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Volltext: Alte und Moderne Kunst XXX (1985 / Heft 200)

Peter Weiermair 
Zum Problem der inszenierten 
Fotografie im 19. und 20. Jahr- 
hundert 
Wechselwirkung zwischen Kunst und Foto- 
grafie 
Den Anlaß für eine grundsätzliche Betrachtung dieses 
Themas ergibt sowohl die Tatsache, daß jüngere Foto- 
grafen als auch bildende Künstler. welche sich des 
Mediums der Fotografie bedienen, sich mit iistaged 
photo EVQHISu auseinandersetzen. welche ihre Vorge- 
schichte eher in der Tradition der bildenden Künste seit 
den sechziger Jahren besitzen wie auch der Umstand, 
daß im späten 19. Jahrhundert in der Geschichte der 
Fotografie eine deutliche Parallelität zwischen dem 
lnszenierungsgedanken in der Malerei wie auch in der 
Fotografie feststellbar ist. Fürdie. welche in den letzten 
Jahren innerhalb der Fotografie einen Innovations- 
schubvermißten. mußdiese iiinszenierte Fotografiea, in 
den Vorstellungen derspälen Konzeptkunst, der Perfor- 
mancebewegung, der Korperkunst und Selbstdarstel- 
lung weiterentwickelt wurden, ein Phänomen darstel- 
len, welches gleichermaßen von der Fotografie, in der 
historische Vorläufer, freilich unter anderen Bedingun- 
gen des Entstehens gefunden werden können wie von 
den bildenden Künsten, im Hinbllckaufdie Erweiterung 
der Medien reklamiert werden kann. 
Seit Beginn der künstlerischen Fotografie besteht eine 
Rivalität zwischen der iistraight photographyrr und den 
verschiedenen pictorialistischen Vorstellungen. Erste- 
re war immer vom Ideal der Klarheit und Objektivität. 
der Registrierung der Wirklichkeit, wie wir, das heißt 
besser die Kamera mit den ihr eigenen technischen 
Bedingungen und Möglichkeiten sie aufzeichnet, gelei- 
tet. letztere haben ihre oft symbolischen Bildkomposi- 
tionen immer mit allen denkbaren Mitteln realisiert. In 
erster Liniewaren es moralische Gründe, Gründe eines 
wieimmergearteten Engagements, auch ästhetischen. 
welche die Manipulation rechtfertigen. Die Anlehnung 
an die Kompositionsweisen und lkonographischen Vor- 
bilderder gleichzeitigen bildenden Künste wardeutlich, 
Henry Peach Robinson schrieb 1895: iilt is his(des Foto- 
grafen) imperative duty to avoid the mean. the bare and 
the ugly and to aim to elevate his subject, to avoid 
awkard forms and to correct the unpicturesoueß 
Bis in die fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts gibt es, 
insbesondere in der bald nach der Jahrhundertwende 
auftauchenden Werbe, Tanz- und Aklfotografie wie der 
Modefotografie eine reiche Landschaft konstruierter. 
fürdieAbbildung sorgfältig inszenierter Fotografie. Der 
Begriff der Inszenierung, aus dem Theater entlehnt, 
meint ja nichts anderes. als daß der Bildgegenstand für 
dieAufnahmein räumlicher DisposiliomAusschnitlund 
Beleuchtung sorgfältig gestellt wird, die Aufnahme nur 
die Dokumentation dieses künstlerischen Akts der 
iilnszenierungrr ist. Dabei liefertdie Fotografie nichtsel- 
ten sprechende Bilder. welche ein Vor- und Nachher in 
sich einschließen. Die Entwicklung begann mit Oscar 
Rejländers iiThe two ways of Iifeir aus dem Jahre 1857. 
einer Aufnahme welche in moralisierender Absicht das 
Jedermannthema vorführt, akademisch belehrend und 
ganz in der Bildtradition der akademischen Genrernale- 
rei derZeit, und endet mit der surrealen Ding- und Kör- 
permagie der Aufnahmen im surrealistischen Werk 
Man Rays und George Platt-Lynes. Seit den siebziger 
Jahren des XX. Jahrhunderts gibt es nun eine wesent- 
Iiche Weiterentwicklung, deren Quellen im Surrealis- 
mus Iiegen, aber auch aus der Pop-Art kommen, aus der 
Konzeptkunst und dem Phänomen der Selbstdarstel- 
lung imfotografischen Bilde. Möglichkeiten und Effekte 
werden der Werbung, dem kommerziellen Film und 
auch der kommerziellen Fotografie entnommen. Große 
Formate. starke Farbigkeit. wenig Schwarzweißauf- 
nahmen und eine direkte. oft sehr aggressive Präsenta- 
tion sind Kennzeichen dieser oft lebensgroßen Arbei- 
ten. Der grundsätzliche Zugang ist ähnlich wie in der 
fotografischen Kunst der symbolistischen Fotografen 
des 19. Jahrhunderts oder der inszenierten Fotografie 
in der piktorialistischen Fotografie der Jahrhundert- 
wende. Der Fotograf stellt die Szene. komponiert sie, 
überläßt möglichst wenig dem Zufall. Es handelt sich 
um eine Atelierfotografie reinsten Wassers. Jedes 
Detail wird ernstgenommen. Das, was Element der 
Inszenierung inderfrühen Fotografie ist. Teil der unfrei- 
willigen Komik. der belehrende Ernst. die Imitation der 
Malerei wird hingegen in der jüngsten Fotografie iro- 
nischeingesetzt. Man spieltmitderWirkIichkeitssugge- 
stion der Fotografie, der Tatsache, daß alles. was in die 
Aufnahme eingeht und dem Betrachter vermittelt wird, 
 
1 Paul Pichier, Bukolische Landschaft (Hirtenszene bei San 
Vigtlio d! Gerda), ca 1900 Abzug von der Glasplatte 
2 John Hiliiard. Drawn, 1951. Crbachromes and alurriinium 
3 Egon SchieIeIAntios Trcka, Portrait Egon Schiele, 1914 
nicht nur für wirklich, sondern auch für wahr gehalten 
wird. SowohlJ. B, B. Wellington mitderAulnahme iiDer 
Tod des Sommersrt wiedererwahnte Rejländerillustrie- 
ren symbolische, allegorische oder moralische The- 
men. Eine Fotografin wie Julie Margret Cameron zeigt 
in ihren Aufnahmen die deutliche Anlehnung an prä- 
raffaelitische Vorbilder. Einflußreich nicht nur für die 
antikisierende Kostümfotografie des späten 19. Jahr- 
hunderts. sondern für die Malerei. welche Bildvor- 
stellungen Gloedens tradierte (Gloeden selbst bezog 
sich ebenfalls auf Vorbilder, etwa den Akt Hypolyte 
Flandrins, der später bei Maxlield Parish wieder auf- 
taucht), war Wilhelm von Gloeden (1856- 1931). Er 
arbeitete im Gegensatz zu den Piktoralisten auf Albu- 
minpapier mit Platintönung und versuchte nicht durch 
die Bearbeitung des Positivs den Eindruck druckgraphi- 
scher Arbeiten zu erreichen. Im Freiraum der siziliani- 
schen Landschaft urn den malerischen Ort Taormina, 
vor Ruinen und romantischen Landschaftsprospekten, 
mit antikisiertem Zubehör, Statuen. Draperien insze- 
nierte von Gloeden rnit den sizilianischen Jugendlichen 
eine traumhafte, homoerotisch orientierte antikische 
Welt. Die Natur bleibtStaffage des Bildmittelpunkts, bei 
dem es aber nicht um eine Exhibition von Ephebenkör- 
pern geht, sondern um die photographische Realisation 
eines alles beherrschenden Motivs: die Wiederbele- 
bung der Antike. Gloeden unterschied sich ganz deut- 
lichvonderKunstfotografie.NurderAusflugin Mytholo- 
gie und Geschichte erlaubte ihm die Präzision der 
Körperdarstellung, die bis in subjektive körperliche 
Details peinlich genau gegeben ist, Ein Fotograf wie 
Fred Holland Day, wichtige Figur der kunstfotografi- 
schen Bewegung des iiLinked Ringrr in England. setzte 
die für den Pictorialismus charakteristischen Edel- 
druckverfahren ein. Fred Holland Day ist wie Clarence 
White der Fin-de-Siecle-Ästhetik des ausgehenden 
19. Jahrhunderts verpflichtet. Wie in der christlichen 
Malerei schafft Day mehrteilige Tableaus. deren lkono- 
graphie sowohl der religiösen Thematik (hl, Sebastian. 
Christus am Kreuze) wie auch antiken Vorstellungen 
verpflichtet ist. Während die nackten Epheben des 
BaronsvonGloedendieharten Konturen derspäten vik- 
torianischen Malerei aufweisen, sind die Akte Days 
erfüllt von schimmernden Lichtern und tiefen Schatten. 
Day orientiert sich deutlich an überkommenden Dar- 
stellungen. wobei er selbst nicht selten auch sein eige- 
nes Modell ist. Fast alle kunstfotografischen Arbeiten 
orientieren sich an der Gedankenmalerei. versuchen 
etwa der Aktdarstellung ein mythologisches oder alle- 
gorisches Mäntelchen umzuhängen. legitimieren den 
Bildgegenstand durch Anlehnung. den Nachvollzug der 
Vorbilder der bildenden Kunst. In diesen Bereich gehö- 
ren auch die frühen Arbeiten des Wiener Fotografen 
Paul Pichier, der norditalienische Landschaften von 
Böcklinschem Reiz mit antiken Figuren bevölkert. Die 
KunstwürdigkeitderFotografiewirddurchAnleihenaus 
der Vorgangsweise der gleichzeitigen. noch mehr je- 
doch der vorhergehenden Malerei, unter Beweis ge- 
stellt. Auch dort. wo keineswegs literarische Themen 
behandelt werden, muß die Fotografie iiinszenierenrr. 
Die langen Belichtungszeiten auch in den Bildern Wil- 
helm von Gloedens ergeben für uns heute den Reiz des 
Posierens, des merkwürdig surreal Erstarrten. 
Hat die iistraight photographyrr der Kunstfotografie dia- 
lektisch geantwortet, indem die Fotografie sich auf die 
ihr wesenseigenen Mittel besann. so hat sich das 
Moment des lnszenierens in der Theater, Mode-. und 
Tanzfotografie, aber auch der Aktfotografie erhalten. 
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