtig erstrahle. umkränzte ich ihn mithel- 
len Liniendamiterumsomehr leuchte, und mitmeinen 
Schwarzlotlinien brachte ich noch ern richtiges Vibrie- 
ren und Glitzern hinein Ganz ruhig und herrlich schön 
ist dieserChristus geworden. Unirdisch hebt er sich in 
denHimmel.WasichamAnfangmeineskunstlerischen 
Weges gewollt habe, ist nicht verforengegangen, im 
Gegenteil. ich habe eine Steigerung erreicht. Es war ein 
sehr lieber Pfarrer dort. der sagte, bei ihm würde das 
eine Wallfahrtskirche werden f! 
Lydia Roppolt ist begnadet mit dem unter den heute 
schaffenden Künstlern überaus seltenen Charisma der 
Bildverkündigung. Unter Verzicht aut alle äußeren 
Zufälligkeiten,wie körperliche SchönheiLjaselbst ana- 
tomische Richtigkeit, die von den Künstlern früherer 
 
Zeiten oft nur unter dem Vorwand religiöser Thematik 
ins Bild gebracht werden durtten und daher oft über die 
thematische Notwendigkeit hinaus ausgekostet wur- 
den, stoßt Lydia Roppolt abrupt zum eigentlichen 
Thema vor. dem durch seine Bereitschaft zum Leiden 
und zum Tod tur unsere Erlosung erniedrigten Aller- 
hochsten Diese Ambivalenz Christi - wahrer Mensch 
und wahrer Gott, der mit aller Schuld beladene schuld- 
los Reine, der durch den Tod zum ewigen Leben Aufer- 
standene -, dieses unbegreitliche Paradox des neuen 
Testaments ist in Lydia Roppolts Erloserfenster faszi- 
nierend zum Ausdruck gebracht. 
Lydia Roppolt schuf ein Christusbild, das gewaltig ist 
und zugleich innig und zart. Ein Bild jedenfalls und kein 
Foto. Ihre Schopfung kann daher weder naturalistisch 
noch ungegenständlich sein. Sie will keine Sachver- 
halte mitteilen. die Leidensgeschichte weder illustrie- 
ren noch versinnlichen und Christus nicht porträtieren. 
Ihr Gegenstand ist eigentlich die geistige Realität des 
Glaubens. Ihre Gestalten entstammen zwar dem 
Bereich unserer Erfahrungen. da sie verstandlich sein 
mussen wie jede Verkundigung, und sind daher dem 
Inhalt nach gegenständlich. der Form nach abstrakt. 
das heißt. von den Zufälligkeiten der Erscheinungsviel- 
falt befreit und auf das allgemein Gültige verdichtet. 
Diegedrungenen Korperproportionen des Erlosers und 
seine abgewinkelten Arme rufen die Erinnerung an das 
Kind in der Krippe wach, das widerspruchsloser geliebt 
wird als der Gekreuzigte. Zusammen mit den duftlgen 
Farben des Körpers drücken sie Verfetzlichkeit und 
Schutzbedürftigkeit aus. rufen unsere Muttergefuhle 
wach, appellieren an unsere Ritterlichkeit und besänfti- 
gen unsere Aggressionen gegen Größe und Herrlich- 
keit. lndem uns Christus schwach erscheint. fuhlen wir 
unsgestarktundzurVerantwortung aufgerufen.Gleich- 
zeitig aber ist Christus über die Maßen groß und prach- 
trg, laßt uns unsere Kleinheit und Begrenztheit erken- 
nen. versetzt uns in die Rolle des Schutz suchenden 
Kindes.des minderen Bruders, ruftunsautunsliebens- 
würdig zu erweisen und erweckt unsere Sehnsucht. so 
zu werden wie er 
NichtdiebeklemmendeRealitätdesTodes,sondern die 
Verheißung neuen Lebens darzustellen, war das 
erklärte Ziel der Kunstlerin. Nicht Leichenblässe, son- 
dern die Farben der untergehenden Sonne gab sie dem 
Gekreuzigteri, unct das Bild erstrahlt umso feuriger. ie 
weiter die Sonne westwärts sinkt 
Wenn Lydia Roppolt die Wundmale Christi als Quellen 
leuchtender.endlos sich ausbreitenderundindieande- 
ren Teile der Gesamtkomposition hinüberfließende
	        
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