Peter Weiermair
Zum Problem der inszenierten
Fotografie im 19. und 20. Jahr-
hundert
Wechselwirkung zwischen Kunst und Foto-
grafie
Den Anlaß für eine grundsätzliche Betrachtung dieses
Themas ergibt sowohl die Tatsache, daß jüngere Foto-
grafen als auch bildende Künstler. welche sich des
Mediums der Fotografie bedienen, sich mit iistaged
photo EVQHISu auseinandersetzen. welche ihre Vorge-
schichte eher in der Tradition der bildenden Künste seit
den sechziger Jahren besitzen wie auch der Umstand,
daß im späten 19. Jahrhundert in der Geschichte der
Fotografie eine deutliche Parallelität zwischen dem
lnszenierungsgedanken in der Malerei wie auch in der
Fotografie feststellbar ist. Fürdie. welche in den letzten
Jahren innerhalb der Fotografie einen Innovations-
schubvermißten. mußdiese iiinszenierte Fotografiea, in
den Vorstellungen derspälen Konzeptkunst, der Perfor-
mancebewegung, der Korperkunst und Selbstdarstel-
lung weiterentwickelt wurden, ein Phänomen darstel-
len, welches gleichermaßen von der Fotografie, in der
historische Vorläufer, freilich unter anderen Bedingun-
gen des Entstehens gefunden werden können wie von
den bildenden Künsten, im Hinbllckaufdie Erweiterung
der Medien reklamiert werden kann.
Seit Beginn der künstlerischen Fotografie besteht eine
Rivalität zwischen der iistraight photographyrr und den
verschiedenen pictorialistischen Vorstellungen. Erste-
re war immer vom Ideal der Klarheit und Objektivität.
der Registrierung der Wirklichkeit, wie wir, das heißt
besser die Kamera mit den ihr eigenen technischen
Bedingungen und Möglichkeiten sie aufzeichnet, gelei-
tet. letztere haben ihre oft symbolischen Bildkomposi-
tionen immer mit allen denkbaren Mitteln realisiert. In
erster Liniewaren es moralische Gründe, Gründe eines
wieimmergearteten Engagements, auch ästhetischen.
welche die Manipulation rechtfertigen. Die Anlehnung
an die Kompositionsweisen und lkonographischen Vor-
bilderder gleichzeitigen bildenden Künste wardeutlich,
Henry Peach Robinson schrieb 1895: iilt is his(des Foto-
grafen) imperative duty to avoid the mean. the bare and
the ugly and to aim to elevate his subject, to avoid
awkard forms and to correct the unpicturesoueß
Bis in die fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts gibt es,
insbesondere in der bald nach der Jahrhundertwende
auftauchenden Werbe, Tanz- und Aklfotografie wie der
Modefotografie eine reiche Landschaft konstruierter.
fürdieAbbildung sorgfältig inszenierter Fotografie. Der
Begriff der Inszenierung, aus dem Theater entlehnt,
meint ja nichts anderes. als daß der Bildgegenstand für
dieAufnahmein räumlicher DisposiliomAusschnitlund
Beleuchtung sorgfältig gestellt wird, die Aufnahme nur
die Dokumentation dieses künstlerischen Akts der
iilnszenierungrr ist. Dabei liefertdie Fotografie nichtsel-
ten sprechende Bilder. welche ein Vor- und Nachher in
sich einschließen. Die Entwicklung begann mit Oscar
Rejländers iiThe two ways of Iifeir aus dem Jahre 1857.
einer Aufnahme welche in moralisierender Absicht das
Jedermannthema vorführt, akademisch belehrend und
ganz in der Bildtradition der akademischen Genrernale-
rei derZeit, und endet mit der surrealen Ding- und Kör-
permagie der Aufnahmen im surrealistischen Werk
Man Rays und George Platt-Lynes. Seit den siebziger
Jahren des XX. Jahrhunderts gibt es nun eine wesent-
Iiche Weiterentwicklung, deren Quellen im Surrealis-
mus Iiegen, aber auch aus der Pop-Art kommen, aus der
Konzeptkunst und dem Phänomen der Selbstdarstel-
lung imfotografischen Bilde. Möglichkeiten und Effekte
werden der Werbung, dem kommerziellen Film und
auch der kommerziellen Fotografie entnommen. Große
Formate. starke Farbigkeit. wenig Schwarzweißauf-
nahmen und eine direkte. oft sehr aggressive Präsenta-
tion sind Kennzeichen dieser oft lebensgroßen Arbei-
ten. Der grundsätzliche Zugang ist ähnlich wie in der
fotografischen Kunst der symbolistischen Fotografen
des 19. Jahrhunderts oder der inszenierten Fotografie
in der piktorialistischen Fotografie der Jahrhundert-
wende. Der Fotograf stellt die Szene. komponiert sie,
überläßt möglichst wenig dem Zufall. Es handelt sich
um eine Atelierfotografie reinsten Wassers. Jedes
Detail wird ernstgenommen. Das, was Element der
Inszenierung inderfrühen Fotografie ist. Teil der unfrei-
willigen Komik. der belehrende Ernst. die Imitation der
Malerei wird hingegen in der jüngsten Fotografie iro-
nischeingesetzt. Man spieltmitderWirkIichkeitssugge-
stion der Fotografie, der Tatsache, daß alles. was in die
Aufnahme eingeht und dem Betrachter vermittelt wird,
1 Paul Pichier, Bukolische Landschaft (Hirtenszene bei San
Vigtlio d! Gerda), ca 1900 Abzug von der Glasplatte
2 John Hiliiard. Drawn, 1951. Crbachromes and alurriinium
3 Egon SchieIeIAntios Trcka, Portrait Egon Schiele, 1914
nicht nur für wirklich, sondern auch für wahr gehalten
wird. SowohlJ. B, B. Wellington mitderAulnahme iiDer
Tod des Sommersrt wiedererwahnte Rejländerillustrie-
ren symbolische, allegorische oder moralische The-
men. Eine Fotografin wie Julie Margret Cameron zeigt
in ihren Aufnahmen die deutliche Anlehnung an prä-
raffaelitische Vorbilder. Einflußreich nicht nur für die
antikisierende Kostümfotografie des späten 19. Jahr-
hunderts. sondern für die Malerei. welche Bildvor-
stellungen Gloedens tradierte (Gloeden selbst bezog
sich ebenfalls auf Vorbilder, etwa den Akt Hypolyte
Flandrins, der später bei Maxlield Parish wieder auf-
taucht), war Wilhelm von Gloeden (1856- 1931). Er
arbeitete im Gegensatz zu den Piktoralisten auf Albu-
minpapier mit Platintönung und versuchte nicht durch
die Bearbeitung des Positivs den Eindruck druckgraphi-
scher Arbeiten zu erreichen. Im Freiraum der siziliani-
schen Landschaft urn den malerischen Ort Taormina,
vor Ruinen und romantischen Landschaftsprospekten,
mit antikisiertem Zubehör, Statuen. Draperien insze-
nierte von Gloeden rnit den sizilianischen Jugendlichen
eine traumhafte, homoerotisch orientierte antikische
Welt. Die Natur bleibtStaffage des Bildmittelpunkts, bei
dem es aber nicht um eine Exhibition von Ephebenkör-
pern geht, sondern um die photographische Realisation
eines alles beherrschenden Motivs: die Wiederbele-
bung der Antike. Gloeden unterschied sich ganz deut-
lichvonderKunstfotografie.NurderAusflugin Mytholo-
gie und Geschichte erlaubte ihm die Präzision der
Körperdarstellung, die bis in subjektive körperliche
Details peinlich genau gegeben ist, Ein Fotograf wie
Fred Holland Day, wichtige Figur der kunstfotografi-
schen Bewegung des iiLinked Ringrr in England. setzte
die für den Pictorialismus charakteristischen Edel-
druckverfahren ein. Fred Holland Day ist wie Clarence
White der Fin-de-Siecle-Ästhetik des ausgehenden
19. Jahrhunderts verpflichtet. Wie in der christlichen
Malerei schafft Day mehrteilige Tableaus. deren lkono-
graphie sowohl der religiösen Thematik (hl, Sebastian.
Christus am Kreuze) wie auch antiken Vorstellungen
verpflichtet ist. Während die nackten Epheben des
BaronsvonGloedendieharten Konturen derspäten vik-
torianischen Malerei aufweisen, sind die Akte Days
erfüllt von schimmernden Lichtern und tiefen Schatten.
Day orientiert sich deutlich an überkommenden Dar-
stellungen. wobei er selbst nicht selten auch sein eige-
nes Modell ist. Fast alle kunstfotografischen Arbeiten
orientieren sich an der Gedankenmalerei. versuchen
etwa der Aktdarstellung ein mythologisches oder alle-
gorisches Mäntelchen umzuhängen. legitimieren den
Bildgegenstand durch Anlehnung. den Nachvollzug der
Vorbilder der bildenden Kunst. In diesen Bereich gehö-
ren auch die frühen Arbeiten des Wiener Fotografen
Paul Pichier, der norditalienische Landschaften von
Böcklinschem Reiz mit antiken Figuren bevölkert. Die
KunstwürdigkeitderFotografiewirddurchAnleihenaus
der Vorgangsweise der gleichzeitigen. noch mehr je-
doch der vorhergehenden Malerei, unter Beweis ge-
stellt. Auch dort. wo keineswegs literarische Themen
behandelt werden, muß die Fotografie iiinszenierenrr.
Die langen Belichtungszeiten auch in den Bildern Wil-
helm von Gloedens ergeben für uns heute den Reiz des
Posierens, des merkwürdig surreal Erstarrten.
Hat die iistraight photographyrr der Kunstfotografie dia-
lektisch geantwortet, indem die Fotografie sich auf die
ihr wesenseigenen Mittel besann. so hat sich das
Moment des lnszenierens in der Theater, Mode-. und
Tanzfotografie, aber auch der Aktfotografie erhalten.
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